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England durch Waffengewalt zu gewinnen suchte, kam Heinrich durch Vermittelung des Erzbischofs Anselm von Canterbury mit ihm dahin überein, daß Robert die Normandie als Herzog behalten und jährlich 3000 Mark von Heinrich erhalten sollte. Als aber Robert sich weder weise noch stark genug bewies, die Barone der Normandie im Zaum zu halten, erschien Heinrich 1104 daselbst, schlug den Bruder, nachdem mehrere Versuche, eine Versöhnung herbeizuführen, gescheitert waren, bei Tinchebray und hielt ihn 28 Jahre lang bis zu seinem Tod in Cardiff gefangen. So kam die Normandie wieder an die englische Krone und wurde auch gegen Ludwig VI. von Frankreich, welcher Roberts Sohn Wilhelm in deren Besitz schützen wollte, durch einen vom Papst 1119 vermittelten Vergleich behauptet.
Noch einmal, 1127, kam es zwischen Heinrich und Wilhelm, welcher inzwischen die Grafschaft Flandern geerbt hatte, zum Kampf, den aber der Tod des erstern bald beendete; seitdem blieb Heinrich in ruhigem Besitz seiner Reiche. Im Innern führte die Regierung Heinrichs I. zu einer bedeutenden Steigerung der königlichen Macht durch die Demütigung mehrerer übermächtiger Kronvasallen: insbesondere erregte gleich zu Anfang seiner Regierung der Sturz des Grafen von Shrewsbury, Robert von Belesme, die allgemeine Freude der Engländer. Mit dem Klerus stand er in freundlichen Beziehungen, ohne jemals die Hoheitsrechte des Staats den Ansprüchen der Kurie aufzuopfern.
Da Heinrichs einziger Sohn, Wilhelm, samt der Blüte [* 2] des normännisch-englischen Adels 1120 durch Schiffbruch umkam, ließ er seine Tochter Mathilde, die Witwe des deutschen Kaisers Heinrich V., zur Kronerbin erklären und vermählte sie 1129 mit dem 16jährigen Gottfried Plantagenet, Grafen von Anjou. Mathilde fand jedoch nach Heinrichs Tod einen Rival an Stephan von Blois (1135-54), dem Sohn der Adele, einer Tochter Wilhelms des Eroberers, und zwar wußte derselbe durch Bestätigung der Gesetze König Eduards, Milderung der strengen Jagdgesetze und das Versprechen, die geistlichen Pfründen, die seine Vorgänger für sich behalten, herauszugeben sowie die kanonische Wahl der Bischöfe zuzulassen, seine Anerkennung durchzusetzen.
Die Normandie nahm er von Ludwig von Frankreich zu Lehen und besiegte den Grafen Robert von Gloucester, natürlichen Sohn Heinrichs I., der sich wider ihn erhob, sowie in der Standartenschlacht den König David von Schottland, der Mathildens Rechte verteidigte. Da er jedoch bald die bei seiner Thronbesteigung gegebenen Versprechungen vergaß, brach ein allgemeiner Aufstand aus; selbst Stephans eigner Bruder, Bischof Heinrich von Winchester, der seit 1139 zugleich das wichtige Amt eines römischen Legaten bekleidete, erklärte sich gegen ihn, und im September 1139 landeten Mathilde und Robert von Gloucester in England, denen sich ein großer Teil der Barone anschloß. Der Krieg nahm einen für den König ungünstigen Verlauf, und in der Schlacht bei Lincoln mußte Stephan selbst sich ergeben und wurde zu Bristol gefangen gehalten, worauf Mathilde sich 8. April in Winchester zur Königin wählen und krönen ließ. Da sie sich aber weigerte, die Gesetze Eduards anzuerkennen, und durch ihren Übermut und ihre Herrschsucht vielfach Anstoß erregte, dauerte der Kampf fort, in welchem das Land entsetzlich litt.
Robert von Gloucester fiel in die Hände der Gegner und mußte gegen König Stephan ausgewechselt werden; auch Heinrich von Winchester trat wieder zur Partei seines Bruders über. 1147 entschloß sich Mathilde, der zwecklosen Kämpfe müde, nach Frankreich zurückzukehren, wogegen ihr Sohn Heinrich, der 1149 vom König David von Schottland zum Ritter geschlagen wurde, jetzt in den Vordergrund trat. Diesem übertrug König Ludwig VII. von Frankreich die Regierung der Normandie, womit er das von seinem Vater ererbte Anjou und 1152 nach seiner Vermählung mit der Gräfin Eleonore von Poitou und Guienne auch diese Lande vereinigte. 1153 landete Heinrich in England; aber eine entscheidende Schlacht ward vermieden, und unter Vermittelung der Großen kam es in Wallingford zu Friedensverhandlungen, welche in Westminster vervollständigt wurden.
Stephan adoptierte Heinrich als Sohn und Erben des Königreichs, wogegen dieser für Stephans Lebenszeit auf seine Rechte auf die Krone verzichtete; Stephans Sohn Wilhelm sollte alles, was sein Vater vor der Thronbesteigung besessen, und alles, was er selbst persönlich erworben hatte, behalten. Außerdem war in dem Vertrag die Bestimmung enthalten, daß die vielen seit Stephans Regierungsantritt unrechtmäßig errichteten Burgen [* 3] geschleift werden sollten. Kaum ein Jahr später, starb Stephan plötzlich in Canterbury, und dem Erbvertrag gemäß bestieg nun (die erste unbestrittene Erbfolge seit der Eroberung) Heinrich II. und mit ihm das Haus Anjou (Plantagenet, 1154 bis 1485) den Thron [* 4] Englands.
Die ersten Könige aus dem Hans Plantagenet.
Heinrich II. (1154-89) vereinigte sein väterliches Erbe und das seiner Frau sowie später das der Frau seines Sohns mit England und breitete hierdurch die Herrschaft des Königs von England über einen großen Teil von Frankreich aus. Wiederholt hatte er mit den Fürsten von Wales zu kämpfen; 1171 unternahm er einen erfolgreichen Zug nach Irland, empfing die Huldigung der geistlichen und weltlichen Großen dieses vielgeteilten Landes, ließ sich zu Dublin, [* 5] wo er bis Februar 1172 verweilte, einen Palast erbauen und legte so den ersten Grund zu der Besitznahme Irlands durch die Schwesterinsel.
Auch gegen Schottland, das sich in die innern Angelegenheiten Englands einmischte, war Heinrich II. glücklich: König Wilhelm von Schottland wurde 1174 gefangen genommen und mußte seine Freiheit mit der Anerkennung der englischen Lehnshoheit erkaufen. Unter Heinrichs Kämpfen in Frankreich ist von besonderer Wichtigkeit sein Zug gegen Toulouse, [* 6] auf das seine Gemahlin Ansprüche hatte, 1159, weil auf ihm zuerst das Schildgeld (scutagium) erhoben ward, eine Kriegssteuer, welche in der Folge beibehalten wurde und dem Feudalwesen einen ersten Stoß versetzte, insofern sie die Ablösung des persönlichen Kriegsdienstes gestattete und dem König die Möglichkeit gewährte, ein Söldnerheer zu unterhalten.
Von ganz besonderer Bedeutung aber ist Heinrichs II. Regierung für die innere und Verfassungsgeschichte Englands gewesen. Durch seinen Streit mit Thomas Becket (s. d.), Erzbischof von Canterbury, wurde der Kampf zwischen Staat und Kirche, welcher zu derselben Zeit auf dem Kontinent stattfand, auch auf den Boden von Großbritannien [* 7] verpflanzt. Durch die 16 Konstitutionen von Clarendon (1164) suchte der König die streitigen Punkte unter strenger Wahrung der staatlichen Rechte zu schlichten, machte die Exkommunikation seiner Lehnsleute von seiner Zustimmung abhängig, behielt sich die Lehnsgerichtsbarkeit auch über Erzbischöfe und Bischöfe vor, ebenso einen Einfluß auf die Wahl zu den geistlichen Stellen und schränkte den Verkehr des Klerus mit Rom [* 8] ein. Der ¶
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Erzbischof nahm diese Beschlüsse anfangs gezwungen an, erklärte sich aber später dagegen; es kam zu offenem Bruch zwischen ihm und dem König; Becket floh 1164 nach dem Festland, kehrte aber 1170 zurück und wurde von mehreren Höflingen, welche den Wunsch des Königs, von dem ränkesüchtigen Priester befreit zu werden, erfüllen wollten, in der Kathedrale zu Canterbury ermordet. Eine Folge davon und der Wunder, die man am Grab des Ermordeten geschehen ließ, waren mehrfache Aufstände.
Heinrich mußte sich entschließen, am Grab des Märtyrers 1174 Kirchenbuße zu thun und auf die Ausführung der Konstitutionen von Clarendon zu verzichten. Was ihn vornehmlich zu diesem Zurückweichen nötigte, war ein allgemeiner Aufstand, der im Zusammenhang mit den durch Becket hervorgerufenen Wirren 1173 ausgebrochen war, und dessen Führer Heinrichs gleichnamiger, 1171 zum Mitregenten erhobener Sohn, unterstützt von den Königen von Frankreich und Schottland sowie einer großen Zahl mißvergnügter Barone, geworden war. In Frankreich errang Heinrich II. persönlich eine Reihe von Siegen, [* 10] in England blieben seine Getreuen ebenso entschieden im Vorteil, und der schließliche Sieg des Königs, der wesentlich von der angelsächsischen Bevölkerung [* 11] unterstützt wurde, war ein so vollständiger, daß Heinrich in dem am abgeschlossenen Frieden großmütige Milde zeigen konnte.
Die wiederhergestellte Ruhe benutzte der König zur Durchführung einer Reihe von innern Reformen, von welchen die auf der Reichsversammlung zu Northampton (im Januar 1176) beschlossenen die wichtigsten sind. Ganz England wurde hier in sechs Gerichtsbezirke geteilt, und für jeden derselben wurden drei Richter bestellt, welche als fahrende Richter (justices itinerant) für ihren Bezirk im Namen des Königs Recht sprechen sollten. Ebenso wurde damals das Institut der Geschwornengerichte zwar nicht begründet, aber doch konsolidiert und gekräftigt, freilich in einer Gestaltung, die von der heutigen sehr verschieden ist, der aber diese doch ihren Ursprung verdankt.
Auch der erst Ende 1875 aufgehobene höchste englische Gerichtshof, die King's (Queen's) Bench, hat seinen Ursprung in den Tagen Heinrichs II., der 1178 ein ständiges Richterkollegium von fünf Männern am Hof [* 12] einsetzte, das in Zivil- und Kriminalklagen anstatt des Königs richtete. Endlich trat auch die Bildung einer andern ständigen Oberbehörde, der Schatzkammer (Exchequer), gerade zur Zeit Heinrichs II. deutlicher hervor, so daß die jahrhundertelang beibehaltenen Normen der englischen Gerichts- und Finanzverfassung zum großen Teil auf seine Regierung zurückzuführen sind.
Heinrichs letzte Jahre waren dann von neuen Sorgen und Kämpfen erfüllt, welche durch die Empörungen seiner von Frankreich unterstützten Söhne hervorgerufen wurden. 1183 erhob sich Heinrich der jüngere, gereizt durch die scharfen Verse des Troubadours Bertran de Born, starb aber schon 11. Juni d. J. Seit 1187 neigte sich der zweite Sohn des Königs, Richard, dem Aufstand zu und erhob sich nach scheinbarer Versöhnung aufs neue gegen den Vater, als ihm dieser die feierliche Anerkennung als Nachfolger verweigerte und ihn von seiner Verlobten, Alice, der Schwester des Königs Philipp August von Frankreich, trennen wollte. Philipp unterstützte den Empörer, und selbst Johann, der Lieblingssohn des Königs, wandte sich diesem zu. Heinrich, durch diese Schicksalsschläge gebrochen, mußte den schimpflichen Frieden von Azay unterzeichnen und starb kurz darauf,
Richard I., Löwenherz (1189-99), Heinrichs II. zweiter Sohn und Nachfolger, hatte von seines Vaters Herrschertugenden nur die Tapferkeit geerbt. Während seines mit Philipp August von Frankreich unternommenen Kreuzzugs gegen den ägyptischen Sultan Saladin (s. Kreuzzüge) herrschte in England die größte Anarchie. Richards Bruder Johann befehdete den von jenem eingesetzten Reichsverweser William Longchamp, Bischof von Ely, der sich durch seinen Hochmut und die Begünstigung seiner normännischen Anhänger allgemeinen Haß zugezogen hatte, verband sich mit Philipp August, der nach seiner Rückkehr aus Palästina [* 13] Richards französische Besitzungen bedrohte, und bemächtigte sich nach Aussprengung des Gerüchts, Richard sei gestorben, der Regierung.
Richard war indessen auf der Rückkehr vom Orient in der Nähe von Wien [* 14] durch Herzog Leopold von Österreich [* 15] gefangen genommen und an den deutschen Kaiser Heinrich VI. ausgeliefert worden, der ihn erst nach langen Verhandlungen gegen das hohe und mit großer Mühe von den Engländern aufgebrachte Lösegeld von 100,000 Mark Silber im Februar 1194 freigab. Er kehrte darauf über Antwerpen [* 16] nach England zurück, landete bei Sandwich, nötigte seinen Bruder zur Unterwerfung und besiegte Philipp August, der die Normandie angegriffen hatte, bei Gisors worauf ein Friede zwischen beiden zu stande kam. 1199 unternahm Richard einen Zug gegen seinen Lehnsmann, den Vicomte Guidomar von Limoges, starb aber, durch einen Pfeilschuß bei der Belagerung der Burg Chaluz verwundet, Ihm folgte sein Bruder, der Graf von Mortagne, Johann, dem sein Vater einst den Beinamen Ohne-Land gegeben hatte (1199-1216); ihn hatte Richard vor seinem Tod zum Nachfolger ernannt, obwohl der Sohn seines ältern Bruders Gottfried, Arthur von der Bretagne, nähere Ansprüche gehabt hätte.
Diese Ansprüche versuchte Arthur mit Hilfe Philipps von Frankreich geltend zu machen, fiel aber in die Hände seines Oheims und wurde wahrscheinlich auf dessen Befehl 1203 ermordet. Philipp lud darauf den König Johann, einen der unfähigsten Fürsten, die England beherrscht haben, nach Paris [* 17] vor seinen hohen Lehnshof und ließ ihn, als er nicht erschien, aller seiner französischen Lehen verlustig erklären und zum Tod verurteilen, worauf er fast alle festländischen Besitzungen Johanns eroberte.
Bald darauf wurde des Königs Lage noch gefährlicher. Als nämlich 1205 der Erzbischof Hubert von Canterbury gestorben war, kam es über die Wahl seines Nachfolgers zu einem Streit mit Papst Innocenz III.; dieser sprach, nachdem Johann die Güter des Erzstifts mit Beschlag belegt hatte, 1208 das Interdikt über ganz England aus und exkommunizierte den König. Johanns Barone, bei denen der unzuverlässige, grausame und genußsüchtige Fürst allgemein verhaßt war, drohten deshalb abzufallen, und Philipp von Frankreich rüstete 1213 ein großes Heer, um in England einzufallen und den Bannstrahl zu vollstrecken. In dieser Not faßte Johann den verzweifelten Entschluß, sich dem Papst zu unterwerfen. Er legte die Krone von England und Irland nieder, um sie als päpstliches Lehen gegen eine jährliche Abgabe von 1000 Mark Sterl. zurückzuempfangen. Dieser schmähliche Vertrag brachte ihm allerdings die päpstliche Absolution; aber der Kampf mit Frankreich, in welchem Johann sich mit dem deutschen Kaiser Otto IV. verband, dauerte fort, und in der Schlacht bei ¶