Nachdem König
Georg die noch im letzten
Augenblick zu friedlicher Vermittelung oder zumEingehen ehrenvoller
Neutralität gebotene
Hand
[* 7] des Gegners starr zurückgewiesen, kam es bei
Langensalza
[* 8] (27. Juni) zwischen der nach dem
Süden aufbrechenden
hannöverschen
Armee und der numerisch weit geringern
AvantgardeFalckensteins unter
GeneralFlies zu einem blutigen
Zusammenstoß,
aus dem zwar die Hannoveraner siegreich hervorgingen, aber die Überzeugung gewannen, daß sie auf die
Dauer der preußischen Übermacht nicht widerstehen könnten. So ward denn aufs neue unterhandelt und 29. Juni eine
Kapitulation
vereinbart, laut welcher die
Munition und das Kriegsmaterial den
Preußen übergeben, die
Mannschaften entwaffnet und nach
Hause
geschickt wurden, die
Offiziere ihre
Degen behielten, allein mit der Verpflichtung, dieselben in dem gegenwärtigen
Krieg nicht gegen
Preußen zu gebrauchen. Der König wie der
Kronprinz endlich erhielten unter Zusicherung ihres Privatvermögens
die Erlaubnis, ihren
Wohnsitz außerhalb
Hannovers zu nehmen, wo es ihnen beliebe. Bekanntlich begab sich
Georg V. mit einem
kleinen
Kreis
[* 9] treuer Anhänger nach
Hietzing bei
Wien.
[* 10]
Selbst nach dem
Krieg von 1870 regten sich die welfischen
Agitationen wieder, zumal der Sohn
Georgs V., der
Herzog von
Cumberland,
nach seines
VatersTod die Gelegenheit der
Versöhnung mit
Preußen nicht ergriff, sondern seine
Successionsrechte in vollstem
Umfang wahrte. Freilich erklärten die Anhänger des Welfentums, daß sie die Wiederherstellung
des selbständigen
Königreichs Hannover
nur auf gesetzlichem Weg durch eine freie That der deutschen
Fürsten und
Völker erstrebten.
Die preußische
Regierung fuhr inzwischen fort, die
Provinz mehr und mehr mit dem preußischen
Staat zu
verschmelzen, und führte 1885 eine neue
Provinzial- und
Kreisordnung ein, durch welche die Landdrosteien in Regierungsbezirke
verwandelt, an die
Spitze derKreise
[* 12]
Landräte gesetzt und infolge eines neuen Wahlgesetzes das Übergewicht der
Ritterschaft
im
Provinziallandtag beseitigt wurde.
[* 2] (hierzu der Stadtplan), Hauptstadt der gleichnamigen preuß.
Provinz sowie des gleichnamigen Regierungsbezirks
(s. unten),
Stadtkreis, liegt unter 52° 20' nördl.
Br. und 9° 45' östl. L. v. Gr., in einer sandigen,
aber wohl angebauten
Ebene, 55 m ü. M., an der
Leine, die hier die Ihme aufnimmt. Hannover besteht aus der
Altstadt,
der schönen, erst 1746 angelegten
Ägidien-Neustadt auf dem rechten Leineufer, der
KalenbergerNeustadt
[* 16] zwischen
Leine und Ihme
(schon im 13. Jahrh. vorhanden, aber erst seit 1714 mit Stadtgerechtigkeit versehen), den
frühern Vorstädten Gartengemeinde und Glocksee und der seit 1845 am
Bahnhof entstandenen
Ernst-August-Stadt.
Jenseit der Ihme liegt der
VorortLinden. Die neuen Stadtteile, welche den alten
Kern imN., O. und SO. umgeben, sind durchaus
regelmäßig gebaut und in ihren meist breiten, geraden
Straßen mit prächtigen Gebäuden besetzt, meist Leistungen der hannöverschen
Architekturschule, die Hannover zu einer der schönsten
StädteDeutschlands
[* 17] machen. Von
Straßen sind namentlich
hervorzuheben: die
Friedrichs- und Königsstraße, die
Karmarsch-, Grupen- und Ständehausstraße (mit elektrischer
Beleuchtung),
[* 18] die
Straße »Am Schiffgraben«, besonders aber die Georgsstraße, die, wie
die Friedrichsstraße, nur auf einer Seite
Häuser hat und
mit lauter palastähnlichen Gebäuden besetzt
ist, vor denen angenehme
Alleen und
Boskette sich hinziehen.
schule, Karmarsch, von Hartzer, der Georgsplatz mit der Erzstatue Schillers von Engelhard, der Ägidienplatz, der Waterlooplatz,
auf ihm die mit einer Viktoria gekrönte, 47 m hohe Waterloosäule und nahe bei demselben das Bronzestandbild des Generals
v. Alten und das Leibnizdenkmal, der Welfenplatz, Friederikenplatz etc.
Unter den gottesdienstlichen Bauwerken (11 luther. Kirchen, eine reformierte und eine kath. Kirche, eine
der FreienGemeinde und eine Synagoge) verdienen Erwähnung: die restaurierte Marktkirche aus dem 14. Jahrh., mit interessanten
Denkmälern, schönen Glasmalereien und Altären und dem höchsten (99 m) Turm
[* 23] der Stadt;
die Dreifaltigkeitskirche,
schöner Ziegelbau aus dem Jahr 1880 vom Architekten Hehl;
die Synagoge, ein dreischiffiger Zentralbau mit
achteckiger Kuppel, wurde 1864 von Oppler erbaut.
Groß ist die Zahl hervorragender Profanbauten. Die bedeutendsten derselben
sind: das königliche Schloß (1630-40 erbaut, 1817 restauriert), ein umfangreicher, im Innern prachtvoll eingerichteter Bau
mit großartigem Portal, jetzt Generalkommando des 10. Armeekorps;
das Rathaus, ein unregelmäßiges, aus dem 15. und 16. Jahrh. stammendes,
durch alte Skulpturen und Wahrzeichen interessantes Gebäude, 1882 renoviert, im Innern mit prachtvollen Wandgemälden von
Schaper;
das königliche Schauspielhaus (1852, von Caves), eins der größten Deutschlands;
das alte Zeughaus, in dessen Nähe
der Beghinenturm, ein Überbleibsel der alten, 1357 angelegten Befestigungen;
das (1886 noch im Bau begriffene) Kestner-Museum mit wertvollen Sammlungen etrurischer, römischer
und griechischer Altertümer, Kupferstichen (120,000) etc.;
das neue Justizgebäude, das Zellengefängnis u. v. a. Als ganz
besonders hervorragend sind zu nennen der Bahnhof und das Welfenschloß.
Der erstere wurde während der
Jahre 1876-80 mit einem Kostenaufwand von 22,500,000 Mk. errichtet und gilt als Muster aller neuern Bahnhofsanlagen, das letztere,
ein vollendeter Prachtbau, wurde an Stelle des ehemaligen Schlosses Montbrillant vom Hofbaumeister Tramm 1859 begonnen und
nach der Annexion des Königreichs 1866 zur polytechnischen Hochschule umgebaut, der großartigste
Schulbau
Deutschlands. Unter den mittelalterlichen Privatgebäuden, die indessen mehr und mehr verschwinden, sind die Häuser: »IsernPforte«, die »AlteKanzlei«, das Leibnizhaus etc. immer noch wohl erhalten.
Unter den Bildungsanstalten steht die technische Hochschule (1886 mit 190 Studierenden und 175 Hospitanten)
obenan. Außerdem befinden sich in Hannover 3 Gymnasien, 2 Realgymnasien, 2 höhere Bürgerschulen, eine Handelsschule, ein Lehrer-
und ein Predigerseminar, eine jüdische Lehrerbildungsanstalt, ein Lehrerinnenseminar, eine Präparandenanstalt und eine Tierarzneischule;
außerdem mehrere Bibliotheken und wissenschaftliche Sammlungen (s. oben). Eines hervorragenden Rufs erfreut sich das Theater.
[* 33]