»Schulröschen«,
Erzählung (das. 1886), u. a. folgten. Gottschalls lyrisch-epische
Dichtungen und ernste
Dramen leiden, bei aller Virtuosität im einzelnen und bei der rastlosesten geistigen Beweglichkeit,
am Mangel einer bestimmten poetischen Lebensanschauung, für welche glänzender rhetorischer Schwung und
eine gewisse Pracht des
Kolorits nur zum Teil
Ersatz gewähren können.
Manche seiner
Charaktere (z. B.
Heinrich VIII. in
»KatharinaHoward«) bekunden eine nicht gewöhnliche Gestaltungskraft; unter seinen
Lustspielen zeichnet sich namentlich
»Pitt und
Fox«
durch eine an
Scribe erinnernde Lebendigkeit des
Stils und realistische Leichtigkeit aus. Gottschall gab auch eine
beliebte
Anthologie: »Blütenkranz neuer deutscher
Dichtung« (11. Aufl., Bresl. 1885),
eine »Gedankenharmonie aus
Goethe und
Schiller« (7. Aufl., Leipz. 1881) und ein
»Deutsches Frauenalbum in
Wort und
Bild« (2. Aufl., das. 1884) heraus.
Dann erlitt sein
Ruhm immer härtere
Anfechtungen; namentlich in seinen
Kämpfen mit den
»Schweizern« (der
Anhängerschaft
Bodmers und
Breitingers) wurde er rasch aus der diktatorischen
Gewalt, die er in Geschmackssachen besessen,
verdrängt. Wenige und nur sehr armselige
Trabanten machten von da an seinen Anhang aus, und als er in verblendeterEigenliebe
seine stumpf gewordenen
Waffen
[* 8] sogar gegen
Klopstock und
Lessing kehrte, wurde sein
Name zum
Spott und Hohn und »sank beinahe
bis zum Scheltwort herab«.
Seitdem war es
Mode geworden, ihn als das Urbild litterarischer Aufgeblasenheit, poetischer Plattheit, als den großen
»Duns«
der Litteratur
(wie ihn
Lessing nannte) zu betrachten und zu verhöhnen, bis neuere
Forscher
(Gervinus,
Wackernagel,
Koberstein, vor allen aber
TheodorDanzel) den
Verdiensten des vielgeschmähten
Mannes gerechter wurden. Unleugbar
ist wohl, daß Gottscheds
Ansichten und Bemühungen namentlich in der ersten Zeit seiner
Leipziger Wirksamkeit berechtigt und
teilweise sogar ungemein heilsam waren, wenn auch seine
Anschauung nie über eine korrekte, formell elegante
Litteratur hinauswuchs, der Unterschied zwischen
Poesie und
Rhetorik ihm nie aufging. Er erstrebte aufrichtig eine große
Stellung
der deutschen Litteratur, schloß sich zu diesem
Zweck eng an die gepriesenen Vorbilder der
Franzosen und jener
Engländer an,
welche die
Franzosen nachahmten, und denen er sich verwandt fühlte.
Gleichwohl war er zu trocken, dürr und pedantisch-nüchtern, um auch nur eine Dichterpersönlichkeit,
wie die
Popes oder
Addisons, darstellen zu können.
Sein nüchtern-verständiger
Sinn verhalf ihm zur trefflichen
Kritik des
Schwulstes
und der widrigen Geschmacklosigkeit der schlesischen
Poeten, aber mit bloßer
Verurteilung und Vermeidung ihrer Mängel war
noch kein dichterischer Wert zu gewinnen. Gottsched begann seine umfassende litterarische Wirksamkeit
bereits ein Jahr nach seiner Ankunft in
Leipzig mit der
Zeitschrift »Die vernünftigen Tadlerinnen« (1. u. 2. Teil,
Halle
[* 9] u. Leipz. 1725-26),
deren Hauptinhalt belehrende und erbauliche
Aufsätze ausmachten. Ihr folgte eine
Reihe andrer
Zeitschriften,
die er zum Teil geraume Zeit fortführte, so: »Der
Biedermann« (Leipz. 1727);
»Das Neueste aus der anmutigen
Gelehrsamkeit« (das. 1751-62).
Durch diese
Zeitschriften erwarb er sich
ein unleugbares
Verdienst um die
Sprache, insofern er sie durch möglichste
Verbannung der
Fremdwörter,
Deutlichkeit des
Ausdrucks und künstlerische Durchbildung des
Stils zu vervollkommnen suchte. Unter den dichterischen
Gattungen
wandte er dem
Drama die meiste Sorge und
Aufmerksamkeit zu. Hier war es vor allem die Herrschaft der Weiseschen
Lustspiele und
der
Oper sowie in beiden noch besonders die pöbelhafte
[* 1]
Figur des
Hanswurst
(Pickelhering,
Skaramuz), die
»zotenvolle Verschlechterung des englischen
Clown«, denen
er denKrieg erklärte, in
dem er auch
Sieger blieb. Er hatte sich vorgesetzt,
ein deutsches
Theater
[* 11] nach dem
Muster des französischen zu gründen, und diesen
Zweck suchte er mit seiner
Gattin durch zweckmäßige
Übersetzungen wie durch originale
Produktionen zu erreichen. Unter den letztern sollte zuerst sein nach
Addisons gleichnamigem
Stück mit strenger
Beobachtung der drei
AristotelischenEinheiten gefertigtes
Trauerspiel »Der sterbende
Cato« (Leipz. 1732) lehren, wie eine wahre
Tragödie beschaffen sein müsse, und das armselige Machwerk, das, fast aller
Handlung
bar, in breiter
Deklamation auf demKothurn des
Alexandriners einherstelzt, fand denn auch bei den
Jüngern
des
LeipzigerMessias überschwengliche Bewunderung. Im J. 1727 war der Theaterprinzipal
Neuber mit seiner
Truppe nach
Leipzig
gekommen; seine
Frau, die eigentliche
Seele seiner
Unternehmung, ging auf Gottscheds
Pläne ein und begann im Zusammenwirken
mit diesem durch Aufführung von aus dem
Französischen übertragenen und selbständig verfaßten
Dramen
die Begründung des regelmäßigen deutschen
Schauspiels. Zunächst wurden die
¶
Der poetische Gehalt der Sammlung ist, was die vaterländischen Dramen betrifft, außerordentlich mager, und der Eindruck des
Ganzen in seiner Regelmäßigkeit und kalten Nüchternheit mutet geradezu trostlos an. Von weit höherer
litterarhistorischer Bedeutung als die »Schaubühne« war Gottscheds »Nötiger
Vorrat zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst« (Leipz. 1757-65), worin ein Verzeichnis aller dramatischen Produkte
aus den Jahren 1450-1760 gegeben werden sollte.
Das Werk ist nicht vollständig, aber noch heute ein wichtiges Hilfsmittel für das Studium der Geschichte
des deutschen Schauspiels. Außer einer MengeDissertationen litterarhistorischen und kritischen Inhalts schrieb auch eine Reihe
von Lehrbüchern, worunter als die wichtigsten anzuführen sind: »Ausführliche Redekunst« (Hannov. 1728);
»Versuch einer kritischen
Dichtkunst für die Deutschen« (Leipz. 1730 u. öfter) und »Grundlegung
einer deutschen Sprachkunst« (das. 1748).
Vgl. Danzel, Gottsched und seine Zeit (Leipz. 1848);
2) Luise Adelgunde Viktorie, geborne Kulmus, Gattin des vorigen, geb. zu Danzig,
[* 14] machte sich nicht nur mit mehreren
neuern Sprachen vertraut, sondern erwarb sich auch wissenschaftliche Kenntnisse und bildete ihren Geschmack
namentlich durch die Lektüre der englischen Dichter. Nach ihrer Verheiratung mit Gottsched (1735) soll sie in Leipzig sogar noch
Lateinisch und Griechisch gelernt haben. Sie starb Eine ebenso fruchtbare Schriftstellerin und Übersetzerin wie
ihr Gatte, war sie vielfach über dessen Schwächen erhaben. In ihren »Briefen« (Dresd. 1771-72, 3 Bde.)
zeigte sie feinen Sinn und Geschmack, sowie ihr auch als dramatischer Dichterin oder Bearbeiterin ausländischer Stücke das
Verdienst zuzuerkennen ist, daß sie es besser als ihr Gatte verstand, das Fremde der deutschen Bühne anzueignen. Ihr Lustspiel,
das, obgleich Nachbildung, als Originalwerk unter dem Titel: »Die Pietisterei im Fischbeinrock« (Rost. 1736) anonym erschien,
war eine Bearbeitung der französischen Komödie »La femme docteur, ou la théologie tombée en quenouille«
(Douai 1731, wahrscheinlich vonGuill. Hyacinthe Bougeant). Ihre »Gedichte« gab ihr Gatte mit ihrer Lebensbeschreibung (Leipz.
1763) heraus. Von ihren Übersetzungen heben wir hervor die des »Spectator« (Leipz. 1739-43, 9 Bde.)
sowie die von Popes »The rape of the lock« (das. 1744,
neue Aufl. 1772).
Vgl. Schlenther, Frau Gottsched und die bürgerliche Komödie (Berl. 1885).