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bis 1796, die stärkste Anwendung von Zwangspapiergeld, die je in einem Kulturstaat stattgefunden hat, mit sich brachte.
Das klassische Zeitalter der Krisen ist aber das 19. Jahrh., seit unter den Segnungen des Friedens die wirtschaftliche Entwickelung von Westeuropa mit Riesenschritten vor sich ging. Da sind zuerst zu nennen: die englischen Handelskrisen von 1815 und 1825. Die Anwendung der Dampfkraft in der Woll- und Baumwollindustrie, der Aufschwung der Kohlen- und Eisenindustrie und die rasche Ausbreitung der Kolonial- und Handelsmacht Großbritanniens hatten schon Ende des 18. Jahrh. eine ungeahnte Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte veranlaßt; selbst die Kontinentalsperre Napoleons trieb England nur noch mehr an, durch Pflege des Verkehrs mit den transatlantischen Ländern den Grund zu seiner Handelsblüte zu legen.
Dadurch wurde nicht allein eine große Anzahl von industriellen Projekten, die teilweise einen schwindelhaften Charakter trugen, wachgerufen, sondern auch die Spekulation in Waren, namentlich in Baumwolle, [* 2] geweckt und die Produktion in kurzer Zeit vervielfältigt. Als der Pariser Friede wieder normale Verkehrszustände herstellte, hatte man auf neues Aufblühen der Geschäfte übertriebene Hoffnungen gebaut, und durch das Zusammenwirken von Überproduktion, schlechten Ernten, beengtem Geldstand brach eine partielle Krisis aus, die während drei Jahren die schwersten Mißstände hervorrief.
Viel tiefer als die Krisis von 1815 griff aber jene von 1825 in alle Kreise [* 3] des geschäftlichen Lebens; nach einer wilden Gründungs- und Spekulationsepoche, an welcher die ganze Gesellschaft beteiligt war, und welche, wie zu Laws Zeiten, die unsinnigsten Unternehmungen aufnahmsfähig machte, erfolgte im Herbst 1825 der Zusammenbruch. Unzählige Fallimente von Banken, industriellen und kaufmännischen Firmen, eine vollständige Börsenderoute und Stockung alles Verkehrs waren die Folgen; die Verarmung griff tief in den ganzen Mittelstand, Arbeiterentlassungen und -Aufstände, Massenauswanderungen waren die letzten Wirkungen.
Diese traurigen Erfahrungen hinderten nicht, daß sowohl in Großbritannien [* 4] selbst als in den Vereinigten Staaten [* 5] von Nordamerika [* 6] ähnliche Katastrophen sich rasch wiederholten. So finden wir, daß das unsolide Gebaren der amerikanischen Zettelbanken dort in den Jahren 1814, 1830, 1837 und 1839 Katastrophen hervorrief, welche besonders das Bankwesen trafen, und daß sich auch in England die Überspekulation bald wieder auf das Gebiet des Zettelbankwesens warf und in den Jahren 1836 und 1839 Krisen veranlaßte, deren Wiederholung man durch den Erlaß der Peelschen Bankakte entgegenzutreten versuchte. Da in den 30er Jahren die Anwendung der Dampfkraft auf Verkehrsmittel schon zu einer gewissen technischen Vollkommenheit gelangt war, so wurde bald eine Überzahl von Eisenbahnprojekten entworfen, mit deren Ausführung man 1844 begann.
Als aber in den beiden folgenden Jahren Kartoffelfäulnis, Mißwachs des Getreides, Fehlernte in Baumwolle eintraten, die Steigerung des Wohlstandes ausblieb und an eine Rentabilität der Eisenbahnen nicht zu denken war, folgte 1847 wieder eine größere Handelskrisis, die auch auf den Kontinent u. namentlich auf Süddeutschland ihre Rückwirkungen in empfindlicherm Grad äußerte als irgend eine frühere. Bei dieser Krisis begann sich schon die heutige Eigenart solcher Erscheinungen insofern vorzubereiten, als sie einen mehr generellen und universellen Charakter an sich trug; aber erst die große Krisis des Jahrs 1857 trat ganz allgemein auf.
Die Bewegungen des Jahrs 1848 hatten den Unternehmungsgeist eingeschüchtert. Auf dem Kontinent machte sich das Bestreben geltend, das Gold [* 7] womöglich nach London [* 8] oder Amerika [* 9] zu schicken. Die heimische Konsumtion schränkte sich ein, und nur die exportierenden Industrien gediehen. So wurde ein starker Rückfluß des Goldes vorbereitet, der, als er eintrat, noch dadurch verstärkt wurde, daß inzwischen die Goldlager in Australien [* 10] und Kalifornien entdeckt waren.
Als nun im J. 1851 die kommerziellen Zustände in England und Nordamerika unsicher zu werden begannen, infolge des Überflusses an Edelmetall die Überspekulation sich regte und die kontinentalen Kapitalisten ihre dortigen Anlagen zurückzogen, regte sich auf dem Kontinent der Unternehmungsgeist, zumal der Staatsstreich in Frankreich ruhigere Zustände verbürgte. Das Kaiserreich hatte einen wirtschaftlichen Aufschwung verheißen; als sein Gehilfe führte Mirès das Prinzip der Aktienunternehmungen in größerm Maßstab [* 11] in Frankreich ein.
Bald entstand auch der Crédit mobilier. Seine Thätigkeit und die zur Durchführung gemeinnütziger Staatsunternehmungen aufgelegten Nationalsubskriptionen verbreiteten in weiten Kreisen die Lust am Börsenspiel. Österreich, [* 12] welches am dringendsten darauf hingewiesen war, die wirtschaftliche Thätigkeit seines Volkes zu beleben, beeilte sich, dem französischen Beispiel zu folgen, und auch die deutschen Mittelstaaten teilten Zettelbankprivilegien mit vollen Händen aus; selbst in Preußen, [* 13] wo die Regierung sich ablehnend dagegen verhielt, ähnliche Projekte zu fördern, wurde in der von der Diskontogesellschaft zuerst angewandten Form der Kommanditgesellschaft das Mittel gefunden, den Konzessionszwang zu umgehen. Im August und September 1856 trat ein Umschwung ein, die Banken nahmen Diskonterhöhungen vor; doch noch einmal flackerte die Hausse auf.
Die Spekulation warf sich auf den Warenmarkt: Kaffee, Zucker, [* 14] Baumwolle stiegen enorm im Preis, bis dann in der zweiten Hälfte des Jahrs 1857 ein Zusammensturz erfolgte, der sich über Amerika, England, Frankreich, Österreich und Deutschland [* 15] ausdehnte und von den deutschen Plätzen Hamburg [* 16] am härtesten traf. So darf man die 1857er als die erste bezeichnen, an welcher sich die innerste Natur und das Wesen der seither mit einer gewissen Regelmäßigkeit sich wiederholenden Erschütterungen der gesamten Weltwirtschaft verfolgen lassen. Wir erwähnen nur kurz die Geldklemmen in Frankreich 1863 und 1864, die Londoner Krisis vom Jahr 1866, welche zwar lokalisiert war, aber eine große Panik brachte und bedeutende Verluste nach sich zog, und die Katastrophe in New York 1869 (mit dem black friday vom 23. Sept.), verursacht durch die verkehrte Politik der Regierung, welche es unterließ, Staatspapiergeld einzuziehen, und wenden uns nun der Darstellung der letzten Krisis zu.
Die Krisis vom Jahr 1873.
Die Krisis von 1873 ist nach allen Merkmalen die größte Weltwirtschaftskrise geworden. Keine frühere hat eine so bedeutende territoriale Ausdehnung [* 17] erfahren wie diese; von der Wiener Börse ausgehend, hat sie der Zeitfolge nach sich noch im J. 1873 über Italien, [* 18] Rußland, Nordamerika, Deutschland, England, Holland, Belgien, [* 19] einzelne Staaten von Südamerika [* 20] und Australien ausgebreitet und in den folgenden Jahren die übrigen europäischen Länder und Ostasien mit in ihren Wirkungskreis gezogen. Ebenso charakterisiert sich dieselbe dadurch, daß sie fast alle großen Welthandels- und ¶
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Industriezweige erfaßt hat, zuerst Eisen [* 22] und Kohle, dann die großen Textilindustrien, chemischen Industrien, die Fabrikation von Genuß- und Nahrungsmitteln, deren Zufuhr, die Eisenbahnen, den Schiffbau. Endlich hat noch keine Krisis so nachhaltige Wirkungen hervorgerufen wie die 1873er, denn die nachteiligen Einflüsse derselben machten sich bis zum Jahr 1879 geltend, und auch die im J. 1880 eingetretene Besserung zeigte durch ihre kurze Dauer, wie sehr die ganze Weltwirtschaft ins Mark erschüttert ist.
War auch Wien [* 23] derjenige Punkt, von welchem die Krisis ausging, so sind doch die tiefer liegenden Veranlassungen derselben im Deutschen Reich zu suchen. Die »Gründungsperiode« der Jahre 1871 und 1872 war für Deutschland fast eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Die politische Spannung, in welcher Deutschland seit zwei Jahrzehnten gelebt, die Ahnung bevorstehender wichtiger Ereignisse lähmten die industrielle Thätigkeit. Das Vertrauen auf eine ruhige Zukunft war verschwunden; man arbeitete nur für die Gegenwart und ließ die gesparten Kapitalien unbenutzt liegen.
Diese wirtschaftliche Ruhe endete mit der Niederwerfung Frankreichs, mit welcher die Aussicht auf einen langen Frieden gegeben war. Deutschland empfand nun das Bedürfnis, die langjährigen Versäumnisse in Handel und Industrie durch verstärkte Thätigkeit wieder einzuholen, um auch nach dieser Richtung hin den andern vorausgeeilten Nationen ebenbürtig zu sein. Es blieb kein Zweig des geschäftlichen Lebens übrig, dessen sich nicht der Unternehmungsgeist bemächtigte.
Die Gründungssucht nahm bald einen chronisch-epidemischen Charakter an. Unter den Auspizien des Aktiengesetzes
vom
das den Konzessionszwang beseitigte und so dem »wirtschaftlichen Aufschwung«
die Wege ebnete, unter dem Taumel der Illusion, daß die zu zahlenden Milliarden Frankreichs sofort den
deutschen Verkehr befruchten würden, schossen Bankinstitute zu verschiedenen Zwecken, Industriegesellschaften mit den buntesten
Namen hervor, wurden Brauereien gegründet, Eisen- und Kohlenwerke erworben und in Betrieb gesetzt und Eisenbahnprojekte in
großer Anzahl entworfen. So waren denn seit Mitte 1870 bis Ende 1872 in Deutschland 762 Aktiengesellschaften entstanden, von
welchen 503 allein in das Jahr 1872 fallen, und noch die erste Hälfte des Jahrs 1873 sah 196 Gesellschaften
entstehen.
Das gesamte Aktienkapital berechnete sich auf mehr als 3600 Mill. Mk. Die Interessen der Börse waren mit den Schöpfungen der Gründungsära so eng verknüpft, daß die Lebensfähigkeit jeder einzelnen Gründung lediglich von der Willigkeit derselben abhing, sich mit ihr zu beschäftigen und sie zu patronisieren. Die Spekulation bemächtigte sich der Unzahl geschaffener Werte und brachte sie mit Erfolg auf den Markt. Mit dem Streben, die schaffende Kraft [* 24] des erwachten Associationsgeistes für die Agiotage auszubeuten, fachte sie ihn zu immer neuen Anstrengungen an, um mit stets neuen Erzeugnissen von Werten das Gebiet des Börsenspiels zu erweitern.
Die Größe der Gründergewinne verteuerte die Unternehmungen und stellte die Rentabilität von vornherein in Frage. Man entzog den bestehenden soliden Geschäften, dem Handel Kapitalien und legte sie fest, ohne die Möglichkeit einer Reproduktion in den nächsten Jahren voraussetzen zu können. Die Ausdehnung des Betriebs erheischte mehr Arbeitskräfte und schraubte die Löhne zu einer Höhe, daß die Konkurrenz mit dem Ausland geschwächt wurde. Für die Börse gab es überhaupt nur einen Maßstab, die Würdigkeit eines Papiers, seine »Marktfähigkeit«, zu beurteilen: dies war ein hoher Kurs.
Die Höhe des Kurses aber ward nicht durch Nachfrage und Angebot bestimmt, sondern hing davon ab, ob eine geeignete Stimmung für ein Papier gemacht und erhalten werden konnte. Die Bank- und Industriepapiere konnten nur so lange ihren Kurs behaupten, als sie nicht realisiert wurden; die Spekulation griff nun, um die Masse des ihr zuströmenden Kapitals zu bewältigen und »flottant« zu erhalten, zu dem Mittel der Krediterweiterung, das sie in ein ausgebildetes System brachte. Es entstanden Banken nur zu dem Zweck, sich eine Klientel zu schaffen, dieser mit unbegrenztem Kredit unter die Arme zu greifen und sie so zur Teilnahme an den Börsenoperationen zu befähigen und anzuregen.
Diese Klientel konnte unter Hinterlegung einer gewissen Summe von Effekten auf Grund dieses »bedeckten Kredits« das Vielfache auf Kredit kaufen. Das Jahr 1873 übernahm mit dem reichen Inventar des Vorgängers auch eine große Zahl von Verpflichtungen, die es erfüllen mußte. In der ersten Epoche, welche bis zum Ausbruch der Krisis in Wien reicht, traten zu diesen Verpflichtungen neue Ansprüche, welche die beabsichtigten Erweiterungen des Betriebs vieler Gesellschaften und neue Gründungen an den Kapitalmarkt stellten. Im ersten Quartal betrugen die Emissionen 348 Mill. Mk. Nun wurde die Rückzahlung der französischen Kriegskontribution beschleunigt, und Frankreich mußte seine Zuflucht zum Kredit nehmen, den ihm Europa [* 25] und namentlich England in reichem Maß gewährte.
Dieser Kredit gab zu Wechseloperationen, zu »Wechselreitereien«, Anlaß, zu denen deutsche und englische Häuser die Hand [* 26] boten. Die Termine der Kontributionszahlungen fielen mit der Einlösung dieser Wechsel zusammen und nahmen jedesmal den Geldmarkt so stark in Anspruch, daß derselbe in Zuckungen verfiel. Dazu kam, daß die deutsche Regierung zur Prägung von Münzen [* 27] große Summen Goldes brauchte, und so entstanden Schwankungen und Störungen auf dem Geldmarkt.
Allmählich bildete sich ein Widerstand gegen die Aufnahme neuer Effekten und Emissionen heraus; man begann dieselben einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Die Jahresabschlüsse der Banken gaben der Reaktion die Waffen [* 28] zum Angriff gegen diese Institute in die Hand. Die Bilanzen ermangelten der Klarheit und Durchsichtigkeit; die Erträgnisse setzten sich zu 22-25 Proz. durchschnittlich aus Gewinnen aus dem Effektenkonto und aus Konsortialbeteiligungen zusammen; der große Effektenbestand und die hohen Summen, welche die Schuldner repräsentierten, bargen Gefahren, welche durch die starke Konkurrenz noch vermehrt werden mußten. Alle diese Umstände gaben dem Zweifel an der Rentabilität und an der Sicherheit der Grundlagen, auf welchen die Institute errichtet waren, Nahrung und der Reaktion eine Gelegenheit, die bereits bestandene Abneigung gegen die Bankdevisen zu steigern und auch gegen Industriepapiere zu lenken.
Die Katastrophe aber ging von Wien aus, wo der Gründungsschwindel noch ärgere Orgien gefeiert hatte. Hier waren bereits in den Jahren 1863 und 1864 eine Anzahl von Banken neu geschaffen worden, die der Agiotage dienten; seit 1867 aber war das Gründungswesen zur Blüte [* 29] gelangt. Der Umstand, daß sich Österreich von den Nachwirkungen des Kriegs schnell erholte, zeugte für dessen Lebenskraft und regte die Spekulation an. Die stürmische Hausseperiode hielt sechs Jahre an und wurde nur zweimal, durch die Erkrankung Napoleons und durch den Ausbruch des französischen Kriegs, unterbrochen. Ihren ersten Höhepunkt erreichte diese Schwindelperiode im ¶