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Schicksalswendung: auf Wolfgang Menzels heftige, feindselig-gehässige Anklagen ward »Wally« konfisziert, in Baden [* 2] zu einer dreimonatlichen Gefängnisstrafe verurteilt, die er in Mannheim [* 3] verbüßte, seine ganze Zukunft aber durch ein Verbot alles dessen, was er geschrieben habe und in Zukunft noch schreiben würde, und durch die Entziehung des Rechts, innerhalb des deutschen Bundesgebiets eine Redaktion zu übernehmen, in Frage gestellt. Überwand er auch mit höchster Energie und mannhaftem Festhalten an seinen einmal gefaßten Überzeugungen die ihm bereiteten Hindernisse, so wirkten das erwachte Mißtrauen und der Argwohn, die Furcht, allüberall Feindseligkeiten zu begegnen, in seinem weitern Leben verhängnisvoll nach. Gutzkow hatte sich 1836 zu Frankfurt [* 4] verheiratet, siedelte 1837 nach Hamburg [* 5] über, wo er seine neubegründete Zeitschrift »Der Telegraph« [* 6] in Aufnahme brachte, bis zum großen Brand (1842) verweilte, hauptsächlich durch die Freundschaft der geistvollen Therese v. Lützow (Frau v. Bacheracht) gefesselt, im übrigen unendlich und nach den verschiedensten Richtungen hin litterarisch thätig war.
Das publizistische Element blieb in seinen damaligen Arbeiten noch überwiegend; die in der Haft zu Mannheim geschriebene Schrift »Zur Philosophie der Geschichte« (Hamb. 1836),
die zuvor unter dem Namen Bulwers edierten »Zeitgenossen, ihre Tendenzen, ihre Schicksale, ihre großen Charaktere« (Stuttg. 1837, 2 Bde.),
die gegen Görres gerichtete Broschüre »Die rote Mütze und die Kapuze« (Hamb. 1838),
die unter dem Titel: »Götter, Helden und Don Quixote« (das. 1838) gesammelten Aufsätze schließen sich eng an die Interessen des Tags an. Auch die Schrift »Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte« (Berl. 1836) und das panegyrische Buch über »Börnes Leben« (Hamb. 1840) entfernen sich nur in Einzelheiten von dem Standpunkt, den Gutzkow früher gewonnen hatte, und von dem aus der Schriftsteller folgerichtig zur reinen Publizistik hätte gelangen müssen. Was dies verhinderte, waren teils die politischen Verfolgungen und die Zensur, teils ein wirklich poetischer Darstellungstrieb, der, mannigfach irre gehend, sich doch immer wieder geltend machte. Romane wie »Seraphine« (Hamb. 1838) oder wie die satirische Zeitgeschichte in Arabesken: »Blasedow und seine Söhne« (Stuttg. 1838-39, 3 Bde.) zeigten eine seltsame Mischung von darstellendem Drang und reflektierendem Räsonnement, eine Manier, bei der (nach Gutzkows eignen Worten) der Autor sich »wie ein aus den Kulissen heraussprechender, seine Akteure mitunter ohrfeigender Puppenspieler gebärdet«. Gleichwohl entschied sich durch die Einwirkung innerer und äußerer Umstände, daß Gutzkow etwa von 1839 an, wo er seine Tragödie »Saul« (Hamb. 1839) veröffentlichte und das Trauerspiel »Richard Savage« über eine Reihe von Bühnen ging, sich wesentlich der poetischen Produktion zuwandte.
Dieselbe nahm, nachdem er außer mannigfachen Reisen und vorübergehenden Ortswechseln 1842 Hamburg wieder mit Frankfurt a. M., 1846 Frankfurt mit Dresden [* 7] vertauscht hatte, einen außerordentlichen Aufschwung, verschaffte Gutzkow seine größten Erfolge und eine weitreichende Popularität. Eine Stellung als Dramaturg des Dresdener Hoftheaters, welche er 1847 angenommen, verließ er schon 1849 infolge der Zeitereignisse wieder, blieb aber in Dresden. Seine erste Gattin hatte er im März 1848 während eines Aufenthalts in Berlin [* 8] verloren, 1850 verheiratete er sich zum zweitenmal.
Die Dresdener Jahre, wie sie die schaffensreichsten und erfolgreichsten in Gutzkows Leben waren, durften auch seine glücklichsten heißen. Obwohl in manche litterarische Kämpfe verwickelt (1852 betrat er mit der Herausgabe der Zeitschrift »Unterhaltungen am häuslichen Herd« das journalistische Gebiet wieder), in mannigfachem Widerspruch zu den Richtungen, die Politik, Litteratur und soziales Leben nahmen, stand der Autor doch im Vollgefühl seiner Kraft. [* 9] 1861 siedelte er als Generalsekretär der Schiller-Stiftung, an deren Zustandekommen und Gedeihen er einen wesentlichen Anteil gehabt, nach Weimar [* 10] über, fand sich aber schon im November 1864 bewogen, seine Entlassung zu nehmen.
Die Aufregung, in welche ihn die Vorkommnisse innerhalb der Schiller-Stiftung, wirkliche und vermeinte Zerwürfnisse und Gegnerschaften versetzten, führte den Leidenden so weit, daß er (im Februar 1865) in Friedberg [* 11] Hand [* 12] an sein Leben zu legen versuchte. Glücklicherweise gerettet, nach einem kürzern Aufenthalt in der Heilanstalt Gilgenberg bei Baireuth [* 13] und einem längern zu Vevey in der Schweiz [* 14] neugekräftigt, nahm er in Kesselstadt bei Hanau, [* 15] von 1868 bis 1873 in Berlin seinen Aufenthalt.
Wiederkehrende Nervenleiden wurden durch einen Winteraufenthalt in Italien [* 16] (1873/74), durch die Jahre bei und in Heidelberg [* 17] (1874-77) nur gemildert, nicht aufgehoben. Zuletzt ließ sich der in seiner körperlichen Kraft Gebrochene, geistig mehr und mehr Isolierte in Sachsenhausen bei Frankfurt a. M. nieder, wo er starb. Bis in seine letzten Tage war er, allen körperlichen Leiden [* 18] trotzend, arbeitsam und von litterarischen Interessen erfüllt geblieben, obschon fast alle spätern Arbeiten die Spuren einer vergrämten und verbitterten (vielfach doch mit Recht verbitterten) Anschauung trugen. In natürlicher Folge der Abnahme der eigentlichen Produktionskraft kehrte in der spätern Zeit gern zu den eigentümlichen Mischformen und halb journalistischen Darstellungen seiner ersten Epoche zurück.
Während er in der Zeit seines reichsten und besten dramatischen und epischen Schaffens nur gelegentlich in die Tagesfragen eingegriffen hatte, wurde die Neigung dazu bei ihm gegen den Ausgang seines Lebens wieder stärker. Von seinen spätern mehr oder minder hierher gehörigen Schriften seien die »Briefe aus Paris« [* 19] (Leipz. 1842, 2 Bde.),
»Deutschland [* 20] am Vorabend seines Falles und seiner Größe« (Frankf. 1848),
»Vor- und Nachmärzliches« (Leipz. 1850),
die »Lebensbilder« (Stuttg. 1870, 3 Bde.),
»Vom Baum der Erkenntnis« (das. 1873),
»In bunter Reihe«, Briefe und Skizzen (Bresl. 1877),
und endlich die letzte polemische Schrift: »Dionysius Longinus, oder über den ästhetischen Schwulst in der neuern deutschen Litteratur« (Stuttg. 1878), genannt. Die letztere erwies nur zu deutlich die maßlose persönliche Gereiztheit und fanatische Unduldsamkeit gegen alle seinem Wesen fremden geistigen Anschauungen, in die sich Gutzkow allmählich hineingearbeitet hatte. Eine ähnliche Mißstimmung und unerquickliche Rechthaberei beherrschte auch die autobiographischen »Rückblicke auf mein Leben« (Berl. 1875),
welche die Fortsetzung der frühern frisch-liebenswürdigen, zu Gutzkows besten Büchern gehörigen Aufzeichnungen »Aus der Knabenzeit« (Frankf. a. M. 1852) bildeten.
Die unleugbare und bleibende Bedeutung Gutzkows in der deutschen Litteratur beruhte indes auf seinen größern dramatischen und erzählenden Dichtungen. Auch in den theatralischen Werken verleugnete er natürlich seinen feinen und fast untrüglichen Instinkt für die Tagesneigungen und die demnächst bevorstehende Richtung der öffentlichen Meinung nicht, und der Wert seiner Dramen hing zum guten Teil davon ¶
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ab, ob die in denselben jedesmal vertretene Tendenz eine starke, mächtige, große Konflikte einschließende und darum menschlich naheliegende war, oder ob sie einer Augenblicksstimmung entstammte. In der Reihe seiner Dramen: »Richard Savage«, Trauerspiel (1839),
»Werner, oder Herz und Welt«, Schauspiel (1840),
»Die Schule der Reichen«, Schauspiel (1841),
»Patkul«, Trauerspiel (1842),
»Der 13. November", Trauerspiel (1842), «Ein weißes Blatt«, [* 22] Schauspiel (1843),
»Zopf und Schwert«, historisches Lustspiel (1844),
»Pugatscheff«, Tragödie (1846),
»Das Urbild des Tartuffe«, Lustspiel, und »Uriel Acosta«, Tragödie (1847),
»Jürgen Wullenweber«, Tragödie (1848),
»Der Königsleutnant«, Lustspiel (1849),
»Liesli«, Volkstrauerspiel (1852),
»Philipp und Perez«, Tragödie (1853),
»Ottfried«, Schauspiel (1854),
»Lenz und Söhne, oder die Komödie der Besserungen«, Lustspiel (1855),
»Ella Rosa«, Schauspiel (1856),
»Lorbeer und Myrte«, Lustspiel (1856),
»Der Gefangene von Metz«, [* 23] Schauspiel (1870),
»Dschingiskhan«, Lustspiel (1876), finden sich die schwächsten Versuche, ganz vorübergehenden, in sich nichtigen Tageszufälligkeiten ein poetisches Interesse abzugewinnen, und die glücklichsten Schöpfungen, unter denen die beiden geradezu mustergültigen historischen Lustspiele: »Zopf und Schwert« und »Das Urbild des Tartuffe« sowie die Tragödie »Uriel Acosta« in erster Linie stehen. Aber auch Werken wie »Werner«, »Ein weißes Blatt«, »Ottfried« u. a. bleibt es nachzurühmen, daß sie ernste Anläufe zur notwendigen Gewinnung einer Komödie aus unsern Sitten, gesellschaftlichen Zuständen und Anschauungen heraus waren.
Die gesamte dramatische Dichtung Gutzkows erhob sich weit über die bloße Theaterroutine und half für ein paar Jahrzehnte die seit Schillers Tod immer breiter gewordene Kluft zwischen dem deutschen Theater [* 24] und der wirklich schaffenden Litteratur überbrücken. Gesammelt wurden Gutzkows sämtliche Stücke unter dem Titel: »Dramatische Werke« (Leipz. 1842-57, 9 Bde.; neue umgearbeitete Ausgabe 1861-63, 20 Bdchn.; 4. Aufl., Jena [* 25] 1880). Die dramatischen Dichtungen erlangten zum Teil glänzende Erfolge, die beiden historischen Lustspiele, die Tragödie »Uriel Acosta« (welche in alle europäischen Sprachen übertragen ward) behaupten sich seit einem Menschenalter auf dem Repertoire aller guten Bühnen mit ungeschwächter Anziehungskraft; einzelne andre, wie »Der Königsleutnant«, »Werner«, wurden durch das Interesse an einer einzelnen [* 21] Figur lebendig erhalten; alle bleiben hochinteressante Zeugnisse, wie in einer Periode der Gärung, der politisch-sozialen Umgestaltungen selbst die traditionellen und konventionellen Bühnenformen, deren sich Gutzkow neben vielem Neuen, was er hinzubrachte, mit großem Geschick bemächtigte, zu Waffen [* 26] wurden. - Noch unmittelbarer an die Zeit schloß sich der Dichter in den beiden großen kulturhistorischen Romanen: »Die Ritter vom Geist« (Leipz. 1850-52, 9 Bde.; 6. umgearbeitete Auflage, Berl. 1881, 4 Bde.) und »Der Zauberer von Rom« [* 27] (Leipz. 1858-61, 9 Bde.; 4. völlig umgearbeitete Auflage, Berl. 1872, 4 Bde.). Erwies sich auch, daß seine ästhetische Theorie eines Romans des »Nebeneinander«, den er sich wie den Durchschnitt eines Bergwerks, eines Kriegsschiffs vorstellte, ein Irrtum war, daß er lediglich die Kunstform sprengte und sich schließlich doch wieder gezwungen sah, zum eben perhorreszierten Roman des »Nacheinander« zurückzukehren, so interessierten die Romane durch eine seltene Gedankenfülle und charakteristischen Situationsreichtum.
»Die Ritter vom Geist« schildern die Reaktionsperiode, welche der Revolution von 1848 folgte, spielen ersichtlich in der preußischen Hauptstadt und boten in Gestalten wie Schlurck, Hackert, Prinz Egon Hohenberg, Pauline v. Harder, Melanie Schlurck, Gräfin d'Azimont Typen einer Zeit voll verkehrter Richtungen und entfesselter Leidenschaften. »Der Zauberer von Rom« behandelt die Beziehungen des katholischen deutschen Südens und Westens zu Rom und schildert die gesamte deutsch-ultramontane Welt. Es war Gutzkows genialer Instinkt, der ihn alle Bedeutung, welche die von der modernen Bildung mißachtete, mit Gleichgültigkeit ignorierte katholische Welt für die deutsche Zukunft gewinnen sollte, im voraus empfinden und darstellen ließ. Die Sicherheit der kulturhistorischen Schilderung des Hintergrundes wurde übertroffen durch die Vorführung einer ganzen Reihe von Charakteren, die in individuellster Vielgestaltigkeit doch alle in der katholischen Bildung und Lebensstimmung wurzeln. Unter den kleinern erzählenden Dichtungen, welche ungefähr gleichzeitig erschienen, behandelte die Erzählung »Die Diakonissin« (Frankf. a. M. 1855) eine Zeitfrage; die Sammlung »Kleine Narrenwelt« (das. 1856, 3 Tle.) enthielt eine Anzahl der besten Erzählungen Gutzkows aus den »Unterhaltungen am häuslichen Herd«.
Einen bedeutenden Anlauf [* 28] zum großen historischen Roman nahm der Autor in »Hohenschwangau« (Leipz. 1867-68, 5 Bde.; 3. umgearbeitete Auflage, Bresl. 1880),
welches die Reformationszeit spiegelnde Werk eine Überfülle der eingehendsten Detailstudien in sich aufnehmen sollte. Hier wie in dem spätern Memoirenroman: »Fritz Ellrodt« (Jena 1872, 3 Bde.),
schuf sich Gutzkow eine zwischen Roman und historischen Memoiren die Mitte haltende Form, welche zu interessieren, aber wenigstens eine poetische Totalwirkung nicht zu erzielen vermochte. Die spätere modernen Romane: »Die Söhne Pestalozzis« (Berl. 1870, 3 Bde.),
»Die neuen Serapionsbrüder« (Bresl. 1877, 3 Bde.; 2. Aufl. 1878), verrieten bei geistreichen Einzelheiten und scharfen Beobachtungen die tiefe Herabstimmung des Schriftstellers und seine sich steigernde Gleichgültigkeit gegen Reiz und Vollendung der Form. Eine erste Sammlung seiner »Schriften« hatte Gutzkow schon früh begonnen (Frankf. a. M. 1845-56, 13 Bde.),
auf eine eigentlich abschließende, die gesamte litterarische Thätigkeit des Autors in sich fassende Ausgabe sind die »Gesammelten Werke« (Jena 1873-78, erste Serie, 12 Bde.; zweite Serie: dramatische Werke, 20 Bdchn.) angelegt.
Vgl. außer den autobiographischen Schriften: K. Frenzel, Gutzkow (»Westermanns Monatshefte«, April 1879);