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der niedrigen Gewinnsucht und grausamen Roheit, in welche die Neugriechen mehr und mehr versanken, doch eine immer stärker werdende Sehnsucht nach geistig-sittlicher und politischer Wiedergeburt unter ihnen regte. Einzelne Versuche, sich zu befreien, mißlangen freilich durch den Mangel an Einheit und an Hilfe von außen gänzlich und machten nur das türkische Joch noch unerträglicher, oder sie erloschen, wie die Insurrektion unter Skanderbeg (Kastriota), mit dem Tod ihres Urhebers. Größern Erfolg versprachen die Erhebungen, die unter russischem Einfluß stattfanden, obwohl auch sie infolge der Treulosigkeit Rußlands endlich scheitern mußten.
Alte Sagen wiesen die Griechen auf einen von Norden [* 2] kommenden Retter hin, und schon seit Peter d. Gr. war Rußland von ihnen als ihr natürlicher Beschützer betrachtet worden. Katharina II. dachte zuerst mit Ernst daran, das in Rußland schon lange gehegte Projekt einer Eroberung Griechenlands zu verwirklichen. Ehe sie aber noch an die Ausführung dieses Plans gehen konnte, erklärte ihr die Pforte 1768 den Krieg. Rußland setzte nun alles in Bewegung, um einen Aufstand der Griechen zu bewirken; namentlich sendete es einen gewissen Pappas Oglu, welcher mit russischem Gelde die Griechen bearbeiten sollte.
Indes erhoben sich diese erst, als ein Teil der russischen See-Expedition unter Feodor Orlow bei Witylo in Morea landete, namentlich in Missolunghi und auf den Inseln. Die von der Pforte angeworbenen Albanesen eroberten jedoch Missolunghi, wo sie alle Männer niedermachten, und schlugen die Russen in Morea. Diese wilde Soldateska wütete nun aufs furchtbarste gegen die Griechen, durchzog plündernd und mordend Morea, metzelte das russische Belagerungskorps vor Modon nieder und zog gegen Navarino, wo sich Feodor Orlow mit dem Überrest seiner Landungstruppen in größter Eile einschiffen mußte, die Griechen ihrem traurigen Schicksal überlassend.
Selbst die Vernichtung der türkischen Flotte durch Alexis Orlow bei Tschesme hatte keine bleibenden Folgen für Griechenland [* 3] Rußland ließ im Frieden von Kütschük Kainardschi die Griechen im Stiche. Die Albanesenbanden, welche Morea unterworfen hatten, sahen sich als die Herren des Landes an und verwüsteten das unglückliche Griechenland auf die furchtbarste Weise, bis die Pforte endlich Maßregeln gegen die ihr selbst gefährlichen Horden ergriff und Hassan Pascha sie bei Tripolizza fast gänzlich aufrieb. Ebenso sahen sich die Griechen in den Hoffnungen getäuscht, welche der Krieg Österreichs und Rußlands gegen die Türkei [* 4] 1787-92 in ihnen erweckt hatte.
Die nun folgende Zeit der Ruhe erlaubte den Griechen, ihrem Handel einen außerordentlichen Aufschwung zu geben und eine höhere geistige Kultur zu erwerben. Schulen wurden errichtet, namentlich in Athen, [* 5] Salonichi, Kydonia, Janina, Kuru-Tschesme am Bosporus [* 6] etc. und auf mehreren Inseln des Archipelagus, und wie viele Jünglinge die Bildungsanstalten auf den Ionischen Inseln, in Odessa, [* 7] Petersburg, [* 8] Triest, [* 9] Wien, [* 10] Paris [* 11] bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. zu besuchen pflegten, so beförderte seit 1815 die Gesellschaft der »Philomusen« zu Athen dieses Streben durch Unterstützung junger Griechen, die ihre Studien in Italien, [* 12] Frankreich und Deutschland [* 13] zu vollenden wünschten.
Angeregt von den großen politischen Ideen, die von Frankreich ausgingen, suchte der Dichter Konstantin Rhigas aus Pherä in Thessalien teils mittels einer Verbrüderung (Hetärie), die bald einen politischen Charakter erhielt, teils durch seine Nationalgesänge unter allen Ständen patriotische Gesinnung zu erwecken. Neben den Unterrichtsanstalten entwickelte sich eine eigne neugriechische Nationallitteratur, die bald eine hohe politische Bedeutung gewann.
Dabei war der griechische Handel fortdauernd im Steigen, schon 1813 belief sich die griechische Handelsmarine auf 600 zum Teil gut bewaffnete Schiffe [* 14] mit etwa 20,000 Seeleuten. Die in ihr Vaterland zurückkehrenden Griechen, die in den französischen, englischen und russischen Heeren gedient hatten, verpflanzten militärischen Geist nach Griechenland und trugen so ebenfalls das Ihrige dazu bei, das Volk für seine Erhebung vorzubereiten. Während des Kongresses zu Wien 1814, der die Hoffnungen der Griechen auf den Beistand Europas wiederum täuschte, bildete sich in Odessa von neuem eine Hetärie, die Gesellschaft der Philiker, die bald zahlreiche Mitglieder in den höchsten Kreisen, darunter den russischen Minister Johann Kapo d'Istrias, zählte und über bedeutende Geldmittel gebot.
Die Schwäche der Türkei, welche 1806-12 einen unglücklichen Krieg mit Rußland geführt hatte und rebellische Paschas, wie Ali Pascha von Janina, nicht unterwerfen konnte, ermutigte die Griechen, einen Aufstand zu versuchen, dem, wie sie hofften, sich auch die übrigen christlichen Völker der Balkanhalbinsel [* 15] anschließen würden. Die Mächte waren unter Metternichs Einfluß der griechischen Erhebung allerdings nicht wohlgesinnt, selbst Alexander von Rußland scheute sich, eine revolutionäre Erhebung zu billigen, während er auf den Kongressen zu Troppau [* 16] und Laibach [* 17] ähnliche in Italien und Spanien [* 18] verdammte und ihre bewaffnete Unterdrückung unterstützte. Dagegen konnten die Griechen auf die Sympathien des gebildeten Europa [* 19] rechnen, wenn sie es unternahmen, sich von dem unerträglichen Joch der Türken zu befreien.
Der griechische Freiheitskrieg.
Die Erhebung begann damit, daß der Fanariot, Fürst Alexander Ypsilantis, Sohn eines moldauischen Hospodars und russischer General, in Bessarabien eine Schar Hetäristen um sich sammelte und 1821 im März in die Moldau einfiel in der Hoffnung, daß dies das Signal zur allgemeinen Erhebung der Griechen auf der ganzen Halbinsel sein werde. Wirklich erhob sich zu Galatz und Jassy das Volk und ermordete einige Hundert Türken, und binnen kurzem sammelte sich ein Heer von etwa 5500 Streitern, dessen Kern die »heilige Schar« war, aus enthusiastischen, aus allen Teilen Europas zusammengeströmten Griechen, mit Totenköpfen auf der Kopfbedeckung und den Achselklappen, bestehend.
Der Widerstand, den das Unternehmen bei den walachischen Bojaren fand, der Abfall der Bauern, welche für das Ziel der Erhebung die Vertreibung der fanariotischen Regierung gehalten hatten, der Verrat des Walachen Wladimiresko und die Zurückhaltung Serbiens mußten zwar die Aufständischen entmutigen; aber trotzdem drang Ypsilantis in die Walachei ein und griff die Türken bei Dragaschan an. Der Verrat der walachischen Truppen führte seine Niederlage herbei, die »heilige Schar« fiel im heldenmütigen Kampf. Ypsilantis trat auf österreichisches Gebiet über, wurde auf die Feste Munkács gebracht und starb, endlich freigelassen, 1828 in Wien. Georgakis führte den Rest des Heers in die Moldau und sprengte sich nach heldenmütiger Gegenwehr im Kloster Sekko in die Luft. In den Donaufürstentümern war der Aufstand unterdrückt.
Inzwischen hatte aber im Peloponnes, wo die Hetärie zahlreiche Anhänger zählte, Bischof Germanos die Griechen zu den Waffen [* 20] gerufen und Ende März ¶
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die Stadt Kalabryta erobert. Kolokotronis, der die Arkadier, und Petros Mauromichalis, der die Mainoten insurgierte, siegten in mehreren Gefechten, nahmen mehrere Städte ein und bildeten in Kalamata eine Art Nationalversammlung unter dem Namen des »Senats von Messenien«, welcher 9. April seine Sitzungen eröffnete, den Aufstand zu organisieren begann und die Geschäfte einer Regierung übernahm. Am 7. April wurde Athen eingenommen, die türkische Besatzung auf die Akropolis [* 22] beschränkt. In Böotien pflanzte der kühne und schlaue Odysseus die Fahne der Empörung auf.
Nach dem Vorgang von Hydra, Spezzia, Ipsara, Tino und Samos schlossen sich auch die meisten Inseln des Archipels der Erhebung an, und in kurzer Zeit wurde eine Flotte von 180 trefflich bemannten Briggs zusammengebracht, deren Oberbefehl man Jakob Tombazis übertrug, und die bald zahlreiche türkische Handelsfahrzeuge aufbrachte, welche ansehnliche Beute lieferten. Die Ereignisse auf Morea öffneten der Pforte die Augen über die Bedeutung der Ereignisse. Ein Hattischerif des aufs äußerste erzürnten Großherrn Mahmud II. rief alle Muselmanen unter die Waffen, und der türkische Pöbel stürzte sich mordend über die griechischen Bewohner Konstantinopels und andrer türkischer Städte, besonders an der asiatischen Küste.
In der Hauptstadt wurden 300 der reichsten Kaufleute hingerichtet. Der Patriarch von Konstantinopel, [* 23] Gregorios, ward am Osterfest (22. April) nach vollendetem Gottesdienst nebst mehreren andern Geistlichen an der Thür der Kirche aufgehängt. An 200 Kirchen (16 in Konstantinopel) wurden aller Protestationen der christlichen Gesandten ungeachtet zerstört, ja diese Gesandten selbst mit argwöhnischen Augen betrachtet, der russische, Stroganow, offen insultiert, die Wohnung eines Gesandtschaftsrats vom Pöbel demoliert und der Bosporus den Russen geschlossen.
Die Nachricht von diesen Greueln konnte die Wut der Insurgenten nur steigern; auch in den bisher noch ruhigen Distrikten Griechenlands wurde nun die Fahne des Aufstandes erhoben. Eleusis, Megara und alle bedeutenden Ortschaften der Korinthischen Landenge erhoben sich; ein vormaliger Mönch, Dikaios, nahm Korinth [* 24] und schloß die Türken in die Burg ein, während sein Waffenbruder Diakos sich in den Thermopylen festsetzte, um einem türkischen Heerhaufen die Straße nach Athen zu verlegen.
Zwar erfocht Omer Vrione 4. Mai an den Thermopylen einen blutigen Sieg über die Griechen, und Diakos erlitt nach heldenmütigem Kampf einen martervollen Tod; aber nun eilte Odysseus zur Rache herbei, trieb jenen bis Brodnizza zurück und eroberte die Burg von Arachova, und bald stand von den Thermopylen bis zum Ambrakischen Meerbusen ganz Hellas in Waffen. Auch die Ionischen Inseln unterstützten den Aufstand durch Lieferungen von Geld und Kriegsbedürfnissen. Auf Kreta wurden die Türken in ihre festen Plätze Kanea und Suda zurückgedrängt, Samos trotzte allen Angriffen, und eine gewaltige türkische Flotte, welche diese Warte der Freiheit zertrümmern sollte, wurde 21. Juli von zwei griechischen Brandern in die Flucht geschlagen.
Mit dem alten Ali Tepelen von Janina verbündet, rückten Anfang Mai auch die Sulioten aus ihren Bergen [* 25] hervor, schlugen türkische Truppen bei Kandscha, organisierten sich hierauf unter Marko Botzaris, riefen die ganze Landschaft von Margeriti und Prevesa zu den Waffen, eroberten die Feste Variades, die den Eingang nach Suli deckte, schlugen in der Ebene von Passaron Ismail Pascha und nahmen endlich eine Stellung bei Plaka. Namentlich auf Morea blieb der Aufstand siegreich. Die Versuche mehrerer türkischer Heere, den Hauptplatz von Morea, Tripolizza, zu entsetzen, wurden durch die Tapferkeit der griechischen Scharen zurückgeschlagen. Am wurde Tripolizza mit Sturm genommen, die Besatzung von 8000 Mann niedergemacht und Kolokotronis' Sohn Panos als Statthalter eingesetzt.
Die Uneinigkeit unter den griechischen Führern, welche mancherlei Unfälle verschuldete, hatte schon längst das Bedürfnis einer festen Verfassung fühlbar gemacht. Zwar waren bereits im Anfang der Bewegung zu Kalamata in Messenien, dann auch auf Hydra und in andern Teilen des Landes Regierungen unter verschiedenen Namen errichtet worden. Dies befriedigte aber das dringende Bedürfnis der Einheit nicht, und es ward deshalb im Dezember 1821 eine allgemeine Nationalversammlung nach Argos ausgeschrieben, welche aus 67 Abgeordneten aller griechischen Provinzen bestehende Versammlung sich bald darauf nach Epidauros (Piada) begab, um hier eine Unabhängigkeitserklärung und den Entwurf einer vorläufigen Regierungsverfassung zu beraten.
Die bekannt gemachte provisorische Staatsverfassung, das »organische Gesetz von Epidauros«, stellte als allgemeine Grundsätze auf: allgemeine Duldung in Religionssachen, gleiche Rechte vor Gericht, zu Ämtern und bei Abgaben. Die Regierung sollte in einen gesetzgebenden Rat von 70 und einen vollziehenden Rat von 5 Mitgliedern zerfallen; letzterer sollte für die Vollziehung der Gesetze sorgen und 8 Minister ernennen. Die Rechtspflege sollte unabhängig von beiden sein.
Als Gesetzbuch ward das der alten griechischen Kaiser, für den Handel das französische angenommen. Der Fanariot, Fürst Alexander Maurokordatos, der mit europäischer Zivilisation und Politik vollkommen vertraut war, ward zum Präsidenten (Proedros) und Theodor Negris zum Staatssekretär ernannt. Der Kongreß erklärte zunächst die Vereinigung Griechenlands zum unabhängigen Föderativstaat sowie den Blockadezustand jedes von den Türken besetzten Ortes.
Indessen machte sich bald der Mangel eines gut organisierten Heers und des Geldes, noch mehr aber eines Hauptes geltend, das den Aufstand zu beherrschen und zu leiten fähig gewesen wäre. Dazu hatten sich Rußland und Österreich [* 26] gegen den Aufstand erklärt, England zeigte sich geradezu feindselig, Frankreich bewahrte eine strenge Neutralität, und die Pforte suchte dadurch, daß sie mit Rußland wieder in engere Verbindung trat, mehrere griechische Kirchen in Konstantinopel wieder aufbaute und einen neuen Patriarchen wählen ließ, die asiatischen Horden, welche Jassy noch beim Abzug in Brand steckten, aus der Moldau und Walachei zurückzog und neue und eingeborne Hospodare einsetzte, feindlichen Bewegungen auf dieser Seite vorzubeugen, um alle Streitkräfte gegen das eigentliche Griechenland konzentrieren zu können. Zwei Flotten wurden ausgerüstet, in Konstantinopel und von Mehemed Ali in Ägypten, [* 27] um den Landkrieg zu unterstützen, für den nun auch nach der Bezwingung Ali Paschas die Truppen in Albanien verfügbar waren. Die Anfänge waren allerdings nicht glücklich. Ein türkisches Korps von 1500 Mann ward bei Vostizza zurückgeschlagen und eine andre Schar in den Engwegen des Makrynoros bis auf 600 Mann zusammengehauen. Der Seraskier selbst, der mit 3000 Mann bei Vonizza landete, wurde hier von Makrys mit großem ¶