mehr
vorübergehenden Irrung der Schicksalstragik, der er in der
»Ahnfrau« sein
Opfer brachte, beeinflußt. Wenn er sich von diesen
Einflüssen verhältnismäßig rasch zu emanzipieren wußte, so gelang ihm dies nicht ebenso mit denen seiner heimatlichen
Verhältnisse und Bildungszustände. Zunächst war es eine bedeutende That schöpferischer
Kraft
[* 2] und Selbständigkeit, daß
der Dichter seiner 1817 mit außerordentlichem Erfolg aufgeführten Schicksalstragödie »Die
Ahnfrau«, welche alsbald über alle
deutschen
Bühnen ging, ein so völlig verschiedenes Werk wie
»Sappho« (1818) folgen zu
lassen vermochte.
In der »Sappho« (Wien [* 3] 1819) stellte er sich zuerst auf den Boden des rein Menschlichen, wie er es verstand und auffaßte. Unverkennbar lag in seiner Auffassung ein quietistisches Moment. Wer den Boden der gegebenen möglichst einfachen Verhältnisse verläßt, den Kreis [* 4] der nächsten Pflicht überschreitet, der verfällt Mächten, die er nicht bezwingen kann. Nicht das Maß des Menschlichen, welches die edle, hoch tragende, ungeahnte Kräfte erweckende, läuterungsfähige Leidenschaft mit einschließt, sondern jenes, welches die Leidenschaft ausschließt, ward das Maß von Grillparzers Welt.
Daher konnte er sich einerseits eng an die klare Durchbildung und Gestaltung des
Stoffes, an die Formenschönheit unsrer klassischen
Dichtung anschließen und blieb anderseits doch durch eine tiefe
Kluft von derselben getrennt. Nur in der
Darstellung der
Liebe,
als der natürlichsten, unvermeidlichsten und edelsten der
Leidenschaften, fand eine Vermittelung statt.
Die Hauptstärke Grillparzers lag in der
Entwickelung des Liebesgefühls zu einer dramatischen
Handlung, daher in gewissem
Sinn die
Tragödien: »Sappho« und »Des
Meeres und der
Liebe
Wellen«
[* 5] (worin die
Sage von
Hero und
Leander behandelt ist) als seine
vollendetsten Werke gelten können. Von 1821 an, wo im
Wiener Hofburgtheater die
Trilogie »Das
Goldene
Vlies«
(Wien 1822) mit großem Erfolg aufgeführt ward, deren letzter Teil, die
Tragödie
»Medea«, rasch über alle
deutschen
Bühnen
ging und durch die Heroinenrolle des
Titels sich auf den Brettern behauptete, zählte Grillparzer etwa ein Jahrzehnt lang zu
den begünstigten Dramatikern. 1825 wurde die
Tragödie »König
Ottokars
Glück und Ende«
(Wien 1825),
1828 »Ein treuer Diener seines Herrn« (das. 1830),
1831 »Des Meeres und der Liebe Wellen« (das. 1840),
1834 das Drama »Der Traum ein Leben« (das. 1840) mit großem Erfolg im Wiener Burgtheater aufgeführt. Die litterarische Strömung indes, welche nach 1830 im eigentlichen Deutschland [* 6] herrschend und maßgebend geworden war, zeigte sich gegen Grillparzer feindselig; seine Vorzüge galten ihr nichts, seine Mängel wußte die jungdeutsche Kritik scharf hervorzuheben. Grillparzer selbst litt unter der Ungunst seiner heimischen Zustände. Seine äußere Situation war lange Zeit hindurch eine so beschränkte, daß sie ihn verurteilte, lebenslang nur der Bräutigam seiner Jugendgeliebten, Katharina Fröhlich, zu bleiben.
Jede größere Reise (Grillparzer ging 1819 nach Italien, [* 7] 1826 durchreiste er Deutschland, 1838 hielt er sich mehrere Monate in Paris [* 8] auf, 1843 sah er Athen [* 9] und Konstantinopel) [* 10] rückte ihm den Widerspruch seiner Ideale und der heimischen Verhältnisse immer unabweislicher vor Augen. Trotz seiner unzweifelhaften Loyalität hatte er mit dem stupiden Zensurdruck der Sedlnitzkyschen Zeit zu kämpfen, mehrere seiner besten lyrischen Gedichte wurden unterdrückt und ihm die Lust zur Herausgabe einer Sammlung verleidet.
Schließlich gesellte sich 1838 noch eine förmliche Niederlage seines Lustspiels »Weh dem, der lügt« (Wien 1848) bei der ersten Aufführung im Burgtheater hinzu. Grillparzer beschloß, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, und hielt diesen Entschluß unverbrüchlich, ohne darum der Ausübung der poetischen Kunst zu entsagen. In den nächstfolgenden Jahrzehnten entstanden die Dramen: »Libussa«, »Die Jüdin von Toledo«, [* 11] »Ein Bruderzwist im Hause Habsburg« sowie das stimmungsvolle Fragment »Esther« und zahlreiche lyrische Dichtungen.
Erst seit 1848 aber drangen wieder einzelne poetische Leistungen Grillparzers in die Öffentlichkeit, so sein berühmtes Gedicht »An Radetzky«. Seit 1850 begann man sich dann in Österreich, [* 12] vereinzelt auch in Deutschland bewußt zu werden, welch einen Dichter man in Grillparzer besitze. Auf das Haupt des alternden Mannes häuften sich die Ehren und Anerkennungen, die er in schöpfungskräftigen Tagen bitter entbehrt hatte. 1847 zum Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften ernannt, durch mehrere Orden [* 13] ausgezeichnet, 1859 von der Universität Leipzig [* 14] bei Gelegenheit des Schiller-Jubiläums zum Ehrendoktor krëiert, 1861 zum lebenslänglichen Mitglied des österreichischen Herrenhauses, 1846 zum Ehrenbürger der Stadt Wien erhoben, 1871 an seinem 80. Geburtstag in unerhört glänzender Weise gefeiert, erlebte Grillparzer halb erfreut, halb wehmütig resigniert die späte Genugthuung. Er starb Erst nach seinem Tod erschien eine Ausgabe seiner »Sämtlichen Werke« (Stuttg. 1872, 10 Bde.; 3. Ausg. 1881),
herausgegeben von H.
Laube und
Joseph
Weilen, welche neben allen
genannten
Dramen auch die Gedichte,
die wenigen
Novellen (unter ihnen das Meisterstück: »Der arme Spielmann«),
autobiographische Fragmente und kritische Arbeiten des Dichters enthielt.
Vgl. H. Lorm, Wiens poetische Schwingen und Federn (Leipz. 1847);
K. v. Wurzbach, Franz Grillparzer (2. Aufl., Wien 1872);
Kuh, Zwei Dichter Österreichs: Franz Grillparzer und A. Stifter (Pest 1872);
Grillparzer Wolf, Grillparzer als Archivdirektor (Wien 1874);
Betty Paoli, Grillparzer und seine Werke (Stuttg. 1875);
Frankl, Zur Biographie F. Grillparzers (Wien 1883);
Faulhammer ^[richtig: Fäulhammer; = Adalbert Fäulhammer], Franz Grillparzer (Graz [* 15] 1883);
Laube, Grillparzers Lebensgeschichte (Stuttg. 1884).