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beiwohnten. Kaiser Julians Bemühungen, den heidnischen Götterkult von neuem zu beleben, fanden besonders im alten Hellas Anklang, wo die strengen Gesetze der ersten christlichen Kaiser gegen den Polytheismus wenig Geltung erlangt hatten. Doch hatte sich auch hier der letztere überlebt und verlor immer mehr Bekenner, als Julians Nachfolger, Jovianus, Valentinian und Valens, dem klassischen Land keine besondere Bevorzugung mehr wie jener angedeihen ließen. Aber auch die strengen Maßregeln des Kaisers Theodosius, welcher 396 die heidnischen Priester ihrer Privilegien und Rechte beraubte und bald darauf auch die heidnischen Tempel schließen ließ, bewirkten noch nicht die völlige Vernichtung des Heidentums, und selbst als der Kaiser Theodosius der jüngere 426 die letzten noch übrigen Heiligtümer der alten Götter hatte zerstören oder in christliche Kirchen verwandeln lassen, erhielt sich in entlegenen Gegenden Griechenlands noch heidnischer Kult, wie z. B. unter den Mainoten, welche erst im 9. Jahrh. unter Kaiser Basilius dem Makedonier zum Christentum bekehrt wurden.
Durch die Teilung des römischen Reichs unter Arcadius und Honorius (395), durch welche ganz Griechenland als Teil der Diözese Makedonien bei dem östlichen Reich blieb, wurde hinsichtlich der Verwaltung keine wesentliche Veränderung herbeigeführt; das Prokonsulat von Achaia wurde unter Justinian I. aufgehoben und in die vier Strategien von Hellas, dem Peloponnes, von Nikopolis und den Inseln des Ägeischen Meers eingeteilt, und der Name Achaia verschwand seitdem ganz. Unter Leo dem Isaurier kam es wegen des Edikts gegen den Bilderdienst 727 in Griechenland zu einem allgemeinen Aufstand, eine Flotte unter Agallianos segelte nach Konstantinopel, um Leo zu stürzen; das Unternehmen scheiterte aber an einem voreiligen Angriff auf die Hauptstadt.
Durch eine furchtbare Pest, welche 746-747 in Griechenland wütete, dezimiert, vermochten die Griechen den wieder beginnenden Einfällen der Slawen keinen nachdrücklichen Widerstand zu leisten. Slawische Stämme durchzogen jetzt ungehindert ganz Hellas, drangen über den Isthmus in den Peloponnes ein und ließen sich in den verödeten Gegenden nieder, deren Berge und Flüsse, Thäler und Landschaften sie mit slawischen Namen belegten. So entstanden neben den altgriechischen oder romäischen Stadtgemeinden an der Küste damals im Binnenland slawische Gemeinwesen, welche sich unter eigentümlicher Stammverfassung nach und nach zu besondern Distrikten (Zupanien) verbanden und anfangs im friedlichen Verkehr mit den gebildeten Griechen viel von deren Art, Sprache und Sitte annahmen, später aber bei weiterer Ausbreitung mit den griechischen Städten mehrfach feindlich zusammenstießen. Nach hartnäckigem Widerstand von den byzantinischen Kaisern im 9. Jahrh. bezwungen, nahmen sie das Christentum an und vereinigten sich nach und nach mit der altgriechischen Bevölkerung zu einem Ganzen.
Es herrschte damals bei ansehnlichem Wohlstand ein reges Leben in Griechenland, namentlich in den Seestädten des Peloponnes. Zweckmäßige Verteidigungsanstalten machten, daß Versuche der Araber, sich in Griechenland festzusetzen, scheiterten. Nachdem dieselben schon um 867 einen vergeblichen Angriff auf die Insel Euböa gemacht, wurden sie auch später an den Küsten des Peloponnes, bei Paträ, Korinth und Methone, mit Verlust zurückgeschlagen und beunruhigten seitdem nur noch die Inseln, bis sie durch Eroberung der Insel Samos unter Kaiser Leo VI. (886) wieder einige Überlegenheit erhielten, die es ihnen möglich machte, Demetrias im nördlichen Griechenland (896), Lemnos (901) und das reiche Thessalonich (904) zu erobern.
Doch verloren sie dieses Übergewicht sehr bald wieder und mußten 961 selbst Kreta räumen. Im 10. Jahrh. drangen dagegen die Bulgaren, nachdem sie schon Thrakien und Makedonien geraume Zeit heimgesucht hatten, in ein und eroberten 933 Nikopolis, wo sie eine bulgarische Kolonie gründeten. Nachdem sie eine Zeitlang ruhig geblieben, fielen sie 978 verwüstend in Thessalien ein und plünderten Larissa. Durch glückliche Kämpfe mit dem Kaiser Basilius (987-989) kühner gemacht, erschienen sie 995 zum zweitenmal in Thessalien und durchzogen dann auch Böotien, Attika und einen Teil des Peloponnes. Beim Rückzug erlitten sie eine entscheidende Niederlage, und es blieb seitdem Thessalien von ihnen verschont, zumal nachdem ganz Bulgarien 1019 dem byzantinischen Reich einverleibt worden.
Schwerer ward Griechenland durch die Heerfahrten der Normannen betroffen. Unter dem Vorwand, den vertriebenen Kaiser Michael (Parapinakes) wieder auf den Thron zu erheben, erschien Robert Guiscard 1081 mit Heeresmacht an der Küste von Epirus, eroberte einige Inseln und die wichtigen Küstenstädte Aulon und Dyrrhachium und drang von da aus in das Binnenland bis in die Gegend von Thessalonich ein. Nach ihm setzte sein Sohn Bohemund diese Eroberungszüge fort, bis er, durch einen verunglückten Angriff auf Larissa zum Rückzug genötigt, alles Gewonnene wieder verlor.
Bei einer zweiten Heerfahrt (1084) nahmen zwar die Normannen abermals Korfu, Aulon und Buthrotum in Besitz; aber Robert Guiscards Tod (1085) steckte ihren Unternehmungen in Griechenland vorläufig ein Ziel. Erst 1146 bedrohte König Roger von Sizilien durch seinen Heereszug nach Osten das eigentliche Griechenland wieder ernstlicher, indem er die reichen Städte Theben und Korinth plünderte. Noch schwerere Wunden aber schlugen die Unternehmungen der fränkischen Ritter im 13. Jahrh. dem Land, welches damals eine der wohlhabendsten Provinzen des byzantinischen Reichs bildete.
Die Eroberung von Konstantinopel durch die Franken (1204) führte zu einer Teilung des byzantinischen Reichs, bei welcher der Markgraf Bonifacius von Montserrat Thessalonich und die Umgegend als Königreich erhielt. Dieser setzte sich in kurzer Zeit in Besitz von ganz Makedonien, drang in Thessalien ein, schlug bei den Thermopylen ein griechisches Heer unter Leo Sguros und nahm fast ohne Schwertstreich Theben und Athen, worauf sich ihm auch die Insel Euböa unterwarf. Sein Angriff auf den Peloponnes scheiterte an den festen Mauern von Korinth und Nauplia.
Fast gleichzeitig mit Bonifacius war Wilhelm von Champlitte (mit ihm Gottfried von Villehardouin, der Geschichtschreiber dieser Kriege), aus dem Haus der Grafen von Champagne, mit einer Schar an der Westküste des Peloponnes gelandet, hatte Patras besetzt und von da aus Andravida, Korinth und Argos bis auf die stark befestigten Akropolen erobert und war als Fürst von Achaia allgemein anerkannt worden. Sein Sieg bei dem Olivenwald von Kondura (1205) über ein aus Griechen und Slawen gebildetes Heer befestigte seine Herrschaft über den westlichen Teil von Morea bis an den Fuß des Taygetos. Als ihn 1209 Familienverhältnisse nach Frankreich zurückriefen, verteilte er das eroberte Land nach fränkischer Weise als Lehen unter seine Ritter und übertrug Villehardouin als seinem Stellvertreter die Oberlehnsherrlichkeit. Die fränkischen Ritter verpflanzten zum Schutz ihrer Herrschaft das fränkische Feudalwesen nach Griechenland, führten den Heerbann ein und
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nahmen als Norm richterlicher Entscheidung das Gesetzbuch der Assisen von Jerusalem an. Villehardouin erweiterte und befestigte seine Macht durch weitere Eroberungen sowie dadurch, daß er nicht nur die Ritter, sondern auch die einheimischen Archontenfamilien für seine Pläne zu gewinnen wußte, und ward auf Grund eines mit Champlitte abgeschlossenen Vertrags von den Rittern als erblicher Oberherr von Morea anerkannt (1210-18). Sein ältester Sohn, Gottfried, ward nach seiner Vermählung mit der Tochter des lateinischen Kaisers zu Konstantinopel, Peter von Courtenay (1217-20), zum Fürsten von Achaia erhoben, nachdem er den Kaiser als Lehnsherrn anerkannt hatte.
Durch Händel mit dem Klerus an weitern Unternehmungen gehindert, starb er 1245 in der Blüte seiner Jahre. Sein Bruder und Nachfolger Wilhelm (1245-78) eroberte Nauplia und Monembasia, unterwarf auch Melingos und Maina seiner Obergewalt und demütigte mehrere widerspenstige Vasallen. Als er sich aber an dem Krieg des Despoten Michael II. von Epirus gegen den Kaiser Michael VIII., Paläologos, beteiligte, geriet er in die Gefangenschaft des letztern und mußte seine Freilassung 1262 mit Abtretung der drei wichtigsten Plätze, Monembasia, Maina und Leuktra, erkaufen. In seiner Herrschaft über Morea aber ward er ernstlich bedroht, als der letzte lateinische Kaiser, Balduin II., um durch einen mächtigen Bundesgenossen sein verlornes Reich wiederzugewinnen, dem König von Sizilien, Karl von Anjou, die Herrschaft über Morea verlieh; doch ward die dadurch veranlaßte Differenz durch die Vermählung seiner Tochter Isabella mit Karls Sohn Philipp ausgeglichen.
Auch ward das Fürstentum Achaia Lehen des Königreichs Sizilien und blieb als solches, freilich mehr und mehr zusammenschwindend, noch bis 1346 im Besitz der Nachkommen der Isabella Villehardouin, welche sich nach Philipps Tod (1277) noch zweimal, mit Florens von Hennegau und Philipp von Savoyen, verheiratet hatte. Auf ihre zweite Heirat begründeten später die Herzöge von Savoyen Ansprüche auf das Fürstentum Achaia, das, nach des Fürsten Robert (1346) Tod in mehrere Herrschaften zerfallen, sich durch innere Kämpfe schwächte. 1446 eroberte der türkische Sultan Murad II. den größten Teil des Peloponnes. Nur die Despotate der Paläologen in Patras und Mistra behielten ihre Unabhängigkeit, drückten aber die Einwohner so hart, daß sie sich bald empörten und wiederholt die Türken zur Hilfe herbeiriefen. Unter fürchterlichen Greueln wurde die Halbinsel 1458-61 von Mohammed II. völlig unterworfen und dem türkischen Reich einverleibt.
Im nördlichen Griechenland war der Fortbestand der fränkischen Herrschaft durch den frühzeitigen Tod des Markgrafen Bonifacius von Montferrat 1207 wieder in Frage gestellt worden. Der lateinische Kaiser Heinrich von Flandern (1206-16) unternahm zwar einen Heereszug nach Thessalonich, um dem Nachfolger des Bonifacius, Demetrius (1207-22), die ihm von seinem ältern Bruder streitig gemachte Herrschaft zu sichern. Aber Michael, Despot von Epirus, erst Bundesgenosse des lateinischen Kaisers, dessen Bruder Eustatio er selbst die Nachfolge in Epirus verheißen hatte, fiel bald wieder von den Franken ab und ernannte seinen am Kaiserhof zu Nicäa lebenden Bruder Theodoros Angelos Komnenos zu seinem Nachfolger, und diesem gelang es, in kurzer Zeit seine Herrschaft besonders nach Norden hin auszubreiten.
Nachdem er die Bulgaren zurückgetrieben und die vereinigte Macht des Fürsten von Achaia und des Herzogs von Athen in Thessalien geschlagen hatte, drang er in Makedonien ein, eroberte 1222 Thessalonich und ließ sich hier zum Kaiser krönen. Doch verlor er schon 1230 den größten Teil des eroberten Gebiets wieder an die Bulgaren, die auch fast ganz Epirus besetzten. Dem Sohn Theodors, Johann, verblieb nur Thessalonich, und auch dies ward bald nachher vom nicäischen Kaiser Vataces (1222-45) erobert, welcher es aber als ein Despotat seines Kaisertums jenem auch fernerhin überließ. Des Vataces Nachfolger Michael Paläologos (1259-82) brachte mit Epirus auch das nördliche Griechenland wieder in seine Gewalt, und diese Länder gehörten seitdem wieder zum Reich der Paläologen, bis sie im folgenden Jahrhundert erst von den Albanesen, dann aber im 15. Jahrh. von den Türken erobert wurden.
In Mittelgriechenland war ferner von den Franken das Herzogtum Athen begründet worden. Dieses war 1205-1308 im Besitz der Familie Delaroche geblieben, kam dann durch die Vermählung Isabellas, der Tochter des letzten Herzogs aus dieser Familie, mit Hugo, Grafen von Brienne, an Walter von Brienne (1308-11), den Sprößling dieser Ehe. Sein Nachfolger Walter II. erlag 1311 im Kampf gegen katalonische Mietstruppen, welche einen ihrer Führer, Roger Deslaur, zum Herzog einsetzten.
Als sich nach dessen Tod 1312 viele Prätendenten erhoben, traten die Grafen von Brienne das Herzogtum an die Könige von Sizilien ab, welche es 1386 an den Florentiner Nerio Acciajuoli, der Korinth beherrschte, abtreten mußten. Bei seinem Tod 1394 übergab Nerio I. das schon von den Türken hart bedrängte Athen den Venezianern, denen es aber sein Bastardsohn Antonio, der bloß die väterlichen Besitzungen in Böotien erhalten hatte, bereits 1402 wieder abnahm. Als letzterer nach glücklicher Regierung ohne männliche Nachkommen starb, bemächtigte sich ein Neffe von ihm, Nerio II. (1435-53), der Herrschaft über Athen, während Theben und die böotischen Besitzungen des Hauses Acciajuoli 1435 von den Türken besetzt wurden.
Nerios Neffe Franco herrschte dann in Athen unter dem Schutz des Sultans, gab aber durch die Ermordung der Witwe seines Vorgängers Chiara Giorgio demselben einen Vorwand, feindlich gegen ihn zu verfahren. Ein türkisches Heer erschien unter Omer Pascha vor Athen und zwang den Herzog zur Kapitulation, worauf das Herzogtum 1456 mit dem osmanischen Reich vereinigt ward. 1467 nahmen zwar die Venezianer unter Victor Capello Athen durch Überrumpelung, verloren es aber nach kurzer Zeit wieder an die Osmanen, in deren Besitz es dann bis zu den spätern venezianischen Kriegen blieb.
Was die Inseln des Archipels anlangt, so waren diese bei der Begründung des lateinischen Kaisertums und zum Teil schon früher von den Venezianern besetzt worden. Auch Korfu und Kreta, welches Bonifacius von Montferrat den Venezianern gegen Thessalonich überlassen hatte, wurden von den letztern kolonisiert, und der kleinern Inseln im Ägeischen Meer bemächtigten sich venezianische Edle. Der mächtigste unter diesen ward Marco Sanudo, welcher Naxos besetzte und von da seine Herrschaft über Paros, Antiparos, Santorin, Anaphe, Kimolis, Milo, Siphanto und Polykandro ausdehnte und, nachdem er sich von Venedig losgesagt, vom byzantinischen Kaiser als unabhängiger Herzog des Archipels anerkannt wurde. Mit seinem Tod (1227) fiel dies Herzogtum nicht zusammen, sondern seine Nachfolger wußten sich ihren Besitz dadurch, daß sie sich, je nach den Umständen,
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bald an die Genuesen, bald an die Venezianer anschlossen, zu sichern, so daß Naxos erst im 16. Jahrh. dem osmanischen Reich einverleibt ward, während die Herrschaft der venezianischen Nobili auf den übrigen Inseln, die meist wieder von den Byzantinern erobert wurden, von weit kürzerm Bestand war; auch diese Inseln fielen endlich den Türken zu.
Mit mehr Schwierigkeit war für die Osmanen die Eroberung der zahlreichen unmittelbaren Besitzungen der Venezianer im Archipel und auf dem Festland verbunden, welche unter deren trefflicher Verwaltung in Handel und Gewerbe eine große Blüte erreicht hatten. Modon, Argos, Napoli di Romania und andre wichtige Punkte mußten nach und nach den Venezianern abgerungen werden. 1462 fiel das wichtige Lesbos in Mohammeds I. Gewalt. Der Krieg der Türken mit den Venezianern dauerte 15 Jahre (1464-79), vernichtete den Handel der Republik und veranlaßte verheerende Einfälle der Türken in das italienische Gebiet; die meisten Besitzungen im Archipel, namentlich 1470 das wichtige Negroponte (Euböa), gingen für die Venezianer verloren, die im Frieden von Konstantinopel von ihren griechischen Erwerbungen nur wenige Platze auf Morea behielten.
Doch trat ihnen der Sultan noch 1480 die dem Despoten von Arta abgenommenen Inseln Zante und Kephalonia gegen einen jährlichen Tribut ab. Ein zweiter Krieg (1499-1503) entriß den Venezianern auch Lepanto, Koron, Navarino und Ägina, die sie 1503 im Frieden mit Bajesid II. gegen Handelsbegünstigungen abtraten. Die Insel Rhodos ward 1522 den Johannitern, der Rest von Morea 1540 und Cypern 1571 den Venezianern entrissen, denen ein 1573 abgeschlossener Friede nur noch einige Festungen auf der albanesischen Küste, Kreta und die Ionischen Inseln ließ.
Griechenland unter der Herrschaft der Türken.
Mit dem Frieden von 1503 war die Herrschaft der Pforte auf dem griechischen Festland entschieden. Griechenland ward nun völlig zur türkischen Provinz, der ein Beglerbeg vorstand, und welche nach osmanischer Weise wieder in mehrere Sandschaks geteilt war, von denen das von Morea, von einem Bei verwaltet, das bedeutendste war. Die Kykladen gaben anfangs nur einen bestimmten jährlichen Tribut, blieben aber infolge der häufigen Angriffe der Malteserritter faktisch unabhängig und zahlten den Tribut (zusammen jährlich ungefähr 300,000 Piaster) auch nur dann, wenn der Kapudan-Pascha mit seiner ganzen Flotte im Ägeischen Meer erschien, um ihn beizutreiben.
Ein neuer Krieg mit den Venezianern brachte auch Kreta 1659 in den Besitz der Türken, die dagegen in dem nächsten Krieg von 1687 bis 1699 Morea verloren, wo nun von den Venezianern eine geordnete, wenn auch despotische Verwaltung eingeführt wurde. Der Kampf um die Halbinsel dauerte fort bis 1715; die Türken gewannen damals Morea wieder und erhielten es 1718 im Passarowitzer Frieden nebst noch einigen Punkten förmlich abgetreten. Griechenland, nun wieder ganz türkisch, wurde in Paschaliks geteilt und dem Rumeli-Valessi (Großrichter von Rumelien) untergeordnet, während 31 Inseln des Ägeischen Meers dem Namen nach dem Kapudan-Pascha und andern türkischen Beamten zur Verwaltung oder vielmehr Nutznießung überlassen wurden.
Das Verhältnis der Griechen unter der türkischen Herrschaft war anfangs kein sehr drückendes; es war ihnen sogar eine gewisse Freiheit gesichert, und namentlich litten sie bis zum Tod Solimans I. weniger durch die türkische Unterjochung als dadurch, daß Griechenland der Zankapfel zwischen der Pforte und den abendländischen Seemächten war. Unerträglicher wurden das Verhältnis durch das Verwaltungssystem, das nach der letzten Eroberung eingeführt ward. Die Käuflichkeit und der häufige Wechsel der Beamtenstellen verführten zur Willkür in Erhöhung der Abgaben und machten ein Aussaugungssystem herrschend, das bald zur grausamsten Despotie ausartete.
Dies und der Umstand, daß der größte Teil des Grundeigentums in die Hände der Türken gefallen war, lähmte die produktive Thätigkeit des Landes völlig und bewirkte, daß die Griechen sich fast ausschließlich auf den Handel warfen. Nur die Inseln und einige Gebirgsdistrikte bewahrten sich eine gewisse Unabhängigkeit, die auch für den spätern Freiheitskampf von dem bedeutendsten Einfluß war. Auf dem Festland war mit der politischen Vernichtung die Ertötung alles wissenschaftlichen Lebens und die servile Entwürdigung in sittlicher Hinsicht notwendig verbunden gewesen, und so würde die Nationalität der Griechen wohl zu Grunde gegangen sein, wenn sie nicht durch zwei Institute, die Kirche und die Lokalverwaltung, noch aufrecht erhalten worden wäre.
Die griechische Kirche, die von den Türken, wenn auch mit Verachtung, geduldet wurden und mit der griechischen Sprache zugleich ein nationales Unterscheidungszeichen von den herrschenden Bekennern des Islam erhielt, nahm sich durch den Patriarchen und die heilige Synode zu Konstantinopel der Rechte der Griechen der Pforte gegenüber mit Erfolg an, bildete einen Mittelpunkt der Nation und übte einen mächtigen Einfluß auf die innern Angelegenheiten derselben aus.
Für die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten blieben den Griechen ferner selbstgewählte Lokalobrigkeiten, die Demogeronten (auch Archonten, Primaten, Ephoren, Kodscha-Baschi) genannt, die an manchen Orten im erblichen Besitz ihres Amtes den Charakter eines Provinzial- und Landadels annahmen. Dieser bewahrte eine gewisse Selbständigkeit, verhinderte die politische Vermischung der Griechen mit den Türken und war eine treffliche Grundlage zu einem spätern politischen Organismus.
Neben ihnen erhoben sich seit dem Anfang des 18. Jahrh. als eine Art Patriziat die Fanarioten (s. Fanar), die auf die türkische Regierung und ihre Beziehungen zu der griechischen Nation bedeutenden Einfluß gewannen, den jedoch ihr Ehrgeiz, ihre Herrschsucht und ihre intrigenvolle Gewandtheit um alle wohlthätigen Folgen in nationaler Hinsicht brachten. Außer ihnen machten sich noch als besondere Klasse die Armatolen (s. d.) an der Spitze ihrer kriegerischen Klephthen (»Räuber«) geltend, welche in den gebirgigen Gegenden Nordgriechenlands den türkischen Befehlshabern gegenüber eine gewisse Unabhängigkeit behaupteten.
Von großer Bedeutung für die Kultur der Neugriechen war auch die Ausbreitung ihres Handels, der sie nötigte, für eine eigne Marine zu sorgen, und sie mit den zivilisierten Völkern in Verbindung brachte. Von griechischen Handelshäusern ging die Gründung der ersten griechischen Bildungsanstalten in der Türkei aus, welche, von den Türken anfangs beschränkt, sich durch den Schutz Rußlands immer mehr erweiterten. Endlich bewahrten sich die Griechen unversehrt das Gut ihrer nationalen Sprache, die unter der türkischen Herrschaft nicht zurückgedrängt, vielmehr von den zahlreichen eingewanderten Albanesen angenommen wurde. Ihre Litteratur beschränkte sich freilich auf das Volkslied. Dies alles bewirkte, daß sich trotz des religiösen Aberglaubens,
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der niedrigen Gewinnsucht und grausamen Roheit, in welche die Neugriechen mehr und mehr versanken, doch eine immer stärker werdende Sehnsucht nach geistig-sittlicher und politischer Wiedergeburt unter ihnen regte. Einzelne Versuche, sich zu befreien, mißlangen freilich durch den Mangel an Einheit und an Hilfe von außen gänzlich und machten nur das türkische Joch noch unerträglicher, oder sie erloschen, wie die Insurrektion unter Skanderbeg (Kastriota), mit dem Tod ihres Urhebers. Größern Erfolg versprachen die Erhebungen, die unter russischem Einfluß stattfanden, obwohl auch sie infolge der Treulosigkeit Rußlands endlich scheitern mußten.
Alte Sagen wiesen die Griechen auf einen von Norden kommenden Retter hin, und schon seit Peter d. Gr. war Rußland von ihnen als ihr natürlicher Beschützer betrachtet worden. Katharina II. dachte zuerst mit Ernst daran, das in Rußland schon lange gehegte Projekt einer Eroberung Griechenlands zu verwirklichen. Ehe sie aber noch an die Ausführung dieses Plans gehen konnte, erklärte ihr die Pforte 1768 den Krieg. Rußland setzte nun alles in Bewegung, um einen Aufstand der Griechen zu bewirken; namentlich sendete es einen gewissen Pappas Oglu, welcher mit russischem Gelde die Griechen bearbeiten sollte.
Indes erhoben sich diese erst, als ein Teil der russischen See-Expedition unter Feodor Orlow bei Witylo in Morea landete, namentlich in Missolunghi und auf den Inseln. Die von der Pforte angeworbenen Albanesen eroberten jedoch Missolunghi, wo sie alle Männer niedermachten, und schlugen die Russen in Morea. Diese wilde Soldateska wütete nun aufs furchtbarste gegen die Griechen, durchzog plündernd und mordend Morea, metzelte das russische Belagerungskorps vor Modon nieder und zog gegen Navarino, wo sich Feodor Orlow mit dem Überrest seiner Landungstruppen in größter Eile einschiffen mußte, die Griechen ihrem traurigen Schicksal überlassend.
Selbst die Vernichtung der türkischen Flotte durch Alexis Orlow bei Tschesme hatte keine bleibenden Folgen für Griechenland Rußland ließ im Frieden von Kütschük Kainardschi die Griechen im Stiche. Die Albanesenbanden, welche Morea unterworfen hatten, sahen sich als die Herren des Landes an und verwüsteten das unglückliche Griechenland auf die furchtbarste Weise, bis die Pforte endlich Maßregeln gegen die ihr selbst gefährlichen Horden ergriff und Hassan Pascha sie bei Tripolizza fast gänzlich aufrieb. Ebenso sahen sich die Griechen in den Hoffnungen getäuscht, welche der Krieg Österreichs und Rußlands gegen die Türkei 1787-92 in ihnen erweckt hatte.
Die nun folgende Zeit der Ruhe erlaubte den Griechen, ihrem Handel einen außerordentlichen Aufschwung zu geben und eine höhere geistige Kultur zu erwerben. Schulen wurden errichtet, namentlich in Athen, Salonichi, Kydonia, Janina, Kuru-Tschesme am Bosporus etc. und auf mehreren Inseln des Archipelagus, und wie viele Jünglinge die Bildungsanstalten auf den Ionischen Inseln, in Odessa, Petersburg, Triest, Wien, Paris bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. zu besuchen pflegten, so beförderte seit 1815 die Gesellschaft der »Philomusen« zu Athen dieses Streben durch Unterstützung junger Griechen, die ihre Studien in Italien, Frankreich und Deutschland zu vollenden wünschten.
Angeregt von den großen politischen Ideen, die von Frankreich ausgingen, suchte der Dichter Konstantin Rhigas aus Pherä in Thessalien teils mittels einer Verbrüderung (Hetärie), die bald einen politischen Charakter erhielt, teils durch seine Nationalgesänge unter allen Ständen patriotische Gesinnung zu erwecken. Neben den Unterrichtsanstalten entwickelte sich eine eigne neugriechische Nationallitteratur, die bald eine hohe politische Bedeutung gewann.
Dabei war der griechische Handel fortdauernd im Steigen, schon 1813 belief sich die griechische Handelsmarine auf 600 zum Teil gut bewaffnete Schiffe mit etwa 20,000 Seeleuten. Die in ihr Vaterland zurückkehrenden Griechen, die in den französischen, englischen und russischen Heeren gedient hatten, verpflanzten militärischen Geist nach Griechenland und trugen so ebenfalls das Ihrige dazu bei, das Volk für seine Erhebung vorzubereiten. Während des Kongresses zu Wien 1814, der die Hoffnungen der Griechen auf den Beistand Europas wiederum täuschte, bildete sich in Odessa von neuem eine Hetärie, die Gesellschaft der Philiker, die bald zahlreiche Mitglieder in den höchsten Kreisen, darunter den russischen Minister Johann Kapo d'Istrias, zählte und über bedeutende Geldmittel gebot.
Die Schwäche der Türkei, welche 1806-12 einen unglücklichen Krieg mit Rußland geführt hatte und rebellische Paschas, wie Ali Pascha von Janina, nicht unterwerfen konnte, ermutigte die Griechen, einen Aufstand zu versuchen, dem, wie sie hofften, sich auch die übrigen christlichen Völker der Balkanhalbinsel anschließen würden. Die Mächte waren unter Metternichs Einfluß der griechischen Erhebung allerdings nicht wohlgesinnt, selbst Alexander von Rußland scheute sich, eine revolutionäre Erhebung zu billigen, während er auf den Kongressen zu Troppau und Laibach ähnliche in Italien und Spanien verdammte und ihre bewaffnete Unterdrückung unterstützte. Dagegen konnten die Griechen auf die Sympathien des gebildeten Europa rechnen, wenn sie es unternahmen, sich von dem unerträglichen Joch der Türken zu befreien.
Der griechische Freiheitskrieg.
Die Erhebung begann damit, daß der Fanariot, Fürst Alexander Ypsilantis, Sohn eines moldauischen Hospodars und russischer General, in Bessarabien eine Schar Hetäristen um sich sammelte und 1821 im März in die Moldau einfiel in der Hoffnung, daß dies das Signal zur allgemeinen Erhebung der Griechen auf der ganzen Halbinsel sein werde. Wirklich erhob sich zu Galatz und Jassy das Volk und ermordete einige Hundert Türken, und binnen kurzem sammelte sich ein Heer von etwa 5500 Streitern, dessen Kern die »heilige Schar« war, aus enthusiastischen, aus allen Teilen Europas zusammengeströmten Griechen, mit Totenköpfen auf der Kopfbedeckung und den Achselklappen, bestehend.
Der Widerstand, den das Unternehmen bei den walachischen Bojaren fand, der Abfall der Bauern, welche für das Ziel der Erhebung die Vertreibung der fanariotischen Regierung gehalten hatten, der Verrat des Walachen Wladimiresko und die Zurückhaltung Serbiens mußten zwar die Aufständischen entmutigen; aber trotzdem drang Ypsilantis in die Walachei ein und griff die Türken bei Dragaschan an. Der Verrat der walachischen Truppen führte seine Niederlage herbei, die »heilige Schar« fiel im heldenmütigen Kampf. Ypsilantis trat auf österreichisches Gebiet über, wurde auf die Feste Munkács gebracht und starb, endlich freigelassen, 1828 in Wien. Georgakis führte den Rest des Heers in die Moldau und sprengte sich nach heldenmütiger Gegenwehr im Kloster Sekko in die Luft. In den Donaufürstentümern war der Aufstand unterdrückt.
Inzwischen hatte aber im Peloponnes, wo die Hetärie zahlreiche Anhänger zählte, Bischof Germanos die Griechen zu den Waffen gerufen und Ende März
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die Stadt Kalabryta erobert. Kolokotronis, der die Arkadier, und Petros Mauromichalis, der die Mainoten insurgierte, siegten in mehreren Gefechten, nahmen mehrere Städte ein und bildeten in Kalamata eine Art Nationalversammlung unter dem Namen des »Senats von Messenien«, welcher 9. April seine Sitzungen eröffnete, den Aufstand zu organisieren begann und die Geschäfte einer Regierung übernahm. Am 7. April wurde Athen eingenommen, die türkische Besatzung auf die Akropolis beschränkt. In Böotien pflanzte der kühne und schlaue Odysseus die Fahne der Empörung auf.
Nach dem Vorgang von Hydra, Spezzia, Ipsara, Tino und Samos schlossen sich auch die meisten Inseln des Archipels der Erhebung an, und in kurzer Zeit wurde eine Flotte von 180 trefflich bemannten Briggs zusammengebracht, deren Oberbefehl man Jakob Tombazis übertrug, und die bald zahlreiche türkische Handelsfahrzeuge aufbrachte, welche ansehnliche Beute lieferten. Die Ereignisse auf Morea öffneten der Pforte die Augen über die Bedeutung der Ereignisse. Ein Hattischerif des aufs äußerste erzürnten Großherrn Mahmud II. rief alle Muselmanen unter die Waffen, und der türkische Pöbel stürzte sich mordend über die griechischen Bewohner Konstantinopels und andrer türkischer Städte, besonders an der asiatischen Küste.
In der Hauptstadt wurden 300 der reichsten Kaufleute hingerichtet. Der Patriarch von Konstantinopel, Gregorios, ward am Osterfest (22. April) nach vollendetem Gottesdienst nebst mehreren andern Geistlichen an der Thür der Kirche aufgehängt. An 200 Kirchen (16 in Konstantinopel) wurden aller Protestationen der christlichen Gesandten ungeachtet zerstört, ja diese Gesandten selbst mit argwöhnischen Augen betrachtet, der russische, Stroganow, offen insultiert, die Wohnung eines Gesandtschaftsrats vom Pöbel demoliert und der Bosporus den Russen geschlossen.
Die Nachricht von diesen Greueln konnte die Wut der Insurgenten nur steigern; auch in den bisher noch ruhigen Distrikten Griechenlands wurde nun die Fahne des Aufstandes erhoben. Eleusis, Megara und alle bedeutenden Ortschaften der Korinthischen Landenge erhoben sich; ein vormaliger Mönch, Dikaios, nahm Korinth und schloß die Türken in die Burg ein, während sein Waffenbruder Diakos sich in den Thermopylen festsetzte, um einem türkischen Heerhaufen die Straße nach Athen zu verlegen.
Zwar erfocht Omer Vrione 4. Mai an den Thermopylen einen blutigen Sieg über die Griechen, und Diakos erlitt nach heldenmütigem Kampf einen martervollen Tod; aber nun eilte Odysseus zur Rache herbei, trieb jenen bis Brodnizza zurück und eroberte die Burg von Arachova, und bald stand von den Thermopylen bis zum Ambrakischen Meerbusen ganz Hellas in Waffen. Auch die Ionischen Inseln unterstützten den Aufstand durch Lieferungen von Geld und Kriegsbedürfnissen. Auf Kreta wurden die Türken in ihre festen Plätze Kanea und Suda zurückgedrängt, Samos trotzte allen Angriffen, und eine gewaltige türkische Flotte, welche diese Warte der Freiheit zertrümmern sollte, wurde 21. Juli von zwei griechischen Brandern in die Flucht geschlagen.
Mit dem alten Ali Tepelen von Janina verbündet, rückten Anfang Mai auch die Sulioten aus ihren Bergen hervor, schlugen türkische Truppen bei Kandscha, organisierten sich hierauf unter Marko Botzaris, riefen die ganze Landschaft von Margeriti und Prevesa zu den Waffen, eroberten die Feste Variades, die den Eingang nach Suli deckte, schlugen in der Ebene von Passaron Ismail Pascha und nahmen endlich eine Stellung bei Plaka. Namentlich auf Morea blieb der Aufstand siegreich. Die Versuche mehrerer türkischer Heere, den Hauptplatz von Morea, Tripolizza, zu entsetzen, wurden durch die Tapferkeit der griechischen Scharen zurückgeschlagen. Am wurde Tripolizza mit Sturm genommen, die Besatzung von 8000 Mann niedergemacht und Kolokotronis' Sohn Panos als Statthalter eingesetzt.
Die Uneinigkeit unter den griechischen Führern, welche mancherlei Unfälle verschuldete, hatte schon längst das Bedürfnis einer festen Verfassung fühlbar gemacht. Zwar waren bereits im Anfang der Bewegung zu Kalamata in Messenien, dann auch auf Hydra und in andern Teilen des Landes Regierungen unter verschiedenen Namen errichtet worden. Dies befriedigte aber das dringende Bedürfnis der Einheit nicht, und es ward deshalb im Dezember 1821 eine allgemeine Nationalversammlung nach Argos ausgeschrieben, welche aus 67 Abgeordneten aller griechischen Provinzen bestehende Versammlung sich bald darauf nach Epidauros (Piada) begab, um hier eine Unabhängigkeitserklärung und den Entwurf einer vorläufigen Regierungsverfassung zu beraten.
Die bekannt gemachte provisorische Staatsverfassung, das »organische Gesetz von Epidauros«, stellte als allgemeine Grundsätze auf: allgemeine Duldung in Religionssachen, gleiche Rechte vor Gericht, zu Ämtern und bei Abgaben. Die Regierung sollte in einen gesetzgebenden Rat von 70 und einen vollziehenden Rat von 5 Mitgliedern zerfallen; letzterer sollte für die Vollziehung der Gesetze sorgen und 8 Minister ernennen. Die Rechtspflege sollte unabhängig von beiden sein.
Als Gesetzbuch ward das der alten griechischen Kaiser, für den Handel das französische angenommen. Der Fanariot, Fürst Alexander Maurokordatos, der mit europäischer Zivilisation und Politik vollkommen vertraut war, ward zum Präsidenten (Proedros) und Theodor Negris zum Staatssekretär ernannt. Der Kongreß erklärte zunächst die Vereinigung Griechenlands zum unabhängigen Föderativstaat sowie den Blockadezustand jedes von den Türken besetzten Ortes.
Indessen machte sich bald der Mangel eines gut organisierten Heers und des Geldes, noch mehr aber eines Hauptes geltend, das den Aufstand zu beherrschen und zu leiten fähig gewesen wäre. Dazu hatten sich Rußland und Österreich gegen den Aufstand erklärt, England zeigte sich geradezu feindselig, Frankreich bewahrte eine strenge Neutralität, und die Pforte suchte dadurch, daß sie mit Rußland wieder in engere Verbindung trat, mehrere griechische Kirchen in Konstantinopel wieder aufbaute und einen neuen Patriarchen wählen ließ, die asiatischen Horden, welche Jassy noch beim Abzug in Brand steckten, aus der Moldau und Walachei zurückzog und neue und eingeborne Hospodare einsetzte, feindlichen Bewegungen auf dieser Seite vorzubeugen, um alle Streitkräfte gegen das eigentliche Griechenland konzentrieren zu können. Zwei Flotten wurden ausgerüstet, in Konstantinopel und von Mehemed Ali in Ägypten, um den Landkrieg zu unterstützen, für den nun auch nach der Bezwingung Ali Paschas die Truppen in Albanien verfügbar waren. Die Anfänge waren allerdings nicht glücklich. Ein türkisches Korps von 1500 Mann ward bei Vostizza zurückgeschlagen und eine andre Schar in den Engwegen des Makrynoros bis auf 600 Mann zusammengehauen. Der Seraskier selbst, der mit 3000 Mann bei Vonizza landete, wurde hier von Makrys mit großem
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Verlust nach Prevesa zurückgeworfen. Am 21. Juni fiel auch die Akropolis von Athen den Aufständischen in die Hände. Dagegen vollzog der Kapudan-Pascha Karackli einen Akt grausamster Rache. Im April 1822 erschien er vor Chios, das im Februar sich zwar gegen die türkische Herrschaft erhoben, aber nicht gerüstet hatte. Nachdem er ungehindert gelandet, wurde die blühende Insel der Verwüstung preisgegeben, die Männer (23,000) wurden hingeschlachtet, die Frauen, Jungfrauen und Kinder (47,000) in die Sklaverei verkauft. Andreas Miaulis eilte mit der griechischen Flotte herbei und griff die Türken tapfer an. Das Gefecht blieb unentschieden, aber in der Nacht vom 18. zum 19. Juni zerstörte Kanaris mit zwei Brandern einen Teil der türkischen Flotte, wobei der Kapudan-Pascha mit 3000 Mann seinen Tod fand.
Auch zu Lande waren die Griechen nicht müßig. Im Juli zog Maurokordatos mit einem kleinen, aber ausgesuchten Korps, unter welchem sich die Sulioten unter Markos Botzaris, das reguläre Regiment der Taktiker und die Schar der aus Europa herbeigeeilten Griechenfreunde (Philhellenen) unter dem frühern württembergischen General Normann befanden, nach dem westlichen Livadien, dem alten Akarnanien, um die Türken von dort zu vertreiben. Anfänglich waren die Griechen im Vorteil.
Aber 16. Juli kam es bei Peta zu einer Schlacht, in welcher die Türken, von dem Verrat eines albanesischen Häuptlings, Gogo, der mitten im Gefecht seine Stellung verließ, begünstigt, einen vollständigen Sieg erfochten. Mehrere Tausend Griechen fielen, auch die Schar der Philhellenen, deren Anführer schwer verwundet wurde. Mahmud Pascha versuchte jetzt Morea zu unterwerfen. Korinth, Theben und Napoli di Romania fielen in seine Gewalt. Argos aber verteidigte Demetrios Ypsilantis mit rühmlicher Ausdauer.
Unterdessen war Nikitas vom Parnaß herabgestiegen und nach dem Engpaß von Tretä (Birbali) geeilt, um dem nach Argos vorgedrungenen Türkenheer den Rückzug nach Korinth abzuschneiden, da die Türken die genügende Besetzung der Korinthischen Landenge verabsäumt hatten, während Kolokotronis und Petro Bei die übrigen Engwege besetzten. Die Türken erlitten daher auf ihrem Rückzug im Engweg von Tretä durch Nikitas einen Verlust von mehr als dritthalbtausend Mann, sodann durch Kolokotronis einen neuen empfindlichen in der Schlucht des Bergs Kleonä (Dezember). Der Einbruch in Morea hatte den Türken 10,000 Mann gekostet.
Seit dem Unglückstag von Peta hatte Maurokordatos die Trümmer seines Heers bei Langada gesammelt und sie nach dem von Omer Vrione bedrohten Missolunghi geworfen, das er 17. Okt. erreichte; er versorgte die Stadt mit Lebensmitteln und rettete die Greise, Frauen und Kinder nach dem Peloponnes. Die Türken begannen sofort die Belagerung von Missolunghi. Die Not dieser Stadt entflammte die zu Astros versammelten Häuptlinge zu edlem Wetteifer. Während man sich sogleich zur Abreise nach Andravida am Kyllenischen Golf rüstete, um von hier aus nach Missolunghi unter Segel zu gehen, gelang es Kanaris, mit zwei Brandern das Admiralschiff und noch ein andres Schiff der Feinde in Brand zu stecken und durch die hierdurch entstandene Verwirrung der türkischen Flotte eine Niederlage beizubringen, welche ihr 18 Schiffe kostete. Ein Angriff der Türken unter Omer Vrione auf Missolunghi ward abgeschlagen, und Omer Vrione, der, durch die Nachricht von den gewaltigen Rüstungen des Feindes in seinem Rücken erschreckt, 13. Jan. mit Zurücklassung der Geschütze und aller Kriegsvorräte plötzlich aufgebrochen war, ward am Acheloos wiederholt geschlagen und erreichte mit kaum 4000 Mann 5. März Vonizza, von wo er weiter nach Prevesa flüchtete.
Jetzt, von 1823 an, fing der Kampf auf beiden Seiten zu ermatten an. Der innere Hader zwischen der Partei der Politiker (Maurokordatos, Demetrios Ypsilantis, Kollettis ^[richtig: Kolettis; = Ioannis Kolettis (1773-1847)] u. a.) und der militärischen Häuptlinge, Kapitani genannt (Kolokotronis, Mauromichalis, Odysseus), hinderte die Griechen an größern Unternehmungen, und den türkischen Befehlshabern fehlte es an militärischem Geschick, an Geld und an Mannschaften, da die regulären Truppen in Konstantinopel zurückgehalten wurden, die albanesischen und bosnischen Freiwilligen aber sich schnell verliefen, als sie keine Beute machen konnten.
Während die Griechen sich vergeblich bemühten, Thessalien, Makedonien und Epirus in den Aufstand hineinzuziehen, und alle Versuche an der Gleichgültigkeit der Bevölkerung und ihren eignen geringen Streitkräften sowie der Zersplitterung in der Heeresleitung scheiterten, war es den Türken ebenso unmöglich, Morea und Livadien zu erobern. Hier feuerte der religiöse und nationale Haß die Griechen trotz aller Unglücksfälle und Grausamkeiten des Feindes zu heldenmütigen Thaten und zu todesverachtender Tapferkeit an. Als ein türkisches Heer von 13,000 Mann plötzlich, einen Waffenstillstand brechend, in Ätolien einbrach und ungehindert bis Karpenizza vordrang, schlich sich nach Sonnenuntergang M. Botzaris mit seinen Sulioten mitten in das feindliche Lager und richtete hier ein furchtbares Blutbad an. Zwar fiel der Held in dem mörderischen Kampf, aber die Türken wurden in wilder Flucht nach den Bergen von Agrapha getrieben. Nicht weniger glänzend waren die Thaten der Flotte, deren Brander den Türken überall gefährlich wurden. Gegen die Türken allein durfte man hoffen, sich behaupten, ja schließlich den Sieg erringen zu können.
Die Hoffnungen der Griechen wurden indes gewaltig herabgestimmt, als Ibrahim Pascha, der Sohn des Vizekönigs von Ägypten, Mehemed Ali, den der Sultan zu Hilfe gerufen, und der bereits den Aufstand in Kreta unterdrückt hatte, nachdem seine Flotte 1824 im Archipel nichts hatte ausrichten können, ja durch die Griechen nicht unerhebliche Verluste erlitten hatte, mit 20,000 Mann europäisch geschulter Truppen und 150 Kanonen auf Morea landete. Die Felseninsel Sphakteria ward von ihm überwältigt, und auch Navarino, der beste Hafen und Waffenplatz Moreas, mußte trotz der Anstrengungen Miaulis', der den Ägyptern eine Fregatte, zwei Korvetten und drei Briggs verbrannte, und trotz der tapfersten Gegenwehr der schwachen Besatzung 18. Mai die Thore öffnen.
Der Feind drang hierauf zunächst gegen Tripolizza und Kalamata vor, die beide sich ergeben mußten. Am 15. Juni stand Ibrahim schon vor Argos, und sein Vortrab bedrohte Nauplia in demselben Augenblick, wo gegen die Schutzwehr des westlichen Griechenland, Missolunghi, ein neues starkes türkisches Heer unter Reschid Pascha heranzog. Zwar gelang es den vereinten Kräften Maurokordatos', Ypsilantis' und der tapfern französischen Philhellenen Fabvier und Delaroche, den Vortrab Ibrahims 28. Juni bei den Mühlen (Lerna) nach Tripolizza zurückzuwerfen; dafür durchzog nun der Feind plündernd und mordend Morea nach allen Richtungen und machte das Land zur Einöde; der Kapudan-Pascha aber vereinigte sich im August mit der
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ägyptischen Flotte im Hafen zu Alexandria, nahm bei Navarino ägyptische Truppen an Bord und segelte nach Missolunghi, das seit Mai 1826 zum zweitenmal belagert wurde, um dasselbe von der Seeseite einzuschließen. Elf Monate hielt Missolunghi, dessen Eroberung das Hauptbestreben der Türken und Ägypter war, die Belagerung aus. Mehr denn 100,000 Bomben wurden in die Stadt geschleudert, Kampf und Hunger verminderten die Mannschaft mit jedem Tag, alle Entsatzversuche zur See und zu Lande wurden vereitelt, und schon waren die beiden Vormauern der Festung, Anatoliko und Wasiladi, überwältigt, da brachen die 2000 Verteidiger abends plötzlich hervor, bahnten sich mitten durch die Feinde einen Weg nach den Bergen und wandten sich nach großem Verlust unter ihren Führern Nothi Botzaris und Kizzos Tzavellas nach Nauplia; einige Hundert Wehrlose, die in der Stadt zurückgeblieben waren, sprengten sich 25. April, als die Türken in die Festung drangen, mit diesen durch Minen in die Luft.
Indessen fing die Standhaftigkeit der Griechen allmählich an, in Europa lebhafte und werkthätige Teilnahme zu erregen. Besonders durch die Bemühungen Eynards in Genf wuchsen die Zahl und die Thätigkeit der Philhellenenvereine, die den Griechen Unterstützung an Geld und Waffen zukommen ließen, der berühmte Lord Byron war 1824 den Hellenen nach Missolunghi zu Hilfe geeilt, wo er nach wenigen Monaten 19. April ein frühes Grab fand, und selbst in den Kabinetten, besonders im englischen seit Cannings Regierungsantritt und im russischen seit Kaiser Nikolaus' Thronbesteigung, wurden Stimmen zu gunsten der Griechen laut.
Rußland forderte zunächst mit Nachdruck Räumung der Walachei und Moldau durch die türkischen Truppen und vereinigte sich mit England im Petersburger Protokoll über eine gemeinschaftliche Aktion zu gunsten der Griechen. Im türkischen Heer selbst empörten sich im Juni 1826 die Janitscharen, und Mahmud sah sich genötigt, ihrer 10,000 niedermetzeln zu lassen und 20,000 zu verbannen. Die Briten erlaubten, daß auch auf den Ionischen Inseln sich unter Panas und Omarpopulos Griechen zum Beistand der Brüder sammeln durften. Aus Frankreich langte Graf Harcourt mit neuer Unterstützung vom dortigen Philhellenenverein, aus Nordamerika eine große Fregatte, aus England das erste bewaffnete Dampfschiff, aus Bayern, vom König Ludwig I. selbst gesandt, Oberst Heideck mit andern an, und in allen diesen Ländern wurden von Philhellenenvereinen Beisteuern gesammelt.
Der Kampf drehte sich im Winter 1826/27 besonders um den Besitz von Attika. Im März 1827 kam der im südamerikanischen Freiheitskrieg berühmt gewordene britische Seeheld, Lord Cochrane, auf einer ihm eignen Goelette an, und zugleich landete der englische General Church, der ein leichtes griechisches Regiment auf Zante errichtet hatte, in Hydra und bot den Griechen seine Dienste an. Es gelang ihnen, die feindlich getrennten Nationalversammlungen zu Ägina und Kastri zu versöhnen, so daß dieselben zu Damala (Trözen), später auf der Insel Poros zu gemeinschaftlicher Beratung einer republikanischen Staatsverfassung zusammentraten.
Man wählte daselbst 11. April den ehemaligen russischen Minister, Kapo d'Istrias, auf sieben Jahre zum Präsidenten der griechischen Republik; Cochrane ward zum Großadmiral der Flotte, Church zum Oberbefehlshaber der Landmacht ernannt. Die erste Unternehmung der beiden Befehlshaber war allerdings nicht glücklich. Bei dem Versuch, die den Winter 1826/27 hindurch von Fabvier und von Karaiskakis tapfer verteidigte Akropolis von Athen zu entsetzen, erlitten sie eine Niederlage, infolge deren die Besatzung 5. Juni kapitulieren mußte.
Da die Pforte die Vermittelungsversuche des englischen Gesandten Stratford Canning beharrlich zurückwies, schlossen endlich England, Frankreich und Rußland auf Grund des Petersburger Protokolls den Vertrag zu London, wonach man der Pforte einen Monat Zeit lassen wollte, um mit den Griechen einen Waffenstillstand zu schließen, während dessen dann der Friede vereinbart und die Errichtung eines selbständigen griechischen Staatswesens bewerkstelligt werden sollte.
Das von den Gesandten der drei Mächte 16. Aug. der Pforte überreichte Ultimatum blieb jedoch unbeantwortet. Währenddessen war eine neue ägyptische Flotte, 89 Segel stark mit 5000 Mann Truppen, 8. Sept. zu Navarino eingetroffen, um durch einen Hauptschlag dem ganzen Krieg ein Ende zu machen. Im Archipel aber kreuzten die Flotten der drei zur Intervention vereinigten Mächte, und als Ibrahim sein Versprechen, bis zur Rückkehr der nach Alexandria und Konstantinopel gesendeten Boten nichts zu unternehmen, brach, erschienen jene im Angesicht des Hafens von Navarino und lieferten der türkisch-ägyptischen Flotte eine Schlacht, in welcher von 82 Schiffen derselben 55 vernichtet wurden. Da hierauf 1828 der Krieg der Türkei mit Rußland ausbrach, wurde Ibrahims Lage in Morea bedenklich, und als im August ein französisches Korps unter General Maison in Koron landete, räumte das ägyptische Heer nach drei Jahren blutigster Herrschaft die Halbinsel. Der Krieg in Morea und Livadien war hiermit beendet.
Die Errichtung des Königreichs Griechenland.
Ende Januar 1828 war der Präsident Kapo d'Istrias in Ägina, dem Sitz der stellvertretenden Regierungskommission, gelandet. Es gelang ihm, mehrere der Parteihäupter unter sich zu versöhnen, und Grivas, obwohl mit Kolokotronis in Fehde, überlieferte ihm mit dem Fort Palamidi den Schlüssel zu Morea. Am 4. Febr. legte der Präsident den Eid in die Hände des Senats ab, versprach, die Nationalversammlung auf 1. April zusammenzurufen, und ernannte sein Ministerium. Bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung sollte der Staatsrat (Panhellenion) die Verantwortlichkeit mit ihm teilen, und dieser wurde in drei Sektionen: der Finanzen, des Innern und des Kriegs, geteilt, ein Ministerial- und ein Kriegsrat gebildet und eine strenge Verwaltungs- und Aufsichtskommission (Phrontisterion) niedergesetzt.
Kapo d'Istrias bot zwar, von den Schutzmächten mit Geld unterstützt, alle Mittel aus, Griechenland auf europäische Weise zu organisieren. Aber sein Eigensinn, seine allzu große Abhängigkeit vom russischen Einfluß und die vielfach hervortretende Begünstigung seiner Familie sowie die durch Ausbruch der Pest auf einigen Inseln gebotenen strengen Sanitätsmaßregeln und die erhöhten Auflagen vermehrten die Mißstimmung gegen ihn auch unter dem Volk. Dennoch wurde die fünfte Nationalversammlung zu Argos fast ohne Opposition eröffnet, und alle Vorschläge der Regierung wurden angenommen, so daß die Versammlung 18. Aug. wieder vertagt werden konnte. An die Stelle des Panhellenion trat ein Senat von 27 Mitgliedern, dessen Erwählung fast ganz vom Präsidenten, der beinahe diktatorische Gewalt besaß, abhing. Das Ziel der Griechen war die völlige Befreiung
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alles von Hellenen bewohnten Gebiets von der türkischen Herrschaft, und die Niederlagen der Türken im Kriege gegen Rußland schienen die Hoffnung auf Erreichung dieses Ziels zu begünstigen. Indes mit eignen Kräften den Kampf von neuem aufzunehmen, waren die Griechen nicht im stande. Die größte Sorge machte die Lage der Finanzen; die Einkünfte des Staats betrugen höchstens 16 Mill. türkische Piaster, und das Militärbudget allein erforderte 15 Mill. Das Land war erschöpft, ein großer Teil der Bevölkerung umgekommen, die Getreidefelder unbestellt geblieben, die Wein- und Ölpflanzungen verwüstet. Eine dumpfe Verzweiflung hatte sich des Restes der Einwohner bemächtigt. Man war also auf fremde Hilfe angewiesen und mußte sich der Entscheidung der Mächte unterwerfen.
Die Abgeordneten Englands, Rußlands und Frankreichs, Aberdeen, Lieven und Polignac, hatten »um die Pforte nicht zu sehr zu entkräften«, das Londoner Protokoll unterzeichnet, dem zufolge Griechenlands Grenze vom Meerbusen von Arta (westlich) bis zu dem von Volo (östlich) laufen, der neue Staat aber gegen einen jährlichen Tribut von 1½ Mill. türkischen Piastern unter Oberherrlichkeit (suzeraineté) der Pforte bleiben sollte; ein christlicher Fürst sollte Griechenland von dem Großherrn als Lehen erhalten und die erste Wahl von den drei Mächten und der Pforte gemeinsam geschehen.
Kapo d'Istrias weigerte sich jedoch, der Aufforderung, alle griechischen Blockaden außer dem Bereich von Morea und den Kykladen aufzuheben und die griechischen Korps aus Livadien, Epirus und Attika zurückzuziehen, nachzukommen, und das Vordringen der Russen bis Adrianopel kam den Griechen zu Hilfe und änderte mit einemmal die Sachlage; Rußland nahm auf Englands Bedenklichkeit in Bezug auf die Schwächung der Pforte keine Rücksicht, zwang dieselbe im Frieden von Adrianopel (14. Sept.), im voraus ihre Zustimmung zur Änderung des Londoner Vertrags zu erteilen, und durch das Protokoll vom wurden die Bestimmungen jenes Vertrags dahin abgeändert, daß Griechenland einen ganz unabhängigen und tributfreien Staat unter einem eignen König bilden sollte, und als seine Nordgrenze wurde eine westlich vom Ausfluß des Aspropotamo über Vrachori bis zum Golf von Zeitun laufende Linie bestimmt; auch Euböa, die Kykladen und die Insel Skiro sollten dazu gehören. Die Krone Griechenlands ward dem Prinzen Leopold von Sachsen-Koburg angetragen, der sich auch unter gewissen Vorbehalten zu ihrer Annahme bereit erklärte. Als aber Kapo d'Istrias dem Prinzen erklärte, daß die Nationalversammlung die von den Großmächten gestellten Bedingungen nicht annehmen könne, fand sich Prinz Leopold bewogen, 21. Mai die Krone Griechenlands auszuschlagen. Die Gegner Kapo d'Istrias' beschuldigten ihn, dies beabsichtigt zu haben, weil er selbst nach der Krone strebe.
Überhaupt verstand es Kapo d'Istrias nicht, das Vertrauen des Volkes und seiner Führer zu gewinnen. Aus Vorliebe für Rußland und überzeugt, daß einem Volk, das 400 Jahre unter fremdem Joche gelebt, nur eine straffe büreaukratische Regierung zuträglich sei, wollte er einen Beamtenstaat einführen, in dem jeder streng zu gehorchen habe. Er verletzte dadurch das ungebundene Freiheitsgefühl der Griechen. Während ein Teil der Parteiführer, die Kybernitiker, und namentlich das Landvolk ihm treu anhingen, bildete sich gegen ihn die liberale Partei der Syntagmatiker (Verfassungspartei). Es entstanden Komplotte, und Kapo d'Istrias' Strenge gegen dieselben galt für Verrat an des Volkes heiligen Rechten. Im Januar 1831 bildete sich, besonders wegen unbefriedigter Schuldforderungen der Hydrioten, eine eigne provisorische Regierung auf Hydra unter Miaulis, Konduriotis und Tombazis.
Bald folgte auch Ipsara, und beide Inseln steckten die dreifarbige französische Fahne auf zum Zeichen, daß sie sich bis zur endlichen Entscheidung unter französischen Schutz begäben; dem Präsidenten, der Hydra persönlich besuchen wollte, verweigerte man die Landung. Auch Syra fiel ab, und die Mainoten, deren Häuptling Petros Mauromichalis im Fort Itschkale festgehalten wurde, erhoben sich, Freilassung ihres Häuptlings und die Proklamation einer Verfassung, welche die Rechte der Bürger sicherstelle, verlangend.
Die Parteileidenschaft steigerte sich so, daß Miaulis sich plötzlich der im Hafen von Poros abgetakelt liegenden griechischen Flotte bemächtigte und, als er durch ein Korps griechischer Truppen unter Nikitas zu Lande und durch die russische Flotte unter Admiral Riccord zur See eingeschlossen wurde, aus Besorgnis, die russische Flotte möchte sich der griechischen Fahrzeuge bemächtigen, 13. Aug. sämtliche griechische Schiffe, 28 Fahrzeuge, in Brand steckte. Miaulis entkam nach Hydra und wurde nebst Maurokordatos und Konduriotis als Hochverräter geächtet. Am 9. Okt. aber erschossen Konstantin und Georg Mauromichalis, aufgebracht über die Härte, mit welcher ihr Bruder und Vater im Kerker behandelt wurden, den Präsidenten Kapo d'Istrias, als er eben zu Nauplia in die Kirche gehen wollte. Konstantin ward sogleich niedergemacht, Georg später hingerichtet.
Der Senat trat hierauf zu Nauplia zusammen und setzte zufolge eines frühern Dekrets der Nationalversammlung auf den Fall des Todes des Präsidenten eine Regierungskommission nieder, die aus Augustin Kapo d'Istrias, Theodor Kolokotronis u. Johann Kolettis bestand, den Keim der Auflösung aber von Anfang an in sich trug. Obwohl statt 140 Deputierten nur 80 anwesend waren, wurde doch die schon auf 20. Sept. berufene Nationalversammlung in Argos eröffnet und 20. Dez. Augustin Kapo d'Istrias zum provisorischen Präsidenten erwählt.
Indes wußte sich dieser noch weniger Autorität zu verschaffen. Die Rumelioten, Kolettis an der Spitze, erkannten ihn nicht an, ernannten eine provisorische Regierung und beriefen eine neue Nationalversammlung nach Perachore. Beide Versammlungen bekriegten sich, die Rumelioten drangen in Argos ein, und als nun Augustin Kapo d'Istrias seine Würde niederlegte und Griechenland verließ, wurde zwar unter Vermittelung des bayrischen Hofrats, Professors Friedrich Thiersch (des berühmten Philologen), 15. April eine neue Regierungskommission eingesetzt, jedoch die Ruhe nicht vollkommen hergestellt.
Inzwischen hatten die drei Schutzmächte 17. März den Prinzen Otto von Bayern, zweiten Sohn des Königs Ludwig I., zum König von Griechenland ausersehen; durch den Staatsvertrag vom wurden die Verhältnisse des neuen Königreichs geordnet, und die Großmächte versprachen, eine von dem König Otto zu kontrahierende Anleihe von 60 Mill. Frank zu garantieren. Außerdem versprach der König von Bayern, den Prinzen Otto durch ein Truppenkorps von 3500 Mann zu unterstützen, welches vom griechischen Staat auszurüsten sei. Die Türkei gestand gegen eine Geldentschädigung von 12 Mill. Frank eine Erweiterung der Grenzen bis zu den Meerbusen von Arta und Volo zu. Nachdem die Auswechselung
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der Ratifikationen zu London erfolgt war, wurde Ende Juni die Nationalversammlung nach Nauplia berufen, worauf 8. Aug. der Prinz Otto von Bayern einstimmig als König Otto I. von Griechenland anerkannt wurde. Die Volljährigkeit des jungen Königs (geb. 1815) wurde auf 20 Jahre festgesetzt. Bis dahin sollte eine aus drei Mitgliedern bestehende Regentschaft die Regierungsgeschäfte besorgen. Diese Regentschaft wurde 5. Okt. zu München aus den Staatsräten Graf Armansperg und v. Maurer sowie dem General Heideck zusammengesetzt. Am langte König Otto mit seinen Truppen im Hafen von Nauplia an, und 7. Febr. fand der feierliche Einzug des Königs zu Nauplia unter großem Jubel der Bevölkerung statt.
Die Regierung König Ottos.
Daß der junge König nicht sofort selbst die Regierung des Landes übernehmen konnte, war bei den Parteiungen und dem egoistischen Ehrgeiz der Kapitani und der Politiker ein großer Nachteil. Dem Zauber der obersten Gewalt würde sich die rohe Menge bereitwilliger gefügt haben, wenn sie vom König selbst und nicht von einer aus Fremden zusammengesetzten Regentschaft ausgeübt worden wäre. Diese hatte auch sonst von Anfang an eine höchst schwierige Stellung: viele erwarteten von ihr Belohnungen für ihre im Freiheitskampf geleisteten Dienste, die aus ihrer türkisch gebliebenen Heimat Verjagten oder ihres Vermögens Beraubten Entschädigung.
Auch beim besten Willen, bei gefüllten Kassen hätten alle diese Erwartungen nicht erfüllt werden können. Die Steuern wurden nicht gezahlt, und die meisten Gerichte hatten ihre Thätigkeit eingestellt. Das Räuberunwesen hatte wieder überhandgenommen, seitdem der Krieg mit den Türken zu Ende war. Diesem suchte die Regentschaft vor allem Einhalt zu thun und den Personen und deren Eigentum sichern Schutz zu gewähren. Die Gerichts- und Gemeindeordnung wurde verbessert, die Verwaltung der öffentlichen Einnahmen geregelt, die administrative Organisation des Königreichs festgestellt.
Eine Menge verständiger, obwohl nicht immer gewürdigter Maßregeln bekundete das Bestreben der fremden Verwaltung, das Volk, das zwischen Willkür der einzelnen und despotischer Unterdrückung von oben hin- und hergeschwankt hatte, an ein geordnetes und gesetzliches Dasein zu gewöhnen, die notwendige Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze zwar zu verlangen, aber in den gebührenden Schranken zu halten. Fehler und Mißgriffe waren dabei unvermeidlich, aber im ganzen waren doch gute Ergebnisse ersichtlich, und manche Vorwürfe, wie, daß die Regentschaft bei der Bildung eines stehenden Heers die bayrischen Offiziere vor den einheimischen zu sehr begünstigt habe, waren unberechtigte Eingebungen des nationalen Vorurteils, das, von Eitelkeit und Überhebung genährt, sich allmählich zum Haß gegen die Fremden entwickelte.
Das Unglück der neuen Regierung war aber, daß in ihr selbst Uneinigkeit ausbrach. Das befähigtste und thätigste Mitglied derselben, Staatsrat v. Maurer, welcher eine aufgeklärte Gesetzgebung und Verwaltung wollte, um den Grund zu einer freien Verfassung zu legen, zerfiel mit Armansperg und wurde von dem russischen Gesandten, dessen Monarch zwar die Unabhängigkeit, aber keineswegs die Freiheit der Griechen wünschte, als ein Revolutionär verschrieen. Der König von Bayern rief daher Maurer im Juni 1834 ab; ihm folgte Abel in die Heimat, und an ihre Stelle traten die bayrischen Ministerialräte v. Kobell und v. Greiner, welche sich den Wünschen des absolutistisch gesinnten Armansperg fügten.
Zugleich hatte die Regierung mit Verschwörungen und Aufständen zu kämpfen. Eine Verschwörung Kolokotronis' wurde im Mai 1834 entdeckt, die Teilnehmer verhaftet und zu Nauplia zum Tod verurteilt, aber zu 20jähriger Kettenstrafe begnadigt. In der Maina und in Arkadien brachen Aufstände aus, und im Norden dauerte der kleine Krieg mit den Klephthenbanden fort. Im Januar 1835 verlegte der König seine Residenz von Nauplia nach Athen, welches nun für die Hauptstadt des Reichs erklärt wurde und, während des Befreiungskriegs fast gänzlich zerstört, allmählich wieder aus der Asche erstand.
Am ward Otto I. für volljährig erklärt und die Regentschaft aufgelöst. Armansperg behielt als Erzkanzler die oberste Leitung der Regierung und erließ, um das Volk für sich zu gewinnen, 7. Juni das Dotationsgesetz, nach welchem jede ansässige hellenische Familie von den weitläufigen und ganz vernachlässigten Staatsländereien einen Anteil im Wert von 2000 Drachmen zur Nutznießung erhalten sollte. Ein Staatsrat wurde eingesetzt, um in der Kontrolle der Verwaltung die noch nicht vorhandene Volksvertretung zu ersetzen.
Doch erregte Armansperg hierdurch das Mißfallen des Königs Ludwig und ward nach der Rückkehr König Ottos aus Deutschland, wo sich dieser im November 1836 mit der Prinzessin Amalie von Oldenburg vermählt hatte, im Februar 1837 abberufen, und der bisherige Regierungspräsident in Regensburg, v. Rudhardt, trat an die Spitze des Ministeriums. Dieser erregte durch den administrativen und polizeilichen Zwang, den er überall auferlegte, bei dem an Ungebundenheit gewohnten Volk die höchste Unzufriedenheit. Er geriet außerdem mit dem englischen Gesandten Sir Edmund Lyons in Streit, mußte schon im Dezember 1837 zurücktreten und starb auf der Rückkehr nach Deutschland in Triest.
Von da ab wurde das Ministerium nur aus Griechen gebildet, wechselte aber sehr oft, da die drei Schutzmächte sich fortwährend in die innern Angelegenheiten des Königreichs einmischten; es ward wegen seiner für die bevorstehenden orientalischen Verwickelungen wichtigen Lage ein Tummelplatz der diplomatischen Intrigen, auf dem sich namentlich die Westmächte und Rußland den Boden streitig zu machen suchten. Neben diesen Einmischungen ließen auch die ungemessenen Ansprüche der Wortführer des Volkes dasselbe nicht zur Ruhe kommen.
Der Londoner Vertrag hatte allerdings das unabhängige in zu enge Grenzen eingeschlossen; in Zeitungen und Schriften aber wurde fortwährend auf Konstantinopel als den Mittelpunkt griechischen Volkstums hingewiesen und ein neuer Vernichtungskrieg gegen die Türkei verlangt. Die Unzufriedenheit über die mit diesen Zukunftshoffnungen wenig harmonierende Gegenwart richtete sich gegen die Regierung und auch die Person des Königs, obwohl derselbe alles that, was von ihm abhing, um das Königreich auf einen seiner großen Vergangenheit würdigen Standpunkt zu erheben. Er stiftete 1837 die Universität Athen, errichtete höhere Schulen und ließ Ausgrabungen im klassischen Boden veranstalten. Auch der Handel hob sich, von 1000 Schiffen 1832 vermehrte sich die Handelsflotte bis 1845 auf 3500 Schiffe mit 15,000 Matrosen.
Aber der nationalen Überhebung und Ungeduld genügten diese Erfolge nicht. Dazu kam das berechtigte Verlangen nach einer Teilnahme des Volkes an der eignen Regierung, die noch immer unbeschränkt war. Rußland und Österreich wollten aber keine Konstitution im Königreich, die von den Westmächten
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und dem gebildeten Teil der Bevölkerung immer entschiedener gefordert wurde. Dieser Zwiespalt gab dem Parteiwesen neue Nahrung. Endlich kam es in Athen unter Beteiligung der von Kalergis und Makryjannis geleiteten Truppen zu einer Erhebung der Konstitutionellen; man verlangte vom König eine Repräsentativverfassung, die derselbe auch ohne Zögern bewilligte; eine Nationalversammlung sollte dieselbe beraten und feststellen. Die Wahlen zu derselben fanden unter heftigen Parteikämpfen statt. Am trat die Versammlung zusammen, vollendete sie die neue Verfassung, nach der die Krone die vollziehende Gewalt behielt, bei der Gesetzgebung aber an die Zustimmung zweier Kammern, der Senatoren und der Deputierten, gebunden wurde; die Mitglieder des Senats sollten von dem König auf zehn Jahre, die Deputierten auf drei Jahre vom Volk gewählt werden.
Aber das von der Einmischung des Auslandes genährte Parteiwesen, der unruhige Charakter des Volkes ließen eine geregelte Entwickelung des politischen Lebens, eine Gewöhnung an die neuen Formen nicht zu. In den Kammern hatten die Parteiintrigen erst recht freies Spiel: Ministerwechsel, Kammerauflösungen, Klagen über Bestechlichkeit bei den Wahlen, über unverdiente Bevorzugung oder Zurücksetzung bei Erteilung von Ämtern waren an der Tagesordnung und zogen die Nation von wirklicher fruchtbringender Thätigkeit sowohl im öffentlichen als im Privatleben ab. Der König besaß nicht die Kraft, seinen Willen den Parteiführern gegenüber zur Geltung zu bringen; er wurde vielmehr von ihnen immer abhängiger, und sein Ansehen schwand daher von Tag zu Tag.
Auch eine Dynastie zu begründen, gelang nicht. Die Ehe des Königs blieb kinderlos. Ein Protokoll der Schutzmächte hatte festgestellt, was übrigens auch die Verfassung von 1844 verlangte, daß der Thronfolger sich zur griechischen Kirche bekennen müsse; da die Adoption eines bayrischen Prinzen nicht erfolgte, so erwartete man allgemein, daß das Königreich eine Sekundogenitur des russischen Kaiserhauses werden würde. Dies förderte den russischen Einfluß und entfremdete die Westmächte.
Von diesen war England schon seit längerer Zeit durch die fortdauernde Aufreizung der griechischen Bevölkerung des türkischen Reichs und die Erweckung von panhellenischer Unzufriedenheit auf den Ionischen Inseln gereizt, und als die Griechen weder ihren finanziellen Verbindlichkeiten gegen englische Häuser aus der Zeit des Freiheitskriegs nachkommen, noch Vermögensbeschädigungen englischer Unterthanen, namentlich eines Juden, Pacifico, der für seinen Verlust bei einem Pöbelauflauf 1847: 800,000 Drachmen liquidierte, vergüten wollten, schaffte es sich in ungroßmütiger Weise selbst Recht. Am erschien die englische Mittelmeerflotte unter Admiral Parker vor dem Piräeus und schritt auf erneute Weigerung des griechischen Ministeriums zu Zwangsmaßregeln: Blockaden. Wegnahme griechischer Schiffe, deren 200 bei Salamis zusammengebracht wurden. Die Griechen spielten die Rolle der gekränkten Unschuld, Rußland unterstützte ihre Klagen über Vergewaltigung, Frankreich bot seine Vermittelung an. Lord Palmerston gab aber nicht eher nach, als bis die übrigens ermäßigte Forderung bezahlt war.
Während des Krimkriegs regten sich natürlich wieder die panhellenischen Ideen. Die Aufstandsversuche in den benachbarten türkischen Provinzen, welche allerdings schnell unterdrückt wurden, und die Aufreizungen russischer Agenten regten das griechische Nationalgefühl so auf, daß es zu stürmischen Kundgebungen kam, vor denen die türkische Gesandtschaft Athen räumte. Die Hauptparteiführer trugen sich bereits mit dem Gedanken an eine Erneuerung des byzantinischen Reichs.
Indes die Westmächte machten dem schnell ein Ende; ihre Flotte erschien im Piräeus, und landete eine französische Brigade, stellte die Ruhe her und verhinderte die Griechen an weitern Feindseligkeiten gegen die Türkei. Der Friede war dem Land nützlich. Ein Bericht des Finanzministers Kumunduros an König Otto vom stellte fest, daß die Bevölkerung seit 1834 von 612,000 auf 1,004,000 Einw., die Zahl der Wohnhäuser von 94,000 auf 203,000, die der Maulbeerbäume von 380,000 auf 1,500,000 gestiegen sei, der Grundzins von 4 Mill. Drachmen sich auf 8 Mill. gehoben habe.
Indes diese zwar höchst bedeutenden, aber nicht ins Auge fallenden Erfolge befriedigten das Volk nicht, dessen Ehrgeiz durch die Erinnerung an die einstige Größe der Hellenen, an die zahlreichen Stammesgenossen in Thessalien, Makedonien und Kleinasien in der Presse und auf der Rednertribüne immer von neuem aufgestachelt wurde. Das hellenische Volk gewohnte sich daran, sich als den allein berechtigten Erben nicht bloß der alten Hellenen, sondern auch des griechischen Kaiserreichs anzusehen und jede Verzögerung der Befreiung der Griechen in der Türkei als ein schweres Unrecht gegen Griechenland, jede Einmischung einer fremden Macht auf der Balkanhalbinsel als einen Eingriff in seine geheiligten Rechte anzusehen.
Das Mißlingen aller Vergrößerungspläne gab man dem König schuld, der durch seinen Mangel an militärischen Gaben und ehrgeizigem Unternehmungssinn seine Popularität ganz verloren hatte. Als bei Eröffnung der Kammern 1860 im November ein ministerieller Deputierter ein Hoch auf den König ausbrachte, wurde es mit dem Ruf: »Es lebe die Verfassung« beantwortet. Im Juni 1861 wurde eine Militärverschwörung entdeckt; 18. Sept. machte ein Student in Athen, Aristeides Drosios, einen Mordanfall auf die Königin Amalie, welcher mißlang. Er wurde zum Tod verurteilt, aber zu lebenslänglichem Gefängnis begnadigt (Januar 1862). Die Sympathien, welche er während seines Prozesses fand, waren schon ein bedenkliches Zeichen. Am brach darauf in Nauplia eine von Kanaris angestiftete Militärrevolte aus; eine von dieser eingesetzte Regierungskommission bezeichnete die herrschende Regierung als ein System der Depravation und Sklaverei und verlangte Einberufung einer Nationalversammlung zur Herstellung eines bessern.
Dieser Aufstand wurde unterdrückt und 20. April Nauplia von den königlichen Truppen besetzt. Aber es gelang dem König nicht, durch Straferlasse und neue Gesetzvorschläge das Volk zu beschwichtigen und die Gärung zu beendigen. Während der König auf einer Reise im Peloponnes, welche er 13. Okt. in Begleitung seiner Gemahlin antrat, um die Anhänglichkeit des Volkes an ihn zu beleben, in Hydra, Spezzia, Sparta und Kalamata gut aufgenommen wurde, brach der Aufstand in Vonizza, wo Theodor Grivas sich an die Spitze stellte, in Patras und andern Orten von neuem und mit verstärkter Heftigkeit aus; am 22. Okt. auch in Athen, wo Bulgaris, Kanaris und Rufos zu einer provisorischen Regierung zusammentraten, welche kraft »einstimmigen Beschlusses der griechischen Nation« die Entsetzung des Königs Otto und die Berufung einer Nationalversammlung aussprach; diese solle einen neuen Souverän wählen. Otto erschien 23. Okt. im Piräeus, faßte aber nach
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einer Konferenz mit den Gesandten der Mächte den Entschluß, nach Bayern zurückzukehren, ohne jedoch weder für sich noch für sein Haus definitiv auf die Krone Verzicht zu leisten. Seine Abschiedsproklamation war würdig; daß trotz 30jähriger Dauer seine Regierung mit Einem Schlag zusammenbrach, war weniger seinen Fehlern als denen der Politiker, die durch Parteileidenschaft und unruhige Vergrößerungssucht eine geordnete Regierung unmöglich machten, und der Kleinheit des Staats und seiner Abhängigkeit vom Ausland, welche das berechtigte Selbstgefühl der Nation verletzen mußten, zuzuschreiben.
König Otto hatte stets das Beste des Volkes gewollt und durfte sich jedenfalls mit Recht rühmen, »daß er, so oft es sich um Vergehen gegen seine Person gehandelt, stets unbegrenzte Milde und Vergessen des Geschehenen habe walten lassen«. Da G. auch nach seinem Sturz nicht im stande war, aus eigner Kraft das Ziel seines Ehrgeizes, die Vergrößerung des Staats, zu erreichen, so kam man bald zur Einsicht der völligen Nutzlosigkeit der wenigstens unblutigen Revolution und bereute es, den gutmütigen König, dem man so manche Wohlthaten verdankte, verjagt zu haben.
Die neueste Zeit.
Nach einer Periode heftiger Parteistreitigkeiten schritten die Griechen auf ein Dekret der provisorischen Regierung zur Wahl eines neuen Königs; denn die Monarchie konnte und wollte man nicht beseitigen, da eine Republik den Mächten nicht genehm gewesen wäre und das Land ins Verderben gestürzt haben würde. Das allgemeine Stimmrecht entschied mit 230,016 Stimmen von 240,701 für den englischen Prinzen Alfred, zweiten Sohn der Königin Viktoria. Indes die drei Schutzmächte hielten an der 1830 getroffenen Bestimmung fest, welche die Mitglieder ihrer Dynastien vom griechischen Thron ausschloß.
England kam aber den Griechen entgegen und ließ der provisorischen Regierung durch Lord Elliot anzeigen, daß es, wenn die Griechen eine verständige Königswahl träfen, bereit sei, die Ionischen Inseln abzutreten. Elliot schlug darauf der im Dezember 1862 zusammengetretenen Nationalversammlung den Herzog Ernst von Koburg als Kandidaten vor, der aber ablehnte. Auch der Herzog von Aumale und König Ferdinand, Vater des Königs von Portugal, aus dem Haus Koburg, welche auf der Wahlliste standen, lehnten im voraus ab. Endlich 23. März konnte Elliot der Nationalversammlung die Mitteilung machen, daß sich die drei Mächte über den Prinzen Wilhelm von Dänemark (geb. 1845), zweiten Sohn des dänischen Thronerben Prinzen Christian von Holstein-Glücksburg, als zukünftigen König geeinigt hätten.
Derselbe wurde als Georg (Georgios) I. einstimmig gewählt, 5. Juni von den Schutzmächten anerkannt und hielt 30. Okt. seinen Einzug in Athen, wo es inzwischen zu heftigen Unruhen, ja 30. Juni bis 2. Juli zu blutigen Szenen zwischen den Parteien gekommen war, welche nur durch die Intervention der Mächte unterdrückt wurden; englische und französische Marinetruppen hielten noch das Bankgebäude besetzt, als der neue König einzog. Nachdem die Einwohner der Ionischen Inseln zur Vereinigung mit Griechenland ihre Zustimmung gegeben hatten, übergab der Lord-Oberkommissar dem griechischen Bevollmächtigten, General Zaimis, die Inseln, und 6. Juni hielt König Georg I. auf Korfu seinen Einzug.
Daß dieser Erwerb der Anfang zu weitern Vergrößerungen sei, erschien den Griechen als selbstverständlich und verschaffte dem neuen Königtum gleich zu Anfang einigen Nimbus. Indes sehr bald stieß der junge Fürst, dem sein Vater den Grafen Sponneck als Mentor beigegeben hatte, auf Schwierigkeiten im Innern. Ministerkrisen folgten einander unaufhörlich, und die mißtrauische Opposition gegen den ausländischen Ratgeber regte sich sogleich. Die Nationalversammlung war sofort zu einer Verfassungsrevision geschritten; im September 1864 beschloß sie mit 211 gegen 62 Stimmen die Abschaffung des Senats.
Diesem Beschluß wollte der König sich nicht fügen, aber alle seine Botschaften fruchteten nichts. Am 28. Nov. löste sich die Versammlung von selbst auf, ohne ein Steuergesetz oder Budget zu stande gebracht zu haben, und die Revision der Verfassung, nach welcher der Senat durch einen Staatsrat ersetzt ward, trat in Kraft. Die Anfeindungen zwischen den Ministern und Parteihäuptern hörten aber deshalb nicht auf und führten immer neue Kabinettswechsel herbei. Im September 1865 erschien der Oheim des Königs, Prinz Julius von Glücksburg, um eine Verständigung zwischen den Parteiführern zu erzielen, indes ohne Erfolg; sein Versuch wurde der Bevölkerung als ausländische Einmischung denunziert, und der Prinz mußte schleunigst abreisen; im Dezember 1865 wurde der König auch genötigt, den Grafen Sponneck zu entlassen.
Eine mit Riesenschritten wachsende Verlegenheit, welche kein Ministerwechsel beseitigte, bildete die Finanznot. Nur die Armee konnte regelmäßig bezahlt werden, die Beamten erhielten ihren Gehalt zu einem Dritteil in verzinslichen Schuldscheinen. Die Erhöhung der Zölle half nichts. Alle Anleiheversuche scheiterten, und die Schutzmächte weigerten sich, dem Staat, solange er nicht dem Parteigetriebe ein Ende mache, in der Zahlung der Zinsen für die Anleihe von 1832 Erleichterung zu gewähren.
Man mußte endlich zu Ersparungen schreiten und einen Teil der Kriegsflotte entwaffnen. Ein Ministerium nach dem andern trat auf und versprach, den öffentlichen Kredit herzustellen, die Verwaltung zu ordnen etc.; die Kammern aber vereitelten durch ihre Umtriebe alle Versuche zur Besserung. Auch ein Zirkular der Schutzmächte vom welches mit Einschreiten drohte, wenn sich die Parteien nicht zur Ordnung der Finanzen verständigten, richtete nichts aus.
Vielmehr mischten sich die Griechen in den Aufstand von Kreta (Kandia), der im August 1866 ausbrach, mit der Absicht, diese Insel dem Königreich einzuverleiben. Die Generalversammlung der Kreter hatte Georgios I. zum König ausgerufen;
in Athen bildete sich sofort ein kretensisches Komitee, welches zu Beiträgen für den Aufstand aufforderte;
zahlreiche griechische Freiwillige strömten den bedrängten Kretern zu.
Die Regierung zog Truppen an der türkischen Grenze zusammen und forderte die Mächte auf, den Sultan zur Nachgiebigkeit zu veranlassen;
man hoffte in Athen, dieselben würden wegen der Ereignisse in Deutschland 1866 Griechenland im Orient freie Hand lassen.
Indes zeigten sich dieselben nicht geneigt, die Türkei von neuem schwächen zu lassen. Sie hinderten sie in der Bekämpfung des kretischen Aufstandes nicht und erkannten auch die Rechtmäßigkeit ihrer Beschwerden über an, von wo den Empörern Hilfe an Geld und Menschen zufloß, welche den Kampf immer von neuem anfachte. Als die griechische Regierung auf alle Mahnungen nichts dagegen that, beschloß die Pforte endlich, an ein Ultimatum zu stellen und im Fall seiner Ablehnung den Krieg zu erklären. Der
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Ausbruch des Kriegs wurde nur durch eine Konferenz der Mächte in Paris, Januar 1869, verhindert, welche die türkischen Forderungen billigte und Griechenland verbot, Bildung von Banden und Ausrüstung von Schiffen zum Angriff auf türkisches Gebiet zu gestatten. Das griechische Ministerium weigerte sich und wollte es auf einen Krieg ankommen lassen; indes auf die patriotische Anleihe von 100 Mill. Drachmen, die man ausschrieb, wurden bloß 100,000 Drachmen gezeichnet. Das Ministerium nahm nun seine Entlassung, und das folgende, an dessen Spitze Zaimis trat, hatte den Mut, sich 6. Febr. zu unterwerfen; eine sehr lange Proklamation motivierte diesen Beschluß vor der Nation.
Im J. 1870 zog Griechenland durch einen neuen Vorfall die allgemeine Aufmerksamkeit und Entrüstung auf sich: am 11. April wurde eine Gesellschaft von Engländern beim Besuch des Schlachtfeldes von Marathon, wenige Meilen von Athen, von einer Räuberbande gefangen, und als die Regierung sich weigerte, außer dem bereits beschafften Lösegeld auch noch Amnestie zu bewilligen, sondern Truppen aussandte, wurden drei vornehme Engländer, welche die Räuber zurückbehalten, ermordet.
Mit Mühe gelang es, einen Teil der Schuldigen zu fangen und zu bestrafen. Den Hinterbliebenen der ermordeten Engländer mußte eine hohe Entschädigung gezahlt werden. Zeigte dies Ereignis die Unsicherheit der Person in Griechenland und die Ohnmacht der Regierung, so ein andres die Unsicherheit des Eigentums und die Habsucht der Machthaber. Die Regierung hatte einer französisch-italienischen Gesellschaft die Konzession zur Ausbeutung der altbekannten Silberbergwerke von Laurion erteilt, und diese gewann bedeutende Mengen von Blei und Silber aus den nicht völlig erschöpften alten Schlacken und neuen Erzgängen.
Als man in Athen dies erkannte, wurden die laurischen Bergwerke durch ein Gesetz vom Mai 1871 ohne weiteres für Nationaleigentum erklärt. Nur die energische Intervention Frankreichs und Italiens erreichte es, daß die Kammer 1873 sich zum Ankauf der Bergwerke durch den Staat entschloß. Furchtbare Naturerscheinungen, wie die Erdbeben von Santa Maura, Lamia und am Parnaß, schädigten das langsame, oft unterbrochene Wachstum des nationalen Wohlstandes. Die Thätigkeit der Regierung lähmten die fortwährenden Ministerkrisen, welche durch die Unzuverlässigkeit der Parteien in der Kammer verursacht wurden.
Hatte die Opposition ein Ministerium gestürzt, und trat eins aus ihrer Mitte an die Spitze des Landes, so wurde es sofort von ihr wieder im Stiche gelassen. 1874 hielt sich Bulgaris als Ministerpräsident nur dadurch vom Februar bis zu Ende des Jahrs, daß niemand, weder Zaimis, noch Deligeorgis, noch Kumunduros, an seine Stelle treten wollte. Am machte gar die Opposition die Kammer beschlußunfähig, in dem sie austrat und zugleich an den König eine Beschwerdeschrift richtete.
Nur mit Mühe konnte im April 1875 durch das Erscheinen der gesamten Regierungspartei die Beschlußfähigkeit der Kammer und die Annahme des Staatsvertrags mit dem Deutschen Reich über die Ausgrabungen in Olympia (selbst dieser fand in Griechenland Opposition) erreicht werden. Auf den Rat der Schutzmächte bildete nun der König (9. Mai) nach Entlassung des Ministeriums Bulgaris ein neues unter Trikupis, welches bei den Neuwahlen im August 1875 vollständig unterlag und nur eine kleine Minorität von Stimmen erhielt. Beim Zusammentritt der Kammer im Oktober dankte es daher sofort ab, und Kumunduros übernahm das Ministerium. Dasselbe begann sofort seine Thätigkeit mit einer Anklage wegen Verfassungsverletzung gegen das Ministerium Bulgaris, welches aber im Dezember 1876 vom Staatsgerichtshof freigesprochen wurde.
Als 1876 die orientalische Frage sich wiederum einer Krisis näherte, regten sich sofort in Griechenland die Gelüste nach thätiger Beteiligung an der Verwickelung, um Vorteil von ihr zu ziehen. Es bildeten sich mehrere Klubs, um Geldbeiträge zu sammeln und die Aktion vorzubereiten. Indes waren die leitenden Staatsmänner über die einzuschlagende Politik nicht einig. Kumunduros und Bulgaris waren Russenfreunde und geneigt, sobald Rußland losschlüge, ebenfalls den Krieg zu erklären.
Daher beantragte Kumunduros im Oktober 1876 bei der Kammer die Bewilligung einer Anleihe von 60 Mill. zum Ankauf von Kriegsvorräten und Kriegsschiffen, die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht in der Armee und die sofortige Einberufung der ersten Klasse der Dienstpflichtigen. Andre Politiker, wie Deligeorgis, erkannten aber, daß Rußland, seitdem es den Panslawismus auf seine Fahne geschrieben, nicht mehr eine Stütze, sondern ein Hindernis für die griechischen Vergrößerungspläne sei, und hofften durch die Gunst der Westmächte in gütlichem Einvernehmen mit der Türkei Thessalien und Epirus zu gewinnen. Schließlich einigten sich die Parteien im Juni 1877 über die Bildung eines Fusionsministeriums, in welchem unter dem Vorsitz des greisen Seehelden Kanaris Kumunduros, Deligeorgis, Trikupis und Zaimis vereinigt waren. Diesem bewilligte die Kammer eine Anleihe von 40 Mill., die Mobilisierung der Landwehr, die Errichtung von 12 freiwilligen Bataillonen und die Verstärkung der Flotte.
Dennoch blieb Griechenland auf den Rat Englands neutral. Erst nach dem Fall von Plewna, und nachdem Deligeorgis, Zaimis und Trikupis aus dem Ministerium ausgeschieden waren, entschloß sich die Regierung zum Handeln und schickte Anfang Januar 1878 ein Heer von 12,000 Mann unter General Sutsos nach Thessalien, welches aber nur geringe Fortschritte machte und auf die energischen Vorstellungen Englands das türkische Gebiet bald wieder räumte. Rußland berücksichtigte daher Griechenland im Frieden von San Stefano gar nicht.
Zwar wurden griechische Vertreter zum Berliner Kongreß zugelassen, aber im 13. Protokoll desselben wurde bloß ausgesprochen, daß die Türkei und Griechenland sich über eine Grenzrektifikation vereinigen sollten, durch welche letzterm das südliche Thessalien und Albanien zufielen. Die Verhandlungen zwischen beiden Staaten wurden 1879 in Preveza eröffnet, führten aber zu keinem Resultat, da die Türken sie absichtlich verschleppten. Der neue griechische Ministerpräsident, Trikupis, rief nun die Intervention der Mächte an, welche im Juni 1880 zu Berlin zu einer Konferenz zusammentraten. Da die Westmächte sich Griechenlands sehr energisch annahmen, so wurden in der That fast ganz Thessalien und das südliche Albanien zugesprochen.
Die Pforte weigerte sich, diesen Beschluß anzunehmen, namentlich Janina abzutreten. Schon rüsteten sich die Griechen zu einem Krieg trotz der gänzlichen Zerrüttung der Finanzen und brachten ihr Heer auf 60,000 Mann. Indessen konnten sie doch bei ihrer gänzlichen Ohnmacht zur See nicht wagen, allein einen Krieg gegen die Türkei zu beginnen. Die Westmächte weigerten sich aber entschieden, in einem solchen thätig beizustehen, schlugen vielmehr neue Verhandlungen in Konstantinopel vor, welche zum Abschluß gelangten. Die Pforte trat fast ganz Thessalien und von Albanien den Distrikt von Arta ab, 13,200 qkm mit 390,000 Einw. Die
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griechischen Minister sträubten sich anfangs, das Dargebotene anzunehmen, brachten aber 28. Mai auf die entschiedenen Drohungen der Mächte, allein zu lassen, ihrer Vaterlandsliebe das Opfer des Beitritts zur Konvention.
Die Übergabe der neuen Provinzen erfolgte noch 1881. Von der Presse und in der Kammer wurde aber trotzdem nicht bloß das Ministerium, sondern auch der König wegen dieses angeblich ungünstigen Ausgangs des Grenzstreits heftig angegriffen, wie denn Georg I. beim Volk nicht Popularität zu gewinnen vermochte. Die Dynastie befestigte sich nur insofern, als dem König, der sich mit der russischen Großfürstin Olga vermählt hatte, außerdem am gebornen Thronfolger Konstantin, Herzog von Sparta, noch drei Prinzen (vgl. Georg 9) geboren wurden. Das Ministerium Kumunduros, dem Griechenland die beträchtliche Gebietsvergrößerung verdankte, wurde schon 1882 gestürzt. Sein Nachfolger Trikupis, welcher sich der Ordnung der Finanzen widmete, einen neuen Zolltarif einführte und den Zwangskurs durch Aufnahme einer Anleihe beseitigte, behauptete sich bis 1885. Durch die Neuwahlen zur Kammer verlor er die Mehrheit, und Deligiannis trat im Mai 1885 an die Spitze der Regierung.
Dieser ließ sich, als im September die Ostrumelier den türkischen Generalgouverneur verjagten und sich mit Bulgarien vereinigten und infolgedessen Serbien letzterm den Krieg erklärte, durch die Hoffnung auf einen allgemeinen Kampf auf der Balkanhalbinsel, in dem Griechenland von neuem sein Gebiet auf Kosten der Türkei erweitern könne, zu umfangreichen Rüstungen verleiten. Als indes der Friede wiederhergestellt wurde, ehe Griechenland zum Eingreifen bereit war, setzte Deligiannis die Rüstungen dennoch fort, indem er die friedensbedürftigen Mächte durch die Drohung mit einem Einfall in Makedonien und einem Angriff auf die türkische Flotte einschüchtern und zur Befriedigung der griechischen Ländergier bewegen zu können glaubte; denn einen ernsten Krieg hätte Griechenland bei der Langsamkeit und Geringfügigkeit seiner Rüstungen gegen die stark bewaffnete Türkei nicht wagen können.
Frankreich leistete den Griechen auch seinen diplomatischen Beistand; England aber verlangte im Januar 1886 energisch die Abrüstung, und die übrigen Mächte schlossen sich ihm an, auch Rußland. Deligiannis weigerte sich lange, abzurüsten, indem er sich auf den Anspruch Griechenlands auf die Grenze von 1880 berief. Die Mächte blieben aber fest und einig, schickten eine ansehnliche Kriegsflotte nach der Sudabai auf Kreta und stellten, als Deligiannis trotzdem das griechische Heer an der Nordgrenze bis auf 80,000 Mann verstärkte und dort schon Konflikte mit den Türken vorfielen, 6. Mai ein Ultimatum.
Als Deligiannis dies ablehnte, verließen die Gesandten der Mächte (außer Frankreich) Athen, nachdem sie über alle griechischen Häfen der Ostseeküste die Blockade verhängt hatten. Jetzt endlich sah Deligiannis die Nutzlosigkeit seines Widerstandes ein und trat zurück. Trikupis übernahm 21. Mai das Ministerium und befahl die Abrüstung, worauf die Blockade aufgehoben wurde. Darauf widmete er sich der Regelung der Finanzen, die durch die Kosten der Rüstungen (über 100 Mill.) wieder in die ärgste Verwirrung geraten waren, indem er sich von der Kammer eine Goldanleihe von 19 Mill. bewilligen ließ. Zugleich ließ er von der Kammer eine Änderung des Wahlgesetzes beschließen, wonach dieselbe fortan nur aus 150 Deputierten bestehen und diese nach Provinzen (Nomen) gewählt werden sollen.
[Litteratur.]
Über die Geschichte Neugriechenlands vgl. Mitford, History of Greece (Lond. 1784 ff.; neue Aufl. 1838, 8 Bde.; deutsch von Eichstädt, Leipz. 1802-1808, 6 Bde.);
Fallmerayer, Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters (Stuttg. 1830-36, 2 Bde.);
Hopf, Geschichte Griechenlands vom Mittelalter bis auf unsre Zeit (aus Ersch und Grubers Encyklopädie, Leipz. 1870);
Sathas, Documents inédits à l'histoire de la Grèce au moyen-âge (Par. 1880-82, 3 Bde.);
Finlay, Geschichte Griechenlands von seiner Eroberung durch die Kreuzfahrer bis zur Besitznahme durch die Türken (a. d. Engl. von Reiching; Tübing. 1853);
Derselbe, History of Greece under the Othoman and Venetian domination (Lond. 1856);
Derselbe, History of the Greek revolution (das. 1861, 2 Bde.);
Mendelssohn-Bartholdy, Geschichte Griechenlands von der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 bis auf unsre Tage (Leipz. 1870, 2 Tle.);
Hertzberg, Geschichte Griechenlands seit Absterben des antiken Lebens bis zur Gegenwart (Gotha 1875-78, 4 Bde.);
Thom. Gordon, History of the Greek revolution (2. Aufl., Lond. 1842, 2 Bde.; deutsch bearbeitet und fortgeführt von Zinkeisen, Leipz. 1840, 2 Bde.);
Klüber, Pragmatische Geschichte der nationalen und politischen Wiedergeburt Griechenlands (Frankf. 1835);
Trikupis, Geschichte der griechischen Wiedergeburt (griech., Lond. 1853-57, 4 Bde.);
Gervinus, Geschichte des 19. Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen, Bd. 5 und 6 (Leipz. 1861-62);
Lenormant, La révolution de Grèce, ses causes et ses conséquences (Par. 1862);
v. Prokesch-Osten, Geschichte des Abfalls der Griechen vom türkischen Reich im Jahr 1821 und der Gründung des hellenischen Königreichs (Wien 1867-68, 6 Bde.);
Schmeidler, Geschichte des Königreichs Griechenland (Heidelb. 1877).