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(s. unten) hiervon Anzeige gemacht haben und das Parlament dagegen keinen Einspruch erhoben hat. Die Prinzessinnen erhalten Mitgift, Aussteuer und Jahrgelder, im Fall sie beim Tode des Königs noch unverheiratet sind. Die älteste Prinzessin hat den Titel Princeß Royal. Die Zivilliste der Königin beträgt 409,072 Pfd. Sterl. (wovon 60,000 Pfd. Sterl. in ihren Privatsäckel, Privy Purse, fließen). Außerdem aber erhält sie die Einkünfte des Herzogtums Lancaster (45,000 Pfd. Sterl. netto); es werden auf öffentliche Kosten die königlichen Paläste unterhalten (1885: 42,177 Pfd. Sterl.), und es stehen ihr vier Dampfjachten zur Verfügung.
Der Prinz von Wales bezieht einen Jahresgehalt von 40,000 Pfd. Sterl. und die Einkünfte des Herzogtums Cornwall (65,000 Pfd. Sterl. netto). Seiner Gemahlin ist eine Jahresrente von 10,000 Pfd. Sterl. ausgesetzt. Ferner beziehen die Herzöge von Edinburg [* 2] und Connaught je 25,000 Pfd. Sterl., der Herzog von Cambridge 12,000 Pfd. Sterl. und acht königliche Prinzessinnen jährlich 46,000 Pfd. Sterl. Zu diesen Summen (zusammen 719,249 Pfd. Sterl.) kommen nun allerdings einige Gehalte, welche Mitglieder der königlichen Familie als Beamte beziehen.
Der königliche Hofstaat teilt sich in drei große Departements, nämlich diejenigen des Lord Steward (Oberhofmeister), des Lord Chamberlain (Oberst-Kämmerer), des Master of the Horse (Oberst-Stallmeister) und der Mistress of the Robes (Gewandkammerfrau). Unter diesen stehen ein Graf-Marschall (eine erbliche Würde des Herzogs von Norfolk), ein Schatzmeister, ein Säckelwart (Keeper of the Privy Purse), ein Großalmosenier (erblich in der Familie des Grafen von Exeter), ein Zeremonienmeister, Thürhüter (ushers), Kämmerer etc., ein Hofdichter (Poet Laureate), Hofmaler und Bildhauer, Bibliothekare, ein Jagdmeister (Master of the Buckhounds), ein Großfalkenier (dessen Würde dem Herzog von St. Albans erblich zusteht), Hofdamen, Hofärzte und zahlreiche niedere Beamte.
Auch in Schottland besteht ein Hofstaat, einschließlich eines Oberconnetable, eines Hofmeisters, eines Panierträgers, eines Waffenträgers und eines Truchsessen, deren Würden sämtlich erblich sind. Ein Teil dieser Hofstellen kann nur in Übereinstimmung mit dem Ministerium besetzt werden. Königliche [* 3] Leibwachen sind die Yeomen of the Guard, im Volksmund als Beef-eaters bekannt (eine Korrumpierung von Bouffetiers), das Korps der Gentlemen-at-Arms und die Company of Archers (in Schottland).
Die Königin bewohnt entweder den Buckinghampalast in London [* 4] (der St. Jamespalast dient nur zu Staatszeremonien), oder das Schloß zu Windsor, oder die Sommerresidenzen von Osborne (Insel Wight) oder Balmoral (schottische Hochlande). Marlborough House ist dem Prinzen von Wales eingeräumt. Andre von Mitgliedern der königlichen Familie oder Hofpensionären bewohnte Paläste sind zu Kensington und Kew. Gegenwärtig regierende Königin ist Alexandrine Viktoria LI., geb. Tochter des Prinzen Eduard, Herzogs von Kent, des Bruders der Könige Georg IV. und Wilhelm IV., succedierte ihrem Oheim, dem König Wilhelm IV., ward gekrönt vermählte sich mit dem Prinzen Albert von Sachsen-Koburg-Gotha (»Prince consort« seit 1857); seit ist sie Witwe. Kronprinz ist Albert Eduard, geb. Prinz von Wales etc., vermählt mit der Prinzessin Alexandra, Tochter des Königs Christian IX. von Dänemark. [* 5]
Das Parlament.
Das Parlament, das sich in seinen Rechten und Gebräuchen wesentlich von den repräsentativen Versammlungen andrer Staaten unterscheidet, besteht aus dem König, dem Haus der Lords (Haus der Peers, Oberhaus, House of Lords) und dem Haus der Gemeinen (Unterhaus, House of Commons), deren Zusammenstimmung zu einem Gesetz (Parlamentsakte) gehört. Das Parlament, ohne den König betrachtet, beschützt die Regierungsform, beaufsichtigt die Verwaltung, beratschlagt die Gesetze, deren Antrag der Form nach stets von ihm ausgeht, bewilligt das Budget auf ein Jahr, legt Steuern auf und hat das Recht der Steuerverweigerung, richtet auch durch das Oberhaus seine Mitglieder wegen Hochverrats und auf Anklage des Unterhauses die Verbrechen der Minister und hohen Staatsbeamten.
Das Parlament wird vom König berufen, durch eine Thronrede im Oberhaus, wozu das Unterhaus eingeladen wird, eröffnet und kann vom König auf längere Zeit vertagt (prorogiert) und gänzlich aufgelöst werden. Nach geschehener Prorogatien beginnen alle Verhandlungen von neuem. Ein Parlament darf nie länger als sieben Jahre bestehen und nicht länger als 80 Tage prorogiert bleiben. Aus eigner Macht kann es sich nur auf einige Tage vertagen. Beide Häuser führen ihre Verhandlungen besonders.
Jedes Mitglied eines derselben kann einen Vorschlag (bill) machen, muß aber zuvor mündlich verkündigen, daß und über welchen Gegenstand ein solcher Vorschlag gemacht werden soll. Die Bills betreffen entweder allgemeine Angelegenheiten (public bills) oder Lokal- und Privatsachen (private bills). Geldbewilligungen (money bills) müssen im Haus der Gemeinen eingebracht und von den Lords entweder unabgeändert angenommen, oder gänzlich verworfen werden.
Jede Bill muß die Probe einer zweimaligen Lesung und Abstimmung bestehen, ehe die eigentliche Debatte eröffnet wird. Der König bewilligt jede Art mit einer besondern französischen Formel. Verwirft er die Bill, so geschieht es mit der Formel: »Le [* 6] roi s'avisera«, ein Fall, der übrigens seit 1707, als Königin Anna die schottische Milizbill verwarf, nicht vorgekommen ist. Vor der Emanzipationsbill hatten Katholiken im Oberhaus nur Sitz, nicht Stimme; vom Unterhaus waren sie gänzlich ausgeschlossen, weil die Mitglieder außer dem noch jetzt gebräuchlichen Eide der Treue (oath of allegiance) noch den Kircheneid (oath of supremacy) und den Testeid ablegen mußten, was die Katholiken nicht konnten. Seit kann jedes der beiden Häuser einem zu beeidigenden Mitglied die Worte »beim wahren Glauben eines Christen« erlassen. Kein Mitglied beider Häuser kann für sich, seine Bedienten, Güter und Grundstücke während der Parlamentszeit mit Arrest belegt werden.
Zum Oberhaus gehören die majorennen Prinzen des königlichen Hauses (gegenwärtig 6, die weltlichen Peers des Vereinigten [* 7] Königreichs, welche das Vorrecht erblich besitzen und wenigstens 21 Jahre alt sind (gegenwärtig 459), 3 Oberrichter als persönliche Peers (Life Peers) mit Gehalt von 6000 Pfd. Sterl., ein Ausschuß des schottischen und irischen Adels (von ersterm 16, von letzterm 28 Peers, die von ihresgleichen gewählt werden, jene für jedes Parlament, diese auf Lebenszeit), die 2 Erzbischöfe und 24 Bischöfe von England und Wales, im ganzen jetzt 538 Mitglieder. Der Lord-Kanzler (dessen Sitz der »Wollsack«, ein großes, viereckiges, mit rotem Tuch bedecktes Kissen ohne Rücken- und Seitenlehne, ist, und der einen Gehalt von 10,000 Pfd. Sterl. bezieht) führt den Vorsitz. ¶
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Jedes Mitglied stimmt durch »content« (einverstanden) oder »non content« (nicht einverstanden); sie können ihre Stimmen durch Mandatare (by proxy) abgeben. Das Quorum oder die zur gültigen Abstimmung erforderliche Anzahl von Mitgliedern beträgt 3 (im Unterhaus 40) Mitglieder. Das Unterhaus oder das Haus der Gemeinen besteht aus den Abgeordneten der Grafschaften, Städte (boroughs) und Universitäten und zählt 670 Mitglieder;
davon kommen 495 Abgeordnete (nämlich 253 der Grafschaften, 237 der Städte und 5 der Universitäten) auf England und Wales;
72 (39 für die Grafschaften, 31 für die Städte, 2 der Universitäten) auf Schottland;
103 (85 für die Grafschaften, 16 für die Städte, 2 für die Universitäten) auf Irland.
Die Wahlbezirke entsprechen jetzt annähernd der Bevölkerung, [* 9] und abgesehen von wenigen Ausnahmen schickt ein jeder derselben nur ein Mitglied ins Parlament. Das Wahlrecht ist das gleiche für die drei Königreiche wie für Stadt oder Land. Das Stimmrecht hat, wer ein eignes Haus oder Häuschen bewohnt, oder wer als Mieter 10 Pfd. Sterl. jährliche Miete zahlt. Die Abgeordneten der Universitäten werden von sämtlichen Graduierten der betreffenden Universität gewählt.
Kein Stimmrecht haben Ausländer, die Peers, des Meineides Überwiesene, Arme, die von der Gemeinde im Lauf des Jahrs Unterstützung erhalten, und viele der Regierungsbeamten. Nicht wahlfähig sind die Richter, die einen Gehalt beziehen, Geistliche der englischen, schottischen und römischen Kirche, gewisse Staatsbeamte und Verbrecher. Einmal gewählt, kann ein Mitglied nur infolge der Annahme eines Kronamtes austreten, und es bestehen für diesen Zweck die Verwalterschaften der Chiltern hundreds, Scheinämter, die nichts eintragen.
Die Zahl der Wähler im ganzen Vereinigten Königreich war 1883: 3,152,910, 1885 aber 5,711,325 (in England 4,396,840, Schottland 572,400, Irland 741,985). Ihre Zahl würde sicher größer sein, wenn sich alle, die berechtigt sind, in die Wahllisten eintragen ließen. Die Abstimmung bei den Wahlen ist geheim. Die Mitglieder des Parlaments erhalten keine Diäten, wohl aber sind den irischen Abgeordneten von der Nationalliga, ferner einigen Vertretern des Arbeiterstandes von ihren Genossenschaften Jahresgehalte ausgesetzt. Die Wahlunkosten, die von den Kandidaten getragen werden müssen, sind noch immer bedeutend (ca. 600 Pfd. Sterl. pro Sitz); doch kommen den unbemitteltern die überall bestehenden Wahlvereine der verschiedenen Parteien zu Hilfe.
Gleich bei Eröffnung des Parlaments wird der Sprecher erwählt, welcher die Verhandlungen leitet, jedoch nicht daran teilnimmt, während die Redner (der Form nach) sich an ihn allein wenden; er bezieht einen Jahresgehalt von 5000 Pfd. Sterl. Ein Chairman leitet die Verhandlungen, wenn das Haus als Komitee beratet. Ein solches Komitee des ganzen Hauses heißt Committee of supply, wenn es sich um Ausgaben, Committee of ways and means, wenn es sich um Deckung dieser Ausgaben handelt.
Außerdem bestehen zwei ständige Ausschüsse (Standing Committees) für Handel und Verkehr und für juristische Angelegenheiten, Ausschüsse für die Begutachtung von Private bills und Select Committees für verschiedene Zwecke. Vorschläge, um den Geschäftsgang (procedure) des Hauses zu verbessern, Bewilligung oder Verwerfung der Steuer, Untersuchung streitiger Wahlen, Ausstoßung eigner Mitglieder gehören in den Geschäftsbereich des Unterhauses.
Die Mitglieder stimmen mit »Ay« und »No« (Ja und Nein). Bei der Abstimmung erfolgt erst die Verneinung, dann die Bejahung. Wird eine namentliche Abstimmung (division) verlangt, dann verlassen die Abgeordneten das Haus und werden beim Wiederhereintreten durch verschiedene Thüren gezählt. Im Sitzungssaal steht der mit dem Wappen [* 10] des Königs gezierte Stuhl des Sprechers im Vordergrund, vor ihm der Tisch mit den Akten. Die Sitze der Mitglieder, die ohne Kostüm [* 11] und oft mit bedecktem Haupte dasitzen, umgeben den Saal in mehreren Reihen übereinander.
Rechts sitzen die Anhänger der Regierung, links hat die Opposition ihren Platz. Dem Stuhl des Sprechers gegenüber ist die Loge für das Publikum, die nur etwa 200 Menschen faßt. Das Recht, die Verhandlungen durch die Presse [* 12] zu veröffentlichen, besteht gesetzlich nicht, und die Veröffentlichung kann noch heute als Eingriff in die Parlamentsprivilegien geahndet werden. Doch hat man den Berichterstattern eine Galerie eingeräumt, da die eignen Protokolle thatsächlich nur sehr unvollständig geführt werden.
Stände, politische Rechte.
Nach den politischen Rechten gibt es in staatsbürgerlicher Hinsicht drei Stände: die Krone, die Nobility (Adel) und die Commonalty. Würde und Titel eines Peers gehen aber nur auf den ältesten Sohn über, welcher bei Lebzeiten des Vaters nur dessen zweiten Titel führt. Daher heißt der älteste Sohn eines Herzogs Marquis oder Graf, der eines Marquis Graf oder Viscount, der eines Grafen Lord. Den jüngern Söhnen eines Herzogs oder Marquis gebührt der Titel Lord. Söhne eines Viscounts oder Barons führen keinen besondern Titel; es gebührt ihnen aber, wie sämtlichen Peerssöhnen, welche sich nicht eines höhern Titels erfreuen, das Prädikat »Honourable«.
Die Zahl der Mitglieder des hohen Adels kann nach Belieben des Königs vermehrt werden. Er zerfällt in fünf Klassen: Herzöge oder Dukes, deren es außer den Prinzen königlichen Geblüts 21 gibt (der älteste von 1483: Herzog von Norfolk, der jüngste von 1874: Herzog von Westminster);
die Marquis, 20 Geschlechter (das älteste von 1551: Marquis von Winchester);
Grafen oder Earls, 119 (die 2 ältesten, Shrewsbury und Derby, von 1442 und 1485);
die Viscounts, 25 (der älteste der von Hereford, von 1550);
Barone oder Lords, ursprünglich die reichsunmittelbaren Vasallen Wilhelms des Eroberers, 274 (die ältesten Lords Hastings und de Ros von 1264, Lord Mowbray von 1283 und Lord de Clifford von 1299).
Von den geistlichen Peers stehen die Erzbischöfe zwischen den königlichen Prinzen und den Herzögen, die Bischöfe zwischen den Viscounts und den Baronen. Der hohe Adel Schottlands und Irlands zählt 262 Mitglieder (die ältesten Lord Kinsale von 1181, Graf von Sutherland von 1228), von welchen 135 gleichzeitig Peers des Vereinigten Königreichs sind und als solche im Haus der Peers einen Sitz einnehmen. Von den übrigen haben 16 schottische und 28 irische »Representative Peers« gleichfalls Sitz und Stimme im Oberhaus. Die Commonalty umfaßt den Rest der Bevölkerung.
Die Mitglieder derselben genießen gleiche politische Rechte, aber selbstverständlich hängt ihr Einfluß ab von Geburt, Besitz und Bildung. Außer den Söhnen der Peers gehören zu ihr die Gentry (s. d.), die seit Jakob I. krëierten Baronets (s. d.) und sämtliche andre Klassen des Volkes. Wenn nun aber auch keine gesetzlichen Schranken zwischen den verschiedenen Volksklassen errichtet sind und nur die Peers als geborne Gesetzgeber eines Vorrechts sich erfreuen, so kann doch nicht in Abrede gestellt werden, daß Geburt und Reichtum sich streng absondern vom niedern Bürgerstand ¶