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Fragen, die ihm den Untergang bereiteten. Das von dem Schatzkanzler Baring vorgelegte Budget schloß infolge der durch die auswärtigen Händel verursachten Mehrausgaben mit einem Defizit von beinahe 2 Mill. Pfd. Sterl. ab, das die Regierung durch eine Veränderung der Zollpolitik im freihändlerischen Sinn, Erhöhung der Zucker- und Verminderung der Getreidezölle, decken wollte. Dadurch aber erregte sie einen gewaltigen Sturm, und nach langen und heftigen Debatten ward 4. Juni ein von Peel beantragtes direktes Mißtrauensvotum mit einer Mehrheit von einer Stimme angenommen.
Das Ministerium verfügte darauf die Auflösung des Parlaments; aber in dem neuen, am 19. Aug. zusammentretenden Unterhaus hatten die Tories eine Majorität von 80-90 Stimmen. Damit war das Schicksal der Regierung entschieden; nachdem sie bei der Adreßberatung im Oberhaus und im Unterhaus geschlagen war, trat sie endlich (28. Aug.) vom Staatsruder zurück. Am 1. Sept. begann das neue Toryministerium seine Funktionen. An seiner Spitze stand Robert Peel; Minister ohne Portefeuille war der greise Herzog von Wellington, unter den übrigen Mitgliedern, die größtenteils bereits 1834 unter Peel gedient hatten, waren der Lord-Kanzler Lord Lyndhurst sowie die Minister des Innern Sir James Graham, der Kolonien Lord Stanley, des Auswärtigen Graf von Aberdeen [* 2] die bedeutendsten.
Peels Steuer- und Zollreform.
Unter großen Schwierigkeiten trat das Ministerium Peel die Verwaltung an. Nach außen die Kriege mit China [* 3] und Afghanistan [* 4] (welch letzterer schon 1838 begonnen hatte), das gespannte Verhältnis mit Frankreich, die Wirren im Orient; nach innen das Defizit, das Mißtrauen der Hochkirchenmänner gegen den der Aufklärung zugeneigten Peel, die Erbitterung der Whigs, die immer zunehmende Agitation des Bundes gegen die Korngesetze, namentlich in den Industriebezirken, wo die Massen der arbeitenden Bevölkerung [* 5] auf seiner Seite standen, endlich die durch O'Connells feurige Beredsamkeit geschürte Erregung in Irland, die in jedem Augenblick die gesetzlichen Bahnen zu verlassen drohte: es gehörte ein staatsmännisches Talent wie das Peels dazu, um solchen Schwierigkeiten gegenüber den Mut nicht zu verlieren. Im Innern begnügte er sich zunächst mit vorübergehenden Maßregeln zur Deckung des Defizits und schloß schon 6. Okt. die Session.
In der auswärtigen Politik mußte das Ministerium die ihm von den Vorgängern hinterlassene Erbschaft antreten; wenigstens im Orient war es zunächst unmöglich, jene sparsame Friedenspolitik zu befolgen, welche das Land von der Toryverwaltung erwartete. Der Krieg in China wurde mit Energie und Erfolg fortgesetzt: die englische Flotte erzwang den Eingang in den Jantsekiang, erschien vor Nanking und nötigte China zu einem Frieden (29. Aug.), welcher den Engländern den Besitz von Hongkong verschaffte, ihnen eine Anzahl Häfen öffnete und eine Kriegssteuer von 21 Mill. Doll. einbrachte. Schlimmer standen die Dinge in Ostasien, wo es 1841 zu einer furchtbaren Katastrophe gekommen war, indem die ganze an 6000 Mann starke britische Armee in Kabul durch die Treulosigkeit der Afghanen bei ihrem Rückzug nach Dschelalabad schmählich zu Grunde ging. Auch hier hatte man unter der neuen Regierung besseres Gelingen. Unter dem von ihr ernannten neuen Generalgouverneur von Indien, Lord Ellenborough, stellten die Generale Pollock und Nott 1842 durch einen glänzenden Feldzug nach Afghanistan die Ehre der britischen Waffen [* 6] wieder her. Am 12. Okt. wurde Kabul erobert; dann nahm man furchtbare Rache, räumte aber im Gegensatz zu der von den Whigs befolgten Politik Anfang 1843 Afghanistan wieder.
Alle diese auswärtigen Erfolge aber vermochten nicht über das Gefährliche der innern Lage von Großbritannien [* 7] hinwegzuhelfen. Eine andauernde Handelskrise und eine neue Mißernte im J. 1841 sowie andre elementare Unglücksfälle hatten die allgemeine Unruhe so gesteigert, daß Peel die Notwendigkeit erkannte, wenigstens in der Frage der Korngesetze einige Zugeständnisse zu machen, obschon wegen derselben ein Mitglied der hohen Aristokratie und einer der einflußreichsten Großgrundbesitzer, der Herzog von Buckingham, aus dem Kabinett austrat.
Nachdem 3. Febr. das Parlament wieder eröffnet war, brachte Peel am 9. seine Kornzollbill ein. Dieselbe hielt den Grundsatz einer sogen. gleitenden Zollskala fest, d. h. auch sie machte die Höhe des Zolles von den Getreidepreisen in Großbritannien abhängig, ermäßigte aber das Maximum des Zolles von 35 auf 20 Schilling für das Quart [* 8] Weizen. Obwohl den Whigs diese Ermäßigung nicht genügte und Cobdens Partei bei ihrem Verlangen nach gänzlicher Aufhebung der Getreidezölle beharrte, obwohl die Großgrundbesitzer anderseits sich gegen jedes Zugeständnis in dieser Beziehung sträubten, wurde Peels Vorschlag nach langen Debatten im April angenommen; aber, wie vorherzusehen gewesen war, die Agitation der Anticornlawleague wurde durch diesen halben Sieg nur zu größerer Energie ermutigt.
Radikaler waren die Finanzmaßregeln Peels; um dem immer mehr anschwellenden Defizit abzuhelfen, schlug er die Erhebung einer Einkommensteuer von etwa 3 Proz. zunächst auf fünf Jahre vor, welche die Einkommen unter 150 Pfd. Sterl. freilassen und also nur die wohlhabendern, bis dahin unverhältnismäßig wenig mit Steuern belasteten Kreise [* 9] der Bevölkerung treffen sollte. Zugleich kam er durch eine Reform der Zolltarife den Bestrebungen der Freihändler insofern entgegen, als er eine Anzahl wenig einträglicher, aber für den Verkehr lästiger Schutzzölle teils zu beseitigen, teils wenigstens zu ermäßigen vorschlug. Trotz energischer Opposition in beiden Häusern gelang es dem Minister, diese wahrhaft staatsmännischen Maßregeln durchzusetzen; er hat sich dadurch unvergeßliche Verdienste um Großbritannien und sein materielles Aufblühen erworben.
Für den Augenblick freilich konnten diese Gesetze der noch immer steigenden Not nicht abhelfen, und die auch jetzt noch von chartistischen Ideen beherrschte Arbeitermasse trat gerade im J. 1842 aufs neue mit ihren die Grundlage der ganzen Staatsordnung in Frage stellenden Forderungen wieder hervor. Die Deputierten des chartistischen »Nationalkonvents« erschienen in London, [* 10] um dem Parlament nochmals eine von O'Connor verfaßte, mit über 3 Mill. Unterschriften versehene Riesenpetition zu überreichen, welche die alten Forderungen der »Volkscharte« wiederholte, aber außerdem noch neue, völlig aberwitzige Wünsche hinzufügte und unter anderm die Einstellung der Verzinsung der Staatsschuld, also ganz einfach einen Staatsbankrott, verlangte. Am 2. Mai begab sich ein ungeheurer Zug, die Mitglieder des Nationalkonvents an der Spitze, mit der Riesenpetition nach dem Parlamentshaus, aber trotz der Befürwortung Duncombes im Unter-, Broughams im Oberhaus lehnte das Parlament es mit überwältigender Majorität auch jetzt ab, die ¶
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Vertreter der Bittsteller vor seinen Schranken zu hören. Diese Energie trug gute Früchte. Gelang es den Chartisten auch noch eine Zeitlang, durch Arbeitseinstellungen und allerorten angezettelte Tumulte die Aufregung im Land zu unterhalten, so genügte doch eine ernste und strenge Anwendung der Gesetze seitens der Regierung, welcher allerdings die ausgezeichnete Ernte [* 12] des Jahrs 1842 trefflich zu statten kam, um überall die Ruhe wiederherzustellen.
Unter diesen Umständen und infolge der Siege in Asien [* 13] war die Situation der Regierung in den Parlamentssessionen von 1843 und 1844 eine weit günstigere. Die erstere ward vornehmlich durch Beratungen über die irische Frage ausgefüllt, da es unumgänglich nötig erschien, der von O'Connell erneuten Repealbewegung entgegenzutreten. Die Regierung hielt es vorläufig für hinreichend, durch die sogen. irische Waffenbill die Einführung von Waffen und sonstigem Kriegsbedarf nach Irland zu untersagen und das Waffentragen daselbst von einer besondern Erlaubnis abhängig zu machen.
Als jedoch die Haltung der Volksversammlungen immer drohender wurde, schritt sie plötzlich mit dem Verbot einer auf 8. Okt. angesetzten Volksversammlung in der Nähe von Dublin, [* 14] die von Hunderttausenden von Menschen besucht werden sollte, ein. Zur Rechtfertigung dieser Maßregel wurde kurz darauf gegen O'Connell und die andern irischen Agitatoren wegen aufwieglerischer Reden Anklage erhoben; hatte dieselbe auch keinen unmittelbaren Erfolg, da das verurteilende Erkenntnis der Geschwornen vom Oberhaus wegen eines Formfehlers kassiert wurde, so war doch hiermit die Kraft [* 15] des irischen Agitators gebrochen, und die Repealbewegung verstummte allmählich gänzlich.
Noch ruhiger verlief die Session von 1844; ihr wichtigstes Ergebnis war die Umgestaltung des Bankwesens in England durch das berühmte Gesetz, welches als die Peelsche Bankakte bekannt ist (näheres über dieselbe s. Banken, S. 335). Auch die auswärtigen Beziehungen Großbritanniens, namentlich zu Frankreich, welches durch die auf den Südseeinseln gegen die britischen Interessen gesponnenen Ränke neuen Anlaß zu Argwohn gegeben hatte, gestalteten sich in diesem Jahr freundlicher; Ludwig Philipp erwiderte im Oktober einen ihm im vorigen Jahr zu Eu abgestatteten Besuch der Königin Viktoria.
Unter dem günstigen Eindruck dieser Vorgänge sowie des Aufschwunges, den Handel und Industrie genommen hatten, schickte sich Peel im J. 1845 zur Vervollständigung der vor drei Jahren begonnenen Steuer- und Zollreform an. In der Sitzung vom 14. Febr. legte er nach einer Darstellung der günstiger gewordenen Lage der Staatsfinanzen seine Absichten in dieser Beziehung dar, indem er sich abermals der Freihandelspartei näherte. Er beantragte also zunächst die Fortdauer der Einkommensteuer, mit deren Hilfe sich ungeachtet der bedeutenden Erleichterungen in den indirekten Steuern bereits ein Einnahmeüberschuß von 3½ Mill. Pfd. Sterl. ergeben hatte, dafür aber anderseits eine neue Ermäßigung der Zuckerzölle sowie die Aufhebung aller Ausfuhrzölle und einer großen Anzahl von Einfuhrzöllen auf Rohstoffe, namentlich der Eingangsgebühr auf rohe Baumwolle. [* 16]
Großer Beifall begrüßte diese Vorschläge schon im Parlament, ein noch lauterer aber im Land selbst, und trotz mancher Ausstellungen von seiten der Whigs wie der Tories, unter denen manche vor der Kühnheit der Peelschen Reformmaßregeln zu erschrecken begannen, erlangten alle Anträge des Ministers im Lauf der Session mit wenigen Abänderungen Gesetzeskraft. So befestigte sich Peels Stellung mehr und mehr und erhielt namentlich in den industriellen Mittelklassen eine feste Stütze, mit deren Hilfe er auch den Widerstand seines toryistischen Anhangs gegen die in demselben Jahr getroffenen Maßregeln beseitigte, durch welche er für das irische Volk eine höhere Bildung anzubahnen suchte.
Nun aber folgten im Herbst 1845 Ereignisse, welche den leitenden Minister nötigten, von der Mäßigung, mit der er bisher in der Durchführung der Tarifreform vorgegangen war, abzusehen und einen entscheidenden Schritt zu thun. Die Ernte des Jahrs war unglücklich; in Irland hatte die Kartoffelkrankheit das Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung zum großen Teil vernichtet: ein wirklicher Notstand drohte einzutreten. Der Bund gegen die Korngesetze verlangte unter diesen Umständen in täglichen, immer erregtern Volksversammlungen die Aufhebung der Getreidezölle; ihm schlossen sich die Reste der chartistischen Partei an, und auch die Führer der Whigs, Lord John Russell, Lord Morpeth, Lord Shaftesbury u. a., welche bisher einen mäßigen, aber festen Getreidezoll verteidigt hatten, erklärten sich endlich für die Forderung des Bundes.
Peel erkannte, daß die Lage eine schnelle Entscheidung verlangte; auch ihm drängte sich die Überzeugung auf, daß die Kornzölle nicht länger zu halten seien; um den Whigs zuvorzukommen, beantragte er im Kabinett, die Aufhebung der Kornzölle durch das schleunigst zu berufende Parlament aussprechen zu lassen. Allein innerhalb des Ministeriums wurde dieser Vorschlag namentlich von Lord Stanley aufs heftigste bekämpft, und da Peel glaubte, unter diesen Umständen seinen Plan nicht in befriedigender Weise ausführen zu können, reichte er seine Entlassung ein (5. Dez.). Auf seinen Rat erhielt darauf Lord John Russell den Auftrag zur Bildung eines neuen Kabinetts und nahm denselben auch an, konnte aber infolge der Uneinigkeit unter den Führern der Whigs und des Mangels einer festen Majorität im Unterhaus damit nicht zustandekommen. Darauf verstanden sich auf das Ersuchen der Königin Peel und seine Kollegen, mit Ausnahme Lord Stanleys, dessen Stelle Gladstone übernahm, zur nochmaligen Übernahme des Ministeriums. Am trat nun das Parlament zusammen, und schon 27. Jan. legte Peel seinen Plan vor. Danach sollten die Zölle auf verschiedene unentbehrliche Lebensmittel aufgehoben oder herabgesetzt, die Kornzölle nach Ablauf [* 17] von drei Jahren beseitigt werden, mittlerweile aber alle Arten von Getreide [* 18] und Mehl [* 19] aus den britischen Kolonien sowie Mais und Buchweizen ohne Rücksicht auf das Erzeugungsland frei eingehen dürfen. Dafür sollte der Grundbesitz von manchen drückenden Lasten befreit werden: namentlich sollte der Staat die Kosten der Polizei auf dem flachen Land und der Grafschaftsgefängnisse sowie der Armenhäuser tragen. Die Debatten über diese Vorschläge waren im Unterhaus sehr heftig; während derselben sagte sich ein Teil der Tories, dessen Führung bald Disraeli übernahm, von Peel offen los, doch siegte der letztere schließlich mit einer Mehrheit von 98 Stimmen, und auch bei den Lords ging die Bill insbesondere durch die Bemühungen des Herzogs von Wellington durch; sie erhielt 26. Juni Gesetzeskraft. Gerade einen Tag vorher hatten die extremen Schutzzöllner die Gelegenheit benutzt, sich an Peel zu rächen. Die Regierung hatte eine Zwangsbill eingebracht, die bestimmt war, der in Irland infolge der Hungersnot eingetretenen Unsicherheit des Lebens und ¶