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Grenze zusammengezogen; am 21. Nov. begannen, nachdem der Emir ein englisches Ultimatum abgelehnt hatte, die militärischen Operationen, deren erste Erfolge überraschend günstig waren. Die Peschawar-Armee unter Sir Sam. Browne nahm Ali Masdschid, marschierte ohne große Verluste durch den Chaiberpaß auf Dschelalabad, und auch General Roberts, welcher an der Spitze der Khuram-Armee auf den Peiwarpaß zu operierte, hatte ähnliche Siege zu verzeichnen. Am 20. Dez. zog General Browne ohne Widerstand in Dschelalabad ein; am begann die Khuram-Armee ihren Vormarsch auf Khost; am 10. Jan. zog eine dritte Kolonne unter den Generalen Stewart und Biddulph in Kandahar ein. Schir Ali war inzwischen, da die erwartete russische Hilfe ausblieb, von Kabul nach der russischen Grenze geflohen. Vor seiner Flucht hatte er seinen seit 1874 gefangen gehaltenen Sohn Jakub Chan der Haft entledigt, und dieser übernahm vorläufig die Zügel der Regierung in Kabul.
Dieser glückliche Fortgang des Kriegs war um so erfreulicher für die Regierung, als schon gegen Ende 1878 neue Verwickelungen in Südafrika [* 2] entstanden waren. Sir Bartle Frere, den die Regierung nach der Annexion von Transvaal zum Gouverneur aller afrikanischen Besitzungen ernannt hatte, hatte zunächst im Sommer 1878 einige Transvaal benachbarte Kaffernstämme unterworfen. Gegen Ende des Jahrs geriet er aber in einen Konflikt mit Cetewayo, dem König der Zulu, dessen 50-60,000 Mann starkes, militärisch gedrilltes und nicht schlecht bewaffnetes Heer allerdings eine beständige Drohung für die Provinzen Natal und Transvaal war.
Frere verlangte im Dezember 1878 eigenmächtigerweise von Cetewayo eine Reduktion seines Heers und die Aufnahme eines ständigen britischen Residenten, und als dieses Verlangen abgelehnt wurde, begannen die Feindseligkeiten. Der militärische Verlauf dieses Kriegs kontrastierte gewaltig gegen den mit Afghanistan, [* 3] woran allerdings die Unfähigkeit des Oberfeldherrn Lord Chelmsford die Hauptschuld trug. Am 21. Jan. erlitt die Kolonne des Obersten Glynn bei Isandula am Tugelafluß eine entsetzliche Niederlage, bei der mehr als 60 Offiziere und 700 europäische Soldaten von den Zulu niedergemacht wurden; eine andre Kolonne, die des Obersten Pearson, sah ihre Rückzugslinie abgeschnitten und wurde in Ekowe von den Zulu eingeschlossen.
Die Nachricht von diesen Unglücksfällen bot in dem am wieder eröffneten Parlament der Opposition günstige Gelegenheit zu neuen Angriffen gegen die Regierung. Die Lage derselben war aber auch sonst eine schwierige. Unter den Folgen der allgemeinen Geschäftskrisis begann mehr und mehr auch Großbritannien [* 4] zu leiden; die ländliche Bevölkerung [* 5] und die der Zentren der Industrie litten in gleicher Weise Not; die Zahl der Almosenempfänger mehrte sich in erschreckender Weise.
Durch Arbeitseinstellungen gewaltigsten Umfanges (so z. B. einen Streik von mehr als 10,000 Arbeitern in Liverpool [* 6] im Februar 1879) suchten die bedrängten Klassen ihre Lage zu verbessern, während sie in Wahrheit nur ihren Notstand mehrten. Die Finanzlage des Staats war keine gute. Mit genauer Not hatte die Regierung im Vorjahr die Kosten der außerordentlichen Rüstungen [* 7] gegen Rußland durch Aufnahme einer schwebenden Schuld aufgebracht, und jetzt standen durch den Zulukrieg neue Ausgaben in ungeahnter Höhe bevor, die von dem Mutterland getragen werden mußten. Zu dem allen kam weiter eine neue Verwickelung nach außen in Ägypten, [* 8] dessen Chedive zwei europäische Minister, die er 1878 auf das Drängen der Großmächte angestellt hatte, den Engländer Rivers Wilson und den Franzosen de Blignières, in brüsker Weise entließ. Endlich war auch die orientalische Frage in Europa [* 9] keinesweg völlig gelöst: noch war der Separatfriede zwischen Rußland und der Pforte abzuschließen, waren die Verhältnisse Ostrumeliens zu regeln, Grenzstreitigkeiten zwischen Rußland und Rumänien [* 10] zu schlichten, mußten endlich die Bestimmungen des Berliner [* 11] Vertrags über eine Vorschiebung der griechischen Grenze ihrer Ausführung entgegengebracht werden.
Ein Teil dieser Fragen erledigte sich nun schon während der ersten Woche der Session in günstiger Weise. Hinsichtlich der europäischen Orientangelegenheiten gelang es den Bemühungen des Grafen Schuwalow und des Lords Dufferin, des englischen Botschafters in Petersburg, [* 12] ein ziemlich befriedigendes Einvernehmen zwischen Großbritannien und Rußland herzustellen, so daß der definitive Friede mit der Türkei [* 13] geschlossen und die rumänische Grenzfrage erledigt werden konnte; auch über die Ernennung Aleko Paschas zum Gouverneur von Ostrumelien und die Wahl des Prinzen von Battenberg zum Fürsten von Bulgarien einigten sich beide Mächte.
Aus Afghanistan kam Ende Februar die Kunde von dem Tod Schir Alis; infolgedessen wurde im Mai mit Jakub Chan der Friede geschlossen. Der Emir trat alle Gebirgsdistrikte an der indisch-afghanischen Grenze mit ihren Pässen an ab und verstand sich gegen eine jährliche Subsidienzahlung dazu, einen britischen Residenten in seine Hauptstadt aufzunehmen und diesem eine Kontrolle über seine auswärtige Politik einzuräumen. In Ägypten erfolgte, nachdem Deutschland [* 14] mit Intervention gedroht hatte, im Juli auf Antrag Englands und Frankreichs seitens des Sultans die Absetzung des Chedive, dem sein Sohn Tewfik folgte. In Südafrika endlich brach 28. März Lord Chelmsford zum Entsatz des Obersten Pearson auf, der am 2. April nach einem großen Sieg über die Zulu bewirkt wurde. Dann übernahm im Juli Sir Großbritannien Wolseley an Chelmsfords Stelle den Oberbefehl. Der von ihm angeordnete Vormarsch hatte den besten Erfolg; am 3. Juli erfocht die Angriffskolonne, die Chelmsford zu kommandieren fortfuhr, einen vollständigen Sieg über Cetewayo.
Währenddessen hatte die treue Torymajorität auch im Parlament alle Angriffe gegen das Ministerium abgeschlagen. Die Tadelsvoten, welche die Opposition wegen des afrikanischen Kriegs beantragte, wurden im Oberhaus mit 156 gegen 61, im Unterhaus 31. März mit 306 gegen 246 Stimmen abgelehnt, und auch die Finanzmaßregeln der Regierung wurden 28. April gebilligt. Im übrigen beschäftigte sich das Parlament hauptsächlich mit einer von den Katholiken eingebrachten irischen Universitätsbill, welche aus den Mitteln der abgeschafften Staatskirche von Irland eine neue Universität in Dublin [* 15] errichten wollte, und mit der Revision des Militärstrafgesetzbuchs.
Das letztere, die alljährlich zu bewilligende Mutinybill, gab diesmal zu besonders lebhaften Debatten Veranlassung, weil die Regierung darin eine Kodifikation des in etwa 200 zum Teil ganz veralteten Statuten enthaltenen Militärstrafrechts vorzunehmen wünschte. Die liberale Opposition wünschte bei dieser Gelegenheit die in der englischen Armee und Marine noch in Übung stehende Strafe der körperlichen Züchtigung zu beseitigen oder doch wenigstens zu beschränken. Allein die Regierung wollte auf die neunschwänzige Katze [* 16] nicht verzichten, und in ¶
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demselben Parlament, wo man so oft über russische und türkische Barbarei deklamiert hatte, wurde der Antrag Lord Hartingtons auf Abschaffung der Prügelstrafe in Heer und Flotte mit einer Majorität von 106 Stimmen verworfen (17. Juli). Am 15. Aug. wurde die Parlamentssession geschlossen.
Der Zulukrieg wurde bald nachher völlig beendet. Cetewayo wurde 30. Aug. gefangen genommen und nach der Kapstadt [* 18] abgeführt. Das Zululand, in mehrere Bezirke unter selbständigen Häuptlingen geteilt, kam unter britische Botmäßigkeit. Um so ungünstiger entwickelten sich die Dinge in Afghanistan. In Gemäßheit des Friedens von Gandamak war Major Cavagnari als britischer Resident nach Kabul gegangen. Am 3. Sept. kam es hier zu einem furchtbaren Aufstand gegen die britische Gesandtschaft, Cavagnari und seine Begleiter wurden nach tapferstem Widerstand ermordet. So hatte sich die Katastrophe von 1841 wiederholt. Ein neuer Zug gegen Afghanistan war notwendig. Nach Überwindung großer Schwierigkeiten gelang es dem General Roberts, die völlig desorganisierten Rebellen vor sich herzutreiben; am 11. Okt. hielt er seinen Einzug in Kabul. Jakub Chan, dessen Verhalten während der Empörung zweideutig war, hatte sich zur englischen Armee geflüchtet und verzichtete auf den Thron. [* 19]
Inzwischen traten im Innern des Landes Symptome einer stärker werdenden Opposition hervor, die, ihrer Zeit unterschätzt, erst im Zusammenhang der folgenden Ereignisse die richtige Würdigung fanden. In Irland, wo die Kartoffelernte durchaus mißraten war, bereitete sich ein gefährlicher Notstand vor, der durch die Agitation der Homerule-Partei ausgebeutet wurde. Die Bewegung zielte auf eine Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse des irischen Grundbesitzes ab, in zahlreichen Volksversammlungen wurde die »Landfrage« in stärkster Sprache [* 20] erörtert.
Bald wurde eine irische Landliga gegründet, und hier und da ließ sich die aufgereizte Menge zu agrarischen Morden hinreißen. Die Regierung meinte einschreiten zu müssen, sie ließ 19. Nov. drei der thätigsten Agitatoren verhaften; aber die Agitation, an deren Spitze das Parlamentsmitglied Parnell (s. d.) getreten war, dauerte nichtsdestoweniger fort. Gleichzeitig hatten die Führer der Opposition in England und Schottland einen Feldzug gegen die auswärtige Politik der Regierung begonnen.
Zunächst freilich gab die Lage der auswärtigen Angelegenheiten der Opposition keineswegs recht. Verschiedene Zwischenfälle in Konstantinopel [* 21] wurden im ganzen den Forderungen des englischen Botschafters Sir H. Layard entsprechend ausgeglichen. In Südafrika wurde der letzte feindliche Häuptling, Sekokoeni, der mit den Zulu in Verbindung gestanden hatte, von Sir Garnet Wolseley 2. Dez. gefangen genommen. In Afghanistan war zwar Anfang Dezember ein neuer Aufstand verschiedener Stämme ausgebrochen; aber am 23. errangen die Engländer bei Sherpur einen entscheidenden Sieg über die Insurgenten und stellten ihre Autorität im Land völlig wieder her.
Unter diesen Umständen glaubte die Regierung der bevorstehenden Session des Parlaments mit Ruhe entgegensehen zu können. Dieselbe wurde eröffnet. Die Verhandlungen nahmen durchweg einen der Regierung erwünschten Verlauf;
die Anträge der Homerulers zur Adresse wurden mit 216 gegen 66 Stimmen abgelehnt;
auch die irische Notstandsbill ging trotz der Verschleppungsversuche der Obstruktionisten nach den Vorschlägen des Ministeriums durch;
das Budget wurde mit unerwarteter Schnelligkeit erledigt.
Diese Entwickelung der Dinge und der günstige Ausfall einiger Ergänzungswahlen brachten Lord Beaconsfield die Überzeugung bei, daß der geeignete Moment zur Auflösung des Parlaments, die er noch bis zum Februar 1881 hätte verzögern können, gekommen sei, und daß er auf einen günstigen Ausfall der Neuwahlen rechnen könne. Am 8. März wurde beiden Häusern der überraschende Beschluß, das Parlament am 24. aufzulösen, mitgeteilt, und sofort begann die Wahlbewegung in Fluß zu kommen, die einen ungemein lebhaften Charakter annahm, und an der namentlich Gladstone sich aufs entschiedenste beteiligte.
Das Resultat der Wahlen, die 31. März begannen, war ein im Ausland völlig unerwartetes. Es zeigte sich, daß eine starke Unterströmung in der Bevölkerung bestand, deren Gesinnungen in der Presse [* 22] und dem Parlament kaum zu völligem Ausdruck gekommen waren;
den Erregungen gegenüber, welche die energische auswärtige Politik Lord Beaconsfields über die Nation gebracht hatte, machte sich in weiten Kreisen ein Bedürfnis nach ruhigerer Entwickelung geltend;
infolge der kritischen Lage, in der sich Handel, Industrie und Landwirtschaft seit Jahren befanden, gab es viele Unzufriedene im Land, welche die unbestimmte Hoffnung hegten, daß es besser werden würde, wenn es anders würde;
endlich waren die Tories zu lange am Ruder gewesen, um nicht aus vielen ihrer ehemaligen Anhänger, deren Wünsche nicht befriedigt waren, sich Gegner gemacht zu haben.
Daher war der Umschwung der Dinge bei den Neuwahlen vollständig: die bisherige liberale Minderheit im Unterhaus wurde in eine Mehrheit verwandelt, größer, als sie in irgend einem englischen Parlament seit der Reformbill von 1832 gewesen war;
von den 652 Sitzen des Unterhauses erhielten die Liberalen mehr als 350, so daß sie auch ohne die Unterstützung der Homerulers über die Majorität verfügten.
Die letztern hatten etwa 60 Stimmen; die Konservativen waren auf über 230 Sitze reduziert. Nach diesem Ausgang war ein Regierungswechsel unvermeidlich, schon 19. April kündigte Lord Beaconsfield der Königin seinen Rücktritt an. Die letztere hätte am liebsten Lord Granville oder Lord Hartington, die sie 23. April zu sich entbot, an die Spitze der neuen Regierung gestellt, sah sich aber durch die Vorstellungen beider Staatsmänner genötigt, in Gladstones Ernennung zum Premierminister zu willigen.
Gladstones Reformgesetze.
Das neue Kabinett, in dem Gladstone außer dem Vorsitz noch das Amt des Kanzlers der Schatzkammer übernahm, begriff alle Richtungen der liberalen Partei in sich. Der Lord-Kanzler Lord Selborne, die Minister für Indien Lord Hartington, des Auswärtigen Lord Granville, der Marine Lord Northbrook, der Kolonien Lord Kimberley, der Lord-Präsident des Geheimen Rats, Earl Spencer, und der Geheimsiegelbewahrer Herzog von Argyll gehörten der alten Whigaristokratie an; auch von dem Staatssekretär für Irland, Forster, dem Minister des Innern, Sir W. Harcourt, dem Kriegsminister Childers konnte man eine gemäßigte Politik erwarten. Den radikalen Flügel des Ministeriums bildeten außer John Bright, der wieder die Sinekure des Kanzleramts von Lancaster übernahm, nur Chamberlain, der Präsident des Handelsamts, und Dodson, der Präsident des Lokalverwaltungsamts. Bei der Verteilung der Staatsämter zweiten Ranges wurden die Radikalen besser bedacht; der blinde Professor Fawcett wurde Generalpostmeister, Mundella Vizepräsident des ¶