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»Morgensprache« verlesen wurden und meist Abgeschiedenheit von der englischen Welt bezweckten. Oft wurden die Hanseaten zeitweilig im Genuß ihrer Privilegien durch Englands Kriege mit dem Ausland und durch lästige städtische Abgaben, welche die eifersüchtigen Seestädte London, [* 2] Hull [* 3] etc. erhoben, gestört, und zur Zeit der Bürgerkriege konnten sie ihre Handelsniederlassungen nur mit außerordentlicher Mühe vor dem Verfall schützen. In den Niederlanden waren die Hansen ebenfalls bemüht, Handelsfreiheiten auf den dortigen Märkten zu erringen, da sie hier nur die Produkte des Nordens und Nordostens gegen orientalische Waren umtauschen konnten; allerdings fanden sie hier nicht den Neid wie an andern Orten, wohl aber Konkurrenz und freiere Verwendung des Kapitals und der Arbeit, weshalb sie in Flandern keinen so entschiedenen Einfluß auf den Handel und Verkehr und keine Privilegien vor andern Völkern erlangen konnten.
Nach Brügge brachten die Hanseaten die Produkte des Nordens und vertauschten oder verkauften sie hier, die Blütezeit des brüggeschen Kontors dauerte bis gegen Ende des Mittelalters, wo Verhältnisse eintraten, die einen Umschwung des hanseatischen Handels mit sich brachten. Während der Unruhen in Flandern zog sich der Handel nach Antwerpen. [* 4] Auch andre niederländische Städte wurden von den Hanseaten besucht, und mit den holländischen, seeländischen und westfriesischen Städten standen sie bis in das 15. Jahrh. in enger Verbindung; erst nach ihrer Trennung vom Bunde trieben die holländischen Städte einen unabhängigen Aktivhandel.
Der Verkehr mit Frankreich scheint weniger lebhaft gewesen zu sein. Aus den ihnen von Ludwig XI. und Karl VIII. erteilten Privilegien geht hervor, daß sich die Hanseaten zahlreich in den Häfen von La Rochelle, Harfleur und Honfleur einfanden; aber die Art ihres Verkehrs ist wenig bekannt, wahrscheinlich stand er unter der Leitung des brüggeschen Kontors. Im 15. Jahrh. entstanden Faktoreien in La Rochelle und Bordeaux, [* 5] die aber bald wieder eingingen. Aus Portugal [* 6] bezogen die Hanseaten Südfrüchte, Salz [* 7] etc. und importierten besonders Schiffbauholz; 1452 erhielten sie von Alfons V. eine Niederlassung in Lissabon. [* 8]
Verbindungen mit Spanien bestanden seit der letzten Hälfte des 14. Jahrh.; im 15. Jahrh. wurden dieselben zwar infolge von Zerwürfnissen unterbrochen, jedoch 1443 wieder angeknüpft. Im ganzen war aber der Handel der Hanseaten großen Beschränkungen unterworfen. Ein reger Verkehr muß dagegen zwischen den Hansestädten und dem Innern Deutschlands [* 9] stattgefunden haben, doch sind die Nachrichten über denselben nur spärlich. Die Fische [* 10] der Seestädte wurden nach dem Binnenland geführt, dagegen aus diesem andre Produkte bezogen.
Direkte Wege bestanden zwischen Hamburg, [* 11] Lübeck [* 12] und Frankfurt [* 13] a. M.; ein Hauptwarenzug bewegte sich über Magdeburg [* 14] nach Dresden [* 15] und Böhmen. [* 16] Basel [* 17] und Straßburg [* 18] sowie Ulm [* 19] und Regensburg [* 20] standen mit den Hanseaten in ununterbrochener direkter Verbindung, da Donau-Rhein Hauptstraße für Mitteleuropa war. Ein großes Gebiet des hanseatischen Binnenhandels zog sich von Danzig [* 21] nach Wien [* 22] und Venedig; [* 23] als Hauptruhepunkt dieses Warenzugs diente Trentschin an der Waag, denn hier endete die preußische Straße, welche über Oberschlesien und Jablunka ging und Bernstein [* 24] für den Donauhandel lieferte, der später über Antwerpen und Brügge versendet wurde.
Die wichtigste Niederlassung war in Litauen Kowno (Kauen), wo alle Straßen Litauens und Rußlands zusammenführten. Auch in Kowno wohnten die Kaufleute in Höfen, und zwar waren es meist preußische und namentlich Danziger; Haupthandelsartikel war Salz, das aus Livland, [* 25] Polen und Rußland hierher gebracht wurde. Auch mit Tuch, Seidenzeugen, Heringen, Zucker [* 26] etc. trieb die Faktorei Handel im großen. Ausfuhrartikel waren: Holz, [* 27] Asche, Wachs, Pelzwerk, [* 28] rohes Leder, Hanf und Garn. Der Handel mit Litauen blühte bis zum Ende der Ordensherrschaft; die Verbindung mit Polen wurde anfangs von Thorn, [* 29] Kulm, Elbing, [* 30] Braunsberg [* 31] aus bewerkstelligt, später bemächtigte sich Danzig des polnischen Handels, bis ihn endlich die Konkurrenz Königsbergs an sich riß.
Über der innern Organisation und dem Umfang der alten Hansa liegt noch manches Dunkel. In der »Kölnischen Konföderation« wurde zwar eine Art von Bundesverfassung 1364 festgesetzt; doch löste sich dieselbe bald wieder auf, und die Städte traten nach wie vor zu Tagsatzungen zusammen, wie es eben die Bedürfnisse der drei großen Gruppen oder des Gesamtbundes erheischten, bald zum Zweck der Ordnung auswärtiger Angelegenheiten, bald zum Ausgleich innerer Streitigkeiten.
Die oberste Gewalt der Hansa lag in den Händen der Stadtdeputierten, die, nicht bloß aus dem Kaufmannsstand gewählt, eine beratende Versammlung bildeten. Dieselbe diskutierte die zu ergreifenden Maßregeln, bestimmte den Geldbeitrag eines jeden Mitgliedes der Hansa, vertrat den Bund den auswärtigen Mächten gegenüber und untersuchte und schlichtete unter den einzelnen hanseatischen Städten entstandene Streitigkeiten. Sie trat mindestens alle drei Jahre, zur Zeit der Blüte [* 32] des Bundes alljährlich in irgend einer Stadt zusammen, am häufigsten in Lübeck, dem Vorort des Bundes, wo auch die Archive aufbewahrt wurden.
In den von Lübeck ausgehenden Zusammenberufungsschreiben waren die wichtigsten Angelegenheiten bezeichnet, welche in Beratung genommen werden sollten. Die gefaßten Beschlüsse wurden dem Senat des Hauptbezirksortes mitgeteilt, welcher dann die übrigen zu ihm gehörenden Hansestädte davon in Kenntnis setzte. Bei den Versammlungen selbst pflegte ein Bürgermeister von Lübeck den Vorsitz zu führen. Der Bund übte besondere Justizgewalt und belegte mit dem größern und kleinern Bann, was man »verhansen« nannte.
Die Hansestädte erwarben gern ein Stadtterritorium, das sie ihr Eigentum nannten; aber sie ließen darin niemals eine Handlung oder ein Gewerbe außer der Landwirtschaft blühen, denn Monopole zu pflegen war ihr Hauptzweck; selbst die Vorstädte ließen sie selten zu vollem Bürgerrecht gelangen. Wer in die Hansa treten wollte, mochte der Antragende eine Landschaft oder eine Stadtgemeinde sein, mußte eine Art von Selbständigkeit besitzen, welche ein Landesherr wohl schützen, aber nicht leiten durfte.
Daher finden wir im Hansabund nur solche Residenzen deutscher weltlicher und geistlicher Landesherren, welche zugleich von ihren Landesfürsten mit einem bedeutenden Maß bürgerlicher Freiheit begabt waren. Solange die Hansa mächtig war, entschied sie allein, ob ein Pfahl- oder Hafengeld von den ein- oder ausgeführten Gütern andrer Hansegenossen in dieser oder jener Stadt erlegt werden solle oder nicht. Die Fürsten münzten oft unter dem Stempel der Hansestädte, doch nur mit Zustimmung derselben, wie sie denn überhaupt während der Blütezeit des Bundes abhängiger von diesem waren als er von ihnen. Die Hansa des Mittelalters kannte den Wechselhandel, der freilich noch sehr einfach war, aber keine niederländischen Assekuranzen. Die Lombarden vertrieb man mit ¶
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ihren Wechseltischen durch Statut von 1412. Schiffe [* 34] durften nicht an Nichthanseaten verkauft werden. Die hanseatische Flagge verführte auch in der Regel keine fremden Güter.
Obgleich von Haus aus nur eine Handelsgesellschaft, war die eine politische Macht ersten Ranges geworden als die einzige Trägerin der deutschen Handelspolitik, und wenn sie sich darin auch von der Zeit überflügeln ließ, so waren selbst ihre Trümmer noch dem Gedeihen des deutschen Handels förderlich. Die nordischen Länder haben ihr Emporkommen und ihre Kultur fast allein dem Einfluß des Handels mit den Hansestädten zu verdanken; die hanseatischen Seefahrer wurden für die Küsten des Baltischen Meers, was im hohen Altertum die Phöniker dem Mittelmeer gewesen waren.
Und als gegen das Ende des 15. Jahrh. der Einfluß des Bundes erlosch, hatten sich zwischen dem Norden [* 35] und Süden Europas bereits mannigfache Verbindungen befestigt, welche eine bleibende fördernde Rückwirkung der geistigen und materiellen Bestrebungen des letztern auf den erstern sicherten. Durch Verfolgung der Seeräuberei brachte es die Hansa dahin, daß sowohl auf dem Deutschen Meer (der Nordsee) als auf dem Baltischen der Handel mit ziemlicher Sicherheit betrieben werden konnte, und außer den Vorteilen, welche sie dadurch allen anliegenden Ländern gewährte, bemühte sie sich auch, das harte, grausame Verfahren zu beseitigen, denen damals der unglückliche Schiffbrüchige ausgesetzt zu sein pflegte, und suchte dem in Verlust Geratenen wieder zu seinem Eigentum zu verhelfen.
Auch dadurch hat der Bund nicht wenig zum Fortschritt der Zivilisation beigetragen. Die Hansa war aber ein Kind ihrer Zeit und mußte untergehen, als diese Zeit vorbei war. Gemeinsamer Vorteil hatte die Mitglieder zusammengeführt, und diese trennten sich daher wieder, als die Mitgliedschaft zur Erreichung neuen Gewinnes Opfer erheischte. Der Hauptmangel des Bundes war seine Stabilität. Er mochte seine alten Einrichtungen nicht ändern, obwohl die Zeit, für welche sie sich als trefflich erwiesen, längst vergangen war.
Ein Zweck der Hansa fiel schon weg, als die Land- und Seestraßen nicht mehr unsicher waren und die Errichtung des Landfriedens hinlängliche Bürgschaft für die öffentliche Sicherheit gewährte. Dann führte die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien eine gänzliche Umwälzung im Handel herbei und machte namentlich den Stapel ungeeignet; die Hansa verkannte aber diese Thatsache. Der Stapel war die Hauptquelle des Reichtums des Bundes gewesen, die Väter hatten vom Stapel und nach den alten Handelsgildegebräuchen gelebt, und die Söhne konnten sich nicht entschließen, daran etwas zu ändern, wenn sie auch darüber zu Grunde gingen.
Der Bund versäumte den rechten Augenblick, sich zu einer großen Handelsrepublik nach neuerm Zuschnitt zu gestalten. Einzelne Bundesglieder, die das veränderte Bedürfnis begriffen, wie die Niederländer, sonderten sich vom Bund ab; andre ließen sich von den Fürsten losreißen, von deren zeitgemäßerer Handelspolitik sie sich größere Vorteile versprachen. Der Bund selbst erstarb, ein Bild alles Stabilen, das Auge [* 36] und Ohr [* 37] hartnäckig den Anforderungen der Zeit verschließt und nicht begreift, daß heute ins Grab führt, was gestern noch heilsam und segenbringend war.
Vgl. Sartorius, Geschichte des hanseatischen Bundes (Götting. 1802-1808);
Sartorius-Lappenberg, Urkundliche Geschichte des Ursprunges der deutschen Hanse (Hamb. 1830, 2 Bde.);
Barthold, Geschichte der deutschen Hansa (Leipz. 1862);
Winkler, Die deutsche Hansa in Rußland (Berl. 1886), und das im Auftrag der Historischen Kommission zu München [* 38] von Koppmann, v. d. Ropp und Schäfer herausgegebene große Urkundenwerk »Hanserezesse« (seit 1256),
von dem bis jetzt 11 Bände (Leipz. 1873-86) erschienen sind; ferner »Hansesches Urkundenbuch« (hrsg. von Höhlbaum, Halle [* 39] 1879-82, Bd. 1-3).