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Der Staat erhob in folgenden Perioden durchschnittlich pro Kopf (wie oben, ohne Einnahmen des Postamtes): 1821-30: 48 Schill.;
1831-40: 39 Schill.;
1841-50: 38 Schill.;
1851-60: 43 Schill.;
1861-70: 44 Schill.;
1871-1880: 40 Schill.;
1881 bis 1884: 41 Schill.
Die Quellen, aus welchen die britischen Staatseinnahmen fließen, sind von der verschiedensten Art, werden aber im wesentlichen unter Zöllen, Accise (excise), Stempelgebühren, direkten Steuern (taxes), dem Ertrag vom Post- und Telegraphendienst und den Einnahmen der Kronländereien zusammengefaßt. Die Kronländereien waren ursprünglich von großer Ausdehnung, wurden aber durch die Könige unter ihre Günstlinge verteilt oder veräußert, so daß jetzt, abgesehen von den Herzogtümern Cornwall und Lancaster, deren Einnahmen in den Säckel des Königs, bez. des Prinzen von Wales fließen, nur etwa 48,000 Hektar übrig sind, die jährlich nur 380,000 Pfd. Sterl. abwerfen.
Die von Heinrich VIII. eingezogenen Kirchengüter allein warfen schon damals 273,000 Pfd. Sterl. ab. Die Grundsteuer (Land tax), die ursprünglich von allen Lehnsleuten (tenants in capite) entrichtet werden mußte, wurde 1660 durch das Parlament Karls II. mit 151 gegen 149 Stimmen beseitigt und an deren Stelle eine Brau- und Brennsteuer und ein Zoll auf Korn eingeführt. Im J. 1692 ward dieselbe jedoch wieder eingeführt und zwar im Betrag von 20 Proz. auf die Roheinnahmen von liegendem Eigentum.
Gleichzeitig wurde die Ablösung dieser Steuer zugestanden. Sie trug damals in England und Schottland 2,037,627 Pfd. Sterl. ein und würde jetzt an 40 Mill. eintragen, wenn nicht noch immer die ursprüngliche Einschätzung Kraft hätte und fast die Hälfte der Steuer abgelöst worden wäre. So belief sich der Ertrag 1883-84 auf nur 1,044,858 Pfd. Sterl. Eine Haussteuer ist seit 1851 an Stelle der ältern Fenstersteuer getreten und wird von allen Häusern erhoben, deren jährlicher Mietswert 20 Pfd. Sterl. übersteigt.
Wohnhäuser zahlen 9 Pence, Geschäftslokale und Pachterhäuser 6 Pence auf das Pfund Sterling Miete. Eine Einkommensteuer wurde zuerst 1798 von W. Pilt eingeführt und bis 1815 als Kriegssteuer bezahlt; 1843 wurde sie von Sir R. Peel erneuert und ist seither in wechselndem Betrag beibehalten worden. Sie beträgt jetzt 8 Pence pro Pfund Sterl. (3 ⅓ Proz.) für alle Einkommen, gleichviel ob von Land, Kapital oder Erwerb. Doch sind Einkommen von unter 150 Pfd. Sterl. steuerfrei, solche von 400 Pfd. Sterl. oder weniger zahlen auf die ersten 120 Pfd. Sterl. keine Steuer.
Auch Landwirte erfreuen sich einer Ermäßigung. Eine Accise ist seit 1660 von Bier und Spirituosen und 1694-1824 auch von Salz, 1712-1861 von Papier erhoben worden. Jetzt beschränkt sich dieselbe auf: Bier 6 Schill. 3 Pence pro Faß von 36 Gallons (3 Mk. 82 Pf. pro Hektoliter) bei 1,057° Würze und Spirituosen 10 Schill. pro Gallon (2 Mk. 26 Pf. pro Liter), wird aber eventuell auch auf Tabak erhoben werden, sollte dessen Anbau, der jetzt untersagt ist, gestattet werden. Lizenzen (zum Betrieb von Gewerben etc.) müssen gelöst werden von Brauern, Brennern, Tabaksfabrikanten, Essigfabrikanten, Seifensiedern, Wirten jeder Art, Tabakshändlern, Hausierern, Wildbrethändlern, Hundebesitzern, Jägern, Wagenbesitzern, Bankiers, Versteigerern u. v. a. Eisenbahngesellschaften haben 5 (für städtische Bahnen nur 2) Proz. von allen Passagierbillets zu zahlen, für welche die Fahrt 1 Penny für die engl. Meile (5,4 Pf. pro Kilometer) übersteigt.
Die Zölle beschränken sich auf wenige Artikel, und es steht ihnen entweder eine Accise oder entsprechende Stempelgebühr gegenüber. Schutzzölle kennt man nicht. Zölle werden erhoben von Bier (4 Mk. pro Hektoliter und mehr, je nach Stärke);
Spirituosen (2 Mk. 26 Pf. pro Liter);
Kölnischem Wasser etc. (3½ Mk. pro Liter);
Wein (2 Mk. pro Liter bis zu 30°, 5 Mk. für stärkere Weine);
Tabak (roh 3½ Mk. pro Pfund, Zigarren 5½ Mk. etc.);
Thee (50 Pf. pro Pfund);
Kakao (8 Pf. pro Pfund);
Kaffee (14 Mk. pro Zentner);
Zichorien (13¼ Mk. pro Zentner);
Goldwaren (54 Mk. 80 Pf. pro 100 g);
Silberwaren (4 Mk. 80 Pf. pro 100 g);
Spielkarten (3¾ Mk. pro Dutzend Pack);
getrockneten Früchten (7 Mk. pro Zentner);
ferner von Chloroform, Kollodium, Chloral, Äther, Seife und Firnis, wenn sie Alkohol enthalten.
Die Stempelgebühren sind insgemein vielfältig, aber wirklich einträglich sind unter ihnen nur die Erbschaftssteuern, die als Probate, Legacy und Succession duties erhoben werden und nach dem Grade der Verwandtschaft 1-10 Proz. von der Hinterlassenschaft betragen. Nur wenn Eheleute sich beerben, wird keine Steuer bezahlt, während Erben von Realitäten (d. h. Fideikommissen) eine unverhältnismäßig niedere Steuer aufgelegt ist.
Die Einnahmen für das Jahr 1884/85 setzten sich wie folgt zusammen:
Einnahmen | Pfd. Sterl. | Pfd. Sterl. |
---|---|---|
Zölle: | ||
Tabak | 9376093 | |
Spirituosen | 4313837 | |
Thee | 4795843 | |
Wein | 1235200 | |
Verschiedenes | 834846 | 20557819 |
Accise: | ||
Branntweinsteuer | 13987472 | |
Biersteuer | 8554749 | |
Gewerbesteuern etc. | 3570165 | |
Etiketten für Kaffee und Zichorienmischung | 6827 | |
Eisenbahnbillets | 392397 | 26511612 |
Stempel: | ||
Erbschaftssteuer | 7720194 | |
Wechselstempel | 689950 | |
Quittungsstempel | 934381 | |
Apothekerwaren | 169968 | |
Verschiedenes | 2362692 | 11886185 |
Taxen: | ||
Grundsteuer | 1044858 | |
Häusersteuer | 1855292 | |
Einkommensteuer | 11922770 | 14822920 |
Post- und Telegraphenamt | - | 9638497 |
Kronländereien | - | 483306 |
Zinsen von Anleihen und den Suezkanalaktien | - | 1027350 |
Verschiedenes | - | 3145366 |
Zusammen: | - | 88073055 |
Direkte und indirekte Steuern, abgesehen von den Einnahmen des Post- und Telegraphenamtes, beliefen sich somit auf 72,868,000 Pfd. Sterl. (40½ Schill. pro Kopf der Bevölkerung), und dazu trugen England und Wales 58,340,000, Schottland 8,005,000 und Irland nur 6,523,000 Pfd. Sterl. bei oder bez. 43,41 und 26 Schill. auf den Kopf der Bevölkerung. Irland scheint demnach leicht besteuert, ist es aber im Verhältnis zu seinen Hilfsquellen nicht. Was indes von Irland im ganzen gilt, das gilt auch von der großen Masse der Bevölkerung Großbritanniens, und die bevorstehende Verteilung der Steuerlast wird sicherlich darauf Bedacht nehmen, die wohlhabenden
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Leute und namentlich die großen Gutsbesitzer in höherm Grad als bisher zu den Steuerleistungen heranzuziehen. Übrigens kostet die Zivilverwaltung Irlands volle 4 Mill. Pfd. Sterl., so daß also für Reichszwecke (Armee, Flotte etc.) nur 2½ Mill. übrigbleiben. Die Ausgaben betrugen in den letzten fünf Etatsjahren:
1881/82 | 1882/83 | 1883/84 | 1884/85 | 1885/86 | |
---|---|---|---|---|---|
Zinsen | 21994466 | 21955615 | 20897973 | 19742349 | } |
Annuitäten | 7192797 | 7289920 | 7938561 | 9082738 | } 23801000 |
Amortisation | 270120 | 213793 | 600173 | 508447 | - |
Verwaltungskosten | 208562 | 209766 | 214819 | 214705 | 215000 |
Staatsschuld: | 29665945 | 29679098 | 29651526 | 29548239 | 24016000 |
Zivilverwaltung | 18548476 | 18891999 | 18731582 | 19041249 | 19575000 |
Zollamt | 1000959 | 998727 | 974843 | 977516 | 977800 |
Inländisches Revenueamt | 1839796 | 1871574 | 1796906 | 1767852 | 1823100 |
Post- und Telegraphenamt | 5680542 | 6058125 | 6735600 | 7125625 | 7448260 |
Armee | 15738002 | 15133451 | 16095326 | 18600338 | 17850700 |
Flotte | 10560983 | 10259853 | 10728781 | 11427064 | 12386500 |
Kriegsunkosten | 570000 | 4395500 | 1040000 | 550000 | 11250000 |
Zusammen: | 83605503 | 87288327 | 85954564 | 89037883 | 95327360 |
Die Ausgaben für Verwaltung der Kronländereien (etwa 100,000 Pfd.) sind oben ausgeschlossen. Den Zinsen, die für die Staatsschuld gezahlt wurden, stehen mehr als 1 Mill. gegenüber, welche die Regierung für Anleihen an Lokalbehörden etc. erhält.
Unter anderm kosteten (1884-85) Rechtspflege 6,524,462 Pfd. Sterl.; Schulen, Wissenschaft und Kunst 5,164,794 Pfd. Sterl.; ausländische und koloniale Angelegenheiten 696,822 Pfd. Sterl. Die britische Staatsschuld belief sich zur Zeit der letzten Revolution (1689) nur auf 664,263 Pfd. Sterl. Kapital. Königin Anna fand bei ihrem Regierungsantritt eine Schuld von 16,4 Mill. Pfd. Sterl., die sie in zwölf Jahren um 37,7. Mill. Pfd. Sterl. vermehrte. Georg II. traf 1727 eine Schuld von 52 Mill. Pfd. Sterl. an, die bis zum Pariser Frieden (1763) bis auf 138,9 Mill. Pfd. Sterl. anwuchs. Beim Ausbruch des amerikanischen Kriegs (1774) betrug sie noch 128,6 Mill. Pfd. Sterl., hatte aber beim Friedensschluß (1784) eine Höhe von 250 Mill. Pfd. Sterl. erreicht. Nach dem Ende des französischen Kriegs (Anfang 1817) war der Stand der ganzen Schuld zu 841 Mill. Pfd. Sterl. berechnet, und sie bürdete dem Land eine jährliche Ausgabe von 32 Mill. Pfd. Sterl. auf. Seit 1792 waren z. B. über 64 Mill. Pfd.
Sterl. in Subsidien und Kriegsanleihen bewilligt, von welcher Summe bis 1853 nur 400,000 Pfd. Sterl. zurückbezahlt wurden. 1853 war die Schuld auf 771 Mill. Pfd. Sterl. gefallen, stieg aber wieder infolge des Kriegs mit Rußland und belief sich 1857 auf 836 Mill. Pfd. Sterl. 1875 betrug sie 769 Mill. Pfd. Sterl., 1879: 773 Mill. und 740,330,654 Pfd. Sterl. (nämlich: 640,181,896 fundiert, 14,033100 nichtfundiert und 86,115,658 Annuitäten zu 3 Proz., in Kapital umgerechnet). Großbritannien hätte demnach seit 1857: 95,345,600 Pfd. Sterl. abgezahlt.
Eigentlich ist die Staatsschuld noch geringer, denn verschiedene Lokalbehörden schulden dem Staat 27,398,765 Pfd. Sterl., die voraussichtlich zurückgezahlt werden. Der Staat besitzt Suezkanalaktien, die 3,976,582 Pfd. Sterl. kosteten, und hat 10,880,571 Pfd. Sterl. für die Telegraphen bezahlt. Abzüglich dieser Guthaben und eines Kassenbestandes von 4,993,207 Pfd. Sterl. belief sich die Nationalschuld auf nur 693,081,529 Pfd. Sterl. Seit 1875 sind jährlich 28,800,000 Pfd. Sterl. für Zinsenzahlung und Amortisation der Staatsschuld bestimmt, deren Abzahlung ferner durch Schaffung von Zeitrenten (terminable annuities) beschleunigt wird.
Heerwesen.
Die insulare Lage Großbritanniens und die Eigenart seiner staatlichen Entwickelung sind Ursache, daß die Organisation der englischen Streitkräfte von derjenigen aller übrigen europäischen Heere abweicht, namentlich insofern, als die Ergänzung der aktiven Armee nicht auf allgemeiner Wehrpflicht, sondern auf Werbung beruht.
Heeresverfassung. Das Landheer Englands zerfällt in 1) die reguläre Armee, 2) die Auxiliartruppen; letztere bestehen aus a) der Miliz, b) der Yeomanry, c) den Freiwilligen (volunteers). Jährlich, seit 1689, wird durch Parlamentsbeschluß, den Mutiny act (Aufruhrgesetz, s. v. w. Militärstrafgesetz), an dessen Stelle 1879 der Army act getreten, das Fortbestehen der Armee in gewisser, durch das Budget festgesetzter Stärke genehmigt. Die aktive Armee ergänzt sich durch Werbung und Übertritt von Milizrekruten.
Die Dienstzeit dauert 12 Jahre, doch kann dieselbe auch zur Hälfte im stehenden Heer, zur Hälfte in der Reserve abgeleistet werden. Für die Miliz gilt das Rekrutierungsgesetz von 1875. Nach demselben kann jeder Engländer zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr durch Ballotieren zur Miliz ausgehoben werden, doch wird seit 1832 jährlich durch den Ballot suspensions act das Ballotement aufgehoben. Die Rekrutierung erfolgt auch hier durch Werbung in der Grafschaft, zu welcher das Regiment gehört, auf höchstens 6 Jahre, welche auf weitere 6. Jahre verlängert werden können.
Die Dienstzeit darf 6 Monate und die jährliche Exerzierzeit in der Regel 21-28 Tage nicht übersteigen, doch kann letztere auf besondern Befehl des Souveräns auf 56 Tage verlängert, aber auch verkürzt und aufgehoben werden. Während der Übung ist die Miliz dem Mutiny act unterworfen. Die Milizreserve besteht aus Milizmannschaften, welche sich gegen einen Mehrgehalt von 20 Mk. jährlich verpflichten, im Kriegsfall in der regulären Armee zu dienen. Der Eintritt in ein Freiwilligenkorps befreit von der Dienstpflicht im stehenden Heer oder der Miliz; die Aufstellung der Korps erfolgt in der Grafschaft, ihre Einberufung zum Schutz der Küsten und Londons erfolgt nach Erklärung des Parlaments durch den Souverän; sie stehen dann gleichfalls unter dem Mutiny act.
Organisation. Das vereinigte Königreich ist in 13 Militärdistrikte geteilt, von denen 9 auf England, 1 auf Schottland und 3 auf Irland kommen. Diese sind wieder in 67 Infanteriesubdistrikte geteilt, von denen 50 auf England und Wales, 9 auf Schottland und 8 auf Irland kommen; zu jedem
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derselben gehören zwei Linien- und zwei Milizbataillone, die Freiwilligenkorps der betreffenden Grafschaft, die Infanterie der Armeereserve und das Brigadedepot. Sämtliche Truppenteile bilden eine administrative Infanterie-Subdistriktsbrigade, nur die Garde ist keinem Distrikt zugeteilt. Jeder Militärbezirk ist einem General, der Infanteriesubdistrikt einem Oberstleutnant unterstellt, welchem als Brigadedepot-Kommandanten die Rekrutierung (Werbung), die Ausbildung der Rekruten für die Infanterie der Linie und Miliz, der Auxiliar- und Reservetruppen sowie die Verwaltung aller Waffen und sonstigen Bestände obliegen.
Die Kavallerie ist auf 2, die Artillerie auf 12 Distrikte verteilt, welche unter eignen Kommandanten stehen. An der Spitze der Armee steht die Königin, welche 2 persönliche und 40 Adjutanten im Oberstenrang hat, an der Spitze des Kriegsamtes (War office) der Kriegsminister (Secretary of State for war), eine Zivilperson, die mit der Regierung wechselt und dem Parlament für den Zustand der Armee verantwortlich ist. Unter ihm stehen außer den Sekretären auch der Höchstkommandierende, der Kommandeur en chef, ein Berufssoldat, gleichzeitig Direktor des Militärdepartements. Er erläßt Befehle (general orders) im Namen des Souveräns. Die Generalität zählt nach dem Etat 6 Feldmarschälle, 10 Generale, 35 Generalleutnants und 95 Generalmajore, nach der »Army-List« vom Dezember 1885 in Wirklichkeit 4 Marschälle, 25 Generale, 54 Generalleutnants und 135 Generalmajore aktiv.
Truppen.
1) Infanterie. 70 Regimenter, von diesen 3 Garde- (1 à 3, 2 à 2 Bataillone),
67 Linienregimenter, von denen stehen:
58 | Bataillone im Mutterland | |
83 | " außerhalb desselben | |
Zusammen: | 141 | Bataillone. |
Zu den Regimentern gehören ferner 135 Milizbataillone, außerdem 2 Regimenter Rifles (Riflebrigade) zu je 4 regulären und 5 Milizbataillonen, insgesamt 301 Bataillone, von denen 156 reguläre, 145 Miliz. Die Garden und die Rifles (Schützen) rekrutieren aus dem Königreich, die übrigen Regimenter aus den Bezirken, deren Namen sie tragen. In der Regel befinden sich 1 oder 2 Bataillone eines Regiments außerhalb, der Rest im Mutterland. Jedes Bataillon besteht aus 8 aktiven und 2 Depotkompanien.
Der Friedensetat der Bataillone schwankt nach dem Budget für 1885 zwischen der Stärke von 600 und 850 Mann. Die Bataillone in Indien sollen 820, die in Ägypten und den Kolonien 800 Mann stark sein. Die Stärke der Milizbataillone ist je nach der Bevölkerungszahl ihres Bezirks sehr verschieden, sie haben gegenwärtig 4, 5, 6, 8, 10 oder 12 Kompanien; jedoch wird beabsichtigt, sie gleichmäßig auf 8 Kompanien zu bringen, jede Kompanie soll 100 Mann stark sein.
2) Kavallerie. Sie zählt 3 Garde- (Kürassiere), 10 Dragoner-, 13 Husaren-, 5 Lancier-, zusammen 31 Regimenter. Die Garde-, 1., 2., 4. und 5. Dragoner- (Garde-) Regimenter, die, ebenso wie die Gardeinfanterie, nur im Kriegsfall außerhalb des Mutterlandes dienen sollen, rechnen zur schweren, die übrigen Dragoner und Lanciers zur mittlern, die andern Regimenter zur leichten Kavallerie. Jedes Linienregiment besteht aus 6 Troops (Eskadrons), 384 Gemeinen, 436 Dienstpferden.
3) Artillerie, insgesamt nach altherkömmlichem Brauch »das königliche Regiment Artillerie« benannt, besteht aus 3 Brigaden (A, B, C) reitender, 6 Brigaden (1-6) Feld-, 5 Brigaden (7-11) Garnison-, 1 Brigade Küsten- und 35 Regimentern Miliz- (Garnison-) Artillerie. Die 3 reitenden Brigaden zählen 28 aktive und 3 Depot-, die 6 Feldbrigaden 80 aktive und 6 Depotbatterien; von den aktiven Batterien stehen 14 reitende und 41 Feldbatterien in Indien, die übrigen im Mutterland. Die fünf Garnisonbrigaden (Festungsartillerie) zählen 102 aktive und 5 Depotbatterien, von erstern 33 in Indien, 32 in den Kolonien, 37 im Mutterland. Die Küstenbrigade ist in 10 Divisionen formiert und in den Küstenforts stationiert. Die Milizartillerie besteht in 35 Regimentern aus im ganzen 198 Batterien.
4) Das Ingenieurkorps, direkt vom Höchstkommandierenden ressortierend, besteht nach der Reorganisation von 1885 aus 35 aktiven Kompanien;
von diesen sind 4 Topographen-, 2 Eisenbahn-, 9 Torpedo- (Submarine Mining), 6 Feld- (jede mit einem leichten Ingenieurpark), 14 Garnison- (Festungs-) Kompanien;
sie führen die Nrn. 1 bis 35;
ferner 9 Ersatz-, 3 Kadrekompanien in Indien, 1 malaiisches Torpedobataillon (4 Kompanien), 1 Küstenbataillon, 1 Telegraphenbataillon zu 2 Divisionen, von diesen eine stets kriegsbereit, 1 fahrende Pontonierkompanie, 1 Ersatz-Sappeurabteilung, 1 Feldpark mit 2 Luftschiffahrtsabteilungen, von denen 1 in Südafrika. Es bestehen 3 Regimenter Milizingenieure mit zusammen 15 Kompanien.
5) Der Train (Army Service Corps) besteht aus 11 Proviant- und 12 Transportkompanien für die Armee und dem Truppentrain, bei jedem Infanteriebataillon eine Kolonne von 12 Wagen.
6) Das Sanitätskorps besteht aus 893 Ärzten, wovon 38 Generalärzte als Distriktsärzte, die übrigen bei den Truppen und in den Lazaretten fungieren. Außerdem besteht ein Hospitalkorps von 52 Offizieren, 460 Unteroffizieren (Lazarettgehilfen) und 1817 Gemeinen als Krankenwärtern, auf die Lazarette verteilt.
7) Das Kolonialkorps und die Miliz der Kanalinseln. Ersteres besteht aus der Royal Malta Fencible-Artillerie von Malta in 6 Batterien und 2 westindischen Regimentern (Art Zuaven) von je 10 Kompanien, die aus Eingebornen gebildet sind. Die Miliz der Kanalinseln besteht aus 15 Batterien Artillerie und 6 Bataillonen zu 6 Kompanien Infanterie.
Höhere Truppenverbände (Brigaden, Divisionen etc.) bestehen in der englischen Armee nicht, die Regimenter bei der Infanterie und Brigaden der Artillerie haben nur administrative Bedeutung, Bataillon und Batterie sind die selbständigen Truppenabteilungen.
Bewaffnung: Die Infanterie führt das Henry-Martini-Gewehr, die Kavallerie den Henry-Martini-Karabiner, Säbel in Stahlscheide, die Ulanen eine Lanze, die Kürassiere Stahlküraß. Die Feldartillerie ist mit 9pfündigen (7,62 cm) und 16pfündigen (9,14 cm) Vorderladerkanonen bewaffnet. Aber schon seit Jahren befinden sich Hinterladerkanonen im Versuch, doch hat man sich (bis Anfang 1886) für ein bestimmtes System noch nicht entschieden. Uniformierung. Infanterie: scharlachrote Waffenröcke, die englischen Regimenter weiße, die schottischen gelbe, die irischen grüne, die Garden blaue Aufschläge und Kragen, die Schützen dunkelgrüne Waffenröcke mit roten, schwarzen oder hellgrünen Aufschlägen;
blaue Beinkleider, Korkhelm, mit blauem, bei den Schützen mit grünem Tuch bezogen.
Kavallerie: Kürassiere, 2 Regimenter scharlachrote, 1 blaue Waffenröcke mit blauen, bez. roten Aufschlägen;
Dragoner, 9 Regimenter rote, 1 Regiment blaue Waffenröcke mit verschiedenfarbigen Aufschlägen, Bronzehelm, 1 Regiment Bärenmützen;
Lanciers, 4 Regimenter blaue,
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1 Regiment rote Ulanka, Ulanenmütze mit Feder; Husaren blaue Attilas mit gelben Schnüren, dunkelblaue Beinkleider, Pelzmütze mit verschiedenfarbigem Kalpak. Artillerie: blaue Waffenröcke mit roten Kragen, blaue mit breiten roten Streifen, blauer Tuchhelm mit Bronzebeschlag und Kugel. Die reitende Artillerie blaue Jacketts mit gelber Verschnürung, Pelzmütze. Ingenieure: rote Waffenröcke mit blausamtenen Aufschlägen.
8) Die Yeomanrykavallerie hat eine Stellung zwischen der Miliz und den Volunteers. Sie müssen eine Anzahl jährlicher Übungen von neun Tagen, während deren sie Sold erhalten, bei ihrem Regiment des Distrikts mitmachen. Uniform und Pferd sind Eigentum des Mannes auch im Krieg. Es bestehen 39 Yeomanryregimenter, nach der Grafschaft ihrer Heimat benannt, zu 4-11, zusammen 244 Eskadrons (Troops).
9) Die Volunteers bilden eine unbesoldete Truppenmacht, die sich durch freiwillige Rekrutierung ergänzt. Jeder Freiwillige muß eine Anzahl Übungen mitmachen und erhält dann für jede Übung 30 Schilling. Die Infanterie zählt 212 Korps (Bataillone) von 6 bis 22, im Durchschnitt 8 bis 10 Kompanien. Uniform ist zum Teil die des Territorial-Infanterieregiments, 117 haben rote, 58 grüne und 37 graue Waffenröcke. Die Volunteerkavallerie bildet 11 Eskadrons, Pferde mit Sattelzeug sind Privateigentum. Die Volunteerartillerie besteht aus 59 Korps à 6 und mehr, zusammen 546 Batterien von etwa 80 Köpfen. Sie besitzt keine Feldbatterien, sondern würde bei einer Mobilmachung auf die Festungen verteilt werden. Die Ingenieure bilden 16 Korps mit zusammen 105 Kompanien.
Anstellung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere. Der seit Karl II. bestehende Gebrauch des Kaufs der Offizierstellen ist abgeschafft worden. Patente als Offiziere in der Armee erhalten die Kadetten der Militärkollegien, Leutnants der Miliz, die ein Examen bestehen; die Offiziere der Küstenartillerie, die Quartier- und Stallmeister werden aus Unteroffizieren befördert. Die Beförderung (in der Regel nach der Tour) zu höhere Chargen ist von Prüfungen abhängig.
Wird ein Major nach sieben Jahren nicht befördert, so wird er zum Oberstleutnant auf Halbsold ernannt; wird er innerhalb drei Jahren nicht wieder aktiv verwendet, so erhält er den Abschied. Ähnliche Verhältnisse gelten bei den Oberstleutnants und Obersten. Die Ernennung zum Generalmajor erfolgt in der Waffe ohne Rücksicht auf Anciennität. Ein General, der fünf Jahre lang nicht aktiv verwendet wurde, wird verabschiedet. Offiziere erhalten grundsätzlich den Abschied mit Pension, wenn sie folgendes Alter erreicht haben: Leutnants und Hauptleute 40 Jahre (200 Pfd. Sterl. Pension jährlich);
Majore 48 Jahre (250-300 Pfd. Sterl.);
Oberstleutnants 55 Jahre (365 Pfd. Sterl.);
Obersten 55 Jahre (420-450 Pfd. Sterl.);
Generalmajore 62 Jahre (700 Pfd. Sterl.);
Generalleutnants 67 Jahre (850 Pfd. Sterl.);
Generale 67 Jahre (1000 Pfd. Sterl.).
Leutnants und Hauptleute können nach zwölf Dienstjahren mit einer Gratifikation von 1200 Pfd. Sterl., nach 15 Jahren mit 1600 Pfd. Sterl., nach 18 Jahren mit 2000 Pfd. Sterl., nach 20 Jahren mit einer Jahrespension von 200 Pfd. Sterl. freiwillig zurücktreten. Ähnliche Bestimmungen bestehen für alle übrigen Chargen. Die Witwen von Offizieren, welche vollen oder halben Gehalt bezogen, sind pensionsberechtigt.
Militärschulen. a) Die Generalstabsschule (Staff college) zu Sandhurst; b) die Militärakademie zu Woolwich, erzieht die Kadetten für die Artillerie und Ingenieure; c) das Militärkolleg in Sandhurst zur Erziehung von Kadetten für Infanterie und Kavallerie; d) das Artillerieinstitut zu Woolwich für Offiziere und Unteroffiziere; e) Artillerieschießschule zu Shoeburyneß; f) Schießschule für Infanterie und Kavallerie zu Hythe (Kent); g) Medizinalschule für Militärärzte zu Netley; h) Musikschule zu Hounslow; i) Reitschule zu Woolwich; k) die Militärasyle in Chelsea und Dublin zur Erziehung von Soldatenkindern; l) Tierarzneischule zu Aldershot. Ferner bestehen in allen größern Garnisonen Schulen für jüngere Offiziere, Soldaten und deren Kinder. An Militärfabriken bestehen: das Arsenal zu Woolwich mit Geschützfabrik, Artilleriewerkstatt und Feuerwerkslaboratorium, in Enfield eine Gewehrfabrik, Pulver und Schießwollfabrik zu Waltham, eine Montierungsfabrik zu Pimlico.
Die indische Armee. Die Armee der alten Ostindischen Kompanie wurde 1858 in die königliche Armee aufgenommen, steht auf dem indischen Etat und besteht aus englischen und eingebornen Truppen, gemischt, in territorialen Verbänden unter gemeinsamem Oberkommando. Sie gliedert sich in die Bengal-, Madras- und Bombay-Armee, das Pandschab-Grenzkorps und die Truppen in Zentralindien. Jede dieser drei Armeen hat ihr Generalstabskorps. Die ganze indische Armee besteht aus 125 selbständigen Bataillonen Infanterie à 8 Kompanien, 841 Köpfe, davon 720 Gemeine, stark, 37 Regimentern à 3 Eskadrons und 7 selbständigen Eskadrons Kavallerie, 559 Köpfe, davon 477 Gemeine (Ulanen), stark, 6 Gebirgs-, 1 Fuß- und 4 Feldbatterien Artillerie, 3 Bataillonen mit zusammen 25 Kompanien Ingenieure.
Die budgetmäßige Stärke der britischen Armee für 1885/86 beträgt auf dem britischen Etat im Mutterland: 16,741 Offiziere, 490,402 Mann, 26,590 Pferde;
in den Kolonien: 1453 Offiziere, 41,023 Mann, 1463 Pferde;
indischer Etat: 2487 Offiziere, 59,110 Mann, 9746 Pferde;
in Summa: 20,681 Offiziere, 590,515 Mann, 37,799 Pferde.
Die Effektivstärke des britischen Heers pro 1885/86 ist auf 114,194 Mann festgesetzt, sie betrug 114,162 Mann mit einer Armee- und Milizreserve von 70,047 Mann. Das Freiwilligenheer zählte 208,000 Mann. Die Rekrutierung hat 1884/85: 35,560 Mann betragen.
Vgl. Scott, The British army, its origine, progress and equipment (Lond. 1867-81, 3 Bde.);
Griffiths, The English army, its history, condition and prospects (das. 1879).
Marine.
Es ist naturgemäß, daß die Marine zu allen Zeiten bis zur Gegenwart den Stolz der britischen Nation und den Eckpfeiler ihrer Machtstellung bildete. Elisabeth verfügte bei ihren Unternehmungen gegen Spanien bereits über eine Flotte von 42 größern Schiffen mit 8500 Mann Besatzung, bei der Vertreibung Jakobs II. war sie schon 173 Schiffe mit 6930 Kanonen und 43,000. Mann Besatzung stark. Im 18. Jahrh. aber stieg sie zur ersten der Welt. 1755 zählte sie 263 Schiffe, darunter 121 Linienschiffe und 81 Fregatten, mit 11,720 Kanonen und 80,200 Mann Besatzung; im J. 1800 erreichte sie ihr Maximum von 1108 Schiffen, darunter 293 Linienschiffe, 258 Fregatten, mit 29,000 Kanonen und 175,000 Mann. Mitte 1835 waren bereits 35 Dampfschiffe vorhanden, welche bis 1840 auf 71 stiegen. Im Juli 1855 hatte die Flotte
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eine Stärke von 302 Segelschiffen mit 11,473 Kanonen und 289 Dampfschiffen mit 5818 Kanonen und 69,989 Pferdekräften. Der Stand der englischen Flotte war 1885:
Schiffsgattung | fertig | im Bau | zusammen |
---|---|---|---|
Panzerschiffe | 58 | 6 | 64 |
Torpedofahrzeuge | 93 | 7 | 100 |
Kreuzer | 191 | 8 | 199 |
Avisos, Jachten, Raddampfer | 23 | - | 23 |
Transportschiffe | 14 | - | 14 |
Zusammen: | 379 | 21 | 400 |
Die Turmschiffe, unter denen Inflexible das größte von 11,880 Ton. Deplacement, haben ein Gesamtdeplacement von 188,380 T., worin ein im Bau befindliches nicht eingerechnet ist. Die Breitseit- (Kasematt-) Schiffe, unter denen die beim Bombardement von Alexandria vielgenannte Alexandra von 9490 T. das schwerste, haben ein Deplacement von 89,970 T., die Panzerfregatten 100,390 T.; werden die drei Kreuzer mit 20,650 T. dazu gerechnet, so haben die gesamten Panzerschlachtschiffe ein Deplacement von 399,390 T. Außer vorstehend aufgeführten Schiffen besitzt die englische Marine noch eine große Anzahl Stationsschiffe, Hafen- und Werftdampfer, Segelschiffe, Küstenwachtkreuzer etc. Von der Admiralität sind 300 Dampfer der Handelskette bezeichnet, die im Kriegsfall armiert und als Kreuzer eingestellt werden können.
An der Spitze der obersten Marinebehörde, des Admiralitätsamtes, steht der »Erste Lord der Admiralität«, ihm zur Seite vier Lords-Kommissare, deren zwei stets Seeleute sein müssen. Das aktive Seeoffizierkorps hatte 1884 eine Stärke von 4387 Offizieren aller Grade. Es ist Gebrauch, diejenigen Offiziere, welche nicht an Bord eingeschifft oder sonstwie dienstlich beschäftigt sind, auf Halbsold, in der Regel auf drei Jahre, zu setzen. 1884 betrug ihre Zahl 508. Die Ernennung zum Seeoffizier setzt eine fünfjährige Fahrzeit als Midshipman und das Bestehen einer Berufsprüfung voraus.
Die Mannschaft rekrutiert sich durch Werbung, in der Regel auf drei Jahre. Die Schiffsbesatzungen bestehen aus Matrosen, Marineartillerie und Seesoldaten (mariners) oder Marineinfanterie. Außerdem bestehen noch drei besondere Korps: die Küstenwache, die Werftdivisionen und die Marinepensionäre. Erstere, in Divisionen formiert, steht im Frieden im Dienste der Zollverwaltung und soll im Krieg an der Küstenverteidigung teilnehmen; sie ergänzt sich aus ausgedienten Matrosen.
Die Werftdivisionen sind Freiwilligenkorps von Handwerkern und Fabrikarbeitern; sie sind zur Zeit etwa 20,000 Mann stark. Die Marinepensionäre sind Mannschaften, die nach zehnjähriger Dienstzeit ausgeschieden sind und sich auf weitere zehn Jahre verpflichtet haben, im Kriegsfall wieder Dienst an Bord von Kriegsschiffen zu nehmen. Das aktive Marinepersonal bestand 1884 aus 35,659 Matrosen und 4804 Schiffsjungen, außerdem 9868 Mann Marineinfanterie und 2532 Mann Marineartillerie.
Auf den Schiffswerften werden 21,000 Mann beschäftigt. Man verfügt außerdem über eine Marinereserve von etwa 400 Offizieren und 18,000 Matrosen. Kriegshäfen sind: Portsmouth, Plymouth, Pembroke, Portland, Chatham (mit den Befestigungen an der Themse, dem Medway und von Sheerneß), Dover, Cork und Harwich;
die Befestigungen von Portsmouth und Plymouth gehören zu den großartigsten der Welt.
Vgl. v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen (Berl., seit 1874);
Jähns, Heeresverfassungen und Völkerleben (das. 1885);
v. Kronenfels, Das schwimmende Flottenmaterial der Seemächte (Wien 1881);
Derselbe, Die Kriegsschiffbauten 1880-82 (das. 1883);
v. Henk, Die Kriegführung zur See in ihren wichtigsten Epochen (Berl. 1884);
Brassey, The British navy (Lond. 1882-83, 5 Bde.);
Adams, England on the sea (das. 1885, 2 Bde.).
Wappen, Flagge, Orden.
Das Wappen des Vereinigten Königreichs ist ein Hauptschild mit vier Feldern, in der Mitte mit einem Herzschild belegt. Von jenen vier Feldern enthalten das obere rechts und das untere links die drei goldenen Leoparden Englands auf rotem Grund, blau bewehrt. Das obere linke Feld hat den aufgerichteten roten Löwen von Schottland auf goldenem Grund in doppelter Einfassung mit untergelegten Lilien; das untere rechte, der Schild von Irland, stellt auf blauem Grunde die goldene Davidsharfe mit silbernen Saiten dar.
Der Herzschild ist gedeckt mit der Königskrone von Hannover; rechts hat er die beiden goldenen Löwen von Braunschweig, links den blauen Löwen von Lüneburg, unten das springende weiße Roß von Sachsen im blauen Felde. Der gesamte Wappenschild wird von der königlichen Krone Großbritanniens mit einem darüberstehenden gekrönten goldenen Löwen bedeckt; denselben umgibt das große blaue Band des Hosenbandordens mit der Umschrift: »Hony soit qui mal y pense«.
Unter dem Schild liegen die beiden Zweige, welche die englische Rose, die schottische Distel und den irischen Klee vereinigen, mit der Devise der Krone: »Dieu et mon droit«. Als Schildhalter steht rechts ein goldener gekrönter Löwe, links ein silbernes Einhorn mit einer Krone um den Hals und einer daran befestigten, herunterhängenden Kette (s. Tafel »Wappen«). Der Prinz von Wales führt in seinem Wappen einen Stirnreif mit Straußfedern und der deutschen Devise: »Ich dien'« (seit der Schlacht von Crécy, wo der damalige Prinz von Wales, der sogen. schwarze Prinz, sich den königlichen Stirnschmuck des mitbesiegten Königs von Böhmen als Sieger aufs Haupt setzte).
Die Unionsflagge ist aus den Kreuzen der Heiligen Georg, Andreas und Patrick, als der Landespatrone von England, Schottland und Irland, zusammengesetzt. Die Farben sind: Rot, Blau und Weiß (s. Tafel »Flaggen«). Das britische Reich hat sieben Ritterorden, welche teils Hofehren, teils belohnende Anerkennungen der Verdienste um den Staat sind: der Orden des blauen Hosenbandes (Order of the Garter, s. Tafel »Orden«),
der nur an fremde Fürsten und die ersten Peers des Reichs ausgeteilt wird, gestiftet von Eduard III. 1347 (52 Mitglieder);
der schottische Orden von der Distel, 1540 gestiftet, von Jakob II. 1687 erneuert (20 Mitglieder);
der irische Orden des heil. Patrick, seit 1783 (25 Mitglieder);
der Bathorden, gestiftet von Heinrich IV. 1399, erneuert von Georg I. 1725 als Verdienstorden für Militär- und Zivilbeamte (1215 Mitglieder in drei Klassen, davon 868 Militärs);
der Orden des Sterns von Indien, 1861 gestiftet, um Personen, welche sich um Indien verdient gemacht haben, zu belohnen (255 Mitglieder);
der Orden von St. Michael und St. Georg, 1818 gestiftet, um Verdienste um die Kolonien zu belohnen (430 Mitglieder), und der Orden des indischen Kaiserreichs, 1878 gestiftet (173 Mitglieder).
Dazu kommen noch zwei Orden für Damen, nämlich der Viktoria- und Albertorden, 1862 gestiftet (54 Mitglieder), und der kaiserliche Orden
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der Krone von Indien, 1878 zu Ehren des Tags der Annahme des Titels einer Kaiserin von Indien gestiftet (50 Mitglieder). Unter den militärischen Ehrenzeichen nimmt das 1856 gestiftete Viktoriakreuz den vornehmsten Rang ein und ist bis 1886 an 250 Offiziere und Soldaten für »hervorragende Tapferkeit« im Feld verliehen worden. Ausführlichere Beschreibung der einzelnen Orden s. in den betreffenden Artikeln.
Umfang und Bevölkerung des britischen Reichs.
Bestandteile | QKilom. | QMeilen | Bewohner |
---|---|---|---|
a) Europa. | |||
Vereinigtes Königreich | 313726 | 5697.7 | 36325115 |
Insel Man | 588 | 10.67 | 53558 |
Kanalinseln | 196 | 3.6 | 87704 |
Helgoland | 1 | 0.02 | 2001 |
Gibraltar | 5 | 0.09 | 24680 |
Malta | 323 | 5.9 | 162182 |
Zusammen: | 314839 | 5718.0 | 36655240 |
b) Asien. | |||
Ind. Reich (mit Birma etc.) | 2759310 | 50112.0 | 201760000 |
" " (Vasallenstaaten) | 1320120 | 23974.7 | 55191742 |
Aden und Perim | 190 | 3.4 | 35165 |
Ceylon | 65690 | 1193.0 | 2761396 |
Straits Settlements | 3742 | 68.0 | 540000 |
Keelings- oder Kokosinseln | 23 | 0.4 | 400 |
Labuan (auf Borneo) | 78 | 1.4 | 6286 |
Nordborneo | 59600 | 1082.4 | 150000 |
Hongkong | 83 | 1.5 | 160400 |
Port Hamilton (Korea) | 13 | 0.2 | 2000 |
Cypern | 9282 | 168.6 | 186173 |
Kuria-Muria und Kamaran | 220 | 4.0 | - |
Zusammen: | 4218351 | 76609.0 | 260793562 |
c) Afrika¹. | |||
Afrikanische Westküste | 44833 | 814.2 | 811000 |
Kapkolonie | 626104 | 11370.7 | 1250000 |
Betschuanenland | 480000 | 8717.3 | 478000 |
Natal | 54779 | 994.8 | 424500 |
Mauritius und Nebeninseln | 2753 | 50.0 | 385800 |
Tristan da Cunha | 116 | 2.1 | 105 |
St. Helena | 123 | 2.2 | 5059 |
Ascension | 88 | 1.6 | 165 |
Neuamsterdam u. St. Paul | 72 | 1.3 | - |
Zusammen: | 1208868 | 21954.0 | 3354629 |
d) Australien. | |||
Neusüdwales | 804774 | 14615.5 | 921264 |
Victoria | 227610 | 4133.6 | 961276 |
Südaustralien | 2339775 | 42492.3 | 313322 |
Queensland | 1731337 | 31443.1 | 309913 |
Westaustralien | 2527530 | 45903.0 | 33000 |
Tasmania | 68308 | 1240.5 | 130541 |
Neuseeland (mit Chatham) | 270540 | 4913.3 | 564304 |
Neuguinea | 229100 | 4160.7 | 135000 |
Fidschi und Rotumah | 20843 | 378.5 | 128414 |
Kleinere Inseln | 750 | 13.6 | 800 |
Zusammen: | 8220567 | 149294.0 | 3497834 |
e) Amerika. | |||
Kanada | 8987945 | 163230.5 | 4542000 |
Neufundland | 110670 | 2009.9 | 197330 |
Bermudas | 50 | 0.9 | 16200 |
Bahamainseln | 13960 | 253.5 | 43521 |
Jamaica und Turks | 12018 | 218.3 | 585600 |
Leeward Islands | 1827 | 33.2 | 121000 |
Windward Islands | 2150 | 39.0 | 610000 |
Trinidad | 4544 | 82.5 | 166630 |
Honduras | 19585 | 355.7 | 27452 |
Britisch-Guayana | 221000 | 4013.6 | 257473 |
Falklandinseln | 12532 | 227.6 | 1551 |
Zusammen: | 9386281 | 170465.0 | 6568757 |
Insgesamt: | 34229806 | 424040.0 | 310870022 |
¹Ohne Muscha (Insel im Tadschurragolf), Zeila, Berbera und Sokotora an der Ostküste und das Nigergebiet an der Westküste.
Die Kolonien Großbritanniens.
Die Kolonien und auswärtigen Besitzungen stellen das britische Reich hinsichtlich der Größe und Volkszahl über alle Staaten alter und neuer Zeit (s. Karte »Kolonien«). [* ] Selbst das römische Weltreich ist mit dem Umfang und der Wichtigkeit des britischen Kolonialwesens nicht zu vergleichen. Dem System ihrer Verwaltung nach kann man die Kolonien (abgesehen von Indien) in drei Klassen einteilen. Die erste Klasse umfaßt diejenigen, welche eine dem Mutterland nachgebildete Verfassung mit verantwortlichen Ministern haben. In ihnen wird die Krone durch einen von der Zentralregierung ernannten Gouverneur vertreten. Es sind dies: Kanada, Neufundland, Kapkolonie, Neusüdwales, Neuseeland, Queensland, Südaustralien, Tasmania und Victoria.
Ihnen schließen sich diejenigen Kolonien an, welche zwar eine repräsentative Verfassung haben, in welchen aber sämtliche Beamte von der Krone ernannt werden, welcher gleichfalls ein unbeschränktes Veto zusteht. Diese sind: Malta, die Bahamainseln, Bermudas, die Leeward und Windward Islands, Guayana, Natal, Ceylon, Cypern und Westaustralien. Die übrigen Kolonien werden als Crown Colonies durch Gouverneure ohne Teilnahme der Bevölkerung verwaltet. Ausnahmen machen Nordborneo u. das Niger-Binuëgebiet, welche Handelsgesellschaften unterthan sind.
Die größern Kolonien sind in England durch Agenten vertreten. Einer Vertretung im britischen Parlament erfreuen sie sich nicht, anderseits aber steuern sie auch nicht zu den Ausgaben des Reichs bei. An Vorschlägen zur Umwandlung des britischen Reichs in einen Bundesstaat (federation) mit Bundesparlament hat es in jüngster Zeit nicht gefehlt. Die Kolonien werden vom Mutterland nicht nur nicht besteuert, sondern letzteres zahlt auch den größten Teil der für die Verteidigung nötigen Truppen (mit Ausnahme Ostindiens) und teilweise die Gehalte der Gouverneure und andrer Beamten. Die Ausgaben für die Kolonien beliefen sich 1884/85 auf 2,013,406 Pfd. Sterl. Es stehen in ihnen 93,000 Mann europäische Truppen, wovon 61,600 in Indien. Der Gesamtumfang und die Bevölkerung Großbritanniens mit Einschluß seiner sämtlichen Kolonien und auswärtigen Besitzungen sind aus der nebenstehenden Tabelle ersichtlich.
Litteratur.
Vgl. namentlich die Blaubücher, welche jährlich in großer Zahl erscheinen; Kellys »Directories«, die »Jahrbücher« und »Almanacks«; ferner Porter, The progress of the nation (3. Aufl., Lond. 1851);
Mac Culloch, Statistical account of the British empire (4. Aufl., das. 1854);
Milner, The land we live in (letzte Ausg., das. 1874);
E. Großbritannien Ravenstein, Handbuch der Geographie und Statistik des britischen Reichs (Leipz. 1863), und dessen erweiterte Bearbeitung von Elisée Reclus' »Geographie universelle« (Lond. 1882);
Ramsay, The physical geography of the British islands (5. Ausg., das. 1878);
Hughes, Geography of British history (das. 1874);
E. Hull, Contributions to the physical history of the British isles (das. 1883);
R. E. de Rance, The water supply of England and Wales (das. 1881);
J. ^[John] Beddoe, The races of Britain (das. 1885);
Bonwick, The British colonies and their resources (1886).
Von Spezialwerken kommen außer den bei den betreffenden Abschnitten bereits angegebenen in Betracht: Wiese, Deutsche Briefe über englische Erziehung (3. Aufl., Berl. 1877, 2 Tle.);
Cox, Die Staatseinrichtungen Englands (deutsch, das. 1867);
R. Gneist, Das englische Verwaltungsrecht der
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Gegenwart (3. Aufl., das. 1884, 3 Bde.);
Derselbe, Das englische Parlament (das. 1886);
Sir E. Creasy, The imperial and colonial constitutions of the Britannic empire (Lond. 1872);
Chalmers, Local government (das. 1883);
R. S. Wright und H. Hobhouse, An outline of local government and local taxation in England and Wales (das. 1884);
Blackstone, Commentaries on the laws of England (zuletzt hrsg. von Kerr, 4. Aufl., das. 1876);
Stephen, New commentaries on laws of England (9. Aufl., das. 1883, 4 Bde.);
Chitty, Collection of the statutes (3. Aufl., seit 1875, mit jährlichen Supplementen);
F. Pollock, The land laws (das. 1883);
weitere Litteratur über Verfassung, soziale Verhältnisse etc. s. unter Geschichte (S. 840).
Dann die Reisebeschreibungen von Kohl, Venedey, Scherer, Ghillany, Fontane, Rodenberg u. a.; die Reisehandbücher von Murray, Bädeker, Ravenstein (3. Aufl., in »Meyers Reisebüchern«).
Kartenwerke: Eine topographische Landeskarte (Ordnance map, in 1:63,360) ist vollendet, eine größere Karte (1:12,500) geht der Vollendung entgegen, und Kirchspielskarten (Parish maps, in 1:2500) sind in großer Anzahl erschienen;
in mittlerm Maßstab sind die Indexkarten zur Ordnance map und den County maps angelegt, außerdem Stanford, Library map of England and Wales (1:381,000); eine Generalkarte liefert Keith Johnston in seinem Handatlas in 5 Blättern;
geologische Übersichtskarte von Ramsay (1:728,600, Lond. 1878).
Geschichte Englands, bez. Großbritanniens.
Übersicht der Regenten.
I. England unter den Römern 55 v. Chr. bis 410 n. Chr.
II. England unter den Angelsachsen 450-1066.
(1017-1042 Alleinherrschaft der Dänen.)
III. Normännische Könige 1066-1154.
1066-1087 Wilhelm I., der Eroberer
1087-1100 Wilhelm II.
1100-1135 Heinrich I.
1135-1154 Stephan von Blois.
IV. Haus Anjou oder Plantagenet 1154-1485.
1154-1189 Heinrich II.
1189-1199 Richard I., Löwenherz
1199-1216 Johann ohne Land
1216-1272 Heinrich III.
1272-1307 Eduard I.
1307-1327 Eduard II.
1327-1377 Eduard III.
1377-1399 Richard II.
Haus Lancaster.
1399-1413 Heinrich IV.
1413-1422 Heinrich V.
1422-1461 Heinrich VI.
Haus York.
1461-1483 Eduard IV.
(1483) Eduard V.
1483-1485 Richard III.
V. Haus Tudor 1485-1603.
1485-1509 Heinrich VII.
1509-1547 Heinrich VIII.
1547-1553 Eduard VI.
1553-1558 Maria (die Blutige)
1558-1603 Elisabeth.
VI. Haus Stuart 1603-1714.
1603-1625 Jakob I.
1625-1649 Karl I.
1649-1660 Die Republik (Protektor Oliver Cromwell 1651-1658, Richard Cromwell 1658 bis 1659)
1660-1685 Karl II.
1685-1688 Jakob II.
1689-1702 Wilhelm III. von Oranien u. Maria
1702-1714 Anna.
VII. Haus Hannover (seit 1714).
1714-1727 Georg I.
1727-1760 Georg II.
1760-1820 Georg III.
1820-1830 Georg IV.
1830-1837 Wilhelm IV.
1837 Viktoria.
Vorgeschichte; römische und angelsächsische Zeit (bis 1066).
Es muß dahingestellt bleiben, ob, wie man vermutet hat, in vorhistorischen Zeiten Großbritannien mit dem Festland von Europa zusammengehangen hat;
so viel aber ist jedenfalls sicher, daß der Kanal, der es heute von dem Kontinent trennt, eine Völkerscheide niemals gewesen ist;
jenseit wie diesseit desselben wohnte zur Zeit, da wir zuerst von der Insel hören, derselbe Volksstamm;
Briten und Gallier waren in Sprache, Nationalität und Sitten nahe verwandt. In uraltem Handelsverkehr standen die Bewohner von Großbritannien mit den Karthagern und Phönikern, die von hier ein für die Alte Welt sehr wichtiges Metall, das Zinn, holten;
den abendländischen Völkern aber ward die erste Kunde von der Insel durch denselben Mann, dessen Reisen auch zur Entdeckung der germanischen Welt führten, durch den gelehrten Pytheas von Massalia (Marseille, um 330 v. Chr.), dessen Landsleute sich später an dem britischen Zinnhandel lebhaft beteiligten.
Die Römer kennen Albion (s. d.) als frühsten Namen für die Insel und berichten von einer Einwanderung der Belgier, welche sich an der Südküste niedergelassen hatten; diese Landstriche waren schon in früher Zeit einer reichen Kulturentwickelung teilhaftig geworden, während in den Hochlanden des Nordens und Westens noch andre britische Stämme in ursprünglicher Wildheit lebten. Bei dem innigen Zusammenhang, in dem die Inselkelten mit ihren festländischen Stammesgenossen lebten, kann es nicht befremden, daß die gallischen Kämpfe Cäsars auch auf Großbritannien ausgedehnt wurden; im Sommer 55 setzte Cäsar mit zwei Legionen nach der Küste von Kent über (am wahrscheinlichsten ist, daß seine Landung östlich von Dover bei Walmer Castle erfolgte), mußte aber, ohne bleibende Erfolge zu erzielen, zurückkehren. Im Frühling 54 wiederholte er den Zug mit fünf Legionen und 2000 Reitern, ging über die Themse, unterwarf den Stamm der Trinobanten im heutigen Essex und drängte den britischen Fürsten Cassivellaunus zurück, ohne aber eine dauernde Festsetzung auf der Insel zu bewirken.
Fast ein Jahrhundert verging, bis Kaiser Claudius 43 n. Chr. die Unternehmungen gegen Britannien wieder aufnahm; nun wurden in vieljährigem Kampf wenigstens die Ebenen bezwungen, das keltische Wesen zog sich in unzugängliche Gebirge und auf das nahe Irland zurück; insbesondere unter der klugen und staatsmännischen Verwaltung des Gnäus Julius Agricola ward die Romanisierung des größern Teils der Insel vollendet, die in sechs Provinzen: Britannia prima und secunda, Flavia Caesariensis, Maxima Caesariensis, Valentia, Vespasiana, zerfiel.
Reiche Städte erstanden hier: London, York, Lincoln u. a. O. sind römische Gründungen;
der Handel blühte, der Ackerbau ward wohl gepflegt, Britannien galt als eine Kornkammer für die nördlichen römischem Provinzen, wie Sizilien für die südlichen.
Trotz alledem und trotz der Verbreitung des Christentums auch in diesem fernsten Teil des Römerreichs war doch Britannien nie so vollständig römisch geworden wie andre Provinzen, wie namentlich das nahe und von stammverwandter Bevölkerung bewohnte Gallien. Die vornehmern der Briten nahmen römische Sprache und Sitten an, aber die eigentliche Masse des Volkes scheint von dem Einfluß der römischen Kultur weniger ergriffen worden zu sein, als anderswo der Fall war; zu einer wirklichen Verschmelzung von Siegern und Besiegten, aus der dann eine neue, nicht mehr römische, aber romanische Nationalität hervorgegangen wäre, ist es in Großbritannien, soweit wir festzustellen vermögen, nicht gekommen.
Um 410 räumten die römischen Legionen das Land, um andre Gegenden des Reichs gegen die immer gefahrvoller werdenden Angriffe der germanischen Völkerstämme zu verteidigen.
Auch Großbritannien hatte bereits seit langer Zeit deren Bekanntschaft gemacht. Schon seit dem Ende des 3. Jahrh. machten sächsische Seeräuber die Küsten Englands unsicher; um die Mitte des 5. Jahrh. nahmen diese gelegentlichen Raub- und Plünderungszüge den Charakter einer vollständigen Eroberung und Kolonisation der Insel
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durch die Angelsachsen (s. d.) an, deren sich die unter der römischen Herrschaft des Kriegs entwöhnten Briten nicht zu erwehren vermochten. Die Einzelheiten der viele Jahrzehnte währenden blutigen Kämpfe, unter welchen diese Eroberung erfolgte, entziehen sich unsrer Kenntnis vollständig; Hengist und Horsa (s. d.) sind uns nur durch die Sage, aber durch keine glaubwürdigen und zeitgenössischen Berichte bekannt. Als dies Dunkel, das über der Geschichte Großbritanniens während 150 Jahre ruht, sich zu lichten beginnt, ist die Eroberung vollendet und die Insel zwischen zwei sich feindlich gegenüberstehenden, aber lokal gesonderten Nationalitäten geteilt. Im Osten, Süden und Norden der Insel bestehen eine Anzahl germanischer Staaten; die Briten, denen zwar das Christentum, sonst aber wenig vom römischen Wesen geblieben ist, sind in den Westen zurückgedrängt, nur in den Gebirgen von Wales und in den schottischen Hochlanden haben sie sich behauptet.
Vor allem durch Einen Umstand unterscheidet sich diese Eroberung Britanniens durch die Angelsachsen von den meisten andern, welche in jenen Jahrhunderten von germanischen Völkern gemacht wurden: es kam hier zu keiner Trübung des germanischen Volkscharakters durch die Vermischung mit einer unterworfenen, aber den Siegern an Bildung überlegenen Bevölkerung, wie sie die Franken in Gallien, die Westgoten in Spanien, die Langobarden in Italien erfuhren. Was von den Eingebornen nicht in den blutigen Kämpfen zu Grunde gegangen oder aus den eroberten Gebieten verdrängt war (und diese Überreste scheinen nur gering gewesen zu sein), blieb in strenger Unterwürfigkeit als eine Bevölkerung mindern Rechts, mit welcher der siegreiche Sachse nur in oberflächliche Verbindung trat. So kam hier die germanische Art zu reinerer und reicherer Entfaltung als in allen übrigen germanischen Reichen, ja als in Deutschland selbst (s. Angelsachsen).
Von der großen Anzahl von verhältnismäßig wenig ausgedehnten Staaten, welche sich unmittelbar nach der Ansiedelung der Germanen in Großbritannien gebildet hatten, blieben nach Verlauf der nächsten zwei Jahrhundert nur etwa sieben oder acht übrig, welche die andern in sich aufgenommen hatten; diese übrigbleibenden: Mercia, Kent (Ostkent und Westkent), Essex, Wessex, Sussex, Ostangeln (Eastanglia), Northumberland, bezeichnet man gewöhnlich als die angelsächsische Heptarchie, welcher Ausdruck indes nicht so verstanden werden darf, als ob zwischen diesen sieben Staaten ein ständiges Bundesverhältnis oder ein verfassungsmäßiger staatlicher Zusammenhang bestanden hätte. In allen diesen Staaten herrschte damals das Christentum, das man aus freier Entschließung der Könige und ihrer Großen angenommen hatte, und zwar in so engem Anschluß an die römische Kirche, daß die Anerkennung der päpstlichen Macht außer in Italien selbst kaum irgendwo solchen Vorschub erhalten hat als bei den Angelsachsen.
Eine neue Periode der angelsächsischen Geschichte begann zu Anfang des 9. Jahrh., als Egbert, König von Wessex, aus dem ruhmvollen Haus des Cerdic, der sich 13 Jahre lang am Hof Karls d. Gr. aufgehalten hatte, nach seiner Rückkehr von dort die noch unabhängigen kleinen Königreiche unterwarf und mit Wessex vereinigte, so daß von nun an von einem Reich Anglia, einem Königtum aller Angelsachsen, die Rede sein konnte. Schon unter ihm, mehr aber noch unter seinen Nachfolgern wurde dies Reich von normännisch-dänischen Seeräubern angegriffen, welche immer aufs neue an den Küsten von Großbritannien landeten, tief in das Innere des Landes hinein verheerend und plündernd vordrangen und, nachdem sie um die Mitte des 9. Jahrh. festen Fuß gefaßt und mehr und mehr an Boden gewonnen hatten, dem angelsächsischen Staatswesen und dem Christentum den Untergang zu bereiten drohten. Von dieser Gefahr wurde Großbritannien durch Alfred d. Gr. (871-901) befreit, welcher die Dänen besiegte, unterwarf und, was das Wichtigste war, zum Christentum bekehrte, wodurch es ihm möglich ward, in seinem während der greuelvollen Kämpfe der letzten Jahre tief zerrütteten Staate durch eine weise Gesetzgebung und Verwaltung Recht und Ordnung wiederherzustellen.
Von Alfreds Nachfolgern war sein Urenkel Edgar (959-975) der bedeutendste und glücklichste; in einer seiner Urkunden rühmte er sich, seine Herrschaft weiter als irgend einer seiner Vorfahren, über die Inseln und Meere bis nach Norwegen hin, ja über einen großen Teil von Irland, ausgedehnt zu haben. Aber schon unter seinem zweiten Sohn, Ethelred (dem Unberatenen, 978-1016), wurden die Angriffe der Dänen auf neue gefährlich; nur vorübergehend konnte man durch schmachvolle Tributzahlungen (das Danegeld) den Frieden erkaufen, und nachdem 1016 Ethelred und wenige Monate später sein tapferer Sohn Edmund (Eisenseite) gestorben waren, wurde der Dänenfürst Knut auf einer feierlichen Versammlung der angelsächsischen und dänischen Großen zu London als König von England anerkannt; auf seinem Haupt vereinigte er außer der englischen auch die Kronen der übrigen nordisch-skandinavischen Reiche.
Indessen erhielt sich diese Verbindung nicht über den Tod Knuts (1035) hinaus; noch Knut selbst hatte Bedacht darauf genommen, England unter einem seiner Söhne wieder selbständig zu stellen. Schon sieben Jahre später (1042) erlosch mit Harthaknut das Geschlecht der dänischen Eroberer, und indem die Großen den Bruder Edmunds, Eduard den Bekenner (1042-1066), zum König von England erhoben, kehrten sie noch einmal zu dem alten einheimischen Herrscherhaus zurück.
Als dann auch Eduard kinderlos gestorben war, wählten die Großen Harald, den Sohn Godwins, einen der Mächtigsten aus ihrer Mitte, zum König; allein Wilhelm, Herzog von der Normandie, ein entfernter Verwandter der Cerdikiden, dem aller Wahrscheinlichkeit nach Eduard eine Anwartschaft auf die Nachfolge zugesichert hatte, erhob jetzt Ansprüche auf die Krone, landete, vom Papst Alexander II. begünstigt, mit einem Heer von 60,000 Mann an der Küste von Großbritannien und erfocht 14. Okt. in der Schlacht bei Senlac oder Hastings einen entscheidenden Sieg über Harald, der gleich im Beginn des Kampfes fiel. Diese Schlacht machte der angelsächsischen Herrschaft in ein Ende, und 25. Dez. wurde Wilhelm der Eroberer zu London durch den Erzbischof von York zum König von England gekrönt.
Infolge dieser Ereignisse erhielt der nacheinander von Briten, Römern, Angelsachsen und Dänen besessene Boden Englands in den Normannen wiederum neue Beherrscher. Zwar waren auch diese ursprünglich germanischen Bluts, aber die anderthalb Jahrhunderte, welche seit ihrer Festsetzung auf französischem Boden unter Herzog Rollo (912) verflossen waren, hatten zur vollständigen Romanisierung der nordischen Eroberer hingereicht. Ihre Sprache war ein Dialekt der französischen, ihre Sitten und Gewohnheiten waren erfüllt von dem frommen, kriegerisch-ritterlichen Geiste, der damals das kontinentale Europa beherrschte und in den Kreuzzügen seinen
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vollkommensten Ausdruck fand; ihre Geistlichkeit stand im engsten Anschluß an die römische Hierarchie; in ihrer Verfassung war das feudale System zu einer so vollständigen Herrschaft gelangt wie in keiner andern staatlichen Bildung der Zeit. So geschah es, daß sich lange Zeit die normännischen Sieger und die angelsächsischen Besiegten feindlich und in unvermitteltem Gegensatz gegenüberstanden, diese das Joch der Fremdherrschaft, widerwillig und immer zu Aufständen geneigt, nur trugen, weil sie mußten, jene die Zügel der Regierung um so strenger und fester anzogen, je mißtrauischer und argwöhnischer sie gegen die Unterthanen zu sein Veranlassung hatten. Es bedurfte einer jahrhundertelangen gemeinsamen Geschichte, bis allmählich die Gegensätze sich ausglichen und Angelsachsen und Normannen zu Einer Nation, der englischen, verschmolzen.
England unter Wilhelm dem Eroberer und seinen nächsten Nachkommen (1066-1154).
Die politische Geschichte der Regierung Wilhelms I. (1066-1087) bewegt sich in drei großen Kämpfen. Den ersten hatte er gegen die eingebornen Angelsachsen zu führen, welche an den verschiedensten Stellen Englands bald allein, bald mit fremder (schottischer und dänischer) Unterstützung das Banner der Empörung aufpflanzten und erst nach siebenjährigen, mit unerhörter Grausamkeit und Erbitterung geführten Kämpfen unterworfen wurden. Unmittelbar nachher, im J. 1074, brach gegen den König eine Verschwörung seiner eignen normännischen Barone aus, an deren Spitze Roger von Breteuil, Graf von Hereford, und Radulf von Guader, Graf von Norfolk, standen, die mit den vom König ihnen verliehenen Lehen nicht zufrieden waren, deren Aufstand aber schnell und mit Härte unterdrückt wurde. Im J. 1078 folgte endlich eine Empörung des Prinzen Robert, des ältesten Sohns von Wilhelm, welcher das Herzogtum der Normandie für sich beanspruchte: der Aufstand endete mit der Flucht des Sohns aus den väterlichen Reichen, verwickelte aber den König in Händel mit Frankreich, wo Robert Unterstützung gefunden hatte, und endlich in einen Krieg, in welchem Wilhelm infolge eines Sturzes von seinem Roß in Rouen verstarb.
Die Zustände Englands beim Tode des Eroberers erkennt man am besten aus dem zwischen 1083 und 1086 verfaßten Domsdaybook oder Reichsgrundbuch, das eine Grundlage für die ältere Statistik Englands gewährt, wie sie kein andres Land besitzt, und aus dem wir von den damaligen Verhältnissen des Grund und Bodens fast eine genauere Kenntnis erlangen, als wir sie von den heutigen besitzen. Die daraus entwickelte, noch heute der Theorie nach geltende Grundmaxime des englischen Rechts ist, daß der König alleiniger Eigentümer des ganzen eroberten England ist, und daß niemand in seinem Reich Land besitzen kann, das er nicht mittelbar oder unmittelbar durch seine Verleihung erlangt hat.
Der König selbst besaß ein Reservat von ursprünglich mehr als 1000 manors, welche neben einer großen Anzahl von Jagden, Parken und Forsten die königliche Domäne bildeten. Ungefähr 600 Personen und Körperschaften erscheinen als weltliche und geistliche Kronvasallen (chief-tenants, tenentes in capite), welche unmittelbar vom König belehnt und mit größern Güterkomplexen, aber in sehr verschiedenem Maß, ausgestattet waren. Außerdem werden 7871 Afterlehnsleute, 10,097 Freisassen und 23,072 Sochemannen, d. h. Freie mindern Rechts, erwähnt.
Die unfreie, in verschiedenen Abstufungen der Abhängigkeit stehende Bauernschaft und das ländliche Gesinde werden zu etwa 200,000, die Zahl der Knechte auf 25,000 anzunehmen sein, so daß die gesamte ländliche Bevölkerung etwa 270,000 Haushaltungen gezählt haben wird. Nur in der ersten Klasse, der der Kronvasallen, sind fast ausschließlich Normannen zu finden; alle übrigen setzen sich aus ihnen und Angelsachsen zusammen. Die Bevölkerung vieler größerer Städte, wie London und Winchester, die übrigens durch die Eroberung sehr gelitten hatten, ist im Domsdaybook nicht angegeben, das nur 7968 Bürger aufzählt; bringt man sie mit in Anschlag, so wird man die Zahl der Haushaltungen auf etwa 300,000, die Gesamtbevölkerung Englands aber höchstens auf 2 Mill. Seelen schätzen können.
Die alte Einteilung des Landes in Grafschaften ward beibehalten; an der Spitze einer jeden stand ein Vizecomes oder Sheriff als oberster Beamter in militärischen, finanziellen, administrativen und Justizsachen, der vom König ernannt ward und absetzbar war. Wiederholt im Jahr versammelte der König seine Großen und Vasallen, geistliche wie weltliche, zu Hoftagen, auf denen wohl auch finanzielle Geschäfte erledigt, Recht gesprochen und über wichtige Angelegenheiten in Krieg und Frieden Rat gepflogen wurde. Aber man ist nicht berechtigt, in diesen Versammlungen eine Fortsetzung der angelsächsischen Reichstage oder Witenagemote zu suchen; das normännische Königtum ist ursprünglich kein konstitutionelles, parlamentarisch beschränktes, sondern eine persönliche Regierung im eigentlichsten Sinn des Wortes, von der nur die Kirche vermöge ihres kanonischen Rechts eine gewisse Unabhängigkeit und Selbständigkeit bewahrte.
Auf Wilhelm den Eroberer folgte nach seinem Willen in der Normandie sein ältester Sohn, Robert, in England der zweite, Wilhelm II. (der Rote, 1087-1100), während der dritte, Heinrich, mit einer Geldsumme abgefunden wurde. Ein Aufstand der Barone in England, welche dasselbe nicht von der Normandie getrennt sehen wollten, zu gunsten Roberts wurde von dem König mit Hilfe der von ihm aufgebotenen und dadurch der Krone näher gebrachten angelsächsischen Bevölkerung bald unterdrückt.
Wilhelm bekriegte daraus den König Malcolm von Schottland, der seine Oberhoheit nicht anerkennen wollte, ließ 1093 ihn und seinen ältesten Sohn, Eduard, ermorden und gewann während der darauf in Schottland ausbrechenden Wirren Einfluß auf das Reich. Weniger glücklich waren seine Unternehmungen gegen die Walliser; dagegen erwarb er in Frankreich 1098 Le Mans, verunglückte aber auf der Jagd, vielleicht ermordet. Die Versprechungen, gut und gesetzmäßig zu regieren, die er seinen Unterthanen wiederholt gegeben hatte, hat er nicht gehalten; hart und grausam lastete seine Hand auf seinem durch Erpressung und Tyrannei schwer bedrückten Lande.
Da er keine Kinder hinterließ und Robert auf einem Kreuzzug begriffen war, so bestieg sein jüngster Bruder, Heinrich I. (Beauclerc, »der schöne Scholar«, oder Clericus genannt, 1100-35), den Thron. Um sich denselben durch die Volksgunst zu sichern, bestätigte er in der sogen. Charta libertatum, einer Art von Wahlkapitulation, die alte angelsächsische Verfassung oder, wie man damals sagte, die Gesetze König Eduards mit den Zusätzen Wilhelms des Eroberers. Mit seinen angelsächsischen Unterthanen suchte Heinrich auch dadurch in ein besseres Verhältnis zu gelangen, daß er sich mit Mathilde, einer Urenkelin König Edmunds, vermählte. Als Robert von der Normandie die Krone von
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England durch Waffengewalt zu gewinnen suchte, kam Heinrich durch Vermittelung des Erzbischofs Anselm von Canterbury mit ihm dahin überein, daß Robert die Normandie als Herzog behalten und jährlich 3000 Mark von Heinrich erhalten sollte. Als aber Robert sich weder weise noch stark genug bewies, die Barone der Normandie im Zaum zu halten, erschien Heinrich 1104 daselbst, schlug den Bruder, nachdem mehrere Versuche, eine Versöhnung herbeizuführen, gescheitert waren, bei Tinchebray und hielt ihn 28 Jahre lang bis zu seinem Tod in Cardiff gefangen. So kam die Normandie wieder an die englische Krone und wurde auch gegen Ludwig VI. von Frankreich, welcher Roberts Sohn Wilhelm in deren Besitz schützen wollte, durch einen vom Papst 1119 vermittelten Vergleich behauptet.
Noch einmal, 1127, kam es zwischen Heinrich und Wilhelm, welcher inzwischen die Grafschaft Flandern geerbt hatte, zum Kampf, den aber der Tod des erstern bald beendete; seitdem blieb Heinrich in ruhigem Besitz seiner Reiche. Im Innern führte die Regierung Heinrichs I. zu einer bedeutenden Steigerung der königlichen Macht durch die Demütigung mehrerer übermächtiger Kronvasallen: insbesondere erregte gleich zu Anfang seiner Regierung der Sturz des Grafen von Shrewsbury, Robert von Belesme, die allgemeine Freude der Engländer. Mit dem Klerus stand er in freundlichen Beziehungen, ohne jemals die Hoheitsrechte des Staats den Ansprüchen der Kurie aufzuopfern.
Da Heinrichs einziger Sohn, Wilhelm, samt der Blüte des normännisch-englischen Adels 1120 durch Schiffbruch umkam, ließ er seine Tochter Mathilde, die Witwe des deutschen Kaisers Heinrich V., zur Kronerbin erklären und vermählte sie 1129 mit dem 16jährigen Gottfried Plantagenet, Grafen von Anjou. Mathilde fand jedoch nach Heinrichs Tod einen Rival an Stephan von Blois (1135-54), dem Sohn der Adele, einer Tochter Wilhelms des Eroberers, und zwar wußte derselbe durch Bestätigung der Gesetze König Eduards, Milderung der strengen Jagdgesetze und das Versprechen, die geistlichen Pfründen, die seine Vorgänger für sich behalten, herauszugeben sowie die kanonische Wahl der Bischöfe zuzulassen, seine Anerkennung durchzusetzen.
Die Normandie nahm er von Ludwig von Frankreich zu Lehen und besiegte den Grafen Robert von Gloucester, natürlichen Sohn Heinrichs I., der sich wider ihn erhob, sowie in der Standartenschlacht den König David von Schottland, der Mathildens Rechte verteidigte. Da er jedoch bald die bei seiner Thronbesteigung gegebenen Versprechungen vergaß, brach ein allgemeiner Aufstand aus; selbst Stephans eigner Bruder, Bischof Heinrich von Winchester, der seit 1139 zugleich das wichtige Amt eines römischen Legaten bekleidete, erklärte sich gegen ihn, und im September 1139 landeten Mathilde und Robert von Gloucester in England, denen sich ein großer Teil der Barone anschloß. Der Krieg nahm einen für den König ungünstigen Verlauf, und in der Schlacht bei Lincoln mußte Stephan selbst sich ergeben und wurde zu Bristol gefangen gehalten, worauf Mathilde sich 8. April in Winchester zur Königin wählen und krönen ließ. Da sie sich aber weigerte, die Gesetze Eduards anzuerkennen, und durch ihren Übermut und ihre Herrschsucht vielfach Anstoß erregte, dauerte der Kampf fort, in welchem das Land entsetzlich litt.
Robert von Gloucester fiel in die Hände der Gegner und mußte gegen König Stephan ausgewechselt werden; auch Heinrich von Winchester trat wieder zur Partei seines Bruders über. 1147 entschloß sich Mathilde, der zwecklosen Kämpfe müde, nach Frankreich zurückzukehren, wogegen ihr Sohn Heinrich, der 1149 vom König David von Schottland zum Ritter geschlagen wurde, jetzt in den Vordergrund trat. Diesem übertrug König Ludwig VII. von Frankreich die Regierung der Normandie, womit er das von seinem Vater ererbte Anjou und 1152 nach seiner Vermählung mit der Gräfin Eleonore von Poitou und Guienne auch diese Lande vereinigte. 1153 landete Heinrich in England; aber eine entscheidende Schlacht ward vermieden, und unter Vermittelung der Großen kam es in Wallingford zu Friedensverhandlungen, welche in Westminster vervollständigt wurden.
Stephan adoptierte Heinrich als Sohn und Erben des Königreichs, wogegen dieser für Stephans Lebenszeit auf seine Rechte auf die Krone verzichtete; Stephans Sohn Wilhelm sollte alles, was sein Vater vor der Thronbesteigung besessen, und alles, was er selbst persönlich erworben hatte, behalten. Außerdem war in dem Vertrag die Bestimmung enthalten, daß die vielen seit Stephans Regierungsantritt unrechtmäßig errichteten Burgen geschleift werden sollten. Kaum ein Jahr später, starb Stephan plötzlich in Canterbury, und dem Erbvertrag gemäß bestieg nun (die erste unbestrittene Erbfolge seit der Eroberung) Heinrich II. und mit ihm das Haus Anjou (Plantagenet, 1154 bis 1485) den Thron Englands.
Die ersten Könige aus dem Hans Plantagenet.
Heinrich II. (1154-89) vereinigte sein väterliches Erbe und das seiner Frau sowie später das der Frau seines Sohns mit England und breitete hierdurch die Herrschaft des Königs von England über einen großen Teil von Frankreich aus. Wiederholt hatte er mit den Fürsten von Wales zu kämpfen; 1171 unternahm er einen erfolgreichen Zug nach Irland, empfing die Huldigung der geistlichen und weltlichen Großen dieses vielgeteilten Landes, ließ sich zu Dublin, wo er bis Februar 1172 verweilte, einen Palast erbauen und legte so den ersten Grund zu der Besitznahme Irlands durch die Schwesterinsel.
Auch gegen Schottland, das sich in die innern Angelegenheiten Englands einmischte, war Heinrich II. glücklich: König Wilhelm von Schottland wurde 1174 gefangen genommen und mußte seine Freiheit mit der Anerkennung der englischen Lehnshoheit erkaufen. Unter Heinrichs Kämpfen in Frankreich ist von besonderer Wichtigkeit sein Zug gegen Toulouse, auf das seine Gemahlin Ansprüche hatte, 1159, weil auf ihm zuerst das Schildgeld (scutagium) erhoben ward, eine Kriegssteuer, welche in der Folge beibehalten wurde und dem Feudalwesen einen ersten Stoß versetzte, insofern sie die Ablösung des persönlichen Kriegsdienstes gestattete und dem König die Möglichkeit gewährte, ein Söldnerheer zu unterhalten.
Von ganz besonderer Bedeutung aber ist Heinrichs II. Regierung für die innere und Verfassungsgeschichte Englands gewesen. Durch seinen Streit mit Thomas Becket (s. d.), Erzbischof von Canterbury, wurde der Kampf zwischen Staat und Kirche, welcher zu derselben Zeit auf dem Kontinent stattfand, auch auf den Boden von Großbritannien verpflanzt. Durch die 16 Konstitutionen von Clarendon (1164) suchte der König die streitigen Punkte unter strenger Wahrung der staatlichen Rechte zu schlichten, machte die Exkommunikation seiner Lehnsleute von seiner Zustimmung abhängig, behielt sich die Lehnsgerichtsbarkeit auch über Erzbischöfe und Bischöfe vor, ebenso einen Einfluß auf die Wahl zu den geistlichen Stellen und schränkte den Verkehr des Klerus mit Rom ein. Der
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Erzbischof nahm diese Beschlüsse anfangs gezwungen an, erklärte sich aber später dagegen; es kam zu offenem Bruch zwischen ihm und dem König; Becket floh 1164 nach dem Festland, kehrte aber 1170 zurück und wurde von mehreren Höflingen, welche den Wunsch des Königs, von dem ränkesüchtigen Priester befreit zu werden, erfüllen wollten, in der Kathedrale zu Canterbury ermordet. Eine Folge davon und der Wunder, die man am Grab des Ermordeten geschehen ließ, waren mehrfache Aufstände.
Heinrich mußte sich entschließen, am Grab des Märtyrers 1174 Kirchenbuße zu thun und auf die Ausführung der Konstitutionen von Clarendon zu verzichten. Was ihn vornehmlich zu diesem Zurückweichen nötigte, war ein allgemeiner Aufstand, der im Zusammenhang mit den durch Becket hervorgerufenen Wirren 1173 ausgebrochen war, und dessen Führer Heinrichs gleichnamiger, 1171 zum Mitregenten erhobener Sohn, unterstützt von den Königen von Frankreich und Schottland sowie einer großen Zahl mißvergnügter Barone, geworden war. In Frankreich errang Heinrich II. persönlich eine Reihe von Siegen, in England blieben seine Getreuen ebenso entschieden im Vorteil, und der schließliche Sieg des Königs, der wesentlich von der angelsächsischen Bevölkerung unterstützt wurde, war ein so vollständiger, daß Heinrich in dem am abgeschlossenen Frieden großmütige Milde zeigen konnte.
Die wiederhergestellte Ruhe benutzte der König zur Durchführung einer Reihe von innern Reformen, von welchen die auf der Reichsversammlung zu Northampton (im Januar 1176) beschlossenen die wichtigsten sind. Ganz England wurde hier in sechs Gerichtsbezirke geteilt, und für jeden derselben wurden drei Richter bestellt, welche als fahrende Richter (justices itinerant) für ihren Bezirk im Namen des Königs Recht sprechen sollten. Ebenso wurde damals das Institut der Geschwornengerichte zwar nicht begründet, aber doch konsolidiert und gekräftigt, freilich in einer Gestaltung, die von der heutigen sehr verschieden ist, der aber diese doch ihren Ursprung verdankt.
Auch der erst Ende 1875 aufgehobene höchste englische Gerichtshof, die King's (Queen's) Bench, hat seinen Ursprung in den Tagen Heinrichs II., der 1178 ein ständiges Richterkollegium von fünf Männern am Hof einsetzte, das in Zivil- und Kriminalklagen anstatt des Königs richtete. Endlich trat auch die Bildung einer andern ständigen Oberbehörde, der Schatzkammer (Exchequer), gerade zur Zeit Heinrichs II. deutlicher hervor, so daß die jahrhundertelang beibehaltenen Normen der englischen Gerichts- und Finanzverfassung zum großen Teil auf seine Regierung zurückzuführen sind.
Heinrichs letzte Jahre waren dann von neuen Sorgen und Kämpfen erfüllt, welche durch die Empörungen seiner von Frankreich unterstützten Söhne hervorgerufen wurden. 1183 erhob sich Heinrich der jüngere, gereizt durch die scharfen Verse des Troubadours Bertran de Born, starb aber schon 11. Juni d. J. Seit 1187 neigte sich der zweite Sohn des Königs, Richard, dem Aufstand zu und erhob sich nach scheinbarer Versöhnung aufs neue gegen den Vater, als ihm dieser die feierliche Anerkennung als Nachfolger verweigerte und ihn von seiner Verlobten, Alice, der Schwester des Königs Philipp August von Frankreich, trennen wollte. Philipp unterstützte den Empörer, und selbst Johann, der Lieblingssohn des Königs, wandte sich diesem zu. Heinrich, durch diese Schicksalsschläge gebrochen, mußte den schimpflichen Frieden von Azay unterzeichnen und starb kurz darauf,
Richard I., Löwenherz (1189-99), Heinrichs II. zweiter Sohn und Nachfolger, hatte von seines Vaters Herrschertugenden nur die Tapferkeit geerbt. Während seines mit Philipp August von Frankreich unternommenen Kreuzzugs gegen den ägyptischen Sultan Saladin (s. Kreuzzüge) herrschte in England die größte Anarchie. Richards Bruder Johann befehdete den von jenem eingesetzten Reichsverweser William Longchamp, Bischof von Ely, der sich durch seinen Hochmut und die Begünstigung seiner normännischen Anhänger allgemeinen Haß zugezogen hatte, verband sich mit Philipp August, der nach seiner Rückkehr aus Palästina Richards französische Besitzungen bedrohte, und bemächtigte sich nach Aussprengung des Gerüchts, Richard sei gestorben, der Regierung.
Richard war indessen auf der Rückkehr vom Orient in der Nähe von Wien durch Herzog Leopold von Österreich gefangen genommen und an den deutschen Kaiser Heinrich VI. ausgeliefert worden, der ihn erst nach langen Verhandlungen gegen das hohe und mit großer Mühe von den Engländern aufgebrachte Lösegeld von 100,000 Mark Silber im Februar 1194 freigab. Er kehrte darauf über Antwerpen nach England zurück, landete bei Sandwich, nötigte seinen Bruder zur Unterwerfung und besiegte Philipp August, der die Normandie angegriffen hatte, bei Gisors worauf ein Friede zwischen beiden zu stande kam. 1199 unternahm Richard einen Zug gegen seinen Lehnsmann, den Vicomte Guidomar von Limoges, starb aber, durch einen Pfeilschuß bei der Belagerung der Burg Chaluz verwundet, Ihm folgte sein Bruder, der Graf von Mortagne, Johann, dem sein Vater einst den Beinamen Ohne-Land gegeben hatte (1199-1216); ihn hatte Richard vor seinem Tod zum Nachfolger ernannt, obwohl der Sohn seines ältern Bruders Gottfried, Arthur von der Bretagne, nähere Ansprüche gehabt hätte.
Diese Ansprüche versuchte Arthur mit Hilfe Philipps von Frankreich geltend zu machen, fiel aber in die Hände seines Oheims und wurde wahrscheinlich auf dessen Befehl 1203 ermordet. Philipp lud darauf den König Johann, einen der unfähigsten Fürsten, die England beherrscht haben, nach Paris vor seinen hohen Lehnshof und ließ ihn, als er nicht erschien, aller seiner französischen Lehen verlustig erklären und zum Tod verurteilen, worauf er fast alle festländischen Besitzungen Johanns eroberte.
Bald darauf wurde des Königs Lage noch gefährlicher. Als nämlich 1205 der Erzbischof Hubert von Canterbury gestorben war, kam es über die Wahl seines Nachfolgers zu einem Streit mit Papst Innocenz III.; dieser sprach, nachdem Johann die Güter des Erzstifts mit Beschlag belegt hatte, 1208 das Interdikt über ganz England aus und exkommunizierte den König. Johanns Barone, bei denen der unzuverlässige, grausame und genußsüchtige Fürst allgemein verhaßt war, drohten deshalb abzufallen, und Philipp von Frankreich rüstete 1213 ein großes Heer, um in England einzufallen und den Bannstrahl zu vollstrecken. In dieser Not faßte Johann den verzweifelten Entschluß, sich dem Papst zu unterwerfen. Er legte die Krone von England und Irland nieder, um sie als päpstliches Lehen gegen eine jährliche Abgabe von 1000 Mark Sterl. zurückzuempfangen. Dieser schmähliche Vertrag brachte ihm allerdings die päpstliche Absolution; aber der Kampf mit Frankreich, in welchem Johann sich mit dem deutschen Kaiser Otto IV. verband, dauerte fort, und in der Schlacht bei
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Bouvines wurde das vereinigte deutsch-englische Heer entscheidend geschlagen, worauf der König sich zu einem ungünstigen Frieden mit Philipp genötigt sah.
Begründung der englischen Verfassung.
Als Johann nach England zurückkehrte, fand er sein Land in voller Gärung; immer entschiedener verlangten die Barone und großen Kommunen die Anerkennung der alten, von Johann ihnen bisher vorenthaltenen Rechte und Freiheiten. Zuletzt kam es zu offenem Abfall der Barone, die ein großes Heer rüsteten, und mit denen sich die Bürger von London verbanden; Johann, von allen verlassen, konnte nicht an Widerstand denken und sah sich genötigt, zu Runnymede, einer Wiese an der Themse unweit Staines, die Magna Charta zu unterzeichnen, welche das ganze Mittelalter hindurch als eine Zusammenfassung der wichtigsten Gesetze Englands gegolten hat, und auf welcher zum Teil noch heute die Freiheiten dieses Landes beruhen. Vor allem sind es zwei Festsetzungen dieses Gesetzes, welche bleibende Wichtigkeit erlangt haben: die eine (Art. 39) sicherte die Freiheit der Person durch die Bestimmung, daß niemand verhaftet, zum Verlust seines Eigentums oder zur Verbannung verurteilt werden solle, wenn er nicht durch gesetzmäßigen Spruch seiner Standesgenossen verurteilt sei;
die andre (Art. 12-14) garantierte die Sicherheit des Eigentums, indem sie die Steuererhebung an die Bewilligung des großen Reichsrats knüpfte, zu welchem die großen Barone einzeln durch königliches Schreiben (writ), die kleinern insgesamt durch den Sheriff geladen werden sollten. Um die Beobachtung dieser und andrer dem Land zugestandener Rechte und Freiheiten zu sichern, ward ein Ausschuß von 25 Baronen eingesetzt, der nötigen Falls mit Waffengewalt für ihre Aufrechthaltung sorgen sollte, und dem das ganze Land den Eid der Treue zu leisten hatte.
Johann hatte zwar die treue Erfüllung seiner Versprechungen beschworen, dachte aber nur an Rache für den Schimpf, den er ertragen hatte. Er ließ daher durch eine Bulle Innocenz' III. vom den Freibrief als erzwungen für ungültig erklären, durchzog mit Soldtruppen plündernd das Land und eroberte Stadt für Stadt, ausgenommen London. In dieser Lage entschlossen sich die Barone, die seit dem Bruch der Magna Charta an eine Aussöhnung mit Johann nicht mehr dachten, französische Hilfe anzurufen, und boten dem Kronprinzen Ludwig von Frankreich, dem Sohn Philipps II., die Krone an. Ludwig erschien auch mit einem Heer und eroberte mit Alexander II. von Schottland den größten Teil von England.
Johann starb in Newark. Ihm folgte sein neunjähriger Sohn Heinrich III. (1216-72) unter der Vormundschaft des päpstlichen Kardinallegaten Guala und des Marschalls Grafen Wilhelm von Pembroke, der unter dem Titel eines »Protektors des Königs und des Landes« die Rechte seines Schützlings mit Umsicht und Kraft verteidigte. Er bestätigte die Magna Charta im Namen des Königs, jedoch mit Übergehung der Bestimmung, nach welcher keine Abgabe ohne die Einwilligung der Barone des Großen Rats erhoben werden sollte.
Allmählich begann sich der Anhang des jungen Königs zu verstärken, zumal zwischen den Baronen und ihren französischen Bundesgenossen Mißhelligkeiten ausbrachen; Pembroke erfocht bei Lincoln einen großen Sieg, und auch die französische Flotte erlitt im August bei Dover eine schwere Niederlage, worauf Ludwig im Frieden von Lambeth seine Ansprüche aufgab und Großbritannien verließ. Darauf leistete auch der König von Schottland von neuem den Lehnseid.
Nachdem der Kardinal nach Rom zurückgekehrt und Pembroke 1219 gestorben war, machten sich der Großrichter des Königs, Hubert de Burgh, und der ehrgeizige Bischof Peter von Winchester eine Zeitlang die Leitung der Regierung streitig. 1225 wurde die Magna Charta in der letzterwähnten Gestalt (also ohne Steuerbewilligungsrecht) noch einmal erneuert; 1227 wurde Heinrich III. für mündig erklärt und übernahm die Regierung selbst, stand aber nichtsdestoweniger nach wie vor unter Huberts Leitung, bis es den Intrigen des Bischofs von Winchester gelang, diesen 1232 zu stürzen. Doch schon 1234 erlag auch Peter der allgemeinen Unzufriedenheit über seine Mißregierung. Heinrichs erneuerte Ansprüche auf die Normandie und Poitou führten 1242 zu einem Krieg mit Frankreich; allein er wurde 22. Juli bei Tailleborc an der Charente geschlagen und zum Frieden von Bordeaux genötigt, worin er Ludwig IX. sein Recht auf die Länder diesseit der Garonne förmlich abtrat.
Die Bedrückung Englands durch die steigenden Anforderungen seines päpstlichen Oberlehnsherrn wurde immer unerträglicher; als »einen Brunnen, der nicht zu erschöpfen sei«, betrachtete Papst Innocenz IV. dies Land. Die allgemeine Unzufriedenheit stieg noch, als 1254 Heinrich mit dem Papst einen Vertrag schloß, durch welchen dieser des Königs Sohn Edmund mit Neapel und Sizilien belehnte, wogegen der ohnehin mit ungeheuern Schulden belastete König über 135,000 Mark Sterl. nach Rom zu zahlen versprach.
Als nun überdies Richard von Cornwall, Heinrichs Bruder, die deutsche Königskrone annahm, was England mit neuen Opfern bezahlen mußte, und als 1258 infolge einer Mißernte Hungersnot drohte, brach auf dem Parlament zu Westminster (April 1258; der Name Parlament kommt für die Reichsversammlung der Barone eben in dieser Zeit in Aufnahme) der Sturm des Widerstandes los. Das Parlament drängte den König zur Niedersetzung eines Ausschusses von 24 Baronen, von denen er 12 ernennen, das Parlament 12 erwählen sollte, und welche die Klagen des Landes untersuchen und die gesetzliche Ordnung im Reich herstellen sollten. Im Juni d. J. kam dieser Beschluß in einem zweiten Parlament zu Oxford, das die spätere Zeit das »wahnsinnige« (the mad parliament) genannt hat, zur Ausführung.
Die 24 Kommissare setzten einen Regierungsausschuß von 15 Personen nieder, in welchem die Gegner des Königs die Majorität hatten, und trafen eine Reihe von Bestimmungen, die sogen. Provisionen von Oxford, deren Ziel es war, die monarchische Regierung durch eine aristokratisch-landständische zu ersetzen. Die hohen Kronbeamten, Großrichter, Kanzler, Schatzmeister, sollten jährlich im Parlament ernannt werden; wenigstens dreimal im Jahr sollte ein Parlament stattfinden und in demselben der Regierungsausschuß mit zwölf von den Baronen gewählten Vertretern für die »ganze Gemeinde des Landes« die öffentlichen Angelegenheiten ordnen.
Einige Jahre hindurch führten nun diese landständischen Vertreter in der That die Regierung, indem der König sich widerwillig ihrer Überlegenheit beugte. Als er aber der Unterstützung des Papstes und Frankreichs sicher zu sein glaubte, versuchte Heinrich, die verlorne Gewalt wiederzugewinnen, und es kam zu offenem Kampf zwischen ihm und den Baronen, deren Führer der hochbegabte Simon von Montfort, Graf von Leicester, war. In dem Kampf bei Northampton (5.
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April 1264), worin sich besonders Prinz Eduard, Heinrichs Sohn, auszeichnete, wurden die Barone geschlagen; aber in der Schlacht bei Lewes errang Leicester einen vollständigen Sieg, und König Heinrich und sein Bruder Richard von Cornwall wurden gefangen genommen; zwei Tage darauf ergaben sich auch die beiden Prinzen Heinrich und Eduard. Während nun Leicester, in dessen Händen der König ein willenloses Werkzeug war, die Regierungsgewalt kräftig handhabte, bot die Königin Eleonore in Frankreich und den Niederlanden alles auf, um ihren Gemahl zu befreien.
Leicester mochte empfinden, daß er, um sich zu behaupten, nicht nur der Unterstützung seitens der Barone, sondern auch der Mitwirkung des ganzen Volkes bedürfe; so faßte er einen Beschluß, der für die Entwickelung des englischen Parlamentarismus von der entscheidendsten Bedeutung geworden ist und seinem Namen ein bleibendes Andenken sichert. Noch im Dezember berief er ein Parlament, zu dem nicht nur die Barone gehören, sondern auch aus jeder Grafschaft zwei Ritter, aus einer Anzahl von Städten und Flecken je zwei Bürger gewählt werden sollten.
Der an welchem dies neue Parlament zusammentrat, ist mit Recht als der Geburtstag des englischen Unterhauses bezeichnet worden. Diese Neuerung ist von bleibendem Bestand gewesen, wenn auch Leicester seinen Einfluß zu behaupten nicht vermochte. Ein Bruch zwischen ihm und seinem bisherigen Anhänger, dem Grafen Gilbert von Gloucester, bereitete ihm den Untergang: Gloucester verband sich mit dem aus der Gefangenschaft entflohenen Prinzen Eduard, der Aufstand griff reißend um sich, und Eduard erkämpfte bei Evesham wo Leicester fiel, die Freiheit seines Vaters.
Jetzt glaubte Gloucester die Rolle Leicesters spielen zu können und wendete sich besonders an die Londoner; doch rückte Eduard rasch heran, und der König berief zur Herstellung des Friedens ein Parlament, auf welchem er die Magna Charta von neuem anerkannte, während von den Provisionen von Oxford allerdings nicht mehr die Rede sein durfte. 1270 unternahm Prinz Eduard eine Kreuzfahrt; noch vor seiner Rückkehr starb Heinrich III. Sein Sohn Eduard (IV. oder, als der erste dieses Namens aus dem Haus Anjou, I., 1272-1307) setzte sich vor allem das Ziel, die ganze Insel von Großbritannien unter seinem Zepter zu vereinigen.
Wales hatte bis dahin unter dem mutigen Fürsten Llewellin trotz aller Angriffe seine Unabhängigkeit im wesentlichen behauptet; 1282 wagte dieser sich sogar aus seinen unzugänglichen Bergen in die Ebene hervor, ward aber in der Nähe von Carmarthen überwältigt (11. Dez.) und fiel im Kampf. Als dann 1283 auch sein Bruder David gefangen und hingerichtet worden, war die Unterwerfung des Landes vollendet; indem Eduard 1284 seinen eignen, auf dem Schloß Carnarvon gebornen Sohn zum Prinzen von Wales erhob, gab er den Wallisern einen »eingebornen« Fürsten und vollzog zugleich die Vereinigung des Fürstentums mit der englischen Krone. Es folgte der Versuch Eduards, auch Schottland zu unterwerfen. Zunächst ließ er sich nach Aussterben des schottischen Königshauses von Johann Baliol, dem er die Krone zuerkannte, als Oberlehnsherrn von Schottland anerkennen sah sich aber später genötigt, seine so erworbenen Rechte den Schotten gegenüber, welche gegen die englische Herrschaft in Frankreich Hilfe fanden, mit Waffengewalt geltend zu machen.
Bei Dunbar errang Eduard einen vollständigen Sieg, Baliol mußte sich ergeben und ward entsetzt; Schottland schien unterworfen, aber schon 1297 fand ein neuer Aufstand unter William Wallace statt, und das englische Heer ward bei Stirling geschlagen. Um seine ganze Kraft auf die Unterwerfung der Schotten wenden zu können, schloß Eduard darauf unter Vermittelung des Papstes mit Frankreich Frieden; aber trotzdem kam es erst 1305 zur völligen Unterwerfung der aufständischen schottischen Bergvölker mit der Gefangennahme und Hinrichtung ihres Anführers Wallace. Schon im folgenden Jahr rief Robert Bruce seine schottischen Landsleute von neuem unter die Waffen und ward zum König von Schottland gekrönt. Eduard aber starb während der Kriegsrüstung gegen ihn
Die fortwährenden Kämpfe, welche Eduard zu führen gehabt hatte, blieben nicht ohne Rückwirkung auf die Entwickelung der Verfassung. Wenn er oft genug Steuern und Abgaben ohne Zustimmung der Gemeinen ausschrieb, so ließ er doch anderseits häufig auch die Vertreter der Grafschaften und Städte zusammenkommen, um sich Abgaben bewilligen zu lassen oder in äußern und innern Angelegenheiten ihren Rat zu hören. 1297 aber mußte er sich, um den schottischen Aufstand zu bezwingen, dazu verstehen, einen Freiheitsbrief zu erlassen, worin den drei Ständen, Geistlichkeit, Adel und Gemeinen, aufs neue die Zusicherung gegeben wurde, daß keine neuen Steuern, Zölle oder Naturallieferungen ohne ihre Bewilligung erhoben werden sollten. Von Wichtigkeit war es auch, daß er die Anmaßungen des Papstes Bonifacius VIII., welcher ihm den Krieg gegen Schottland untersagte, mit Zustimmung der Stände entschieden zurückwies. Ebenso vertrat er dem Papst gegenüber die Statuten, welche er mit Einwilligung der Stände zur Einschränkung der Grundbesitzerwerbungen der Toten Hand (d. h. geistlicher Korporationen) erlassen hatte.
Sein Sohn und Nachfolger Eduard II. (1307-1327) war ein schwacher, genußsüchtiger Fürst, der seinem unwürdigen Günstling, dem Gascogner Piers de Gaveston, allzu großen Einfluß auf die Geschäfte einräumte. Wiederholt verlangten die Barone seine Entfernung, und als dieselbe verweigert ward, erschienen sie 1310 bewaffnet auf dem Parlament zu Westminster und nötigten den König, allen ihren Forderungen zuzustimmen. Ein Ausschuß von 21 Magnaten (die sogen. Ordainers) wurde niedergesetzt.
Die von diesen 1311 erlassene Akte untersagte dem König, ohne Zustimmung der Barone Krieg zu führen, das Land zu verlassen oder hohe Staatsämter zu vergeben, und bestimmte, daß jährlich mindestens einmal ein Parlament zusammentreten sollte. Der König mußte diese Ordonnanzen bestätigen; Gaveston wurde 1312 enthauptet. Auch nach außen hin hatte Eduard II. wenig Glück; Robert Bruce machte in Schottland immer weitere Fortschritte, und als Eduard gegen ihn zog, wurde er von den Schotten bei Bannockburn total geschlagen.
Infolgedessen konnten die Schotten sogar angriffsweise in England und Irland vorgehen; auch die päpstlichen Vermittelungsversuche blieben lange vergeblich, und erst 1319 kam ein zweijähriger Waffenstillstand zwischen Robert Bruce und Eduard zu stande. Bald brachen neue Kämpfe zwischen dem König, der sich den Satzungen der Ordainers nicht auf die Dauer fügen wollte, und in dessen Gunst jetzt die beiden Hugh d'Espencer (Spenser), Vater und Sohn, am höchsten standen, und den Baronen aus, deren Führer Thomas, Graf von Lancaster, war. Letzterer verhandelte mit den Schotten, wurde aber noch ehe die