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zu beteiligen. Den schon hierdurch gemilderten Unterschied zwischen reich und arm verwischte noch mehr das Sklaventum, dem die niedern Dienste [* 2] und Gewerbe aufgebürdet wurden. Durch die Beseitigung aller sozialen Unterschiede und der Vorrechte alter, reicher Familien gewann die Bürgerschaft an Einigkeit und Festigkeit, [* 3] war aber auch um so leichter zu leiten. Denn sich stets auf vernünftige Weise selbst zu regieren, in allen Beschlüssen eine konsequente Politik festzuhalten, war auch ein Volk wie der attische Demos außer stande. Er mußte sich der Leitung von Männern anvertrauen, in welchen er seine besten Gedanken und Empfindungen ausgesprochen sah, die das edlere Bewußtsein der Menge in sich darstellten, die durch ihre geistige Überlegenheit dieselbe stets von der Notwendigkeit ihrer Politik auch zu überzeugen wußten. Dies hat Perikles 15 Jahre lang verstanden und so mit den Vorzügen der Volksherrschaft die der Alleinherrschaft verbunden. So sehr besaß er das Vertrauen der Bürgerschaft, daß ihm Jahre hindurch die Verfügung über die Streitkräfte und die Geldmittel des Staats mit außerordentlichen Vollmachten übertragen und er so in den Stand gesetzt wurde, sie seinem Plan gemäß zu organisieren und eine folgerechte und feste Staatsregierung zu führen.
Vor allem galt es, die Seeherrschaft Athens zu erweitern. Die befestigte Verbindung mit dem Piräeus wurde vollendet und Athen [* 4] zu einer Inselstadt gemacht. Die Kriegsschiffe wurden größer und stärker gebaut, 300 lagen stets bereit auf den Werften und konnten 60,000 Mann aufnehmen, 60 Trieren [* 5] kreuzten fortwährend im Archipel und duldeten dort kein fremdes Kriegsschiff. Die kleinern verbündeten Staaten wurden völlig unterthänig gemacht, mußten Tribut zahlen, in Athen ihr Recht nehmen und ihre Verfassungen demokratisch einrichten.
Mehr Selbständigkeit genossen die größern Inseln, aber eine Unbotmäßigkeit wurde sofort mit Unterwerfung bestraft; so verlor 439 Samos seine Unabhängigkeit. Attische [* 6] Bürger wurden als Kleruchen auf den Inseln und Küsten des Ägeischen Meers angesiedelt, welches von den Athenern als ihr Eigentum betrachtet wurde; auch förmliche Kolonien wurden ausgesandt, wie Amphipolis und Thurioi. In den entferntern Meeren begnügte sich Athen mit seinem moralischen Ansehen. Die Höhe der Tribute (432: 600 Talente) war so bedeutend, daß sie die Kosten der Flotte überstieg; es konnte deshalb ein ansehnlicher Staatsschatz gesammelt werden. Gewerbe und Verkehr entwickelten sich, und man scheute sich nicht, durch Zwangsmaßregeln den Piräeus zum Stapelplatz von ganz Hellas zu machen. Dagegen sorgte Athen für die Sicherheit des Meers, setzte Handelsgerichte ein und hielt das Münzwesen [* 7] in strenger Ordnung.
Nach dem Mißgeschick vom Jahr 447 vermieden die Athener eine Zersplitterung ihrer Kräfte durch unnütze Kriege; auf die Kontinentalherrschaft hatten sie verzichtet zu gunsten der Spartaner, welche ihnen als gleichberechtigte Macht gegenüberstanden. Die alleinige unbestrittene Herrschaft über ganz Hellas hatten die Athener aber auf dem geistigen Gebiet. Hier war Athen der Mittelpunkt, nach dem alle bewegenden Kräfte sich hingezogen fühlten, von wo das geistige Leben Anregung und Leitung empfing.
Die berühmtesten Philosophen, Anaxagoras, Parmenides, Zenon, Protagoras, der Sophist Prodikos, siedelten nach Athen über; die Geschichtschreiber, wie Herodot von Halikarnaß, feierten die Thaten der Athener. Die attische Mundart wurde durch ihre knappe Form und ihre fein und kunstvoll gegliederte Syntax die herrschende Schriftsprache. Die politische und gerichtliche Beredsamkeit erlangten eine hohe Ausbildung. Äschylos, Sophokles, Krates und Kratinos schufen das griechische Drama.
Malerei, Bildhauerei und Baukunst [* 8] entwickelten sich zu herrlicher Blüte, [* 9] von der die Denkmäler der Akropolis [* 10] unvergängliche Zeugen sind. Die künstlerischen Kräfte von ganz Hellas wirkten in edlem Wetteifer zusammen, Athen mit Bauten und Bildwerken zu schmücken. Geistesbildung und edle Kunst hatten hier ihre höchste Entwickelung gefunden; die attische Bildung war auch eine nationalgriechische und Athen als die geistige Hauptstadt, das Herz des ganzen Vaterlandes, auch von denen geachtet, die seinem politischen Vorrang widerstrebten. Daß es aber auch diesen erhielt, daß es unter seiner Führung [* 11] auch politisch einigte, dahin schien die ganze Entwickelung gerichtet, dieser Ausgang die natürliche Lösung des Wettstreits um die Hegemonie zu sein.
Der Peloponnesische Krieg.
Den Entscheidungskrieg mit Sparta hielt Perikles für unvermeidlich, aber er suchte ihn hinauszuschieben. Er selbst vermied alle Feindseligkeiten, und auch Sparta blieb trotz seines eifersüchtigen Grolles unthätig. Der Anlaß zum Peloponnesischen Krieg (431-404) ging von Korinth [* 12] aus, welches, als peloponnesischer Seestaat auf Athens wachsende Macht besonders eifersüchtig und durch die Unterstützung der Kerkyräer durch athenische Schiffe, [* 13] welche den Korinthern bei Sybota 432 den sichern Sieg entrissen, sowie durch die Belagerung der vom athenischen Seebund abgefallenen korinthischen Pflanzstadt Potidäa gereizt, die zaudernden Spartaner und ihre peloponnesischen Bundesgenossen auf der Tagsatzung zu Sparta 432 zum Beschluß des Kriegs gegen Athen fortriß.
Perikles wollte den Krieg nicht anfangen, ihm aber auch nicht ausweichen. Zwar war die Zahl der Feinde und Neider Athens groß, denn außerhalb des Peloponnes, der allein 60,000 Schwerbewaffnete stellen konnte, fand das als Hort der hellenischen Freiheit mit Unrecht gefeierte Sparta in den Böotiern kräftige Verbündete, und vor allem waren die athenischen Bundesgenossen nicht zuverlässig. Dennoch durfte Perikles bei der Größe und Schlagfertigkeit der athenischen Streitmacht sowie der günstigen Lage der Staatsfinanzen auf einen glücklichen Ausgang des Kriegs rechnen.
Das Signal zum Ausbruch desselben gab 431 der verunglückte Überfall der Thebaner auf Platää. Gleich darauf erfolgte der Einfall des peloponnesischen Heers unter König Archidamos in Attika. Derselbe mußte sich mit Verwüstung des flachen Landes begnügen, da die Athener sich hinter die Mauern ihrer Stadt zurückgezogen hatten. Nachdem er abgezogen, rächten sich die Athener, indem sie die Küsten des Peloponnes und von Megaris verwüsteten und die Ägineten zur Räumung ihrer Insel zwangen. Es war vorauszusehen, daß die Peloponnesier die nutzlosen Züge gegen Attika bald aufgeben würden, als 430 die Pest in dem übervölkerten Athen ausbrach, viele Tausend Menschen hinraffte und 429 auch Perikles in einem Augenblick, wo seine feste und besonnene Leitung nötiger war als je, seinem Vaterland entriß. Der Kern der athenischen Bürgerschaft ging zu Grunde, die furchtbare Seuche entfesselte die Leidenschaften und die Triebe der Selbstsucht; in dem fortdauernden Krieg entartete das jüngere Geschlecht, unwürdige Demagogen traten an Perikles' Stelle und suchten Einfluß und Macht zu erhalten, indem sie den niedrigen Neigungen des Volkes schmeichelten und Befriedigung verschafften; die gemäßigte Partei, an deren ¶
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Spitze Nikias stand, hatte den Wühlereien der radikalen Volksredner gegenüber eine schwierige Stellung. Ein rascher und entschiedener Sieg Athens war nun nicht mehr möglich. Ganz Griechenland wurde allmählich durch den sich mehr und mehr ausbreitenden Krieg in Mitleidenschaft gezogen. Das Hellenenvolk spaltete sich in zwei Parteien, eine lakedämonische und eine attische, und diese Spaltung ging immer tiefer in Gemeinde und Familie. Aller Gemeinsinn, alle Achtung vor Religion und Sitte gingen verloren, die alten Tugenden der Besonnenheit und Mäßigung wurden jetzt verhöhnt; alles galt für erlaubt, was die Parteiinteressen förderte.
Der Krieg wirkte um so verderblicher, da er zu keiner Entscheidung führte, keine Partei sich fähig zeigte, den Gegner völlig zu überwältigen. Der Abfall Mytilenes vom Seebund ward 427 von den Athenern grausam bestraft, und 424 wurden auf Sphakteria 120 Spartiaten gefangen genommen. Dagegen büßte Platää sein Bündnis mit Athen durch seinen gänzlichen Untergang (427), und der Versuch der Athener, Böotien zu erobern, endete mit ihrer Niederlage bei Delion. Nach dem Tode des Spartaners Brasidas und des Atheners Kleon, welche die Fortsetzung des Kriegs besonders betrieben, in der Schlacht bei Amphipolis (422) kam 421 zwischen Athen und Sparta der sogen. Friede des Nikias zu stande, der auf 50 Jahre abgeschlossen wurde und Athen im Besitz seiner Seeherrschaft anerkannte, dem aber Theben und Korinth nicht beitraten. Die Unterwerfung Athens hatten die Peloponnesier nicht erreicht, der Dualismus der beiden Großmächte, das Unglück Griechenlands, blieb bestehen, und der zehnjährige Krieg endete so ohne andres Ergebnis als die Schwächung und Verwilderung des Volkes und die Verbitterung der Parteien.
Obwohl Sparta und Athen auch ein 50jähriges Bündnis schlossen, so war die Versöhnung doch von keiner Seite aufrichtig gemeint. Dort bereute man, die Bundesgenossen im Stiche gelassen zu haben; hier entstand bald wegen der zögernden Ausführung des Friedens eine gereizte Stimmung. Der hochbegabte, aber ehrgeizige und leidenschaftliche Alkibiades trat gegen die gemäßigte Politik des Nikias auf. Als sein Unternehmen, durch ein Bündnis mit Argos und Arkadien die Herrschaft der Spartaner im Peloponnes zu stürzen, durch die Niederlage der Verbündeten bei Mantineia (418) gescheitert war, lenkte er die Eroberungslust des aufgeregten unruhigen Volkes auf einen andern Schauplatz.
Die unbesiegte Seemacht Athens sollte im westlichen Mittelmeer ein neues Feld für ihre Erfolge finden, Sizilien [* 15] unter athenische Botmäßigkeit gebracht und dort unerschöpfliche Hilfsquellen für den Staat und die Bürger eröffnet werden. Frühere leichte Erfolge kleinerer Expeditionen (427 und 425) verblendeten die Athener über die Ausführbarkeit des Unternehmens; ein Taumel ergriff das Volk, man träumte von einem Zuge gegen Karthago; [* 16] Libyen und Italien [* 17] galten als sichere Erwerbungen, und die Herrschaft Athens mußte sich über das ganze Mittelmeer erstrecken.
Alle Warnungen der Vernünftigen waren vergeblich. 415 setzte Alkibiades den Beschluß durch, daß eine Expedition (sizilische Expedition), so groß, wie nur eine ausgerüstet worden war, nach Sizilien geschickt werde. Dieselbe endete 413 mit dem völligen Untergang des athenischen Heers (60,000 Mann) und wurde in ihren weitern Folgen für Athen und in höchstem Grad verhängnisvoll, ja der Krieg war damit entschieden. Die Kraft [* 18] Athens war erschöpft und damit seine Autorität bei den Bundesgenossen, welche auf der Furcht vor seiner Streitmacht beruhte, erschüttert.
Dabei war das Gemeinwesen durch den Hermokopidenprozeß (s. d.) im Innern zerspalten; geheime Gesellschaften untergruben durch gewissenlose Angebereien und blutige Verfolgungssucht das öffentliche Vertrauen und den Frieden der Bürgerschaft; der einzige Mann, der Athen aus der furchtbaren Lage hätte retten können, Alkibiades, war in das Lager [* 19] der Feinde getrieben worden, wo er diese aus gewissenloser Rachsucht zum neuen verderblichen Kampf gegen sein Vaterland aufhetzte, um seine Zurückberufung zu erzwingen und sein Ziel, die Herrschaft über den Staat, zu erreichen.
Die Spartaner begannen 413 auf des Alkibiades Rat von neuem den Krieg, indem sie Dekeleia in Attika besetzten und die Athener auch während des Winters zwangen, sich innerhalb der Stadtmauern zu halten, ferner mit persischer Hilfe eine Flotte ausrüsteten, mit der sie die mächtigsten Staaten des Seebundes zum Abfall bewogen. Die Siege des 410 zurückberufenen Alkibiades waren vorübergehende Lichtblicke. Das athenische Volk, an sich selbst verzweifelnd und von verräterischen, selbstsüchtigen Parteimännern betrogen, beschleunigte durch selbstmörderische Fehler den Untergang seiner Macht; wegen des Mißgeschicks seines Unterfeldherrn Antiochos bei Notion (407) wurde Alkibiades abgesetzt und zum zweitenmal in die Verbannung getrieben; die Feldherren, welche bei den Arginusen einen glänzenden Seesieg erfochten, wurden zum Tod verurteilt, weil sie des Sturms wegen die Leichen nicht gesammelt hatten. 405 vernichtete Lysandros bei Ägospotamoi am Hellespont die letzte athenische Flotte von 160 Schiffen und ließ die 3000 Gefangenen sämtlich hinrichten.
Erst nachdem der spartanische Feldherr die Städte des athenischen Seebundes unter die Botmäßigkeit Spartas gebracht hatte, erschienen die Feinde vor Athen, das sie zu Lande und zu Wasser blockierten. Die Hinterlist des Lysandros und die Verräterei der Oligarchen, namentlich des Theramenes, welche das Unglück und die Schmach ihres Vaterlandes zur Begründung ihrer Herrschaft ausbeuteten, verhinderten die Athener, frühere Verschuldung durch eine heldenmütige Verteidigung zu sühnen; durch Hunger bezwungen, mußten sie im Frühjahr 404 die demütigenden Friedensbedingungen annehmen, welche ein Dekret der Ephoren ihnen auferlegte: Niederreißung der Hafen- und Verbindungsmauern, Auslieferung der Flotte, Verzicht auf jede Herrschaft außerhalb Attikas, Anschluß an den Peloponnesischen Bund mit der Pflicht der Heeresfolge. Und damit noch nicht genug: im Sommer wurde mit Hilfe des Lysandros von den Oligarchen die alte Verfassung gestürzt und die Staatsverwaltung 30 Männern (den 30 Tyrannen) übergeben, zu deren Schutz 700 Spartaner die Akropolis besetzten.
Gewaltherrschaft Spartas.
So sank weniger durch die Macht der äußern Feinde als durch eigne Schuld, durch die innern Parteiungen, durch die Verachtung der Tugenden der Väter, welche Athen groß gemacht hatten, der einzige griechische Staat in den Staub, welcher im stande gewesen wäre, Hellas politisch zu einigen. Sparta ging aus dem Vernichtungskampf als Sieger hervor, ganz Griechenland hatte sich seiner Führerschaft untergeordnet. Aber es war nicht mehr fähig, die Herrschaft zu behaupten; auch der Lykurgische Staat war entartet und entkräftet. Seiner alten Politik getreu, hatte Sparta in allen den Athenern entrissenen Staaten die Volksherrschaft aufgelöst und Oligarchien (Dekarchien) ¶