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Frühling. In manchen Gegenden sind indessen Jahre vergangen, ohne daß ein Regentropfen gefallen ist. An der Südküste herrschen häufig heftige Orkane. In San Domingo sind die Extreme der Temperatur 15,5 und 35° C. (Mittel 25,7), in Port au Prince 17,2 und 40° (Mittel 27,2). Die Vegetation der Insel ist die üppigste der Tropen. Prachtvolle Urwaldungen bedecken die Gebirge, und alle kostbaren Früchte dieser Zone gedeihen in den Thälern und Ebenen. Große wilde Tiere gibt es gar nicht; dagegen sind die von Europa [* 2] eingeführten Haustiere in verwildertem Zustand in Fülle vorhanden, namentlich Rinder [* 3] und Schweine. [* 4] Sehr reich vertreten sind Vögel [* 5] und Insekten, [* 6] unter denen sich viele giftige und lästige finden; Seen und Flüsse [* 7] sind von Kaimans und Alligatoren belebt, die Küsten von Krebsen, Krabben und Schildkröten, [* 8] und das Meer besuchen häufig Wale. [* 9]
In politischer Hinsicht teilt sich Haïti [* 10] in zwei selbständige Republiken, nämlich und die Dominikanische Republik (s. d.). Die Negerrepublik Haïti umfaßt die kleinere westliche Hälfte der Insel, 23,911 qkm (434,25 QM.) mit etwa 550,000 Einw. (1789: 523,000), von denen neun Zehntel Neger, der Rest Mulatten. Die Neger sind zwar nominell Christen, haben auch Gelegenheit, eine 1876 gegründete Universität oder eine der öffentlichen Schulen (1875: 368 mit 19,250 Schülern) zu besuchen, sind aber in der That in ihr altes Heidentum zurückgefallen.
Ihre »Vaudoux« genannte Religion ist ein Mischding von Fetischglauben und katholischem Christentum, die ihre eignen Priester (Papa Loi oder Papa Vaudoux) hat und Feste mit Menschenopfern feiert. Die katholischen Beichtväter wissen recht wohl, was es bedeutet, von einem »schwarzen, haarlosen Schwein« [* 11] gefressen zu haben (Stuarts Konsularbericht, 1877). Die einst blühende Plantagenwirtschaft und die Viehzucht [* 12] sind sehr herabgekommen, und nur Kaffee, weil ohne viel Mühe zu gewinnen, wird noch in den frühern Quantitäten produziert.
Die Tabakskultur ist seit 1818 eingeführt, und seit 1859 baut man auch Baumwolle [* 13] und außerdem Kakao und Zucker. [* 14] Der große Waldreichtum wird ungenügend ausgebeutet, die Mineralschätze des Landes liegen brach. Der Gewerbfleiß ist äußerst gering. Der Handel hat sich in jüngerer Zeit gehoben, wenn auch die Ausfuhr noch immer sehr viel weniger bedeutend ist als zur Zeit der Sklavenwirtschaft. Der Wert derselben war 1789: 165 Mill. Mk., 1855 nur 13 Mill. Mk., 1865 aber 34 Mill. Mk. und 1883-84: 29,6, 1884-85: 19,6 Mill. Mk. Die früher so bedeutende Zuckerausfuhr hat fast aufgehört, und jetzt besteht die Ausfuhr wesentlich aus Kaffee, Kampescheholz, Mahagoni, Kakao, Baumwolle, Häuten, Honig, Wachs, Gummi etc. Die Einfuhr betrug 1883-84: 16,9 und 1884-85: 28,5 Mill. Mk. Im J. 1883-84 liefen in die 7 Häfen: Port au Prince, Aux Cayes, Jacmel, Gonaives, Petit Goave, Jérémie und Port de Paix, 563 Schiffe [* 15] von 604,270 Ton. Gehalt ein. Es gibt weder Eisenbahnen noch Kanäle, und die Landstraßen sind im traurigsten Zustand.
Maße und Gewichte sind die französischen. Die Gourde (Peso) hat einen Nominalwert von 4 Mk. Die jetzt gültige Verfassung datiert von 1879. An der Spitze der Verwaltung steht ein auf sieben Jahre gewählter Präsident. Ihm zur Seite stehen fünf verantwortliche Minister, ein Senat und ein Abgeordnetenhaus. Die Mitglieder des letztern werden vom Volk auf drei Jahre gewählt und wählen ihrerseits die Senatoren. Weiße können weder Grundbesitz noch das Bürgerrecht erwerben.
Für die Rechtspflege bestehen ein Appellationsgericht, 6 Bezirksgerichte und 5 Handelsgerichte mit unabsetzbaren Richtern. Die katholische Religion ist Staatsreligion, jedoch jeder andre Kultus erlaubt. Eingeteilt wird der Staat in zehn Arrondissements. Hauptstadt ist Port au Prince; daselbst Sitz eines deutschen Konsuls. Die Finanzen waren früher in einem jämmerlichen Zustand, haben sich aber in jüngster Zeit wesentlich gebessert. Die Ausgaben beliefen sich 1882-83 auf 24 Mill. Mk. (den Peso fuerte zu 4 Mk. gerechnet).
Die Zölle (die Hauptquelle der Einnahmen) warfen 1884-85: 24 Mill. Mk. ab. Die Staatsschuld belief sich im J. 1877 (nachdem Papiergeld im Nominalwert von 2400 Mill. Mk. für 8 Mill. Mk. klingender Münze eingelöst worden war) auf 29,2 Mill. Mk., im J. 1882 auf 50 Mill. Mk. (wovon 30 Mill. äußere Schuld). Die 1825 in Frankreich gemachte Anleihe war bis auf 1,2 Mill. Mk. abgezahlt worden. 1885 wurde abermals für 8 Mill. Mk. Papiergeld ausgegeben. Das stehende Heer zählt 6828 Mann (einschließlich von 1978 Mann Gendarmen, einer Garde von 650 Mann, 4 Batterien und 6 Bataillonen); die Seemacht wird durch drei Avisos repräsentiert. S. Karte »Westindien« [* 16] und Tafel »Flaggen [* 17] I«. [* 18]
Geschichte.
Haïti (in der Sprache [* 19] der Ureinwohner s. v. w. Bergland) wurde von Christoph Kolumbus entdeckt und Española oder Hispaniola genannt: Die herrliche Natur, die prachtvolle Vegetation entzückten die Spanier. Die Insel war damals von einem harmlosen Indianervolk, wahrscheinlich vom Stamm der Kariben, bewohnt, das man auf 1 Mill. Seelen schätzte, und welches unter einer Menge kleiner Häuptlinge oder Kaziken stand. Nach Goldlagerstätten forschend, entdeckte Kolumbus die Häfen von Valparaiso [* 20] (jetzt Port de Paix), Thomas (jetzt Bai d'Acal), Punta Santa (Point Picolet) und errichtete vor seiner Rückkehr nach Europa in der Nähe des letztern mit Hilfe der Eingebornen aus den Trümmern des gescheiterten Schiffs Santa Maria ein kleines Fort, La Navidad, worin er eine Besatzung von 40 Mann zurückließ.
Bei seinem Wiedererscheinen auf Haïti fand er das Fort in Trümmern; der Kazike Caonabo hatte, gereizt durch die Gewaltthaten und Plünderungszüge der Spanier, das Fort zerstört und die Besatzung niedergemacht. Die Spanier legten hierauf im Osten des Kap Monte Cristo die Stadt Isabella an, von wo aus sie sich in den Besitz der reichen Goldminen von Cibao setzten und zur Sicherung derselben das Fort St. Thomas errichteten. Bald darauf erstand an der Mündung des Flusses Ozama eine neue Stadt und Citadelle, San Domingo, welche die Hauptstadt der Insel wurde und derselben später ihren Namen gab.
Die von dem Statthalter Franc. de Bobadilla aufgefundenen und von ihm sowie seinem Nachfolger Ovando ausgebeuteten Goldminen von San Cristoforo lieferten zwar reiche Ausbeute; doch rieb der Betrieb derselben die zu Sklaven gemachten Eingebornen so schnell auf, daß die Zahl derselben schon 1507 auf 60,000 Köpfe vermindert war. Um diese Zeit verpflanzte Pedro d'Atenza das Zuckerrohr von den Kanarischen Inseln nach und Gonzalez gab den Impuls zum Plantagenbau. Zur Betreibung desselben ersetzte Ovando die aufgeriebenen Ureinwohner von Haïti durch 40,000 Kariben der Bahamainseln; aber auch diese gingen infolge der anstrengenden Arbeiten bald zu Grunde, worauf Negersklaven aus Afrika [* 21] eingeführt wurden. Der Rest der Indianer von 4000 Mann behauptete unter dem Kaziken Enrico nach 13jähriger blutiger Fehde 1532 ¶
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ein kleines besonderes Gebiet zu Boya, 67 Meilen nordöstlich von San Domingo, wo ihre wenig zahlreichen Nachkommen sich noch jetzt unter eignen Kaziken erhalten haben.
Die Insel verlor durch den Untergang der Urbewohner ungemein. Noch nachteiliger für das Gedeihen der Kolonie war der Umstand, daß sich 1630 die französischen und englischen Bukanier oder Flibustier auf dem nahen Eiland Tortuga festsetzten. Zwar wurden sie endlich von da vertrieben, aber ein vorwiegend aus Franzosen bestehender Überrest derselben siedelte sich als Pflanzer auf der menschenleeren Nordküste der Insel an und wendete sich um Hilfe gegen die Spanier an Frankreich.
Dieses sandte denn auch 1661 Dogeron als Gouverneur nach und gründete im westlichen Teil der Insel 1665 eine französische Kolonie, welche indes 1686 von den Spaniern zerstört wurde. Schon 1691 aber ward eine neue französische Kolonie durch Ducasse gegründet, und im Frieden von Ryswyk 1697 erhielt Frankreich den ganzen westlichen Teil der Insel abgetreten. Spanien [* 23] behielt zwar die größere Osthälfte, aber die Industrie der Franzosen gab ihrem kleinern Anteil bald ein entschiedenes Übergewicht über den spanischen, und in dem langen Frieden, welcher auf den spanischen Erbfolgekrieg folgte, gelangte St. Domingue, wie die Franzosen ihren Anteil nannten, zur höchsten kolonialen Blüte. [* 24] Mit jedem Jahr stieg die Zahl der Pflanzer und der Sklaven, und der Plantagenbau hob sich ungemein. Nach der Regulierung der Grenze zwischen dem spanischen und dem französischen Anteil 1776 zählte der französische Anteil 28,000 qm und auf diesen 1788: 27,717 Weiße, 21,808 freie Farbige und 405,564 Sklaven, zusammen 455,089 Einw. Der spanische Anteil hatte auf 48,500 qm im J. 1790: 125,000 Einw., darunter nur 15,000 Sklaven.
Im spanischen Anteil wurden die Sklaven sehr mild behandelt, desto härter im französischen. Hier entwickelte sich durch das Mißverhältnis zwischen den Weißen und der Überzahl der eingeführten Negersklaven auch der Keim eines Aufstandes. Durch die zur Zeit der französischen Revolution in Paris [* 25] entstandene Gesellschaft der Freunde der Schwarzen und die englische Gesellschaft zur Abschaffung des Sklavenhandels auf ihre Menschenrechte hingewiesen und von den durch die Revolution unter die weiße Bevölkerung [* 26] Haïtis selbst gebrachten Spaltungen in die großen und kleinen Weißen (Grundbesitzer und Gewerbsleute), die Konstitutionellen und Monarchisten, die Anhänger und Gegner der Kolonialregierung noch mehr aufgeregt, sandten die Farbigen, Mulatten (meist frei, aber den Weißen nicht ebenbürtig) und Neger, schon 1789 eine Gesandtschaft nach Frankreich und erwirkten 1790 einen Beschluß der Nationalversammlung, nach welchem der Kolonie Autonomie zugestanden ward.
Der dem gegenüber gefaßte Beschluß der Weißen, um keinen Preis ihre politischen Rechte mit einer »entarteten Menschenrasse« zu teilen, brachte die Gärung zum offenen Ausbruch. Am begann der Aufstand der Mulatten und Neger in der Umgegend des Kap François und verbreitete sich unter den greulichsten Verwüstungen und den blutigsten Metzeleien, denen die vom Mutterland zur Ordnung der Angelegenheiten der Kolonie gesendeten Bevollmächtigten Polverel und Santhonax weder wehren konnten noch wollten, nach der Einnahme von Kap François durch die Neger (21-23. Juni 1793) über die ganze Kolonie.
Als 1793 die Spanier und Engländer mehrere Plätze der Kolonie besetzten, verband sich das Negerheer mit den unter General Lavaux zur Behauptung der Insel gelandeten französischen Truppen. Die Spanier mußten daher im Baseler Frieden von 1795 den östlichen Teil der Insel an die Franzosen abtreten, und die weißen Kolonisten wurden von den Insurgentengeneralen Rigaud und Toussaint l'Ouverture schließlich (1797) gezwungen, die Insel ganz zu verlassen, worauf das französische Direktorium den Negern in den französischen Kolonien völlige Freiheit und gleiche Rechte mit den Weißen bewilligte.
Gleichzeitig ward Toussaint l'Ouverture zum Obergeneral aller Truppen auf Haïti ernannt. Dieser suchte sich jedoch unabhängig von Frankreich zu machen und gab der Insel eine eigne zweckmäßige Verfassung. Der Erste Konsul Bonaparte schickte hierauf 1801 den General Leclerc mit 25,000 Mann als Generalkapitän nach Haïti Toussaint widersetzte sich anfangs seiner Landung bei Kap François, mußte sich jedoch bald ins Innere zurückziehen und sich unterwerfen, worauf er 1802 nach Frankreich geschickt wurde. Da die noch übrigen weißen Pflanzer die Sklaverei wiederherzustellen suchten, brach der Aufstand unter dem Negergeneral Dessalines von neuem aus; die französischen Truppen und ihr Anführer Leclerc selbst wurden durch Krankheiten aufgerieben, und im November 1803 mußte Rochambeau mit dem Reste der Franzosen die Insel räumen, auf welcher nun das Regiment der Weißen gänzlich aufhörte.
Dessalines warf sich zum Herrn der ganzen Insel auf, ließ sich unter dem Namen Jakob I. zum Kaiser ausrufen und gab eine neue Verfassung; doch rief seine Grausamkeit schon im folgenden Jahr eine Verschwörung unter dem Neger Heinrich Christophe und dem Mulatten Alexander Pétion hervor, durch welche er gestürzt wurde. Alsbald brach auch die seither durch den gemeinsamen Haß gegen die Weißen in den Hintergrund gedrängte Rivalität zwischen Mulatten und Negern offen aus und blieb fortan das Motiv aller innern Kämpfe des neuen Staats.
Pétion, als Haupt der Mulatten, und Christophe, als Haupt der Neger, kämpften miteinander um die Oberherrschaft bis 1808. Das Resultat dieses Kampfes während dessen die Spanier 1808 ihren Anteil an der Insel wiedereroberten, war eine Trennung der französischen Hälfte der Insel in eine Mulattenrepublik, mit Pétion als Präsidenten, im Süden und in den Negerstaat Haïti im Norden, [* 27] mit Christophe als Präsidenten. Beide Staaten trennte ein zehn Stunden breiter Landstrich, den man absichtlich unbebaut ließ, und der bald, von Lianen und Dorngesträuch überdeckt, eine natürliche Scheidemauer bildete. 1811 verwandelte Christophe den nördlichen Staat in eine erbliche Monarchie und ließ sich unter dem Namen Heinrich I. zum Kaiser krönen.
Zugleich erschien ein neues Staatsgesetzbuch (Code Henri) und ein von den komischten Titeln, Hof- und Staatsämtern strotzender Staatskalender; auch andre Einrichtungen der europäischen Überbildung wurden auf lächerliche Weise nachgeahmt und namentlich der Hofstaat nach französischem Muster eingerichtet. Die Sklaverei blieb im Grunde die alte, nur trat an die Stelle der Peitsche der Säbel. Zwischen beiden Staaten herrschte unversöhnliche Feindschaft, und nur in der Zurückweisung der nach dem Wiener Kongreß erneuerten Ansprüche Frankreichs waren sie einig. Pétion gab der Republik eine Verfassung, welche Abschaffung aller Sklaverei, Preßfreiheit etc. festsetzte. Nach Petions ¶