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besoldet; sein Einfluß auf die niedern Stände ist, obwohl ihm Gelehrsamkeit abgeht, bedeutend, sehr gering aber auf die Kreise [* 2] der Gebildeten. Im übrigen haben alle christlichen Bekenntnisse und Sekten sowie der Mosaismus und selbst der Islam freie Religionsübung. Römische [* 3] Katholiken leben auf Syra, zu Athen [* 4] und auf den Ionischen Inseln unter zwei Erzbischöfen (zu Naxos und Korfu) [* 5] und vier Bischöfen. Der Grieche ist fanatisch für seinen Glauben eingenommen und haßt den Katholiken mehr als den Türken. Protestanten gibt es nur vereinzelt. Mohammedaner gibt es noch in Thessalien, deren Zahl aber nicht bekannt und jüngst durch Auswanderung zusammengeschmolzen ist. Der julianische Kalender dient zur Zeitrechnung.
Bildung, Charakter und Lebensweise.
Das Schulwesen, das unter der Herrschaft der Türken ganz daniederlag, hat seit der Revolution den erfreulichsten Aufschwung genommen. Seit 1834 ist der Primärunterricht obligatorisch. Während es 1832 in ganz Griechenland [* 6] nur 75 Elementarschulen, 18 hellenische Schulen (Progymnasien) und 3 Gymnasien gab (mit 11,000 Schülern), zählte man 1878: 1030 Elementarschulen für Knaben (von denen 65 Proz. die Schulen besuchen), 164 für Mädchen, 136 hellenische Schulen und 18 Gymnasien.
Diese Zahlen haben sich seitdem noch vergrößert. Immerhin gehörten 1879 vom männlichen Geschlecht 69 Proz., vom weiblichen 93 Proz. zu den Analphabeten. Außerdem bestehen an Bildungsanstalten: ein Polytechnikum, eine theologische Akademie, 3 theologische (griechisch-orientalische) Bildungsanstalten (Seminare), 4 Normalschulen zur Bildung von Lehrern, eine höhere Zentralschule für Mädchen, 5 nautische Schulen, eine landwirtschaftliche Akademie, eine Militärschule im Piräeus und die Universität zu Athen mit (1878) 79 Dozenten und ca. 1250 Studenten.
Rühmliches leistet auch die Archäologische Gesellschaft zu Athen. Zu nennen sind außerdem zahlreiche (12) Vereine (Syllogoi) für wissenschaftliche, künstlerische und Unterrichtszwecke; die Nationalbibliothek mit 92,215 Bänden und 5 kleinere in und außerhalb Athens sowie das archäologische und das numismatische Museum in Athen. Vor der Befreiung des Landes von der Türkenherrschaft existierte nirgends in den von Griechen bewohnten Ländern, außer in Konstantinopel, [* 7] Korfu und Zante, eine griechische Buchdruckerei; 1878 gab es deren 104, davon 44 in Athen, welches außerdem 16 von den 50 existierenden Buchhandlungen zählt. 1877 erschienen in Griechenland 57 Zeitungen und 15 Zeitschriften, davon resp. 34 und 13 in Athen. Von 1867 bis 1877 erschienen in Griechenland 1479 Bücher.
Die geistigen Anlagen der Neugriechen sind überaus glücklich. Fast alle Gebildeten sprechen französisch und englisch; auf den Inseln und im westlichen Morea sprechen selbst viele Personen der niedern Stände italienisch. Scharfsinn, feurige Einbildungskraft und Witz gehen auch dem gemeinsten Griechen nicht ab. Den Frauen sind tiefes Gefühl, ruhige Würde, Ehrbarkeit, Wärme [* 8] des Ausdrucks, naive Beredsamkeit und eine gänzliche Hingebung und Aufopferung für den geliebten Gegenstand eigen, wie sie auch an Freiheitsliebe den Männern nicht nachstehen. Im Nationalcharakter der Griechen sind zumeist infolge des jahrhundertelang auf ihnen lastenden Druckes die schlechten Eigenschaften fast überwiegend; namentlich müssen Eitelkeit, Prahlsucht, Mißtrauen gegen Fremde, Hang zum Lügen, Unzuverlässigkeit, Neigung zu Intrigen, Betrug und Übervorteilung als allgemeine Charakterfehler erwähnt werden.
Die »griechische Treue« ist berüchtigt. Dazu kommt noch ihr Hang zu Müßiggang. Es herrscht Scheu vor jedem Handwerk und strenger Arbeit; jeder will Handel treiben, für den der Grieche allerdings wie geschaffen ist. Eine Folge davon ist der hohe Arbeitslohn in den Städten und der niedrige Stand der Bodenkultur. Die Landbewohner stellen sich übrigens in Bezug auf die angeführten Fehler besser als die Städter. Zu den guten Eigenschaften der Griechen gehören ihre Höflichkeit, Gefälligkeit und Freundlichkeit, die Freigebigkeit der Reichen zu wissenschaftlichen und kulturellen Zwecken. Ihre Gastfreundschaft erinnert an die Homerischen Erzählungen, auch Mäßigkeit ist eine der hervorragendsten Nationaltugenden. Der Grieche ist ferner tapfer, freiheitliebend, gewandt und bewahrt ein reizbares Gemüt, das sich ebenso leicht der Fröhlichkeit wie der unversöhnlichen Rachsucht hingibt.
Die Lebensweise der Griechen hat ihre Eigentümlichkeiten am meisten ans dem Land und in kleinen Städten erhalten. Die Wohnungen der Landbewohner sind einfach und auf wenige Räume beschränkt. Der untere Teil der Behausung dient zu ökonomischen Zwecken, der obere zum Aufenthalt. Glasfenster und Stühle fehlen, eine hölzerne Bank oder der mit Matten belegte Fußboden ersetzt die letztern; ärmere Leute kommen nicht aus den Kleidern, sie schlafen darin. In den Städten sind die Häuser selten zwei Stockwerke hoch.
Schornsteine fehlen, Öfen [* 9] kannte man vor 50 Jahren noch wenig. Vieles Hausgerät zeigt antike Form. Bei den Mahlzeiten herrscht noch viel von der alten Sitte und Einfachheit. Selten ißt das Landvolk warme Speisen. Brot, [* 10] dazu etwas Käse, Früchte, Zwiebeln oder gesalzene Fische [* 11] sind die tägliche Nahrung, reines Wasser oder ein Schluck wohlfeilen Harzweins (Resinat) das Getränk. Fleisch wird selten genossen, zumal die Griechen die häufig vorkommenden Fasttage gewissenhaft halten.
Man sitzt bei den Mahlzeiten an kleinen Tischen auf türkische Weise und bedient sich der Finger statt Gabel und Messer; [* 12] die Hausfrau bedient, ohne mit zu essen; vor und nach Tisch wäscht man die Hände. Den Kaffee nehmen die Männer in den Lokanden (Speisehäusern), deren es in dem kleinsten Dorf mehrere gibt. Das Tabakrauchen ist allgemein verbreitet und selbst vielen Frauen zur Gewohnheit geworden. Die (ursprünglich albanesische) Nationaltracht der Männer besteht aus einem bunten, vorn offen stehenden Spenzer, einer kurzen, gleichfarbigen, gestickten Jacke darüber und einem farbigen Überwurf mit geschlitzten Ärmeln um die Schultern.
Die Hüften umschließt ein breiter, verzierter Gürtel, [* 13] der die Pistolen [* 14] und den Handschar hält. Von diesem abwärts reicht bis unter die Kniee ein weißes, in zahllose Falten gelegtes Hemd, die sogen. Fustanella. Die Hauptfarben ihrer Kleidung sind: Blau, Rot, Weiß, Gold. [* 15] Nur die Inselbewohner tragen eine blaue Fustanella. Die Wade deckt ein weißer Strumpf oder enge, bunt gestickte Gamaschen, die Füße zierliche rote Schnabelschuhe. [* 16] Zur Einhüllung des Oberkörpers dient ein Mantel von braunem, dickem Zeug oder aus zottigem Ziegenfell. Die Tracht der Frauen ist nach den verschiedenen Gegenden verschieden. Ein vom Hals bis zu den Füßen herabwallendes wollenes Kleid, um die Hüften von einem bunten Shawl oder Gürtel zusammengehalten, darüber ein kürzeres wollenes Oberkleid bilden die gewöhnliche Tracht. Das Haar, [* 17] zum Teil in Zöpfe geflochten, hängt frei den Rücken hinab. Noch jetzt grüßen die Griechen nach Art der alten Athener, indem sie die flache rechte ¶
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Hand [* 19] gegen das Herz halten und den linken Arm mit einer leichten Beugung des [* 20] Kopfes sinken lassen. Die Schließung der Ehe wird als Geschäftssache behandelt, welche die Väter ohne weitere Befragung der Kinder abmachen. Der Bräutigam erhält das Verzeichnis der Mitgift schriftlich, führt die Braut nach der Trauung im festlichen Zug mit Musik in seine Wohnung, wo sie nach der Sitte acht Tage für die Welt unsichtbar bleibt. Das Leben der griechischen Frauen ist ein häuslich abgeschlossenes.
Ehescheidungen kommen häufig vor. Bei Todesfällen wird der Leichnam mit Wein gewaschen und mit Blumen geschmückt, wobei Verwandte und Freunde eine Totenklage anstimmen. Für Musik, Tanz und Festlichkeiten haben die Griechen eine große Vorliebe. Ihre Volkslieder singen sie in einförmigen, melancholischen Weisen. Auch herumziehende Rhapsoden findet man oft. Zu solcher Musik tanzen die Männer zu zweien, aber ohne besondere Lebhaftigkeit. Die Frauen, welche den Tanz leidenschaftlich lieben, jedoch nur unter sich und von den Männern getrennt ausüben, kauern während des Schauspiels als müßige Zuschauer in der Ferne an den Mauern. Eine Standesverschiedenheit der Bewohner besteht nur in deren verschiedenen Beschäftigungsarten. Einen Adel gibt es in Griechenland nicht; einige fanariotische Familien legen sich zwar den Fürsten-, einige ionische den Grafentitel bei, indessen verbot schon die Verfassung von Trözen (1827) die Erteilung von Adelstiteln.
Bodenkultur.
Zu den fruchtbarsten Strichen Griechenlands gehören die reichen Thäler und Ebenen des Aspropotamo, des Vuriendi, des Mavronero, des Iri, der Pernitsa in Messenien und des Gastuni und Ruphia in Elis sowie die Inseln Euböa, Andros, Naxos und Paros. Im allgemeinen hat Griechenland nicht Wasser genug, um seine Felder während der trocknen Jahreszeit zu bewässern, und die früher angelegten künstlichen Wasserleitungen sind während der Befreiungskriege größtenteils zu Grunde gegangen. Von der Gesamtoberfläche Griechenlands (mit Ausnahme der Ionischen Inseln) waren 1875: 360,624 Hektar mit Getreide [* 21] bebaut und zwar mit
Weizen | 159586 Hektar, welche ergaben | 1540317 Hektol. |
Halbfrucht | 57749 | 502011 |
Roggen | 846 | 5663 |
Gerste | 67910 | 589649 |
Hafer | 4078 | 43289 |
Mais | 61816 | 982295 |
Buchweizen | 5831 | 46328 |
Hirse etc. | 2808 | 22652 |
Drei Fünftel alles ackerbaren Landes (der alten Provinzen) sind zwar noch unbebaut, und nur etwa ein Viertel der Bevölkerung [* 22] Griechenlands beschäftigt sich mit dem Ackerbau; aber immerhin hat sich in den Jahren 1865-80 der Anbau des Sommergetreides in um 50 Proz., der des Weizens um 61, des Tabaks um 53, des Weins um 33, der Korinthen gar um 300 Proz. gesteigert. Hierdurch wird erklärlich, daß selbst eine gute Ernte [* 23] den Bedarf der einheimischen Bevölkerung nicht zu decken vermag und Getreide (Weizen, Gerste, [* 24] Mais) den stärksten Posten der Einfuhr Griechenlands bildet.
Ursachen dieses niedern Standes der Bodenbewirtschaftung sind Mangel an hinreichenden Arbeitskräften, an einem allgemeinen freien Grundbesitz, an Wegen, an vollkommenen Ackergerätschaften (der Pflug [* 25] ist meist noch der alte griechische) und der mangelhafte Zustand der Rinder- und Pferdezucht. [* 26] Einen Gegenstand des Gewinns wirft die Bodenkultur nur in der Produktion von Korinthen, Wein, Feigen und Öl sowie in der Seidenzucht ab. Durch die Vertreibung der Türken fielen sämtliche diesen gehörige Besitzungen dem Staat anheim, so daß dieser noch jetzt fast die Hälfte alles Grundes und Bodens sein eigen nennt.
Übrigens haben einen beträchtlichen Teil der Staatsbesitzungen die Landleute sich eigenmächtig angeeignet, und durch Art. 101 der Konstitution von 1864 ist für Verteilung von Nationaleigentum an Grund und Boden Fürsorge getroffen. Pachter desselben bezahlen 15 Proz. ihrer Einnahme als Pacht. Am meisten wird Weizen gebaut, sodann Gerste, neben Bohnen die Hauptnahrung der ärmern Volksklasse, und Mais. Reis baut man in den Niederungen von Elis. Hülsenfrüchte und viele Gemüsearten (Artischocken, Lattich, Kürbisse, Gurken, Zwiebeln etc.) gedeihen um Athen und an den Ufern des Kephisos vortrefflich.
Auf den Inseln baut man sehr guten Blumenkohl. Wenig produktiv, aber von vorzüglicher Qualität ist der Krapp. Der Tabaksbau (Ausfuhr nach Ägypten [* 27] 1,783,000 Okken jährlich) nimmt merklich zu und wird hauptsächlich in den schönen Ebenen von Argolis, an den Ufern des Busens von Korinth, [* 28] in der Gegend von Kalavryta und in der Ebene von Kalamata betrieben. Mehr als die Hälfte der Ernte fällt der Ausfuhr zu. Baumwolle, [* 29] von geringer Qualität, wird in mildern Gegenden mit Erfolg gebaut, z. B. auf der Insel Santorin, ebenso Mohn.
Sehr ansehnlich ist, sowohl auf den Inseln als auf dem Festland, der beständig zunehmende Weinbau (1875: 87,107 Hektar), der jetzt (1875) jährlich für 19½ Mill. Drachmen Wein ergibt. 1882 belief sich die Ausfuhr (meist nach Frankreich und Italien) [* 30] auf 37,000 hl im Wert von 9 Mill. Drachmen. Man keltert den Wein aus Mangel an Bottichen in Thongruben und verwahrt ihn zum Teil noch heute, wie im Altertum, in Schläuchen, d. h. durch Öl und Gummiharz dicht gemachten Tierhäuten oder Ledersäcken, wodurch derselbe einen widerlichen Geschmack erhält.
Sehr berühmt war ehedem der sogen. Malvasier (von Napoli di Malvasia in Morea); heutzutage indessen liefern nur die Inseln Tinos und Naxos ein dem Malvasier früherer Zeit ähnliches Gewächs. Von vortrefflicher Qualität sind auch die weißen Weine von Kephalonia und Patras. Die übrigen Weine des Festlandes sind meist mittlern Ranges (s. Griechische Weine). Noch größere Wichtigkeit hat der Bau von Korinthen, welche Griechenland eigentümlich sind. Sie wurden ursprünglich bei Korinth, am Golf von Lepanto, gezogen, kommen jetzt aber mehr westlich bei Pyrgos, Vostitsa bis gegen Patras, auch bei Missolunghi, außerdem in Messenien, auf Kephalonia, Santa Maura und Thiaki vor. 1875 nahmen die Korinthenpflanzungen ein Areal von 36,630 Hektar ein und dehnen sich fortgesetzt auf Kosten der Oliven-, Maulbeer- und Südfruchtpflanzungen aus.
Der Ertrag der Korinthenpflanzungen wechselt sehr; 1870 wurden für 17,3 Mill. Drachmen ausgeführt, 1871 für 30,3, 1872 für 25,4, 1873 für 35,6, 1874 für 37,2, 1875 für 37,5, jetzt für ca. 50. Die 85er Ernte ergab 103 Mill. kg, ein Drittel weniger als 1884. Die am meisten vorkommenden Obstarten sind Kirschen, Äpfel und Birnen; doch steht die Obstbaumzucht im allgemeinen auf einer niedern Stufe. Einen wichtigen Handelsartikel bilden die Feigen, deren Kultur namentlich in der Provinz Messenien betrieben wird (1875: 6347 Hektar). Auch der Olivenbau hat sich wieder sehr gehoben; eigentliche Wälder von Ölbäumen finden sich bei Athen, Megara, Salona, Sparta, Kalamata und Koron, auch auf den Inseln. 1838 zählte man 2½ Mill. Bäume, gegenwärtig dürfte sich ¶