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einer Konferenz mit den Gesandten der Mächte den Entschluß, nach Bayern [* 2] zurückzukehren, ohne jedoch weder für sich noch für sein Haus definitiv auf die Krone Verzicht zu leisten. Seine Abschiedsproklamation war würdig; daß trotz 30jähriger Dauer seine Regierung mit Einem Schlag zusammenbrach, war weniger seinen Fehlern als denen der Politiker, die durch Parteileidenschaft und unruhige Vergrößerungssucht eine geordnete Regierung unmöglich machten, und der Kleinheit des Staats und seiner Abhängigkeit vom Ausland, welche das berechtigte Selbstgefühl der Nation verletzen mußten, zuzuschreiben.
König Otto hatte stets das Beste des Volkes gewollt und durfte sich jedenfalls mit Recht rühmen, »daß er, so oft es sich um Vergehen gegen seine Person gehandelt, stets unbegrenzte Milde und Vergessen des Geschehenen habe walten lassen«. Da G. auch nach seinem Sturz nicht im stande war, aus eigner Kraft [* 3] das Ziel seines Ehrgeizes, die Vergrößerung des Staats, zu erreichen, so kam man bald zur Einsicht der völligen Nutzlosigkeit der wenigstens unblutigen Revolution und bereute es, den gutmütigen König, dem man so manche Wohlthaten verdankte, verjagt zu haben.
Die neueste Zeit.
Nach einer Periode heftiger Parteistreitigkeiten schritten die Griechen auf ein Dekret der provisorischen Regierung zur Wahl eines neuen Königs; denn die Monarchie konnte und wollte man nicht beseitigen, da eine Republik den Mächten nicht genehm gewesen wäre und das Land ins Verderben gestürzt haben würde. Das allgemeine Stimmrecht entschied mit 230,016 Stimmen von 240,701 für den englischen Prinzen Alfred, zweiten Sohn der Königin Viktoria. Indes die drei Schutzmächte hielten an der 1830 getroffenen Bestimmung fest, welche die Mitglieder ihrer Dynastien vom griechischen Thron [* 4] ausschloß.
England kam aber den Griechen entgegen und ließ der provisorischen Regierung durch Lord Elliot anzeigen, daß es, wenn die Griechen eine verständige Königswahl träfen, bereit sei, die Ionischen Inseln abzutreten. Elliot schlug darauf der im Dezember 1862 zusammengetretenen Nationalversammlung den Herzog Ernst von Koburg [* 5] als Kandidaten vor, der aber ablehnte. Auch der Herzog von Aumale und König Ferdinand, Vater des Königs von Portugal, [* 6] aus dem Haus Koburg, welche auf der Wahlliste standen, lehnten im voraus ab. Endlich 23. März konnte Elliot der Nationalversammlung die Mitteilung machen, daß sich die drei Mächte über den Prinzen Wilhelm von Dänemark [* 7] (geb. 1845), zweiten Sohn des dänischen Thronerben Prinzen Christian von Holstein-Glücksburg, als zukünftigen König geeinigt hätten.
Derselbe wurde als Georg (Georgios) I. einstimmig gewählt, 5. Juni von den Schutzmächten anerkannt und hielt 30. Okt. seinen Einzug in Athen, [* 8] wo es inzwischen zu heftigen Unruhen, ja 30. Juni bis 2. Juli zu blutigen Szenen zwischen den Parteien gekommen war, welche nur durch die Intervention der Mächte unterdrückt wurden; englische und französische Marinetruppen hielten noch das Bankgebäude besetzt, als der neue König einzog. Nachdem die Einwohner der Ionischen Inseln zur Vereinigung mit Griechenland [* 9] ihre Zustimmung gegeben hatten, übergab der Lord-Oberkommissar dem griechischen Bevollmächtigten, General Zaimis, die Inseln, und 6. Juni hielt König Georg I. auf Korfu [* 10] seinen Einzug.
Daß dieser Erwerb der Anfang zu weitern Vergrößerungen sei, erschien den Griechen als selbstverständlich und verschaffte dem neuen Königtum gleich zu Anfang einigen Nimbus. Indes sehr bald stieß der junge Fürst, dem sein Vater den Grafen Sponneck als Mentor beigegeben hatte, auf Schwierigkeiten im Innern. Ministerkrisen folgten einander unaufhörlich, und die mißtrauische Opposition gegen den ausländischen Ratgeber regte sich sogleich. Die Nationalversammlung war sofort zu einer Verfassungsrevision geschritten; im September 1864 beschloß sie mit 211 gegen 62 Stimmen die Abschaffung des Senats.
Diesem Beschluß wollte der König sich nicht fügen, aber alle seine Botschaften fruchteten nichts. Am 28. Nov. löste sich die Versammlung von selbst auf, ohne ein Steuergesetz oder Budget zu stande gebracht zu haben, und die Revision der Verfassung, nach welcher der Senat durch einen Staatsrat ersetzt ward, trat in Kraft. Die Anfeindungen zwischen den Ministern und Parteihäuptern hörten aber deshalb nicht auf und führten immer neue Kabinettswechsel herbei. Im September 1865 erschien der Oheim des Königs, Prinz Julius von Glücksburg, um eine Verständigung zwischen den Parteiführern zu erzielen, indes ohne Erfolg; sein Versuch wurde der Bevölkerung [* 11] als ausländische Einmischung denunziert, und der Prinz mußte schleunigst abreisen; im Dezember 1865 wurde der König auch genötigt, den Grafen Sponneck zu entlassen.
Eine mit Riesenschritten wachsende Verlegenheit, welche kein Ministerwechsel beseitigte, bildete die Finanznot. Nur die Armee konnte regelmäßig bezahlt werden, die Beamten erhielten ihren Gehalt zu einem Dritteil in verzinslichen Schuldscheinen. Die Erhöhung der Zölle half nichts. Alle Anleiheversuche scheiterten, und die Schutzmächte weigerten sich, dem Staat, solange er nicht dem Parteigetriebe ein Ende mache, in der Zahlung der Zinsen für die Anleihe von 1832 Erleichterung zu gewähren.
Man mußte endlich zu Ersparungen schreiten und einen Teil der Kriegsflotte entwaffnen. Ein Ministerium nach dem andern trat auf und versprach, den öffentlichen Kredit herzustellen, die Verwaltung zu ordnen etc.; die Kammern aber vereitelten durch ihre Umtriebe alle Versuche zur Besserung. Auch ein Zirkular der Schutzmächte vom welches mit Einschreiten drohte, wenn sich die Parteien nicht zur Ordnung der Finanzen verständigten, richtete nichts aus.
Vielmehr mischten sich die Griechen in den Aufstand von Kreta (Kandia), der im August 1866 ausbrach, mit der Absicht, diese Insel dem Königreich einzuverleiben. Die Generalversammlung der Kreter hatte Georgios I. zum König ausgerufen;
in Athen bildete sich sofort ein kretensisches Komitee, welches zu Beiträgen für den Aufstand aufforderte;
zahlreiche griechische Freiwillige strömten den bedrängten Kretern zu.
Die Regierung zog Truppen an der türkischen Grenze zusammen und forderte die Mächte auf, den Sultan zur Nachgiebigkeit zu veranlassen;
man hoffte in Athen, dieselben würden wegen der Ereignisse in Deutschland [* 12] 1866 Griechenland im Orient freie Hand lassen.
Indes zeigten sich dieselben nicht geneigt, die Türkei [* 13] von neuem schwächen zu lassen. Sie hinderten sie in der Bekämpfung des kretischen Aufstandes nicht und erkannten auch die Rechtmäßigkeit ihrer Beschwerden über an, von wo den Empörern Hilfe an Geld und Menschen zufloß, welche den Kampf immer von neuem anfachte. Als die griechische Regierung auf alle Mahnungen nichts dagegen that, beschloß die Pforte endlich, an ein Ultimatum zu stellen und im Fall seiner Ablehnung den Krieg zu erklären. Der ¶
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Ausbruch des Kriegs wurde nur durch eine Konferenz der Mächte in Paris, [* 15] Januar 1869, verhindert, welche die türkischen Forderungen billigte und Griechenland verbot, Bildung von Banden und Ausrüstung von Schiffen zum Angriff auf türkisches Gebiet zu gestatten. Das griechische Ministerium weigerte sich und wollte es auf einen Krieg ankommen lassen; indes auf die patriotische Anleihe von 100 Mill. Drachmen, die man ausschrieb, wurden bloß 100,000 Drachmen gezeichnet. Das Ministerium nahm nun seine Entlassung, und das folgende, an dessen Spitze Zaimis trat, hatte den Mut, sich 6. Febr. zu unterwerfen; eine sehr lange Proklamation motivierte diesen Beschluß vor der Nation.
Im J. 1870 zog Griechenland durch einen neuen Vorfall die allgemeine Aufmerksamkeit und Entrüstung auf sich: am 11. April wurde eine Gesellschaft von Engländern beim Besuch des Schlachtfeldes von Marathon, wenige Meilen von Athen, von einer Räuberbande gefangen, und als die Regierung sich weigerte, außer dem bereits beschafften Lösegeld auch noch Amnestie zu bewilligen, sondern Truppen aussandte, wurden drei vornehme Engländer, welche die Räuber zurückbehalten, ermordet.
Mit Mühe gelang es, einen Teil der Schuldigen zu fangen und zu bestrafen. Den Hinterbliebenen der ermordeten Engländer mußte eine hohe Entschädigung gezahlt werden. Zeigte dies Ereignis die Unsicherheit der Person in Griechenland und die Ohnmacht der Regierung, so ein andres die Unsicherheit des Eigentums und die Habsucht der Machthaber. Die Regierung hatte einer französisch-italienischen Gesellschaft die Konzession zur Ausbeutung der altbekannten Silberbergwerke von Laurion erteilt, und diese gewann bedeutende Mengen von Blei [* 16] und Silber aus den nicht völlig erschöpften alten Schlacken und neuen Erzgängen.
Als man in Athen dies erkannte, wurden die laurischen Bergwerke durch ein Gesetz vom Mai 1871 ohne weiteres für Nationaleigentum erklärt. Nur die energische Intervention Frankreichs und Italiens [* 17] erreichte es, daß die Kammer 1873 sich zum Ankauf der Bergwerke durch den Staat entschloß. Furchtbare Naturerscheinungen, wie die Erdbeben [* 18] von Santa Maura, Lamia und am Parnaß, schädigten das langsame, oft unterbrochene Wachstum des nationalen Wohlstandes. Die Thätigkeit der Regierung lähmten die fortwährenden Ministerkrisen, welche durch die Unzuverlässigkeit der Parteien in der Kammer verursacht wurden.
Hatte die Opposition ein Ministerium gestürzt, und trat eins aus ihrer Mitte an die Spitze des Landes, so wurde es sofort von ihr wieder im Stiche gelassen. 1874 hielt sich Bulgaris als Ministerpräsident nur dadurch vom Februar bis zu Ende des Jahrs, daß niemand, weder Zaimis, noch Deligeorgis, noch Kumunduros, an seine Stelle treten wollte. Am machte gar die Opposition die Kammer beschlußunfähig, in dem sie austrat und zugleich an den König eine Beschwerdeschrift richtete.
Nur mit Mühe konnte im April 1875 durch das Erscheinen der gesamten Regierungspartei die Beschlußfähigkeit der Kammer und die Annahme des Staatsvertrags mit dem Deutschen Reich über die Ausgrabungen in Olympia (selbst dieser fand in Griechenland Opposition) erreicht werden. Auf den Rat der Schutzmächte bildete nun der König (9. Mai) nach Entlassung des Ministeriums Bulgaris ein neues unter Trikupis, welches bei den Neuwahlen im August 1875 vollständig unterlag und nur eine kleine Minorität von Stimmen erhielt. Beim Zusammentritt der Kammer im Oktober dankte es daher sofort ab, und Kumunduros übernahm das Ministerium. Dasselbe begann sofort seine Thätigkeit mit einer Anklage wegen Verfassungsverletzung gegen das Ministerium Bulgaris, welches aber im Dezember 1876 vom Staatsgerichtshof freigesprochen wurde.
Als 1876 die orientalische Frage sich wiederum einer Krisis näherte, regten sich sofort in Griechenland die Gelüste nach thätiger Beteiligung an der Verwickelung, um Vorteil von ihr zu ziehen. Es bildeten sich mehrere Klubs, um Geldbeiträge zu sammeln und die Aktion vorzubereiten. Indes waren die leitenden Staatsmänner über die einzuschlagende Politik nicht einig. Kumunduros und Bulgaris waren Russenfreunde und geneigt, sobald Rußland losschlüge, ebenfalls den Krieg zu erklären.
Daher beantragte Kumunduros im Oktober 1876 bei der Kammer die Bewilligung einer Anleihe von 60 Mill. zum Ankauf von Kriegsvorräten und Kriegsschiffen, die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht in der Armee und die sofortige Einberufung der ersten Klasse der Dienstpflichtigen. Andre Politiker, wie Deligeorgis, erkannten aber, daß Rußland, seitdem es den Panslawismus auf seine Fahne geschrieben, nicht mehr eine Stütze, sondern ein Hindernis für die griechischen Vergrößerungspläne sei, und hofften durch die Gunst der Westmächte in gütlichem Einvernehmen mit der Türkei Thessalien und Epirus zu gewinnen. Schließlich einigten sich die Parteien im Juni 1877 über die Bildung eines Fusionsministeriums, in welchem unter dem Vorsitz des greisen Seehelden Kanaris Kumunduros, Deligeorgis, Trikupis und Zaimis vereinigt waren. Diesem bewilligte die Kammer eine Anleihe von 40 Mill., die Mobilisierung der Landwehr, die Errichtung von 12 freiwilligen Bataillonen und die Verstärkung [* 19] der Flotte.
Dennoch blieb Griechenland auf den Rat Englands neutral. Erst nach dem Fall von Plewna, [* 20] und nachdem Deligeorgis, Zaimis und Trikupis aus dem Ministerium ausgeschieden waren, entschloß sich die Regierung zum Handeln und schickte Anfang Januar 1878 ein Heer von 12,000 Mann unter General Sutsos nach Thessalien, welches aber nur geringe Fortschritte machte und auf die energischen Vorstellungen Englands das türkische Gebiet bald wieder räumte. Rußland berücksichtigte daher Griechenland im Frieden von San Stefano gar nicht.
Zwar wurden griechische Vertreter zum Berliner Kongreß [* 21] zugelassen, aber im 13. Protokoll desselben wurde bloß ausgesprochen, daß die Türkei und Griechenland sich über eine Grenzrektifikation vereinigen sollten, durch welche letzterm das südliche Thessalien und Albanien zufielen. Die Verhandlungen zwischen beiden Staaten wurden 1879 in Preveza eröffnet, führten aber zu keinem Resultat, da die Türken sie absichtlich verschleppten. Der neue griechische Ministerpräsident, Trikupis, rief nun die Intervention der Mächte an, welche im Juni 1880 zu Berlin [* 22] zu einer Konferenz zusammentraten. Da die Westmächte sich Griechenlands sehr energisch annahmen, so wurden in der That fast ganz Thessalien und das südliche Albanien zugesprochen.
Die Pforte weigerte sich, diesen Beschluß anzunehmen, namentlich Janina abzutreten. Schon rüsteten sich die Griechen zu einem Krieg trotz der gänzlichen Zerrüttung der Finanzen und brachten ihr Heer auf 60,000 Mann. Indessen konnten sie doch bei ihrer gänzlichen Ohnmacht zur See nicht wagen, allein einen Krieg gegen die Türkei zu beginnen. Die Westmächte weigerten sich aber entschieden, in einem solchen thätig beizustehen, schlugen vielmehr neue Verhandlungen in Konstantinopel [* 23] vor, welche zum Abschluß gelangten. Die Pforte trat fast ganz Thessalien und von Albanien den Distrikt von Arta ab, 13,200 qkm mit 390,000 Einw. Die ¶