mehr
Hierbei ist die Küstenwache von 4000 Mann nicht eingeschlossen. Jedenfalls gibt dies Verhältnis der Polizei- und Gerichtsbeamten in Irland Veranlassung zum Nachdenken. Im J. 1884 standen von 53,476
Polizeibeamten 14,515 in Irland und außerdem 24,000 Soldaten.
Rechtspflege.
Die Gerichts- und Rechtsverfassung Großbritanniens hat schon früh eine gewisse Ausbildung und Vollendung erhalten, daher aber auch viel Veraltetes und zahlreiche Widersprüche bis in die neueste Zeit bewahrt. Wie in andern Staaten, sind auch in England die ältesten Volksrechte schon früh untergegangen, und der Einfluß des römischen Rechts auf die neuern Rechte seit dem 11. Jahrh. ist nicht zu verkennen. Übrigens ist in Großbritannien nie ein bürgerliches oder peinliches Gesetzbuch von einigem Umfang, nie eine Landesgerichts- oder Prozeßordnung zu stande gekommen, wie solche vom 15. Jahrh. an kaum dem kleinsten deutschen Staat gefehlt haben. Die Ausbildung des Rechtssystems blieb vorzugsweise den richterlichen Entscheidungen überlassen, und nur in außerordentlichen Fällen wurden einige wichtige Punkte durch ausdrückliche Gesetze bestimmt. Am meisten ist in dieser Beziehung unter der Regierung Eduards I. (1272-1307) geschehen, welchen die Engländer deswegen ihren Justinian zu nennen pflegen. Man unterscheidet das gemeine Recht (common law), dessen Grundlage die Gesetze der Briten, Sachsen und Dänen sind, und das statutarische Recht (statute law), welches in Parlamentsgesetzen enthalten ist. Außerdem kommt in den kirchlichen und Admiralitätsgerichten das römische Zivilrecht und teilweise das kanonische Recht zur Anwendung. Weiteres s. England etc. Wie groß die Masse der britischen Gesetze ist, kann man schon daraus entnehmen, daß die von Ruffhead 1763 angefangene und bis 1786 fortgesetzte Sammlung der Parlamentsgesetze seit 1215 allein 32 starke Quartbände umfaßt; eine andre, enger gedruckte Sammlung der Gesetze von 1215 bis 1817, unternommen von Tomlies und Raithby, umfaßt 16 Quartbände und die von Pakering besorgte Ausgabe der Gesetze von 1215 bis 1817: 34 Quartbände. Um die Kriminalgesetzgebung haben sich große Verdienste erworben: Sir Samuel Romilly, Sir Robert Peel und Sir James Mackintosh, unter deren Verwaltung (1823-30) nicht weniger als 1126 alte Parlamentsakten (statute laws) ganz und 443 teilweise, als den Zeitverhältnissen widersprechend, zurückgenommen wurden. Noch kräftiger und rascher beförderte Lord Brougham als Lord-Kanzler diese Angelegenheit. Seitdem ist manches geschehen, was nicht allein an sich ein Fortschritt war, sondern auch zu weitern nützlichen Reformen anregte; viele veraltete Gesetze wurden ganz beseitigt, die Härte andrer wurde gemildert und namentlich die Todesstrafe in mehreren Fällen abgeschafft. Trotzdem ist auch jetzt noch die Rechtspflege langwierig und kostspielig. Die Gesetze sind mit örtlichen Beschränkungen für die drei Reiche verbindlich, und zwar gilt die wörtlichste Auslegung derselben. Für das Vereinigte Königreich ist das Haus der Lords der oberste Gerichtshof, denn es kommen vor dasselbe nicht nur von den Gemeinen erhobene Anklagen wegen Hochverrats und alle gegen Peers anhängig gemachten Kriminalklagen, sondern es ist gleichzeitig Appellationsgericht für Schottland und Irland. Der Lord-Kanzler führt den Vorsitz, und diejenigen Peers, die früher Oberrichter waren, funktionieren als Beisitzer. Ein Gerichtsausschuß des Geheimen Rats, in welchem gleichfalls der Lord-Kanzler und andre hohe Richter einen Sitz haben, ist Appellationsgericht für die Admiralitäts- und geistlichen Gerichte und für die Gerichtshöfe der Kolonien. Die englischen hohen Gerichtshöfe sind seit 1874 als Supreme Court of Judicature vereinigt worden (s. England, S. 641).
Finanzen.
Die Bedürfnisse der britischen Staatsverwaltung sind seit Anfang des 18. Jahrh. riesig gewachsen. Im J. 1709 betrug der Staatsaufwand 7 Mill. Pfd. Sterl., eine damals für ungeheuer gehaltene Summe, dagegen 1884-85: 89 Mill. Pfd. Sterl. oder fast 13mal mehr. Im J. 1784 waren die Staatseinnahmen bereits auf fast 12 Mill. Pfd. Sterl. gestiegen. Die Kriege mit Frankreich erheischten ungeheure Summen, so daß im J. 1815 das Budget allmählich bis auf 116,748,258 Pfd. Sterl. gestiegen war, wovon 89,748,958 Pfd. Sterl. durch Steuern, die andern 27 Mill. durch Anlehen aufgebracht wurden. Solch gewaltige Anstrengungen hat England nie wieder gemacht. Selbst der Krieg mit Rußland (1854-1856) kostete nur 77,588,000 Pfd. Sterl. Wenn neuerdings die Ausgaben rasch gestiegen sind, so kommt das teilweise wenigstens daher, daß man jetzt weit höhere Anforderungen an den Staat stellt. Das Postamt konnte sich 1837 noch mit 2,341,000 Pfd. Sterl. begnügen, jetzt erfordert es 7½ Mill.; die Ausgaben für öffentliche Erziehung sind erst in der jüngsten Zeit entstanden und betragen jetzt bereits über 5 Mill. Pfd. Sterl.; Zuschüsse zu den Gemeindeausgaben (jetzt 4 Mill. jährlich) waren in früherer Zeit ganz unbekannt. Namentlich aber sind die Gemeindesteuern gestiegen. Immerhin ist nicht in Abrede zu stellen, daß 1835 die gesamten direkten und indirekten Steuern, die für Staats- und Gemeindezwecke erhoben wurden, erst 47 Schilling auf den Kopf der Bevölkerung betrugen, dagegen 1861: 57 Schill., 1884-85 aber nur 56 Schill. Der Nationalwohlstand und damit die Fähigkeit, Steuern zu entrichten, hat aber in noch stärkerm Verhältnis zugenommen. In den folgenden Tabellen geben wir die Finanzgeschichte für 85 Jahre, seit Anfang des Jahrhunderts:
Staatseinnahmen.
Jahresdurchschnitt in Tausenden Pfund Sterling.
Jahre | Zölle | Accise | Andre Einnahmen | Insgesamt |
---|---|---|---|---|
1801-10 | 12350 | 21523 | 20501 | 54374 |
1811-20 | 14990 | 27249 | 24908 | 67147 |
1821-30 | 17457 | 25259 | 17186 | 59902 |
1831-40 | 20371 | 16338 | 14631 | 51339 |
1841-50 | 22674 | 14527 | 18586 | 55787 |
1851-60 | 23707 | 18118 | 24356 | 66181 |
1861-70 | 23654 | 20399 | 28951 | 73004 |
1871-80 | 21668 | 27109 | 31325 | 80102 |
1881-85 | 19686 | 26596 | 41411 | 87693 |
1884-85 | 20558 | 26501 | 41004 | 88063 |
Staatsausgaben.
Jahresdurchschnitt in Tausenden Pfund Sterling.
Jahre | Nationalschuld | Heer | Kriegsflotte | Verschied. Ausgab. | Insgesamt |
---|---|---|---|---|---|
1801-10 | 21554 | 22949 | 14847 | 7222 | 66572 |
1811-20 | 29164 | 28956 | 15244 | 9127 | 82491 |
1821-30 | 29686 | 9613 | 6026 | 10036 | 55361 |
1831-40 | 28953 | 8296 | 4781 | 10404 | 52434 |
1841-50 | 29147 | 9332 | 6868 | 9934 | 55281 |
1851-60 | 29036 | 15083 | 10680 | 12407 | 67206 |
1861-70 | 26375 | 16197 | 11225 | 15661 | 69458 |
1871-80 | 27553 | 17647 | 10565 | 21247 | 77012 |
1881-85 | 29630 | 18538 | 10604 | 27551 | 86323 |
1884-85 | 29518 | 19215 | 11427 | 28903 | 89093 |
mehr
Der Staat erhob in folgenden Perioden durchschnittlich pro Kopf (wie oben, ohne Einnahmen des Postamtes): 1821-30: 48 Schill.; 1831-40: 39 Schill.; 1841-50: 38 Schill.; 1851-60: 43 Schill.; 1861-70: 44 Schill.; 1871-1880: 40 Schill.; 1881 bis 1884: 41 Schill.
Die Quellen, aus welchen die britischen Staatseinnahmen fließen, sind von der verschiedensten Art, werden aber im wesentlichen unter Zöllen, Accise (excise), Stempelgebühren, direkten Steuern (taxes), dem Ertrag vom Post- und Telegraphendienst und den Einnahmen der Kronländereien zusammengefaßt. Die Kronländereien waren ursprünglich von großer Ausdehnung, wurden aber durch die Könige unter ihre Günstlinge verteilt oder veräußert, so daß jetzt, abgesehen von den Herzogtümern Cornwall und Lancaster, deren Einnahmen in den Säckel des Königs, bez. des Prinzen von Wales fließen, nur etwa 48,000 Hektar übrig sind, die jährlich nur 380,000 Pfd. Sterl. abwerfen. Die von Heinrich VIII. eingezogenen Kirchengüter allein warfen schon damals 273,000 Pfd. Sterl. ab. Die Grundsteuer (Land tax), die ursprünglich von allen Lehnsleuten (tenants in capite) entrichtet werden mußte, wurde 1660 durch das Parlament Karls II. mit 151 gegen 149 Stimmen beseitigt und an deren Stelle eine Brau- und Brennsteuer und ein Zoll auf Korn eingeführt. Im J. 1692 ward dieselbe jedoch wieder eingeführt und zwar im Betrag von 20 Proz. auf die Roheinnahmen von liegendem Eigentum. Gleichzeitig wurde die Ablösung dieser Steuer zugestanden. Sie trug damals in England und Schottland 2,037,627 Pfd. Sterl. ein und würde jetzt an 40 Mill. eintragen, wenn nicht noch immer die ursprüngliche Einschätzung Kraft hätte und fast die Hälfte der Steuer abgelöst worden wäre. So belief sich der Ertrag 1883-84 auf nur 1,044,858 Pfd. Sterl. Eine Haussteuer ist seit 1851 an Stelle der ältern Fenstersteuer getreten und wird von allen Häusern erhoben, deren jährlicher Mietswert 20 Pfd. Sterl. übersteigt. Wohnhäuser zahlen 9 Pence, Geschäftslokale und Pachterhäuser 6 Pence auf das Pfund Sterling Miete. Eine Einkommensteuer wurde zuerst 1798 von W. Pilt eingeführt und bis 1815 als Kriegssteuer bezahlt; 1843 wurde sie von Sir R. Peel erneuert und ist seither in wechselndem Betrag beibehalten worden. Sie beträgt jetzt 8 Pence pro Pfund Sterl. (3 ⅓ Proz.) für alle Einkommen, gleichviel ob von Land, Kapital oder Erwerb. Doch sind Einkommen von unter 150 Pfd. Sterl. steuerfrei, solche von 400 Pfd. Sterl. oder weniger zahlen auf die ersten 120 Pfd. Sterl. keine Steuer. Auch Landwirte erfreuen sich einer Ermäßigung. Eine Accise ist seit 1660 von Bier und Spirituosen und 1694-1824 auch von Salz, 1712-1861 von Papier erhoben worden. Jetzt beschränkt sich dieselbe auf: Bier 6 Schill. 3 Pence pro Faß von 36 Gallons (3 Mk. 82 Pf. pro Hektoliter) bei 1,057° Würze und Spirituosen 10 Schill. pro Gallon (2 Mk. 26 Pf. pro Liter), wird aber eventuell auch auf Tabak erhoben werden, sollte dessen Anbau, der jetzt untersagt ist, gestattet werden. Lizenzen (zum Betrieb von Gewerben etc.) müssen gelöst werden von Brauern, Brennern, Tabaksfabrikanten, Essigfabrikanten, Seifensiedern, Wirten jeder Art, Tabakshändlern, Hausierern, Wildbrethändlern, Hundebesitzern, Jägern, Wagenbesitzern, Bankiers, Versteigerern u. v. a. Eisenbahngesellschaften haben 5 (für städtische Bahnen nur 2) Proz. von allen Passagierbillets zu zahlen, für welche die Fahrt 1 Penny für die engl. Meile (5,4 Pf. pro Kilometer) übersteigt.
Die Zölle beschränken sich auf wenige Artikel, und es steht ihnen entweder eine Accise oder entsprechende Stempelgebühr gegenüber. Schutzzölle kennt man nicht. Zölle werden erhoben von Bier (4 Mk. pro Hektoliter und mehr, je nach Stärke); Spirituosen (2 Mk. 26 Pf. pro Liter); Kölnischem Wasser etc. (3½ Mk. pro Liter); Wein (2 Mk. pro Liter bis zu 30°, 5 Mk. für stärkere Weine); Tabak (roh 3½ Mk. pro Pfund, Zigarren 5½ Mk. etc.); Thee (50 Pf. pro Pfund); Kakao (8 Pf. pro Pfund); Kaffee (14 Mk. pro Zentner); Zichorien (13¼ Mk. pro Zentner); Goldwaren (54 Mk. 80 Pf. pro 100 g); Silberwaren (4 Mk. 80 Pf. pro 100 g); Spielkarten (3¾ Mk. pro Dutzend Pack); getrockneten Früchten (7 Mk. pro Zentner); ferner von Chloroform, Kollodium, Chloral, Äther, Seife und Firnis, wenn sie Alkohol enthalten.
Die Stempelgebühren sind insgemein vielfältig, aber wirklich einträglich sind unter ihnen nur die Erbschaftssteuern, die als Probate, Legacy und Succession duties erhoben werden und nach dem Grade der Verwandtschaft 1-10 Proz. von der Hinterlassenschaft betragen. Nur wenn Eheleute sich beerben, wird keine Steuer bezahlt, während Erben von Realitäten (d. h. Fideikommissen) eine unverhältnismäßig niedere Steuer aufgelegt ist.
Die Einnahmen für das Jahr 1884/85 setzten sich wie folgt zusammen:
Einnahmen | Pfd. Sterl. | Pfd. Sterl. |
---|---|---|
Zölle: | ||
Tabak | 9376093 | |
Spirituosen | 4313837 | |
Thee | 4795843 | |
Wein | 1235200 | |
Verschiedenes | 834846 | 20557819 |
Accise: | ||
Branntweinsteuer | 13987472 | |
Biersteuer | 8554749 | |
Gewerbesteuern etc. | 3570165 | |
Etiketten für Kaffee und Zichorienmischung | 6827 | |
Eisenbahnbillets | 392397 | 26511612 |
Stempel: | ||
Erbschaftssteuer | 7720194 | |
Wechselstempel | 689950 | |
Quittungsstempel | 934381 | |
Apothekerwaren | 169968 | |
Verschiedenes | 2362692 | 11886185 |
Taxen: | ||
Grundsteuer | 1044858 | |
Häusersteuer | 1855292 | |
Einkommensteuer | 11922770 | 14822920 |
Post- und Telegraphenamt | - | 9638497 |
Kronländereien | - | 483306 |
Zinsen von Anleihen und den Suezkanalaktien | - | 1027350 |
Verschiedenes | - | 3145366 |
Zusammen: | - | 88073055 |
Direkte und indirekte Steuern, abgesehen von den Einnahmen des Post- und Telegraphenamtes, beliefen sich somit auf 72,868,000 Pfd. Sterl. (40½ Schill. pro Kopf der Bevölkerung), und dazu trugen England und Wales 58,340,000, Schottland 8,005,000 und Irland nur 6,523,000 Pfd. Sterl. bei oder bez. 43,41 und 26 Schill. auf den Kopf der Bevölkerung. Irland scheint demnach leicht besteuert, ist es aber im Verhältnis zu seinen Hilfsquellen nicht. Was indes von Irland im ganzen gilt, das gilt auch von der großen Masse der Bevölkerung Großbritanniens, und die bevorstehende Verteilung der Steuerlast wird sicherlich darauf Bedacht nehmen, die wohlhabenden