Da die Bearbeitung des
Grund und
Bodens eine große
MengeMenschen beschäftigt und
einen erheblichen Teil des
Volkseinkommens liefert, so ist der wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Zustand eines
Volkes in hohem
Grad von der Verteilung des Grundbesitzes abhängig. Am
Altertum sind die römischen Zustände des Grundeigentums
von besonderm
Interesse. Die ziemlich gleichmäßige Verteilung des
Grund und
Bodens, die man für die frühste
Zeit annehmen darf, änderte sich bald, und die ausgedehnten Ländereien, welche die Eroberungskriege in den
Besitz der römischen
Republik brachten, fielen vorzugsweise der Benutzung der
Großen des
Staats zu, welche mit Erfolg bestrebt waren, sie in ihr
Eigentum zu verwandeln.
Die anhaltenden
Kriege in entlegenen
Ländern machten dem minder wohlhabenden
Bürger, der vorzugsweise
auf seine
Arbeit angewiesen war, die Behauptung seines Grundeigentums immer schwieriger, während der wohlhabendere sein
Gut
durch Sklaven bebauen ließ.
Daher stand schon ein
Jahrhundert vor dem
Untergang der republikanischen
Verfassung den wenigen
Besitzern ausgedehnter
Güter eine besitzlose
Menge gegenüber, welche durch Koloniengründung zwar von
Zeit zu Zeit vermindert, aber nicht mehr beseitigt werden konnte, und es ist nicht zu viel gesagt, daß dies ungesunde
Verhältnis
des Latifundienbesitzes, welches das
LicinischeGesetz (387
v. Chr.) und T.
Gracchus vergeblich zu beseitigen sich bestrebten,
die Hauptursache des
Sturzes der römischen
Republik war (»latifundia perdidere Italiam«, d. h.
die Latifundien haben
Italien
[* 3] zu
Grunde gerichtet).
Auf den großen
Gütern der
Römer
[* 4] wurde die
Landwirtschaft mit nicht geringer
Kunst betrieben; Staatsmänner und Dichter verschmähten
nicht, sich ihr zu widmen. Die von ihnen hinterlassenen
Schriften bildeten sogar, ins Deutsche
[* 5]
übertragen, die Anfänge der
neuern landwirtschaftlichen Litteratur. Der
Begriff desEigentums als des
Rechts der unbeschränkten Herrschaft
über eine
Sache kam hinsichtlich des Grundbesitzes zu voller
Anerkennung. Dem Grundeigentümer waren durch das
Gesetz nur wenige
Beschränkungen auferlegt, welche die Rücksicht auf den Nachbar unerläßlich machte; es war ihm sogar die Möglichkeit
entzogen, die
Freiheit seines
Eigentums dauernd anders zu beschränken als in dem engen
Kreis
[* 6] der römischen
Servituten (s. d.) und der Superficies
^[Stichwort:
Superfizies] (s. d.).
Noch weniger stand es ihm frei, das Grundeigentum mit eigentlichen
Leistungen zu beschweren. Die spätere Kaiserzeit indes schuf im
Kolonat und in der Emphyteuse ein sozusagen geteiltes
Eigentum,
wonach der
Landbauer ein vererbliches und veräußerliches Nutzungsrecht an dem
Grundeigentum eines andern
gegen eine zu leistende
Abgabe hatte.
Die deutschen Volksstämme waren zur Zeit ihrer ersten Bekanntschaft mit den
Römern im wesentlichen freie Bauerngemeinden.
Die freien
Bauern waren durchweg ansässig, und man kann aus den noch jetzt ersichtlichen Flureinteilungen und Güterkomplexen
sowie aus andern
Spuren schließen, daß
Äcker und
Wiesen in jeder
Gemarkung ziemlich gleichmäßig unter
alle Hofbesitzer verteilt waren.
Wald und
Weide
[* 7] jedoch waren dem ungeteilten
Besitz der
Markgenossenschaft vorbehalten und der
Benutzung der Einzelnen überlassen.
Aber auch der
Besitz des ausgeteilten
Landes war durch gemeinschaftliche
Weide und durch den dadurch bedingten
Flurzwang nicht
unwesentlich beschränkt. Die Ansiedelung war teils dorfweise, teils auf Einzelhöfen erfolgt, je nach
örtlichen Verhältnissen und Stammeseigentümlichkeiten. Mit diesen landwirtschaftlichen Verhältnissen standen das Rechtsleben
und die öffentlichen Einrichtungen in enger Beziehung. Bei der
Vererbung des Grundeigentums schloß der Sohn die Tochter,
der
Vater die
Mutter, der
Bruder die
Schwester aus, und diese weiblichen Verwandten mußten sich mit einer
Ausstattung
(Gerade, s. d.) begnügen.
Ohne Zustimmung des nächsten
Erben konnte, abgesehen von den
Fällen »echter
Not«, das Grundeigentum nicht veräußert werden, widrigenfalls
dieser berechtigt war, es binnen Jahr und
Tag ohne
Entschädigung für den Erwerber wieder
an sich zu ziehen.
AlleRechtsgeschäfte
in Beziehung auf Grundeigentum mußten vor dem Volksgericht verlautbart werden, und nur der freie
Grundbesitzer
war in der Volksgemeinde stimmberechtigt. Jene freien Bauerngemeinden aber wußten sich nur in wenigen Gegenden
im
Lauf der
Jahrhunderte zu erhalten, und erst nach langen
Zeiten der Unterdrückung und des
Kampfes hat die Neuzeit dem Grundeigentum die
Freiheit zurückgebracht (s.
Bauer, S. 464 f.).
Die ursprüngliche
Gleichheit der
Insassen hatte schon dem gewöhnlichen
Lauf der
Dinge nach größern Vermögensunterschieden
weichen müssen. Indem deutsche
Stämme sich über die
Süd- und Westgrenze nach
Gallien vorschoben und den
Osten und
Norden
[* 8]
Deutschlands
[* 9] der
Einwanderung der
Slawen offen ließen, dann aber die letztern wieder in jahrhundertelangen
Kämpfen
unterworfen wurden, sank unmittelbar eine zahlreiche
Bevölkerung
[* 10] in Unfreiheit; es wuchs die königliche Macht, und es kam
ein großer Grundbesitz in die
Hand
[* 11] der
Könige und der
Großen.
Die
Nachahmung spätrömischer Einrichtungen, besonders die herrschende Naturalwirtschaft und der ganze Kulturzustand führten
dahin, daß die
Könige und bald auch andre ihre
Landgüter zu
Lehen austhaten gegen die Verpflichtung zu
Heeres-,
Hof- und Gerichtsdienst oder auch gegen mancherlei
Naturalleistungen. Viele trugen freiwillig oder auch einem
Zwang
nachgebend einem mächtigen
Herrn oder der
Kirche, um deren
Schutz in den unruhigen
Zeiten zu erkaufen, ihr freies
Eigentum zu
Lehen oder zu
Eigentum auf.
Grundeigentum (geschic
* 12 Seite 7.863.
Andre bewog die
Last des
Heerbannes, sich und ihr
Gut in Unterthänigkeit zu begeben.
Andre gerieten in Unfreiheit, indem sie
auf fremdem
Grund und
Boden sich niederließen, und als die königliche Macht und die alte Gauverfassung zerfielen, das Grafenamt
und die
Gerichtsbarkeit wie einPrivatrecht in den erblichen und veräußerlichen
Besitz gewisser
Familien
kamen, dienten auch diese öffentlichen
Rechte dazu, die ihnen unterworfenen Landleute in Unterthänigkeit zu bringen. Die
sich steigernden öffentlichen
Lasten und auch viele persönliche Privatverbindlichkeiten
¶
mehr
wurden in Form von dauernden Naturalleistungen auf den Grundbesitz gelegt, und vielfach wußte die Kirche ihren Anspruch auf
allgemeine Zehntbarkeit durchzusetzen.
So legte sich ein dichtes Netz der mannigfachsten persönlichen und sachlichen Beschränkungen über das Grundeigentum und dessen Besitzer.
Das ganze öffentliche Leben gründete sich auf das Lehnswesen (s. d.). Die Masse des Volkes stand in der
mannigfachsten Abhängigkeit von der bloßen Gutsunterthänigkeit bis zur Leibeigenschaft, und das Grundeigentum war mit den verschiedensten
Lasten belegt. Daher die Gebundenheit des Hörigen an den Hof,
[* 13] die Verpflichtung desselben zum Gesindedienst, zu gemessenen
und ungemessenen Fronen, das Verbot, sich ohne Zustimmung des Herrn zu verheiraten, der Leibzins, das Erbrecht
des Herrn am ganzen Nachlaß oder doch am Besthaupt, die Zehnt-, Zins-, Gültpflichten der mannigfachsten Art, die Lehnsgelder
bei jeder Besitzveränderung in der besitzenden oder dienenden Hand, die Polizei- und Gerichtsgewalt des Gutsherrn.
Eine wichtige Gegenströmung lag in dem Aufblühen der Städte. Sie gewährten den Zuzüglern die persönliche
Freiheit und stellten der auf dem Grundbesitz und dem Schwert beruhenden Macht des Adels eine auf bürgerliche Freiheit, auf
Erwerbsthätigkeit und auf deren Frucht, das bewegliche Kapital, gegründete Kraft
[* 14] gegenüber. Mannigfach zeigt sich der Einfluß
des allmählich zunehmenden beweglichen Besitzes und des Eindringens des römischen Rechts: auch auf dem
Land kam das gleiche Erbrecht beider Geschlechter zur Geltung, das Recht des Erben auf die Einziehung des veräußerten Guts schrumpfte
zu dem Recht, in das Erwerbsgeschäft einzutreten (Näherrecht), zusammen.
Die Landesherren, Befestigung ihrer Macht und Erweiterung derselben zur Souveränität erstrebend, mußten zur Bekämpfung
des Feudaladels sich auf die Bürger stützen und darauf denken, die Abhängigkeit der zahlreichsten Klasse
der Bevölkerung von ihren Widersachern zu lösen. Die eigentliche Bedeutung des Lehnswesens aber schwand mehr und mehr, als
der reisige Heerdienst durch die Söldner- und Milizheere mit Feuerwaffen, der Hof- und Gerichtsdienst des Adels durch die rechtsgelehrte
Büreaukratie verdrängt wurde.
Zwar gelang es im 18. Jahrh. noch hier und da, Bauern in Hörige zu verwandeln. Aber in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts
wurden in Baden,
[* 15] in Österreich und Preußen
[* 16] die Bande der Hörigkeit gelockert oder ganz gelöst. Jedoch erst die französische
Herrschaft in Deutschland
[* 17] oder der Kampf zu ihrer Abschüttelung brachte die vollständige Befreiung. Die
Zunahme der Bevölkerung, welche eine stärkere Erzeugung von Nahrungsmitteln erheischte, die Fortschritte des landwirtschaftlichen
Betriebs, die Macht des darin angelegten Kapitals und die Verdrängung der Natural- durch die Geldwirtschaft, die volkswirtschaftlichen
Lehren
[* 18] der Physiokraten, AdamSmiths und seiner Anhänger, forderten dringend die Beseitigung auch aller
jener Feudallasten, welche die freiere und kunstgemäßere Bewirtschaftung des Bodens unmöglich machten oder doch hemmten.
Diese Lasten sind denn auch, zum Teil erst infolge der Stürme von 1848, in Österreich und Deutschland mehrfach ohne Entschädigung
aufgehoben, zum überwiegenden Teil aber durch Ablösung (s. d.) beseitigt worden. Überhaupt hat die moderne Gesetzgebung
in konsequenter Weise die Freiheit des Grundeigentums und die Sicherung einer möglichst freien Ausnutzung desselben zu einer
ihrer Hauptaufgaben gemacht (s. Agrarpolitik). Durch die Regelung des Grundbuchwesens ist zu dem den Rechtsverhältnissen
bezüglich des Grundeigentums die gehörige rechtliche Sicherheit gegeben (s. Grundbücher).
In England war das Lehnswesen nie zu der Ausbildung gelangt wie in Deutschland; die Leibeigenschaft war im 16. Jahrh.
verschwunden, ohne daß es einer gesetzlichen Maßregel bedurft hätte, und der Rest der Lehnslasten wurde nach der Restauration
der Stuarts beseitigt. Dort hat sich das System des großen Grundbesitzes ausgebildet, welcher meist von Zeit- oder Erbpachtern
bewirtschaftet wird. In Frankreich hatte das Feudalwesen eine ähnliche, vielleicht noch drückendere
Entwickelung als in Deutschland.
Nachdem dessen politische Bedeutung durch das absolute Königtum vernichtet worden war: wurden die gesamten Feudallasten durch
die erste Revolution beseitigt und die vollkommene Freiheit des Grundbesitzes hergestellt. Die ungeheure Vermögensumwälzung,
welche jene zur Folge hatte, führte jedoch auch vielfach die weitgehende Zersplitterung des Grundbesitzes
herbei, welche eine zweckmäßige und lohnende Bewirtschaftung nicht überall zuläßt. In den slawischen Ländern bestand
Leibeigenschaft (s. d.) in ausgedehntem Umfang, daneben aber ein Gesamtbesitz der Bauerngemeinde an der ganzen Flur, die von
Zeit zu Zeit neu verteilt wurde. Die Emanzipation der Leibeignen erfolgte unter KaiserAlexander II. (s.
Leibeigenschaft).
Das Grundeigentum ist zur Zeit in den Kulturländern sehr verschieden verteilt. Die Art der Verteilung selbst wurde
bedingt durch die Bodenverhältnisse, die Gestaltung der Technik und der gesamten wirtschaftlichen und politisch-sozialen
Entwickelung. Demgemäß ist auch der Begriff des großen und kleinen Grundbesitzes ein zeitlich und örtlich
verschiedener. So rechnet man zum Großgrundbesitz in Frankreich Besitzungen von 56, bez. 100 Hektar, in der Schweiz
[* 19] im Mittelland
25, im Gebirge 7 Hektar, während in England erst Besitzungen von 1000 und 1200 Hektar zu den großen gerechnet werden.
In England war über die Art der Verteilung des Grundbesitzes bis in die 70er Jahre hin nichts Zuverlässiges
bekannt. Nach der Aufnahme von 1876 wurden ermittelt:
Die Besitzungen mit weniger als 0,4 Hektar sind vorwiegend städtische Grundstücke. Mehr als die Hälfte der Oberfläche Englands
befindet sich im Besitz von 5000 Eigentümern, während 874 große Besitzer etwa ein Viertel des Landes innehaben. Der größte
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