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Chor die schwärmenden Begleiter des Dionysos [* 2] vorstellte, von der ausgelassenen Darstellung der Freuden die komische. Als derjenige, welcher aus dem dionysischen Dithyrambos die ersten Anfänge zum wirklichen Drama bildete, gilt der Athener Thespis (um 536), welcher zwischen den Chorliedern und Chortänzen als Schauspieler die einzelnen Vorgänge eines mythischen Stoffes erzählte und auch in den verschiedenen Masken [* 3] der darin handelnden Personen darstellte.
Als der eigentliche Begründer eines kunstmäßigen Dramas und zugleich als der erste der drei großen Meister der griechischen Tragödie ist aber Äschylos aus Eleusis (525-456) zu betrachten. Er fügte zu dem einen noch einen zweiten Schauspieler, wodurch der eigentliche Dialog erst möglich wurde, sorgte für eine würdige Ausstattung der Bühne, der Schauspieler und des Chors und erhob die Handlung, welche im Verhältnis zum Chor bis jetzt als Nebensache betrachtet worden war, zur Hauptsache.
Seine Dramen sind einfach, aber großartig angelegt, seine das menschliche Maß überragenden Charaktere mit wenig Strichen, aber fest und gediegen gezeichnet; seine Sprache [* 4] ist teilweise hart und dunkel, aber immer erhaben. Am höchsten unter den griechischen Tragödiendichtern steht der Athener Sophokles (496-406). Er führte den dritten Schauspieler ein, der dazu diente, die Personen durch Gegensätze in helleres Licht [* 5] zu stellen: Anlage und Durchführung des Plans, Zeichnung der nach menschlichen Proportionen geformten Charaktere, Zauber der Sprache und des Rhythmus, kurz alles trägt das Gepräge eines in sich vollendeten genialen Geistes.
Der dritte große Tragiker, Euripides aus Salamis (480-405), repräsentiert bereits die Zersetzung des griechischen Wesens, den Widerspruch, in welchen die alten Überlieferungen mit dem vorgeschrittenen Denken treten. Seine Vorzüge sind die glänzende, wenn auch sophistische und rhetorische Darstellung und die Kunst, die Leidenschaften der sinnlichen Natur und das Elend des wirklichen Lebens zu malen. Neben diesen drei Meistern versuchten sich noch viele andre in der Tragödie (den Bestand der für die Bühne Athens geschriebenen Tragödien berechnet man auf 1400), blieben aber alle hinter jenen weit zurück. Am bedeutendsten waren nächst ihnen Ion von Chios, Achäos von Eretria und Agathon aus Athen. [* 6]
In dem Satyrdrama, welches als Nachspiel eine untergeordnetere Rolle spielte, und wovon wir nur ein einziges Muster (den »Kyklops« des Euripides) besitzen, zeichnete sich besonders Pratinas von Phlius (um 500) aus. Dagegen ist der Komödie bei den Griechen eine ebenso hohe Ausbildung zu teil geworden wie der Tragödie. Die Anfänge der Komödie finden sich in Megara, wo sich aus den bei dem Komos, dem dionysischen Festzug, üblichen Possen zuerst ein mimisches Possenspiel ausgebildet haben soll.
Mit den Doriern nach Sizilien [* 7] verpflanzt, wurde es hier zum Drama namentlich durch Epicharmos (um 540-480) ausgebildet, der mit festem Plan und lebendigem Dialog insbesondere mythologische Stoffe travestierend bearbeitete. Ihre Vollendung erhielt auch diese Gattung der Poesie in Athen. Man unterscheidet alte, mittlere und neue Komödie. Der bedeutendste Dichter der alten Komödie ist der Athener Aristophanes, dessen Stücke zwischen 427 und 388 aufgeführt wurden. Er vereinigt Erhabenheit mit unerschöpflicher Laune, sittlichen Ernst mit heiterer Anmut, naturwüchsiger Derbheit, ja zügelloser Ausgelassenheit.
Das ganze öffentliche Leben der Athener und die einflußreichen politischen Charaktere zog er in den Bereich seiner Komik; die im Peloponnesischen Krieg beginnende Sittenverderbnis und die neuen Richtungen in Kunst und Wissenschaft lieferten ihm reichlichen Stoff. Neben ihm waren unter den zahlreichen Dichtern der alten Schule die bedeutendsten Kratinos und Eupolis. Als mit dem Untergang der alten Demokratie die unbeschränkte Freiheit der persönlichen Rüge, die eigentliche Grundbedingung der alten Komödie, aufhörte, erlosch diese, und an ihre Stelle trat die mittlere Komödie, deren hauptsächliches Gebiet die Parodie der Tragiker, überhaupt die parodische Darstellung der gesamten Mythologie, daneben die Verspottung des Philosophentreibens und auch schon die Schilderung des gewöhnlichen Lebens in typischen Charakteren war.
Als Hauptvertreter dieser Richtung gelten Antiphanes aus Athen (408-332) und Alexis aus Thurii (um 382 bis 287). Den Mittelpunkt der sich im letzten Viertel des 4. Jahrh. entwickelnden, unserm bürgerlichen Lustspiel vergleichbaren neuern Komödie bilden ausschließlich Zustände des alltäglichen Lebens mit scharfer Zeichnung der hierher gehörigen Charaktere, wobei selbstverständlich den Liebesgeschichten der weiteste Raum gegönnt wurde. Ihren Höhepunkt erreichte sie in Menandros von Athen (342-290), neben welchem sich namentlich Philemon, Diphilos und Apollodoros auszeichneten.
Außer diesen Arten des kunstmäßig ausgebildeten Dramas gab es in Griechenland [* 8] eine Menge Possenspiele der verschiedensten Art, die bei Gastmählern und sonst von Lustigmachern aufgeführt wurden. Diese possenhaften Nachahmungen von Personen und Charakteren des gemeinen Lebens benannten die Griechen mit dem allgemeinen Namen Mimen. So hießen auch die freilich nicht für die Bühne, sondern höchstens zum Vorlesen bestimmten dialogisierten Charakterbilder des Sophron aus Syrakus [* 9] (um 420). - Bei dem fast ausschließlichen Interesse am Drama traten in dieser Periode die andern Dichtungsarten in den Hintergrund. Nur der Dithyrambos erhielt eine Fortbildung durch Melanippides von Melos (um 415), Philoxenos von Kythera (gest. 380) und Timotheos aus Milet (gest. 357). Auf dem Gebiet des Epos waren am bedeutendsten Panyasis (um 480), Chörilos (um 440-400), der in seiner »Perseis" den ersten Versuch mit dem historischen Epos machte, und Antimachos (um 400), der Begründer der gelehrten Dichtung.
Seit den Perserkriegen tritt auch die Prosa immer bedeutsamer hervor. Athen war wiederum der Boden, auf welchem auch diese Blüte [* 10] des griechischen Geistes erwachsen sollte. Perikles galt durch klare Einsicht in die politischen Verhältnisse, durch Feinheit, Schärfe und Reichtum der Gedanken sowie durch natürliche rhetorische Kunst als einer der vollendetsten Redner. Tief eingreifend war der Einfluß, welchen die Sophisten auf die kunstmäßige Ausbildung der prosaischen Rede ausübten.
Protagoras von Abdera und Gorgias aus Leontinoi, die Hauptvertreter der Sophistik, nannten die Rhetorik die Kunst aller Künste, weil sie in den Stand setze, über jede Sache auch ohne genaue Kenntnis schön und überzeugend zu reden und die schlechtere Sache zur bessern zu machen. Sie verwandten weniger Fleiß auf den Inhalt als auf eine glänzende Sprache und gelangten darin zu großer Meisterschaft. Der erste, welcher die von den Sophisten gegebenen Anregungen für die praktische Beredsamkeit verwendete und die rednerische Darstellung durch Veröffentlichung von geschriebenen Reden zum Studienmuster für andre in die ¶
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Litteratur einführte, ist Antiphon aus Rhamnus (gest. 411). Im Gegensatz zu ihm zeigt sich sein jüngerer Zeitgenosse Andokides von der sophistisch-rhetorischen Theorie der Zeit noch fast ganz unberührt. Obgleich nach dem Peloponnesischen Krieg in Athen ein Zustand der Erschlaffung eintrat, so gelangte doch jetzt erst die politische Beredsamkeit zu ihrer höchsten Blüte. Vorbereitet und in einzelnen Beziehungen schon erreicht wurde dieselbe von Lysias aus Syrakus (geb. 458) und Isokrates aus Athen (geb. 436). Der erstere steht in den Reden, die er in seinen reifern Lebensjahren zumeist für andre schrieb, als ein Muster sorgfältiger, einfacher, aber dem Gegenstand ganz entsprechender Darstellung da. Keiner verwandte aber einen so angestrengten Fleiß auf die Ausbildung der rhetorischen Prosa und war darin so epochemachend wie Isokrates, ohne den die Demosthenische Beredsamkeit nicht möglich gewesen wäre.
Von seinen Schülern nennen wir die drei Athener Isäos, Lykurgos und Hypereides. Die höchste Vollendung erreichte die politische Beredsamkeit der Athener in Demosthenes (384-322), der alle Vorzüge in sich vereinigt, die sich zerstreut bei den Vorgängern finden, ohne an ihren Fehlern teilzunehmen. Tiefe politische Einsicht, feurige Begeisterung für die Freiheit seines Vaterlandes, hohe Genialität, Kraft, [* 12] Schärfe und unbedingte Herrschaft über die Sprache machen ihn zu einem bis jetzt noch unübertroffenen Muster.
Ihm zunächst steht Äschines (389-314) durch Fülle der Gedanken und glückliche Darstellung, wenn auch nicht durch Gesinnung. Als der unbedeutendste von den zehn attischen Rednern, welche die alexandrinischen Gelehrten zu einem Kanon vereinigten, erscheint der zu derselben Zeit in Athen thätige Korinther Dinarchos. Ihre letzten spärlichen Blüten trieb die Beredsamkeit nach dem völligen Untergang der nationalen Unabhängigkeit in Demetrios von Phaleron (um 310), um sich dann in die Hörsäle der Rhetoren zurückzuziehen. - Mit dem Athener Thukydides (471-400) begann für die Geschichtschreibung eine neue Periode.
Während Herodot fast überall nur bei den äußern Erscheinungen stehen bleibt, wendet er sein Augenmerk vorzüglich auf die Motive der menschlichen Handlungen, wie sie aus Charakter und Lebenslage hervorgehen und die öffentlichen Verhältnisse bestimmen. Dadurch gewinnt sein Werk über den Peloponnesischen Krieg das Ansehen eines historischen Dramas; was er erzählt, stammt unmittelbar aus dem Leben, aus eigner Anschauung und Erfahrung und trägt deshalb das Gepräge der Frische und Wahrheit wie kaum ein andres historisches Werk.
Thukydides steht in der Geschichtschreibung ebenso hoch und unerreicht da wie Sophokles in der Tragödie. An ihn reiht sich der als Feldherr, historischer, philosophischer und technischer Schriftsteller berühmte Schüler des Sokrates, Xenophon aus Athen (um 431-355). Sein Zeitgenosse Ktesias von Knidos vermittelte den Griechen die Kenntnis der persischen Reichsgeschichte, während Philistos von Syrakus die Geschichte seiner Heimatsinsel in Nachahmung des Thukydides schrieb. Aus der Schule des Isokrates gingen zwei bedeutende Historiker hervor, Theopompos von Chios, der Geschichtschreiber der Zeit Philipps von Makedonien, und Ephoros von Kyme, welcher den ersten Versuch einer Universalgeschichte machte. - Auch die Philosophie erhielt in Athen eine mächtige Anregung, die sie zu ihrer höchsten Blüte führte, durch Sokrates (gest. 399), den Begründer der Ethik und Dialektik.
Von seinen unmittelbaren Schülern bildeten die meisten die eine oder andre Seite seiner Lehre [* 13] in verschiedenem Sinn aus (s. Sokrates und Philosophie); die verschiedenen Seiten des Sokratischen Geistes und zugleich die sämtlichen berechtigten Elemente der frühern Philosophie faßte zu einem einheitlichen System zusammen sein geistvollster Schüler, Platon von Athen (428-348), der Stifter der akademischen Schule, ebenso bewundernswürdig als tiefer Denker wie vollendeter Meister der Darstellung.
Sein Schüler war Aristoteles von Stagira (384-322), der Stifter der peripatetischen Schule, der, in staunenswerter Universalität den ganzen Bereich des damaligen Wissens umfassend und mit unvergleichlichem Scharfsinn ausgerüstet, nach den verschiedensten Richtungen sichtend und erweiternd thätig war und nicht bloß die Philosophie, sondern auch die Naturwissenschaften in hervorragender Weise förderte, ein Gebiet, auf welchem als sein bedeutendster Vorgänger der Arzt Hippokrates von Kos (gestorben um 377), der Begründer der medizinischen Wissenschaft und Litteratur, zu nennen ist.
Bei Aristoteles' Schülern trat die metaphysische Spekulation hinter der Richtung auf das gelehrte stoffliche Wissen zurück, indem sie vorwiegend die Forschung auf den Einzelgebieten, deren Gesamtheit ihr Meister umfaßt hatte, weiterführten. So war sein Nachfolger im Lehramt, der Lesbier Theophrastos (gest. 285), auf verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaften (Botanik und Mineralogie) thätig, während Eudemos von Rhodos die mathematischen Disziplinen, Aristoxenos von Tarent die Theorie der Musik und Dikäarchos von Messana die Geographie und die historisch-antiquarische Forschung vertraten. Im Gegensatz zu der gelehrten Richtung der Peripatetiker legten das Hauptgewicht auf die Ethik bei wesentlich verschiedenem Standpunkt zwei neue, gegen Ende des 4. Jahrh. auftretende Philosophenschulen, deren Heimat gleichfalls Athen ist, die Epikureische und die stoische, jene von Epikuros aus Attika, diese von Zenon aus Kition auf Cypern [* 14] gestiftet, beide von höherm Einfluß auf das praktische Leben als auf die Entwickelung der Litteratur. Noch mehr gilt dies von dem durch Pyrrhon von Elis (gest. 275) begründeten Skeptizismus.
II. Alexandrinische Periode (300-30 v. Chr.).
Mit dem 3. Jahrh. beginnt eine völlig neue Periode der griechischen Litteratur. Infolge der Ausbreitung der griechischen Sprache über die makedonischen Reiche Europas, Asiens und Ägyptens wird sie zu einer Weltlitteratur, deren Mittelpunkt nicht mehr das eigentliche Griechenland ist, sondern Alexandria, die Hauptstadt der kunstsinnigen Ptolemäer, daher diese Periode als die alexandrinische bezeichnet wird. Ihres natürlichen Bodens beraubt, war die griechische Litteratur nicht mehr Ausdruck eines nationalen Volksgeistes, sondern eine Beschäftigung der Gelehrten.
Der kühne Schwung der Phantasie, Genialität und Originalität schwanden; mühsamer Fleiß und massenhafte Gelehrsamkeit trugen jetzt den Preis davon, und nur in einzelnen begabten Persönlichkeiten zeigte sich noch ein Abglanz der frühern Zeit. Allerdings wurden einzelne Zweige der Wissenschaften jetzt entweder ganz neu geschaffen, oder doch bedeutend fortgebildet. Auch die Poesie nahm, da es ihr an jedem festen Rückhalt im politischen Leben fehlte und sie nicht mehr auf ein nationales Publikum rechnen konnte, ein gelehrtes, künstliches Gepräge an. Je nach Talent und Neigung versuchten sich Grammatiker und Litteratoren oft in den verschiedenartigsten Dichtungsarten nebeneinander, indem sie durch den gelehrten Inhalt sowie durch die nicht selten in Künstelei ausartende Kunst der sprachlichen und ¶