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»Effektenbilanz«),
unter welcher man die Gegenüberstellung und das Endergebnis der übrigen internationalen Wertübertragungen
aus den
oben angeführten
Titeln versteht, und endlich c) Wirtschaftsbilanz (Handelsbilanz im weitern
Sinn), welche die Gesamtheit aller
internationalen Wertübertragungen umfaßt. Die praktische Richtigkeit dieser Unterscheidung ergibt sich aus der
Beobachtung
der Wirtschaftsbilanz jedes
Staats. In
Europa
[* 2] haben alle
Staaten zusammengenommen stets eine passive
Warenbilanz,
und dennoch ist
Europa der reichste
Erdteil, weil es aus den übrigen
Titeln eine aktive
Zahlungsbilanz hat.
Die größte Passivität zeigt und zwar in steigender Höhe Großbritannien [* 3] seit dem Jahr 1854 (seitdem die real values des Handels neu bestimmt wurden);
die Warenbilanz dieses Staats ist im letzten Jahrzehnt durchschnittlich alle Jahre um 114 Mill. Pfd. Sterl. passiv;
nach der Theorie der Merkantilisten müßte Großbritannien also schon längst ganz verarmt sein;
es hat dagegen einen noch viel höhern Aktiv
saldo in der
Zahlungsbilanz und zwar aus dem großen überseeischen
Reedereigeschäft, dessen
Ertrag Giffen auf beiläufig 60 Mill. Pfd. Sterl. jährlich veranschlagt;
aus den vielen im Ausland (besonders in Indien) mit britischem Kapital betriebenen industriellen und kommerziellen Unternehmungen, aus den Zinsen und Amortisationen des an die Kolonien, an die europäischen Kontinentalstaaten, nach Süd- und Mittelamerika, Ostindien [* 4] etc. in der Form von Staatsanlehen, Eisenbahn- und andern Prioritäten besonders im Lauf der letzten 30 Jahre verliehenen Kapitalien, deren Ertrag Giffen auf mindestens 75 Mill. Pfd. Sterl. jährlich schätzt;
endlich aus verschiedenen Titeln, worunter insbesondere die von Ostindien zu zahlenden Pensionen der nach zurückgelegter Dienstzeit in England lebenden Zivil- und Militärbeamten des India Government gehören.
Die
Wechselkurse stehen daher trotz der passiven
Handelsbilanz zumeist aus
London
[* 5] günstig, und es hat stets die
Wahl, die Aktiv
saldi seiner
Zahlungsbilanz sich durch
Waren oder: wenn der
Geldstand es erfordert, durch Edelmetallsendungen oder endlich durch neue
Kredite, welche es in der That fortwährend dem
Ausland gewährt, berichtigen zu lassen. Ähnliche Verhältnisse findet
man in der Wirtschaftsbilanz von
Frankreich,
Holland,
Belgien,
[* 6] der
Schweiz.
[* 7] Das
Deutsche Reich
[* 8] hat in den
Jahren 1872-79 eine passive
Warenbilanz gehabt, und der
Passivsaldo betrug in dieser Zeit jährlich 920 Mill. Mk.; die
Höhe desselben beruhte aber zumeist auf einer anerkannt mangelhaften
Bewertung der Ausfuhr, teilweise erklärte er sich durch die
Folgen der Milliardenzahlung, welche auf
die Wareneinfuhr stimulierend wirkte und die
Zahlungsbilanz besonders aktiv
gestaltete.
Seit dem Jahr 1880 ist eine genauere statistische Nachweisung der
Exporte eingerichtet worden, und die
Warenbilanz ist seither
aktiv;
der Aktivsaldo betrug im fünfjährigen
Durchschnitt von 1880-84: 49 Mill. Mk.; die Ausgleichung durch die
Zahlungsbilanz
war eine solche, daß in der letztern
Epoche die
Wechselkurse auf
Berlin
[* 9] nicht günstiger standen als in der
erstern.
Österreich-Ungarn
[* 10] hat seit dem Jahr 1876 eine aktive
Warenbilanz (im zehnjährigen
Durchschnitt je 88,8 Mill.
Guld.),
und dennoch steht die
Devise
Wien
[* 11] so schlecht, und die Verschuldung im
Ausland nimmt so zu, daß die Wirtschaftsbilanz
im ganzen als durchaus unbefriedigend bezeichnet werden muß, und ebenso finden wir bei Rußland trotz oder vielmehr wegen
seiner starken Verschuldung im
Ausland in vielen
Jahren hohe Exportüberschüsse.
Auch viele außereuropäische
Staaten, welche
dadurch charakterisiert sind, daß ihre Kultivation vorzugsweise durch europäisches
Kapital erfolgt, haben eine aktive
Warenbilanz, und diese bedeutet für dieselben entweder, daß sie sich
noch immer verschulden, oder daß sie mit den Überschüssen ihrer Ausfuhr frühere Kapitalanlagen des
Auslandes verzinsen
und tilgen. So haben die
Vereinigten Staaten
[* 12] in den letzten 20
Jahren (1865-85) nur in 7
Jahren eine passive, dagegen in 13
Jahren
eine aktive
Handelsbilanz gehabt; in der Zeit nach dem Sezessionskrieg bedeutete die passive eine
wirkliche Abnahme des
Volksvermögens und Zunahme der Verschuldung; die seit 1874 stets sehr hohen Aktiv
saldi (bis zu 269 Mill.
Doll. im J. 1879) beruhten dagegen auf großer Erweiterung der produktiven Thätigkeit und rascher Tilgung der im
Ausland placierten
Staatsschuld. Ein
Gleiches gilt von der konstant mit hohen Aktiv
saldi schließenden
Warenbilanz von Britisch-Ostindien,
welches diese Überschüsse zur Abtragung seiner auf jährlich 20-22 Mill. Pfd. Sterl.
geschätzten
Zins- und Amortisationsquoten und anderer Zahlungsverpflichtungen verwendet.
Aus allgemeinen Erwägungen und aus den angestellten Beobachtungen geht demnach hervor, daß sich weder die Warenbilanz allein noch die Zahlungsbilanz als absoluter Maßstab [* 13] für die Beurteilung der volkswirtschaftlichen Zustände eines Landes eignet, sondern daß eine sehr vorsichtige Kritik vorausgehen muß, um aus der Handelsstatistik und dem Stande der Wechselkurse einen Schluß auf die wirklichen, tiefer liegenden Ursachen dieser Erscheinungen zu ziehen. Vielmehr muß man die wichtigen Schlußfolgerungen in folgender Weise beschränken:
1) Aktive Warenbilanz bedeutet einen Überschuß von Produktionswerten des betreffenden Landes und kann ebenso durch großen Umfang der Erzeugung exportfähiger Güter wie durch geringe Konsumtionskraft der Bevölkerung [* 14] verursacht, demnach entweder ein günstiges oder ein ungünstiges Symptom sein.
2) Passive Warenbilanz bedeutet entweder Mangel an Gütern zur Bedürfnisbefriedigung eines Volkes oder große Kaufkraft und breit angelegten Wohlstand desselben, ist also ohne Berücksichtigung dieser letzten Ursachen auch kein sicheres Symptom.
3) Die Warenbilanz wird durch die Zahlungsbilanz ergänzt.
4) Aktive Zahlungsbilanzen entstehen durch die verschiedensten Titel von Forderungen und können entweder durch Waren- oder Edelmetallimporte oder weitere Kreditierungen saldiert werden, bestimmen daher nicht in einem feststehenden Grade den Stand der Wechselkurse, sondern heben denselben nur im letztern Fall.
5) Passive Zahlungsbilanzen entstehen durch die aus verschiedenen Titeln stammenden Verschuldungen und können durch Waren- und Edelmetallexport oder durch weitere Kreditnahme beglichen werden; nur im letztern Fall drücken sie den Stand der Wechselkurse herab; in den beiden übrigen Fällen haben sie keinen Einfluß darauf.
6) Die gesamte Wirtschaftsbilanz: Handelsbilanz im weitern, modernern Sinn, als das Endergebnis der Waren- und Zahlungsbilanz läßt sich im Durchschnitt längerer Zeiträume aus dem günstigen oder ungünstigen Stande der Wechselkurse beurteilen.
Vgl. G. J. Göschen, Theory of foreign exchanges (Lond. 1861, 12. Aufl. 1886; deutsch von Stöpel, Frankf. a. M. 1875, und von Herz, Wien 1876);
Ad. Fellmeth, Zur Lehre [* 15] von der internationalen Zahlungsbilanz (Heidelb. 1877);
Ad. Soetbeer, Bemerkungen über die Handelsbilanz Deutschlands, [* 16] in Hirths »Annalen des Deutschen Reichs« 1875; R. Giffen, The use of import and export statistics, im »Journ. Stat. Soc.« (Lond. 1882). ¶