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Jedes Mitglied stimmt durch »content« (einverstanden) oder »non content« (nicht einverstanden); sie können ihre Stimmen durch Mandatare (by proxy) abgeben. Das Quorum oder die zur gültigen Abstimmung erforderliche Anzahl von Mitgliedern beträgt 3 (im Unterhaus 40) Mitglieder. Das Unterhaus oder das Haus der Gemeinen besteht aus den Abgeordneten der Grafschaften, Städte (boroughs) und Universitäten und zählt 670 Mitglieder;
davon kommen 495 Abgeordnete (nämlich 253 der Grafschaften, 237 der Städte und 5 der Universitäten) auf England und Wales;
72 (39 für die Grafschaften, 31 für die Städte, 2 der Universitäten) auf Schottland;
103 (85 für die Grafschaften, 16 für die Städte, 2 für die Universitäten) auf Irland.
Die Wahlbezirke entsprechen jetzt annähernd der Bevölkerung, [* 2] und abgesehen von wenigen Ausnahmen schickt ein jeder derselben nur ein Mitglied ins Parlament. Das Wahlrecht ist das gleiche für die drei Königreiche wie für Stadt oder Land. Das Stimmrecht hat, wer ein eignes Haus oder Häuschen bewohnt, oder wer als Mieter 10 Pfd. Sterl. jährliche Miete zahlt. Die Abgeordneten der Universitäten werden von sämtlichen Graduierten der betreffenden Universität gewählt.
Kein Stimmrecht haben Ausländer, die Peers, des Meineides Überwiesene, Arme, die von der Gemeinde im Lauf des Jahrs Unterstützung erhalten, und viele der Regierungsbeamten. Nicht wahlfähig sind die Richter, die einen Gehalt beziehen, Geistliche der englischen, schottischen und römischen Kirche, gewisse Staatsbeamte und Verbrecher. Einmal gewählt, kann ein Mitglied nur infolge der Annahme eines Kronamtes austreten, und es bestehen für diesen Zweck die Verwalterschaften der Chiltern hundreds, Scheinämter, die nichts eintragen.
Die Zahl der Wähler im ganzen Vereinigten [* 3] Königreich war 1883: 3,152,910, 1885 aber 5,711,325 (in England 4,396,840, Schottland 572,400, Irland 741,985). Ihre Zahl würde sicher größer sein, wenn sich alle, die berechtigt sind, in die Wahllisten eintragen ließen. Die Abstimmung bei den Wahlen ist geheim. Die Mitglieder des Parlaments erhalten keine Diäten, wohl aber sind den irischen Abgeordneten von der Nationalliga, ferner einigen Vertretern des Arbeiterstandes von ihren Genossenschaften Jahresgehalte ausgesetzt. Die Wahlunkosten, die von den Kandidaten getragen werden müssen, sind noch immer bedeutend (ca. 600 Pfd. Sterl. pro Sitz); doch kommen den unbemitteltern die überall bestehenden Wahlvereine der verschiedenen Parteien zu Hilfe.
Gleich bei Eröffnung des Parlaments wird der Sprecher erwählt, welcher die Verhandlungen leitet, jedoch nicht daran teilnimmt, während die Redner (der Form nach) sich an ihn allein wenden; er bezieht einen Jahresgehalt von 5000 Pfd. Sterl. Ein Chairman leitet die Verhandlungen, wenn das Haus als Komitee beratet. Ein solches Komitee des ganzen Hauses heißt Committee of supply, wenn es sich um Ausgaben, Committee of ways and means, wenn es sich um Deckung dieser Ausgaben handelt.
Außerdem bestehen zwei ständige Ausschüsse (Standing Committees) für Handel und Verkehr und für juristische Angelegenheiten, Ausschüsse für die Begutachtung von Private bills und Select Committees für verschiedene Zwecke. Vorschläge, um den Geschäftsgang (procedure) des Hauses zu verbessern, Bewilligung oder Verwerfung der Steuer, Untersuchung streitiger Wahlen, Ausstoßung eigner Mitglieder gehören in den Geschäftsbereich des Unterhauses.
Die Mitglieder stimmen mit »Ay« und »No« (Ja und Nein). Bei der Abstimmung erfolgt erst die Verneinung, dann die Bejahung. Wird eine namentliche Abstimmung (division) verlangt, dann verlassen die Abgeordneten das Haus und werden beim Wiederhereintreten durch verschiedene Thüren gezählt. Im Sitzungssaal steht der mit dem Wappen [* 4] des Königs gezierte Stuhl des Sprechers im Vordergrund, vor ihm der Tisch mit den Akten. Die Sitze der Mitglieder, die ohne Kostüm [* 5] und oft mit bedecktem Haupte dasitzen, umgeben den Saal in mehreren Reihen übereinander.
Rechts sitzen die Anhänger der Regierung, links hat die Opposition ihren Platz. Dem Stuhl des Sprechers gegenüber ist die Loge für das Publikum, die nur etwa 200 Menschen faßt. Das Recht, die Verhandlungen durch die Presse [* 6] zu veröffentlichen, besteht gesetzlich nicht, und die Veröffentlichung kann noch heute als Eingriff in die Parlamentsprivilegien geahndet werden. Doch hat man den Berichterstattern eine Galerie eingeräumt, da die eignen Protokolle thatsächlich nur sehr unvollständig geführt werden.
Stände, politische Rechte.
Nach den politischen Rechten gibt es in staatsbürgerlicher Hinsicht drei Stände: die Krone, die Nobility (Adel) und die Commonalty. Würde und Titel eines Peers gehen aber nur auf den ältesten Sohn über, welcher bei Lebzeiten des Vaters nur dessen zweiten Titel führt. Daher heißt der älteste Sohn eines Herzogs Marquis oder Graf, der eines Marquis Graf oder Viscount, der eines Grafen Lord. Den jüngern Söhnen eines Herzogs oder Marquis gebührt der Titel Lord. Söhne eines Viscounts oder Barons führen keinen besondern Titel; es gebührt ihnen aber, wie sämtlichen Peerssöhnen, welche sich nicht eines höhern Titels erfreuen, das Prädikat »Honourable«.
Die Zahl der Mitglieder des hohen Adels kann nach Belieben des Königs vermehrt werden. Er zerfällt in fünf Klassen: Herzöge oder Dukes, deren es außer den Prinzen königlichen Geblüts 21 gibt (der älteste von 1483: Herzog von Norfolk, der jüngste von 1874: Herzog von Westminster);
die Marquis, 20 Geschlechter (das älteste von 1551: Marquis von Winchester);
Grafen oder Earls, 119 (die 2 ältesten, Shrewsbury und Derby, von 1442 und 1485);
die Viscounts, 25 (der älteste der von Hereford, von 1550);
Barone oder Lords, ursprünglich die reichsunmittelbaren Vasallen Wilhelms des Eroberers, 274 (die ältesten Lords Hastings und de Ros von 1264, Lord Mowbray von 1283 und Lord de Clifford von 1299).
Von den geistlichen Peers stehen die Erzbischöfe zwischen den königlichen Prinzen und den Herzögen, die Bischöfe zwischen den Viscounts und den Baronen. Der hohe Adel Schottlands und Irlands zählt 262 Mitglieder (die ältesten Lord Kinsale von 1181, Graf von Sutherland von 1228), von welchen 135 gleichzeitig Peers des Vereinigten Königreichs sind und als solche im Haus der Peers einen Sitz einnehmen. Von den übrigen haben 16 schottische und 28 irische »Representative Peers« gleichfalls Sitz und Stimme im Oberhaus. Die Commonalty umfaßt den Rest der Bevölkerung.
Die Mitglieder derselben genießen gleiche politische Rechte, aber selbstverständlich hängt ihr Einfluß ab von Geburt, Besitz und Bildung. Außer den Söhnen der Peers gehören zu ihr die Gentry (s. d.), die seit Jakob I. krëierten Baronets (s. d.) und sämtliche andre Klassen des Volkes. Wenn nun aber auch keine gesetzlichen Schranken zwischen den verschiedenen Volksklassen errichtet sind und nur die Peers als geborne Gesetzgeber eines Vorrechts sich erfreuen, so kann doch nicht in Abrede gestellt werden, daß Geburt und Reichtum sich streng absondern vom niedern Bürgerstand ¶
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u. selbst der Besuch von Schulen, in welchen Kinder von tradesmen (Krämern, Handwerkern etc.) ihre Erziehung erhalten, den Kindern der obern Stände verpönt ist.
Jeder in [* 8] auch von einer Ausländerin, und im Ausland von einer Engländerin Geborne ist ein Brite und genießt dessen politische und bürgerliche Rechte. Jedem Briten steht völlige Freiheit der Person, namentlich auch Sicherheit des Lebens, der Gliedmaßen, Gesundheit und des guten Namens, Schutz gegen jede willkürliche Verhaftung und Freiheitsbeschränkung zu; ferner Sicherheit des Eigentums, Freiheit der Rede und der Presse unter dem Schutz der Geschwornengerichte, Petitionsrecht und der Schutz der Gerichtshöfe und Parlamente, Unantastbarkeit seines Hauses und das Recht, zur Selbstverteidigung Waffen [* 9] zu tragen.
Was aber die britische Verfassung besonders auszeichnet, sind die Mittel, welche sie einem jeden gewährt, um die Gesetze in Anspruch zu nehmen. Es ist nämlich ein allgemeiner Satz des britischen Staatsrechts, daß keinem durch besondere Befehle verboten werden kann, was nicht durch vorhergegangene Gesetze verboten ist. Die Bürger sind also der Regierung, d. h. der ganzen Hierarchie des Beamtenstandes, nicht zu unbedingtem, sondern nur zu verfassungsmäßigem Gehorsam verpflichtet.
Die schroffe Trennung aber des Beamtenstandes vom Volk, das Zuvielregieren wird dadurch ausgeschlossen, daß die britische Regierungsverfassung eine Menge Regierungsgeschäfte der eignen Besorgung der Nation überläßt. Hierher gehören die Friedens- und die Geschwornengerichte, die Grand jury, die Munizipalverfassung und vor allem das Recht, sich zur Beratung aller gemeinschaftlichen Angelegenheiten zu versammeln und zu verbinden. Gesichert wird diese persönliche Freiheit durch die Verantwortlichkeit der Staatsbeamten und insbesondere, was die willkürliche Festnehmung anlangt, durch die Habeaskorpusakte. Den Schlußstein des Ganzen jedoch, das wahre Palladium der Herrschaft der Gesetze, bildet die Preßfreiheit.
Staatsverwaltung.
Die Exekutivgewalt gehört, wie schon erwähnt, der Krone. Ihre Organe sind die Minister und die von der Krone gewählten Beamten. Die anerkannten Ratgeber der Krone bilden den Geheimen Staatsrat (Privy Council), welcher aus bedeutenden, vom König gewählten Persönlichkeiten besteht (nur der Lord-Mayor von London [* 10] gehört ex officio dazu), ohne Beschränkung der Zahl. Ein Ausschuß dieses Rats fungiert als Appellationsgericht für die kolonialen, Admiralitäts- und kirchlichen Gerichtshöfe.
Gegenwärtig zählt der Geheime Staatsrat 204 Mitglieder und vereinigt in sich die hervorragendsten Politiker aller Parteien. Die eigentlich wirksamen Kräfte, die ausführenden Minister der Krone dagegen bilden einen kleinern Körper von Kabinettsräten (Cabinet Council), unter welche die Hauptstaatsämter verteilt sind, und welche die Verbindung zwischen dem König und den Häusern des Parlaments vermitteln. Die Mitglieder dieses Kabinettsrats werden zwar auch vom König ernannt; da sie aber dem Parlament gegenüber für ihre Handlungen verantwortlich sind, so hängt ihre Wahl von der Majorität im Parlament ab, ohne dessen Zustimmung die Regierungsgeschäfte stillstehen würden.
Die minder wichtigen Staatsämter sind Personen anvertraut, welche, obwohl nicht Kabinettsmitglieder, doch auch zu den anerkannten Dienern und Ratgebern der Krone gehören. Alle diese Beamte insgesamt bilden das Ministerium. Der Kabinettsrat besteht in der Regel aus folgenden Mitgliedern: der erste Lord der Schatzkammer (First Lord of the Treasury) als Premier;
der Lord-Oberkanzler als Rechtsbeistand des Kabinetts und Bewahrer des großen Siegels;
der Lord-Präsident des Geheimen Rats;
der kleine Siegelbewahrer (Lord Privy Seal);
der Kanzler des Schatzamtes (Exchequer, Finanzminister);
die Staatssekretäre für innere Angelegenheiten, ausländische Angelegenheiten, die Kolonien, Krieg und Indien;
der erste Lord der Admiralität (Marineminister), der Oberpostmeister;
die Präsidenten des Handelsamtes (Board of Trade), des Amtes für Lokalregierung und des Unterrichtsrats;
der Lord-Lieutenant (oder an seiner Stelle der Sekretär) [* 11] für Irland, der Sekretär für Schottland und der Kanzler des Herzogtums Lancaster.
Andre hohe Staatsbeamte sind der Oberkommissionär für öffentliche Bauten, die junior Lords der Admiralität und der Schatzkammer, die Unterstaatssekretäre. Sie gehen fast sämtlich aus dem Parlament hervor und legen ihr Amt nach Rücktritt des Ministeriums nieder. Für Justizfälle stehen der Regierung außer dem Lord-Kanzler ein Attorney general, ein Solicitor general und ein Advocate general zur Seite. Die Verwaltung der Angelegenheiten Schottlands ist jetzt größtenteils mit der der englischen vereinigt. Irland dagegen hat eine eigne Regierung, welcher ein in Dublin [* 12] residierender Statthalter (Lord-Lieutenant) vorsteht. Die Schatzkammer (treasury) sorgt für Erhebung der Steuern und deren richtige Verwendung. In ihr haben Sitz der erste Lord der Schatzkammer, der Kanzler des Exchequer und drei andre hohe Staatsbeamte, die jedoch nicht Mitglieder des Kabinetts sind. Unter ihr stehen das Zollamt und das inländische Steueramt mit dem Stempelamt.
Was die innere Verwaltung des Landes betrifft, verweisen wir auf die Artikel »England«, »Schottland« und »Irland«. Hier mag nur erwähnt sein, daß die Lokalausgaben 1882-83: 64,071,921 Pfd. Sterl. betrugen. Diese bedeutende Summe wurde durch eine Mietsteuer (30,772,286 Pfd. Sterl.), indirekte Steuern (Chausseegelder, Marktgebühren etc., 6,853,047 Pfd. Sterl.; Gas- u. Wasserrente, 5,149,605 Pfd. Sterl.), Verkauf oder Vermietung des Gemeindeeigentums (1,528,599 Pfd. Sterl.), durch Anleihen (11,953,649 Pfd. Sterl.), verschiedene Einnahmen (3,790,075 Pfd. Sterl.) und Zuschüsse aus dem Staatssäckel (4,024,660 Pfd. Sterl.) gedeckt. Die Armenpflege erforderte 10,431,345 Pfd. Sterl., die Schulen 5,330,772 Pfd. Sterl.
Von einem Staate, dessen Bürger so thätig in die Verwaltung eingreifen, sollte man glauben, daß der Beamtenstand auffällig gering vertreten sein würde. Dem ist jedoch nicht so, vielmehr zählte man 1881: 155,117 Staats- und Gemeindebeamte, einschließlich von 9826 Frauen, nämlich 39,587 Staatsbeamte, 26,997 Staatsdiener (Briefträger etc.), 5498 Gefängnisbeamte, 53,168 Polizeibeamte, 21,622 Gemeindebeamte und 8245 Gerichtsbeamte. Auf je 225 Einwohner kam daher ein Beamter. Es kommen aber Einwohner auf jeden Beamten in:
England | Schottland | Irland | Verein. Königr. | |
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auf Staatsbeamte | 1016 | 881 | 1039 | 1003 |
Staatsdiener | 1226 | 1418 | 2197 | 1333 |
Gefängnisbeamte | 7427 | 9883 | 6617 | 7491 |
Polizeibeamte | 799 | 963 | 308 | 656 |
Gemeindebeamte | 1742 | 2368 | 2832 | 1613 |
Gerichtsbeamte | 4274 | 6943 | 3202 | 4231 |
Zusammen: | 234 | 260 | 175 | 225 |
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