Atmosphäre zu haben braucht. Guttaperchafirnis kann benutzt werden zum überziehen von Dokumenten u. dgl., indem das Papier
dadurch nicht verändert wird, der Firnisüberzug durchsichtig ist und mithin auch die feinste Schrift deutlich erkennbar
bleibt. Das Dokument wird durch den Firnis gegen Wasser, Säuren, Alkalien vollkommen unempfindlich, und die Schrift kann
nicht verlöscht werden. Guttapercha wurde in ihrer Heimat von den Eingebornen zu Axtstielen etc. benutzt. In Singapur lernten sie Montgomery
und Joze d'Almeida kennen; ersterer legte sie 1842 der Indischen Kompanie, letzterer 1843 der Asiatischen Gesellschaft in London
vor.
Die ausgezeichneten Eigenschaften der Guttapercha riefen sehr schnell eine bedeutende Nachfrage hervor, und schon 1845 wurden 224 Ztr.
in England eingeführt. 1882 betrug die Einfuhr in England 72,044 Ztr. Die so schnell hervorgerufene Nachfrage hatte zur Folge,
daß die Gewinnung der in der rücksichtslosesten Weise betrieben wurde; man begnügte sich nicht mit dem Anzapfen, sondern
hieb die ganzen Bäume nieder und verwüstete in den ersten Jahren große Wälder. Erst durch die englische
Guttapercha-Handelsgesellschaft wurde ein rationeller Betrieb eingeführt.
Die Guttapercha des Handels stammt fast ausschließlich von Malakka und Niederländisch-Indien und geht zum größten Teil über Singapur.
Die Ausfuhren aus diesem Hafen betrugen 1882: 84,600 Ztr. Im ganzen mag die Produktion 90,000 Ztr. im Wert
von 13 Mill. Mk. betragen.
Vgl. Hausner, Textil-, Kautschuk- und Lederindustrie (Wien 1876);
Clouth, Die Kautschukindustrie (das.
1878);
Heinzerling, Fabrikation der Kautschuk- und Guttaperchawaren (Braunschw. 1883).
Stadt im preuß. Regierungsbezirk Oppeln, Kreis Lublinitz, 253 m ü. M., hat eine evangelische und 2 kath.
Kirchen, eine Synagoge, ein Amtsgericht, eine königlich sächsische Oberförsterei und (1885) 2357 meist kath.
Einwohner.
Dabei liegt die gleichnamige Herrschaft mit Schloß, 1885 durch Erbschaft von dem Herzog Wilhelm von Braunschweig auf
den König von Sachsen übergegangen.
(spr. güttenggähr), Ulric, franz. Schriftsteller,
geb. 1785 zu Rouen, war einer der ersten ältern Dichter, welche offen zur Partei der Romantiker übertraten;
er war Mitredakteur der »Muse française«.
Sein bestes Werk sind die »Mélanges poétiques« (1824), welche trotz der romantischen
Firma Guttinguers Abhängigkeit von seinem Lehrer und Freund Millevoye bezeugen. Er starb Außer andern lyrischen
Dichtungen und Journalartikeln existieren auch mehrere Romane von ihm.
Stadt im preuß. Regierungsbezirk Königsberg, Kreis Heilsberg, im alten Ermeland, an der
Alle und der Linie Allenstein-Wormditt-Mehlsack der Preußischen Staatsbahn, hat eine evangelische und 2 kath.
Kirchen (darunter der majestätische alte Dom), ein Amtsgericht, eine Flachsbereitungsanstalt, besuchte Vieh- und Pferdemärkte
und (1885) 4609 meist kath. Einwohner. - Hier fand ein
siegreiches Treffen der Russen gegen die Franzosen statt.
Nahe bei Guttstadt befindet sich der besuchte Wallfahrtsort
Glottau mit neuem, großartig angelegtem Kalvarienberg.
Karl Ferdinand, Dichter und Schriftsteller, geb. zu Berlin, Sohn eines prinzlichen Bereiters, der
später einen Subalternposten beim Kriegsministerium bekleidete, besuchte das Friedrichswerdersche Gymnasium
seiner Vaterstadt, widmete sich auf der Universität philologischen und theologischen Studien, hatte sich bereits zur Staatsprüfung
für Gymnasiallehrer gemeldet und mit der Preisschrift »De diis fatalibus« philologische Auszeichnung gewonnen, als ihn die
Eindrücke der Julirevolution und aller an sie geknüpften Zeitbewegungen auf einen andern Weg drängten.
Noch als Berliner Student gründete er eine kritische Zeitschrift: »Forum der Journallitteratur« (1831), die zwar nach einigen
Heften wieder einging, ihm aber die Teilnahme eines so tonangebenden Kritikers wie Wolfgang Menzel in Stuttgart eintrug, dessen
deutsch-patriotische, Goethe und die Herrschaft der reinen Kunstanschauung befehdende Richtung der jugendliche Gutzkow teilte. Er
ging 1831 als Menzels Mitarbeiter bei der Redaktion des »Litteraturblattes« nach
Stuttgart und betrat so die rein litterarische Laufbahn, die er alsbald mit den »Briefen eines Narren an eine Närrin« (Hamb.
1832),
dem Roman »Maha-Guru, Geschichte eines Gottes« (Stuttg. 1833, 2 Bde.)
und politisch-litterarischen Charakteristiken in der »Allgemeinen Zeitung«, welche als »Öffentliche Charaktere«
(Hamb. 1835) gesammelt erschienen, weiter verfolgte.
AuchGutzkow war der Überzeugung,
daß die Zeit der reinen Kunstwirkungen vorüber sei, der Beruf der zeitgenössischen Litteratur vornehmlich in der Erweckung
und Leitung eines »öffentlichen Geistes«, ihre eindringlichste Form aber in gemischt poetisch-publizistischen Arbeiten, angeblichen
Dichtungen, die nur zum Vehikel politischer und philosophischer Gedanken dienten, zu suchen sei. Erwiesen
einzelne seiner frühsten »Novellen« (Hamb. 1843, 2 Bde.)
und das Drama »Nero« (Stuttg. 1835) auch, daß ihm eine unbefangenere und erfreulichere poetische
Darstellungskraft zu Gebote stehe, so fühlte sich der Autor doch eigentlich nur von den Erregungen und Kämpfen der Zeit,
nicht von den Erscheinungen und Zuständen des Lebens in seiner Totalität angezogen. Er ward dann von selbst einer der Führer
und Vorkämpfer der »jungdeutschen« Bewegung, welche sich (obschon der Name des »jungen Deutschland« nichts war als eine vom
Frankfurter deutschen Bundestag höchst willkürlich erfundene Bezeichnung für eine Gruppe von verschiedenen
oppositionell gestimmten Schriftstellern) seit dem Beginn der 30er Jahre immer weiter erstreckte und durch den Anschluß
an den politischen Liberalismus und an den materiellen Umschwung der Zeit auch eine ganz neue Litteraturentwickelung hoffte.
In diesem Sinn schrieb der junge Autor, welcher inzwischen in Heidelberg und München Rechts- und Staatswissenschaft studiert
hatte und 1834 nach Frankfurt a. M. übergesiedelt war, wo er ein »Litteraturblatt«
zur Zeitschrift »Phönix« begründete, seine Vorrede zu Schleiermachers »Briefen über Schlegels Lucinde« (Hamb. 1835),
seine
»Soireen« (Frankf. a. M. 1835, 2 Bde.)
und den Roman »Wally, die Zweiflerin« (Mannh. 1835;
spätere Umarbeitung u. d. T.: »Vergangene
Tage«, Frankf. 1852), in welch letzterm ein paar schüchterne sinnliche Szenen und eine zum Roman kaum gehörige
Polemik gegen den Offenbarungsglauben die Würze für eine dürftige Erfindung und Charakteristik abgeben mußten. Gleichwohl
brachte dieser Roman dem Verfasser eine
mehr
Schicksalswendung: auf Wolfgang Menzels heftige, feindselig-gehässige Anklagen ward »Wally« konfisziert, in Baden zu einer dreimonatlichen
Gefängnisstrafe verurteilt, die er in Mannheim verbüßte, seine ganze Zukunft aber durch ein Verbot alles dessen, was er
geschrieben habe und in Zukunft noch schreiben würde, und durch die Entziehung des Rechts, innerhalb des
deutschen Bundesgebiets eine Redaktion zu übernehmen, in Frage gestellt. Überwand er auch mit höchster Energie und mannhaftem
Festhalten an seinen einmal gefaßten Überzeugungen die ihm bereiteten Hindernisse, so wirkten das erwachte Mißtrauen und
der Argwohn, die Furcht, allüberall Feindseligkeiten zu begegnen, in seinem weitern Leben verhängnisvoll nach. Gutzkow hatte sich 1836 zu
Frankfurt verheiratet, siedelte 1837 nach Hamburg über, wo er seine neubegründete Zeitschrift »Der Telegraph« in Aufnahme brachte,
bis zum großen Brand (1842) verweilte, hauptsächlich durch die Freundschaft der geistvollen Therese v. Lützow (Frau v. Bacheracht)
gefesselt, im übrigen unendlich und nach den verschiedensten Richtungen hin litterarisch thätig war.
Das publizistische Element blieb in seinen damaligen Arbeiten noch überwiegend; die in der Haft zu Mannheim geschriebene Schrift
»Zur Philosophie der Geschichte« (Hamb. 1836),
die zuvor unter dem Namen Bulwers edierten »Zeitgenossen, ihre Tendenzen, ihre
Schicksale, ihre großen Charaktere« (Stuttg. 1837, 2 Bde.),
die gegen Görres gerichtete Broschüre »Die rote Mütze und die Kapuze« (Hamb. 1838),
die unter dem Titel:
»Götter, Helden und Don Quixote« (das. 1838) gesammelten Aufsätze schließen sich eng an die Interessen des Tags an. Auch die
Schrift »Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte« (Berl. 1836) und das panegyrische Buch über »Börnes Leben« (Hamb. 1840) entfernen
sich nur in Einzelheiten von dem Standpunkt, den Gutzkow früher gewonnen hatte, und von dem aus
der Schriftsteller folgerichtig zur reinen Publizistik hätte gelangen müssen. Was dies verhinderte, waren teils die politischen
Verfolgungen und die Zensur, teils ein wirklich poetischer Darstellungstrieb, der, mannigfach irre gehend, sich doch immer
wieder geltend machte. Romane wie »Seraphine« (Hamb. 1838) oder
wie die satirische Zeitgeschichte in Arabesken: »Blasedow und seine Söhne« (Stuttg. 1838-39, 3 Bde.)
zeigten eine seltsame Mischung von darstellendem Drang und reflektierendem Räsonnement, eine Manier, bei der (nach Gutzkows
eignen Worten) der Autor sich »wie ein aus den Kulissen heraussprechender, seine Akteure mitunter ohrfeigender
Puppenspieler gebärdet«. Gleichwohl entschied sich durch die Einwirkung innerer und äußerer Umstände, daß
Gutzkow etwa von 1839 an, wo er seine Tragödie »Saul« (Hamb. 1839) veröffentlichte und das Trauerspiel »Richard Savage« über eine
Reihe von Bühnen ging, sich wesentlich der poetischen Produktion zuwandte.
Dieselbe nahm, nachdem er außer mannigfachen Reisen und vorübergehenden Ortswechseln 1842 Hamburg wieder
mit Frankfurt a. M., 1846 Frankfurt mit Dresden vertauscht hatte, einen außerordentlichen Aufschwung, verschaffte Gutzkow seine
größten Erfolge und eine weitreichende Popularität. Eine Stellung als Dramaturg des Dresdener Hoftheaters, welche er 1847 angenommen,
verließ er schon 1849 infolge der Zeitereignisse wieder, blieb aber in Dresden. Seine erste Gattin hatte
er im März 1848 während eines Aufenthalts in Berlin verloren, 1850 verheiratete er sich zum zweitenmal.
Die Dresdener Jahre, wie sie die schaffensreichsten und erfolgreichsten in Gutzkows Leben waren, durften auch seine glücklichsten
heißen. Obwohl
in manche litterarische Kämpfe verwickelt (1852 betrat er mit der Herausgabe der Zeitschrift
»Unterhaltungen am häuslichen Herd« das journalistische Gebiet wieder), in mannigfachem Widerspruch zu den Richtungen, die
Politik, Litteratur und soziales Leben nahmen, stand der Autor doch im Vollgefühl seiner Kraft. 1861 siedelte er als Generalsekretär
der Schiller-Stiftung, an deren Zustandekommen und Gedeihen er einen wesentlichen Anteil gehabt, nach Weimar
über, fand sich aber schon im November 1864 bewogen, seine Entlassung zu nehmen.
Die Aufregung, in welche ihn die Vorkommnisse innerhalb der Schiller-Stiftung, wirkliche und vermeinte Zerwürfnisse und Gegnerschaften
versetzten, führte den Leidenden so weit, daß er (im Februar 1865) in Friedberg Hand an sein Leben zu legen versuchte. Glücklicherweise
gerettet, nach einem kürzern Aufenthalt in der Heilanstalt Gilgenberg bei Baireuth und einem längern zu Vevey in der Schweiz
neugekräftigt, nahm er in Kesselstadt bei Hanau, von 1868 bis 1873 in Berlin seinen Aufenthalt.
Wiederkehrende Nervenleiden wurden durch einen Winteraufenthalt in Italien (1873/74), durch die Jahre bei und in Heidelberg
(1874-77) nur gemildert, nicht aufgehoben. Zuletzt ließ sich der in seiner körperlichen Kraft Gebrochene, geistig mehr und
mehr Isolierte in Sachsenhausen bei Frankfurt a. M. nieder, wo er starb. Bis in seine letzten Tage war er, allen
körperlichen Leiden trotzend, arbeitsam und von litterarischen Interessen erfüllt geblieben, obschon
fast alle spätern Arbeiten die Spuren einer vergrämten und verbitterten (vielfach doch mit Recht verbitterten) Anschauung trugen.
In natürlicher Folge der Abnahme der eigentlichen Produktionskraft kehrte in der spätern Zeit gern zu den eigentümlichen
Mischformen und halb journalistischen Darstellungen seiner ersten Epoche zurück.
Während er in der Zeit seines reichsten und besten dramatischen und epischen Schaffens nur gelegentlich
in die Tagesfragen eingegriffen hatte, wurde die Neigung dazu bei ihm gegen den Ausgang seines Lebens wieder stärker. Von seinen
spätern mehr oder minder hierher gehörigen Schriften seien die »Briefe aus Paris« (Leipz. 1842, 2 Bde.),
»Deutschland am Vorabend seines Falles und seiner Größe« (Frankf. 1848),
»Vor- und Nachmärzliches« (Leipz.
1850),
die »Lebensbilder« (Stuttg. 1870, 3 Bde.),
»Vom Baum der Erkenntnis« (das. 1873),
»In bunter Reihe«, Briefe und Skizzen (Bresl. 1877),
und endlich die letzte polemische
Schrift: »Dionysius Longinus, oder über den ästhetischen Schwulst in der neuern deutschen Litteratur« (Stuttg. 1878),
genannt. Die letztere erwies nur zu deutlich die maßlose persönliche Gereiztheit und fanatische Unduldsamkeit gegen alle
seinem Wesen fremden geistigen Anschauungen, in die sich Gutzkow allmählich hineingearbeitet hatte. Eine ähnliche Mißstimmung
und unerquickliche Rechthaberei beherrschte auch die autobiographischen »Rückblicke
auf mein Leben« (Berl. 1875),
welche die Fortsetzung der frühern frisch-liebenswürdigen, zu Gutzkows
besten Büchern gehörigen Aufzeichnungen »Aus der Knabenzeit« (Frankf. a. M.
1852) bildeten.
Die unleugbare und bleibende Bedeutung Gutzkows in der deutschen Litteratur beruhte indes auf seinen größern dramatischen
und erzählenden Dichtungen. Auch in den theatralischen Werken verleugnete er natürlich seinen feinen und fast untrüglichen
Instinkt für die Tagesneigungen und die demnächst bevorstehende Richtung der öffentlichen Meinung nicht,
und der Wert seiner Dramen hing zum guten Teil davon
mehr
ab, ob die in denselben jedesmal vertretene Tendenz eine starke, mächtige, große Konflikte einschließende und darum menschlich
naheliegende war, oder ob sie einer Augenblicksstimmung entstammte. In der Reihe seiner Dramen: »Richard Savage«, Trauerspiel
(1839),
»Zopf und Schwert«, historisches Lustspiel (1844),
»Pugatscheff«,
Tragödie (1846),
»Das Urbild des Tartuffe«, Lustspiel, und »Uriel Acosta«, Tragödie (1847),
»Jürgen Wullenweber«, Tragödie (1848),
»Der Königsleutnant«, Lustspiel (1849),
»Liesli«, Volkstrauerspiel (1852),
»Philipp und Perez«, Tragödie (1853),
»Ottfried«,
Schauspiel (1854),
»Lenz und Söhne, oder die Komödie der Besserungen«, Lustspiel (1855),
»Ella Rosa«, Schauspiel
(1856),
»Lorbeer und Myrte«, Lustspiel (1856),
»Der Gefangene von Metz«, Schauspiel (1870),
»Dschingiskhan«, Lustspiel (1876),
finden sich die schwächsten Versuche, ganz vorübergehenden, in sich nichtigen Tageszufälligkeiten ein poetisches Interesse
abzugewinnen, und die glücklichsten Schöpfungen, unter denen die beiden geradezu mustergültigen historischen
Lustspiele: »Zopf und Schwert« und »Das Urbild des Tartuffe« sowie die Tragödie »Uriel Acosta« in erster Linie stehen. Aber auch
Werken wie »Werner«, »Ein weißes Blatt«, »Ottfried« u. a. bleibt
es nachzurühmen, daß sie ernste Anläufe zur notwendigen Gewinnung einer Komödie aus unsern Sitten, gesellschaftlichen Zuständen
und Anschauungen heraus waren.
Die gesamte dramatische Dichtung Gutzkows erhob sich weit über die bloße Theaterroutine und half für ein paar Jahrzehnte
die seit Schillers Tod immer breiter gewordene Kluft zwischen dem deutschen Theater und der wirklich schaffenden Litteratur überbrücken.
Gesammelt wurden Gutzkows sämtliche Stücke unter dem Titel: »Dramatische Werke« (Leipz. 1842-57, 9 Bde.;
neue umgearbeitete Ausgabe 1861-63, 20 Bdchn.; 4. Aufl., Jena 1880). Die dramatischen Dichtungen erlangten zum Teil glänzende
Erfolge, die beiden historischen Lustspiele, die Tragödie »Uriel Acosta« (welche in alle europäischen Sprachen übertragen ward)
behaupten sich seit einem Menschenalter auf dem Repertoire aller guten Bühnen mit ungeschwächter Anziehungskraft; einzelne
andre, wie »Der Königsleutnant«, »Werner«, wurden durch das Interesse an einer einzelnen
[* ]
Figur lebendig
erhalten; alle bleiben hochinteressante Zeugnisse, wie in einer Periode der Gärung, der politisch-sozialen Umgestaltungen
selbst die traditionellen und konventionellen Bühnenformen, deren sich Gutzkow neben vielem Neuen, was er hinzubrachte, mit großem
Geschick bemächtigte, zu Waffen wurden. - Noch unmittelbarer an die Zeit schloß sich der Dichter in den
beiden großen kulturhistorischen Romanen: »Die Ritter vom Geist« (Leipz. 1850-52, 9 Bde.; 6. umgearbeitete
Auflage, Berl. 1881, 4 Bde.) und
»Der Zauberer von Rom« (Leipz. 1858-61, 9 Bde.; 4. völlig
umgearbeitete Auflage, Berl. 1872, 4 Bde.). Erwies
sich auch, daß seine ästhetische Theorie eines Romans des »Nebeneinander«, den er sich wie den Durchschnitt
eines Bergwerks, eines Kriegsschiffs vorstellte, ein Irrtum war, daß er lediglich die Kunstform sprengte und sich schließlich
doch wieder gezwungen sah, zum eben perhorreszierten Roman des »Nacheinander« zurückzukehren, so interessierten die Romane
durch eine seltene Gedankenfülle und charakteristischen Situationsreichtum.
»Die Ritter vom Geist« schildern die Reaktionsperiode, welche
der Revolution von 1848 folgte, spielen ersichtlich in der preußischen
Hauptstadt und boten in Gestalten wie Schlurck, Hackert, Prinz Egon Hohenberg, Pauline v. Harder, Melanie Schlurck, Gräfin d'Azimont
Typen einer Zeit voll verkehrter Richtungen und entfesselter Leidenschaften. »Der Zauberer von Rom« behandelt
die Beziehungen des katholischen deutschen Südens und Westens zu Rom und schildert die gesamte deutsch-ultramontane Welt. Es
war Gutzkows genialer Instinkt, der ihn alle Bedeutung, welche die von der modernen Bildung mißachtete, mit Gleichgültigkeit
ignorierte katholische Welt für die deutsche Zukunft gewinnen sollte, im voraus empfinden und darstellen
ließ. Die Sicherheit der kulturhistorischen Schilderung des Hintergrundes wurde übertroffen durch die Vorführung einer
ganzen Reihe von Charakteren, die in individuellster Vielgestaltigkeit doch alle in der katholischen Bildung und Lebensstimmung
wurzeln. Unter den kleinern erzählenden Dichtungen, welche ungefähr gleichzeitig erschienen, behandelte die Erzählung »Die
Diakonissin« (Frankf. a. M. 1855) eine Zeitfrage; die Sammlung
»Kleine Narrenwelt« (das. 1856, 3 Tle.) enthielt eine Anzahl der besten Erzählungen Gutzkows aus den »Unterhaltungen am häuslichen
Herd«.
Einen bedeutenden Anlauf zum großen historischen Roman nahm der Autor in »Hohenschwangau« (Leipz. 1867-68, 5 Bde.; 3. umgearbeitete
Auflage, Bresl. 1880),
welches die Reformationszeit spiegelnde Werk eine Überfülle der eingehendsten
Detailstudien in sich aufnehmen sollte. Hier wie in dem spätern Memoirenroman: »Fritz Ellrodt« (Jena 1872, 3 Bde.),
schuf sich
Gutzkow eine zwischen Roman und historischen Memoiren die Mitte haltende Form, welche zu interessieren, aber wenigstens eine poetische
Totalwirkung nicht zu erzielen vermochte. Die spätere modernen Romane: »Die Söhne Pestalozzis« (Berl.
1870, 3 Bde.),
»Die neuen Serapionsbrüder« (Bresl. 1877, 3 Bde.; 2. Aufl.
1878), verrieten bei geistreichen Einzelheiten und scharfen Beobachtungen die tiefe Herabstimmung des Schriftstellers und
seine sich steigernde Gleichgültigkeit gegen Reiz und Vollendung der Form. Eine erste Sammlung seiner »Schriften« hatte Gutzkow schon
früh begonnen (Frankf. a. M. 1845-56, 13 Bde.),
auf eine eigentlich abschließende, die gesamte litterarische Thätigkeit des Autors in sich fassende Ausgabe sind die »Gesammelten
Werke« (Jena 1873-78, erste Serie, 12 Bde.; zweite Serie: dramatische Werke, 20 Bdchn.) angelegt.
Vgl. außer den autobiographischen
Schriften: K. Frenzel, Gutzkow (»Westermanns Monatshefte«, April 1879);
Adolf Stern, Zur Litteratur der Gegenwart
(Leipz. 1880).