Die
Übergabe der neuen
Provinzen erfolgte noch 1881. Von der
Presse
[* 3] und in der
Kammer wurde aber trotzdem nicht bloß
das
Ministerium, sondern auch der König wegen dieses angeblich ungünstigen
Ausgangs des Grenzstreits heftig angegriffen,
wie denn
Georg I. beim
Volk nicht
Popularität zu gewinnen vermochte. Die Dynastie befestigte sich nur insofern, als dem König,
der sich mit der russischen Großfürstin
Olga vermählt hatte, außerdem am gebornen
Thronfolger
Konstantin,
Herzog von
Sparta, noch drei
Prinzen (vgl.
Georg 9) geboren wurden. Das
MinisteriumKumunduros, dem Griechenland die
beträchtliche Gebietsvergrößerung verdankte, wurde schon 1882 gestürzt.
Sein Nachfolger
Trikupis, welcher sich der
Ordnung
der
Finanzen widmete, einen neuen
Zolltarif einführte und den
Zwangskurs durch
Aufnahme einerAnleihe beseitigte,
behauptete sich bis 1885. Durch die
Neuwahlen zur
Kammer verlor er die Mehrheit, und
Deligiannis trat im Mai 1885 an die
Spitze derRegierung.
Dieser ließ sich, als im
September die Ostrumelier den türkischen
Generalgouverneur verjagten und sich mit
Bulgarien
[* 4] vereinigten
und infolgedessen
Serbien letzterm den
Krieg erklärte, durch die
Hoffnung auf einen allgemeinen
Kampf auf
der
Balkanhalbinsel,
[* 5] in dem Griechenland von neuem sein Gebiet auf
Kosten der Türkei
[* 6] erweitern könne, zu umfangreichen
Rüstungen
[* 7] verleiten.
Als indes der
Friede wiederhergestellt wurde, ehe Griechenland zum Eingreifen bereit war, setzte
Deligiannis die
Rüstungen dennoch fort,
indem er die friedensbedürftigen Mächte durch die
Drohung mit einem
Einfall in
Makedonien und einem
Angriff
auf die türkische
Flotte einschüchtern und zur Befriedigung der griechischen Ländergier bewegen zu können glaubte; denn
einen ernsten
Krieg hätte Griechenland bei der Langsamkeit und Geringfügigkeit seiner
Rüstungen gegen die stark bewaffnete Türkei
nicht wagen können.
Frankreich leistete den Griechen auch seinen diplomatischen
Beistand;
England aber verlangte im
Januar 1886 energisch
die Abrüstung, und die übrigen Mächte schlossen sich ihm an, auch Rußland.
Deligiannis weigerte sich lange, abzurüsten,
indem er sich auf den Anspruch
Griechenlands auf die
Grenze von 1880 berief. Die Mächte blieben aber fest und einig, schickten
eine ansehnliche
Kriegsflotte nach der Sudabai auf
Kreta und stellten, als
Deligiannis trotzdem das griechische
Heer an der Nordgrenze bis auf 80,000 Mann verstärkte und dort schon
Konflikte mit den
Türken vorfielen, 6. Mai ein
Ultimatum.
Als
Deligiannis dies ablehnte, verließen die
Gesandten der Mächte (außer
Frankreich)
Athen,
[* 8] nachdem sie über
alle griechischen Häfen der Ostseeküste die
Blockade verhängt hatten. Jetzt endlich sah
Deligiannis die Nutzlosigkeit seines
Widerstandes ein und trat zurück.
Trikupis übernahm 21. Mai das
Ministerium und befahl die Abrüstung, worauf die
Blockade aufgehoben
wurde. Darauf widmete er sich der Regelung der
Finanzen, die durch die
Kosten derRüstungen (über 100 Mill.)
wieder in die ärgste Verwirrung geraten waren, indem er sich von der
Kammer eine Goldanleihe von 19 Mill. bewilligen ließ.
Zugleich ließ er von der
Kammer eine Änderung des Wahlgesetzes beschließen, wonach dieselbe fortan nur aus 150
Deputierten
bestehen und diese nach
Provinzen
(Nomen) gewählt werden sollen.
[Litteratur.]
Über
die Geschichte Neugriechenlands vgl.
Mitford, History of Greece (Lond. 1784 ff.; neue Aufl.
1838, 8 Bde.; deutsch von
Eichstädt, Leipz. 1802-1808, 6 Bde.);
Kirche (griechisch-katholische oder, wie sie sich selbst gern nennt, orientalisch-orthodoxe
Kirche), derjenige der drei Hauptzweige der christlichen
Kirche, welcher die im ehemaligen oströmischen
Reiche geltenden Dogmen,
Gebräuche und Verfassungsformen beibehalten hat und gegenwärtig in
Vorderasien und im
Osten von
Europa
[* 11] herrschend ist.
Die Griechen waren zwar kein selbständiges
Volk mehr, als sie die
christliche Religion annahmen; aber
sie liehen derselben doch ihre
Sprache
[* 12] und den weit ausgebreiteten Schauplatz ihrer
Bildung, wiewohl dabei das eigentliche
Griechenland hinter
Alexandria zurücktrat (s.
Alexandrinische Schule). Während aber noch durch das ganze 4. Jahrh. das
Abendland
theologisch abhängig ist von dem
Geiste der griechischen
Kirche, ging in den folgenden
Jahrhunderten allmählich
auch die Trennung des
Orients und
Occidents von dem politischen
Boden auf den kirchlichen über, und zwar standen im
Osten die
Patriarchate von
Konstantinopel,
[* 13]
Alexandria,
Antiochia,
Cäsarea und
Ephesos,
[* 14] auch wohl
Jerusalem,
[* 15] lange koordiniert nebeneinander,
und erst allmählich hob sich der Bischofsitz zu
Konstantinopel durch die Bedeutung dieser Stadt und die
Größe seines
Sprengels zu solchem allgemeinen Ansehen, daß er mit
Rom
[* 16] rivalisieren konnte. Daß der entferntere
Orient kein
drittes kirchliches Ganze bildete, sondern sich der griechischen
Kirche anschloß, erklärt ein flüchtiger
Blick auf den Schauplatz
und den Zusammenhang der damals die ganze morgenländische
Kirche so sehr bewegenden dogmatischen, namentlich
christologischen, Streitigkeiten, die in der
Regel in
Konstantinopel durch kaiserliche Einflüsse entschieden wurden, zum
¶
Der wirksamste Grund zur wachsenden Entzweiung ist aber in der fortschreitenden Zentralisation der occidentalischen Kirche unter
dem römischen Papsttum zu suchen. Schon Photius (s. d.) beschwerte sich über die Herrschsucht des römischen
Bischofs, welcher auch den byzantinischen Patriarchen sich zu unterwerfen trachte, und die Erbitterung wurde noch gesteigert,
als der von griechischen Priestern bekehrte König der Bulgaren, Bogoris, in den Verband
[* 18] der abendländischen Kirche gezogen
wurde (866). Photius erließ zur Abwehr der römischen Übergriffe ein Rundschreiben (867), welches die abweichenden Gebrauche
der abendländischen Kirche, das Fasten am Sonnabend, die Erleichterung der großen Fasten, die Verwerfung
der Firmung durch die Hand
[* 19] des Presbyters und das Verbot der rechtmäßigen Priesterehe als Ketzereien rügte und gegen die
lateinische Kirche zugleich den Vorwurf der Symbolfälschung erhob, da die noch vom PapstLeo III. zwar an sich gebilligte,
aber als Zusatz im Symbol gemißbilligte Lehre
[* 20] vom Ausgang des HeiligenGeistes »auch vom Sohn« (filioque) in die lateinische
Fassung des Symbols aufgenommen worden war.
Das gute Einvernehmen mit Rom wurde zwar durch den Sturz des Photius wiederhergestellt, aber des letztern Rundschreiben war
ein bleibendes Zeugnis der Verschiedenheit beider Kirchen. Als vollends ein Schreiben des PatriarchenMichaelCärularius (s. d.) zu den hergebrachten Vorwürfen wider die römische Kirche noch den Gebrauch von ungesäuertem Brot
[* 21] beim
Abendmahl als jüdische Ketzerei hinzufügte, legten die römischen Legaten den päpstlicherseits gegen den Patriarchen
erlassenen Bannspruch auf dem Hochaltar der Sophienkirche nieder.
Michael säumte nicht, im Verein mit den übrigen orientalischen Patriarchen den Fluch zu erwidern, und so waren von jetzt an
die Kirchen des Morgenlandes und des Abendlandes, die beide ausschließende Ansprüche auf Katholizität
machten, auf immer
getrennt. Voll zähen Selbstgefühls, stolz auf den Besitz der ältern kirchlichen Verfassung und Sitten
sowie mancher einfacherer Lehrbestimmungen und echterer Überlieferungen, schloß sich die griechische Kirche immer schroffer gegen die
Fortentwickelung im Occident ab. Einzelne Versuche der Ausgleichung dienten nur dazu, den Riß zu erweitern, und die Heereszüge
der Kreuzfahrer steigerten den kirchlichen Gegensatz zum Nationalhaß.
Solange das lateinische Kaisertum bestand, verhinderte ebensowohl der gereizte Widerwille der Griechen
gegen ihre politischen Unterdrücker wie die Anmaßung der triumphierenden lateinischen Kirche eine Aussöhnung. Das Gebiet
der griechischen Kirche erweiterte sich zwar durch die Wiedergewinnung der Bulgarei, durch die Bekehrung sowohl der Mainoten
als der Slawen in Böhmen
[* 22] und Mähren, die jedoch im 10. Jahrh. meist zum römischen Kultus übertraten,
und durch die Gründung der russischen Kirche unter Wladimir d. Gr., erlitt aber anderseits Abbruch durch die von den Lateinern
und Türken gemachten Eroberungen.
Aus der nachfolgenden Zeit sind besonders die Berührungen erwähnenswert, in welche die griechische Kirche mit
dem Protestantismus trat. Nachdem schon Melanchthon (1559) einem Griechen die griechische Übersetzung der Augsburgischen Konfession
nebst einer Begrüßung an den Patriarchen Joasaph II. eingehändigt hatte, wurden die Tübinger Theologen J. ^[Jakob] Andreä
und M. Crusius durch einen protestantischen Gesandtschaftsprediger in Konstantinopel veranlaßt, dem PatriarchenJeremias II. eine andre Übersetzung mit der Bitte um sein Urteil zu übersenden (1574). Es erfolgte eine Antwort, die im Sinn der
beschränktesten Orthodoxie der morgenländischen Kirche abgefaßt war und den fernern Schriftenwechsel abschnitt (1581). Ein
glücklicherer Erfolg schien die Annäherungsversuche des Cyrillus Lukaris (s. d.) krönen zu wollen.
Nachdem dieser Patriarch von Konstantinopel geworden war, sandte er ein Glaubensbekenntnis nach Genf in
[* 26] der Absicht, eine Wiedergeburt
der griechischen Kirche im Sinn der reformierten Kirche zu bewirken; aber die obsiegende Gegenpartei erwiderte seine reformatorischen
¶