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Areal und Bevölkerung.
Das Königreich hat gegenwärtig einen Flächeninhalt von 65,229 qkm oder nach Strelbitskys Berechnung von nur 64,689 qkm (1174,9 QM.) und einschließlich der 20,523 Land- und Seesoldaten und der abwesenden Matrosen (5180) nach der Zählung von 1879 eine faktische Bevölkerung [* 2] von 1,679,884 Seelen, wozu 1883 noch 293,028 Bewohner in den neuerworbenen Provinzen gezählt wurden. Flächeninhalt und Bevölkerung verteilen sich auf die einzelnen Nomen, in welche das Königreich geteilt ist, wie folgt:
Nomen | QKilometer nach Behm | Strelbitsky | Einwohner |
---|---|---|---|
Attika und Böotien | 6426 | 6306.2 | 185364 |
Euböa | 4148 | 4199.1 | 95136 |
Phthiotis und Phokis | 6149 | 6084.3 | 128440 |
Akarnanien und Ätolien | 7833 | 7489.1 | 138444 |
Achaia und Elis | 5253 | 5074.8 | 181632 |
Arkadien | 4346 | 4301.0 | 148600 |
Lakonien | 4228 | 4239.9 | 121116 |
Messenien | 3443 | 3341.5 | 155760 |
Argolis und Korinth | 5232 | 5243.8 | 136081 |
Kykladen | 2485 | 2694.6 | 132020 |
Kerkyra (Korfu) | 1107 | 1092.0 | 106109 |
Kephalonia | 783 | 815.0 | 80957 |
Zakynthos | 427 | 437.9 | 44522 |
Neue Gebietsteile: | |||
Larissa ) | 6420 | 144621 | |
Trikkala ) | 13369 | 5700 | 117229 |
Arta ) | 1250 | 31178 | |
Soldaten und abwesende Matrosen (1879) | - | - | 25703 |
Zusammen: | 65229 | 64689.2 | 1972912 |
Die Bevölkerung Griechenlands, welche 1822 (die Ionischen Inseln inbegriffen) nur auf 970,000 Seelen geschätzt wurde, betrug bei der Zählung von 1870 (in den alten Provinzen) 1,457,894 Seelen. Die jährliche Zunahme belief sich in dem Zeitraum von 1861 bis 1870 durchschnittlich auf 1 Proz., von 1870 bis 1879 aber auf 1,69 Proz. Die Dichtigkeit der Bevölkerung ist eine geringe, da nur 30 Einwohner auf 1 qkm entfallen. Am dichtesten bevölkert sind die Ionischen Inseln (Zakynthos mit 102, Kephalonia mit 99 und Kerkyra mit 95 Seelen auf 1 qkm), am schwächsten Akarnanien-Ätolien mit 19 Seelen auf 1 qkm. Bei der Zählung von 1879 stellte sich die männliche Bevölkerung auf 52,45 Proz., die weibliche nur auf 47,55 Proz. der Gesamtbevölkerung. Im J. 1882 betrug die Zahl der Eheschließungen 11,186, der Lebendiggebornen 43,157, der Todesfälle 32,194. Unter den 116 Städten, welche 1879 gezählt wurden, hatten nur 4 mehr als 20,000 Einw., nämlich Athen, [* 3] Patras, Hermupolis und Piräeus.
Die Bevölkerung Griechenlands besteht aus zwei vorherrschenden Volksstämmen, den Griechen (Neugriechen), den mit slawischem, romanischem und türkischem Blut gemischten Nachkommen der alten Hellenen, die besonders in Südgriechenland und (reinern Bluts) auf den Inseln weit überwiegen, und den Albanesen (s. d.), die sich vorherrschend im nördlichen, besonders nordwestlichen Griechenland [* 4] vorfinden. Sie bilden einen weniger durch Zahl als durch industrielle Thätigkeit bemerkenswerten Teil der Bevölkerung, da sie vorzügliche Ackerbauer und die unternehmendsten Seeleute liefern.
In dem Peloponnes finden sich nur einige albanesische Dörfer. Außerdem leben in Griechenland Kutzowlachen oder Zinzaren (im Pindos und am obern Aspropotamo), Türken (sogen. Koniariden, im ebenen Thessalien, zum Teil seit einigen Jahren ausgewandert), wenige Armenier, noch weniger Westeuropäer (Franken) und Juden. Die Zählung von 1879 ergab in Griechenland (ohne Thessalien und Arta) 31,969 Ausländer, davon 23,133 Osmanen, 3104 Italiener und 2187 Engländer; unter den griechischen Unterthanen verstanden 58,858, meist Albanesen, nicht die griechische Sprache.
Die Neugriechen tragen unverkennbare Spuren der Ähnlichkeit [* 5] mit den alten Hellenen an sich. Die Männer sind meist schön, groß und kräftig gebaut, von scharf geschnittenen, edlen Gesichtszügen, dunkeln Augen, schwarzem Haar, [* 6] das sie mit dem türkischen Fes bedecken, und lebhaften, feurigen Geistes. Greise in vollster Kraft [* 7] von 90-100 Jahren gehören nicht zu den Seltenheiten. Dagegen wird ein schönes Weib, wie es die Alten schildern, jetzt nicht häufig gefunden. Da sich die Mädchen schon mit dem 11.-12. Jahr verheiraten, so sind sie mit 20 Jahren verblüht, und eine 30jährige Frau gleicht oft einer alten Matrone.
Wenn die Behauptung aufgestellt worden ist (Fallmerayer), die heutigen Griechen hätten mit den Hellenen des Altertums keinen Zug gemein, so kann zwar nicht geleugnet werden, daß die Reinheit der griechischen Abstammung durch Beimischung fremder Elemente und durch Beeinflussung seitens der Türken, Slawen und Italiener sehr getrübt worden ist (die Schädelmessung hat neuerdings ergeben, daß die Neugriechen viel brachykephaler geworden sind, als die alten Griechen waren); allein vielfache Ähnlichkeit mit den alten Hellenen tritt doch offenkundig hervor, was mit schlagenden Gründen nachgewiesen wurde, so durch Fauriel (»Chants populaires de la Grèce moderne«, Par. 1824; deutsch von W. Müller, Leipz. 1825),
Bybilakis (»Neugriechisches Leben, verglichen mit dem altgriechischen«, Berl. 1840),
Firmenich (»Neugriechische Volksgesänge«, das. 1840-67, 2 Tle.) und B. Schmidt (»Das Volksleben der Neugriechen und das hellenische Altertum«, Leipz. 1870).
Religion.
Nach dem Religionsbekenntnis verteilt sich die Bevölkerung Griechenlands folgendermaßen: orientalische Griechen 1,902,800, Christen andrer Kulte 14,677, Israeliten 5792, Mohammedaner 24,165. Staatsreligion ist die der orientalisch-griechischen Kirche, welche früher von dem Patriarchen in Konstantinopel [* 8] beaufsichtigt wurde, 1833 aber sich von der kirchlichen Herrschaft desselben lossagte und durch Einsetzung eines einheimischen obersten Kirchenregiments zur Nationalkirche gestaltete.
Die oberste geistliche Behörde ist die permanente heilige Synode zu Athen, die aus fünf Mitgliedern besteht, welche von dem König, als dem Oberhaupt der Kirchenverwaltung, aus der höchsten Geistlichkeit gewählt werden, deren Beschlüsse aber der königlichen Bestätigung bedürfen. Die Zahl der Geistlichkeit ist bedeutend, war aber früher noch beträchtlicher. Es beläuft sich die Zahl der hohen geistlichen Ämter (in den alten Provinzen) auf 31, nämlich 1 Metropolit (zu Athen, Präsident der heiligen Synode), 14 Erzbischöfe und 16 Bischöfe.
Sowohl Bischöfe als Erzbischöfe werden vom König gewählt. 1879 gab es (in den alten Provinzen) 145 Mönchs- und 23 Nonnenklöster mit 2116 Mönchen, 1142 Laienbrüdern und 541 Nonnen; vor 1833 dagegen 400 Mönchs- und 110 Nonnenklöster. Geistliche überhaupt zählte man 7952. Unter der Türkenherrschaft besaß der Klerus fast ein Viertel des Bodens, und auch jetzt noch ist er im Besitz bedeutender Ländereien. Das Vermögen der seit 1833 aufgehobenen Klöster wurde zu gunsten des Kirchen- und Schulwesens verwendet. Der niedere Klerus selbst, der sich verheiraten darf, ist kärglich ¶
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besoldet; sein Einfluß auf die niedern Stände ist, obwohl ihm Gelehrsamkeit abgeht, bedeutend, sehr gering aber auf die Kreise [* 10] der Gebildeten. Im übrigen haben alle christlichen Bekenntnisse und Sekten sowie der Mosaismus und selbst der Islam freie Religionsübung. Römische [* 11] Katholiken leben auf Syra, zu Athen und auf den Ionischen Inseln unter zwei Erzbischöfen (zu Naxos und Korfu) [* 12] und vier Bischöfen. Der Grieche ist fanatisch für seinen Glauben eingenommen und haßt den Katholiken mehr als den Türken. Protestanten gibt es nur vereinzelt. Mohammedaner gibt es noch in Thessalien, deren Zahl aber nicht bekannt und jüngst durch Auswanderung zusammengeschmolzen ist. Der julianische Kalender dient zur Zeitrechnung.
Bildung, Charakter und Lebensweise.
Das Schulwesen, das unter der Herrschaft der Türken ganz daniederlag, hat seit der Revolution den erfreulichsten Aufschwung genommen. Seit 1834 ist der Primärunterricht obligatorisch. Während es 1832 in ganz Griechenland nur 75 Elementarschulen, 18 hellenische Schulen (Progymnasien) und 3 Gymnasien gab (mit 11,000 Schülern), zählte man 1878: 1030 Elementarschulen für Knaben (von denen 65 Proz. die Schulen besuchen), 164 für Mädchen, 136 hellenische Schulen und 18 Gymnasien.
Diese Zahlen haben sich seitdem noch vergrößert. Immerhin gehörten 1879 vom männlichen Geschlecht 69 Proz., vom weiblichen 93 Proz. zu den Analphabeten. Außerdem bestehen an Bildungsanstalten: ein Polytechnikum, eine theologische Akademie, 3 theologische (griechisch-orientalische) Bildungsanstalten (Seminare), 4 Normalschulen zur Bildung von Lehrern, eine höhere Zentralschule für Mädchen, 5 nautische Schulen, eine landwirtschaftliche Akademie, eine Militärschule im Piräeus und die Universität zu Athen mit (1878) 79 Dozenten und ca. 1250 Studenten.
Rühmliches leistet auch die Archäologische Gesellschaft zu Athen. Zu nennen sind außerdem zahlreiche (12) Vereine (Syllogoi) für wissenschaftliche, künstlerische und Unterrichtszwecke; die Nationalbibliothek mit 92,215 Bänden und 5 kleinere in und außerhalb Athens sowie das archäologische und das numismatische Museum in Athen. Vor der Befreiung des Landes von der Türkenherrschaft existierte nirgends in den von Griechen bewohnten Ländern, außer in Konstantinopel, Korfu und Zante, eine griechische Buchdruckerei; 1878 gab es deren 104, davon 44 in Athen, welches außerdem 16 von den 50 existierenden Buchhandlungen zählt. 1877 erschienen in Griechenland 57 Zeitungen und 15 Zeitschriften, davon resp. 34 und 13 in Athen. Von 1867 bis 1877 erschienen in Griechenland 1479 Bücher.
Die geistigen Anlagen der Neugriechen sind überaus glücklich. Fast alle Gebildeten sprechen französisch und englisch; auf den Inseln und im westlichen Morea sprechen selbst viele Personen der niedern Stände italienisch. Scharfsinn, feurige Einbildungskraft und Witz gehen auch dem gemeinsten Griechen nicht ab. Den Frauen sind tiefes Gefühl, ruhige Würde, Ehrbarkeit, Wärme [* 13] des Ausdrucks, naive Beredsamkeit und eine gänzliche Hingebung und Aufopferung für den geliebten Gegenstand eigen, wie sie auch an Freiheitsliebe den Männern nicht nachstehen. Im Nationalcharakter der Griechen sind zumeist infolge des jahrhundertelang auf ihnen lastenden Druckes die schlechten Eigenschaften fast überwiegend; namentlich müssen Eitelkeit, Prahlsucht, Mißtrauen gegen Fremde, Hang zum Lügen, Unzuverlässigkeit, Neigung zu Intrigen, Betrug und Übervorteilung als allgemeine Charakterfehler erwähnt werden.
Die »griechische Treue« ist berüchtigt. Dazu kommt noch ihr Hang zu Müßiggang. Es herrscht Scheu vor jedem Handwerk und strenger Arbeit; jeder will Handel treiben, für den der Grieche allerdings wie geschaffen ist. Eine Folge davon ist der hohe Arbeitslohn in den Städten und der niedrige Stand der Bodenkultur. Die Landbewohner stellen sich übrigens in Bezug auf die angeführten Fehler besser als die Städter. Zu den guten Eigenschaften der Griechen gehören ihre Höflichkeit, Gefälligkeit und Freundlichkeit, die Freigebigkeit der Reichen zu wissenschaftlichen und kulturellen Zwecken. Ihre Gastfreundschaft erinnert an die Homerischen Erzählungen, auch Mäßigkeit ist eine der hervorragendsten Nationaltugenden. Der Grieche ist ferner tapfer, freiheitliebend, gewandt und bewahrt ein reizbares Gemüt, das sich ebenso leicht der Fröhlichkeit wie der unversöhnlichen Rachsucht hingibt.
Die Lebensweise der Griechen hat ihre Eigentümlichkeiten am meisten ans dem Land und in kleinen Städten erhalten. Die Wohnungen der Landbewohner sind einfach und auf wenige Räume beschränkt. Der untere Teil der Behausung dient zu ökonomischen Zwecken, der obere zum Aufenthalt. Glasfenster und Stühle fehlen, eine hölzerne Bank oder der mit Matten belegte Fußboden ersetzt die letztern; ärmere Leute kommen nicht aus den Kleidern, sie schlafen darin. In den Städten sind die Häuser selten zwei Stockwerke hoch.
Schornsteine fehlen, Öfen [* 14] kannte man vor 50 Jahren noch wenig. Vieles Hausgerät zeigt antike Form. Bei den Mahlzeiten herrscht noch viel von der alten Sitte und Einfachheit. Selten ißt das Landvolk warme Speisen. Brot, [* 15] dazu etwas Käse, Früchte, Zwiebeln oder gesalzene Fische [* 16] sind die tägliche Nahrung, reines Wasser oder ein Schluck wohlfeilen Harzweins (Resinat) das Getränk. Fleisch wird selten genossen, zumal die Griechen die häufig vorkommenden Fasttage gewissenhaft halten.
Man sitzt bei den Mahlzeiten an kleinen Tischen auf türkische Weise und bedient sich der Finger statt Gabel und Messer; [* 17] die Hausfrau bedient, ohne mit zu essen; vor und nach Tisch wäscht man die Hände. Den Kaffee nehmen die Männer in den Lokanden (Speisehäusern), deren es in dem kleinsten Dorf mehrere gibt. Das Tabakrauchen ist allgemein verbreitet und selbst vielen Frauen zur Gewohnheit geworden. Die (ursprünglich albanesische) Nationaltracht der Männer besteht aus einem bunten, vorn offen stehenden Spenzer, einer kurzen, gleichfarbigen, gestickten Jacke darüber und einem farbigen Überwurf mit geschlitzten Ärmeln um die Schultern.
Die Hüften umschließt ein breiter, verzierter Gürtel, [* 18] der die Pistolen [* 19] und den Handschar hält. Von diesem abwärts reicht bis unter die Kniee ein weißes, in zahllose Falten gelegtes Hemd, die sogen. Fustanella. Die Hauptfarben ihrer Kleidung sind: Blau, Rot, Weiß, Gold. [* 20] Nur die Inselbewohner tragen eine blaue Fustanella. Die Wade deckt ein weißer Strumpf oder enge, bunt gestickte Gamaschen, die Füße zierliche rote Schnabelschuhe. [* 21] Zur Einhüllung des Oberkörpers dient ein Mantel von braunem, dickem Zeug oder aus zottigem Ziegenfell. Die Tracht der Frauen ist nach den verschiedenen Gegenden verschieden. Ein vom Hals bis zu den Füßen herabwallendes wollenes Kleid, um die Hüften von einem bunten Shawl oder Gürtel zusammengehalten, darüber ein kürzeres wollenes Oberkleid bilden die gewöhnliche Tracht. Das Haar, zum Teil in Zöpfe geflochten, hängt frei den Rücken hinab. Noch jetzt grüßen die Griechen nach Art der alten Athener, indem sie die flache rechte ¶