von Straßburg, deutscher Dichter des Mittelalters, der glänzendste und geistreichste Vertreter der ritterlichen
Poesie, lebte am Ende des 12. und zu Anfang des 13. Jahrh., war somit
Zeitgenosse Hartmanns von Aue, Wolframs von Eschenbach und Walthers von der Vogelweide. Ob er bürgerlichen Standes gewesen oder
nicht, läßt sich nicht entscheiden. Durch gelehrte Bildung seine dichtenden Zeitgenossen fast alle überragend, verfaßte
er um 1210 eine größere epische Dichtung: »Tristan und Isolde«.
Sie zu vollenden, war ihm nicht beschieden; er starb wohl noch in kräftigem Mannesalter zwischen 1210 und 1220. Der Stoff
seines Epos gehört dem bretonischen Sagenkreis an und war bereits im 12. Jahrh. in weniger kunstvoller Weise von Eilhart von Oberge
(s. d.) bearbeitet worden, wie denn die welsche oder irische
Tristansage früh auch schon im Französischen und Englischen, dann im Spanischen, Dänischen, Norwegischen, Slawischen (Böhmischen)
und selbst im Mittelgriechischen dichterische Bearbeitung erfuhr. hat als Quelle für sein Epos ein Werk des französischen
Trouvere Thomas benutzt, das uns aber nur in Bruchstücken erhalten ist, die an einem kleinen Stück eine
unmittelbare Vergleichung ermöglichen.
Einigermaßen ersetzt wird diese Quelle durch das Vorhandensein einer (leider kürzenden) nordischen Prosaübersetzung: »Tristrams
Saga ok Isondar« (hrsg. von Kölbing, Heilbr. 1878). Der Vergleich zeigt, daß die meisten Züge der Handlung schon dem Original
angehören. Der Gang der Erzählung in »Tristan und Isolde« ist im wesentlichen folgender: Tristan, der Sohn
Riwalins von Parmenien und Blancheflours, wird nach dem frühen Tod seiner Eltern durch den treuen Marschall seines Vaters,
Rual, erzogen und kommt nach mannigfachen Abenteuern zu seinem Oheim, König Marke von Cornwall.
Dieser sendet Tristan aus, für ihn um Isolde, die schöne Königstochter in Irland, zu werben. Isolde,
welche die Werbung annimmt, geht mit Tristan zu Schiff, und eine der Jungfrauen in ihrem Gefolge erhält von der Königin heimlich
einen Minnetrank, den sie Isolde und ihrem Gemahl bei der Hochzeit zu trinken geben soll, um beide mit unwandelbarer Treue
aneinander zu ketten. Es ereignet sich aber das Unglück, daß Tristan und Isolde auf der Überfahrt den
Zaubertrank, ohne von der Wirkung desselben etwas zu wissen, trinken und infolgedessen ihre Herzen von unwiderstehlicher Liebe
zu einander ergriffen werden.
Isolde wird die Gemahlin Markes, den nun das in allen Künsten der Liebesklugheit meisterhaft gewandte Paar fort und
fort betrügt. Nach einer langen Reihe solcher Abenteuer endlich von Marke entdeckt, zieht
Tristan nach der Normandie und knüpft
hier mit einer andern Isolde (»Isolde Weißhand«),
mit dem Namen sich täuschend, eine neue Liebschaft an, ohne sich jedoch
befriedigt zu fühlen und ohne die frühere Isolde vergessen zu können. Mit der Schilderung dieses Zwiespalts
in Tristans Seele bricht Gottfrieds Gedicht ab. »Tristan und Isolde« des Straßburger Meisters darf getrost das schönste epische
Gedicht des deutschen Mittelalters genannt werden. An Klarheit und Durchsichtigkeit der Darstellung, an zauberischem Reiz leichten
Gedankenflusses, an plastischer Geschlossenheit und konsequenter Durchführung der Gestalten, an melodischem Wohllaut
der Sprache und des Reims hat Gottfrieds Dichtung nicht in der ganzen höfischen Kunstepik, noch weniger in dem Volksheldengesang
der besten Zeit mittelhochdeutscher Poesie ihresgleichen. In sittlicher Hinsicht freilich erregt sie Anstoß. Gottfried bildet in
seiner aufgeklärten, weltmännischen Lebensanschauung den größten Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Wolfram von Eschenbach,
mit dem er auch eine litterarische Polemik führte.
Lachmanns hartes Urteil über Gottfried, welches diesem wegen einiger eingebildeter Verstöße gegen metrische Regeln nicht einmal
die formale Schönheit hat lassen wollen, ist ungerecht. Aber auch die psychologische Seite der Dichtung Gottfrieds wird oft
zu gering geschätzt. Wer eine so wunderbar genaue Kenntnis des menschlichen, zumal des weiblichen, Herzens
bekundet, wer den »sehnenden Zwang« der Minne so unvergleichlich innig, so in zartester Milde wie in brennendster Glut zu schildern
weiß wie Gottfried, dem kann man nicht ohne schwere Ungerechtigkeit die seelischen Eigenschaften, welche dem Dichter am wesentlichsten
sind, absprechen.
Dazu kommt, daß die verrufene Sinnlichkeit in Gottfrieds Dichtung gar nicht so arg und verwerflich ist,
wie man es in der Regel darstellt. Man hat dabei vergessen, daß Gottfried die Sinnenlust als solche nie zum Zweck seiner Darstellung
gemacht hat, daß er nie bei schlüpfrigen Situationen mit dem Behagen der eigentlichen Lüsternheit verweilt. Wir besitzen
von auch einige lyrische Gedichte; doch ist der umfangreiche, schwungvolle und reich mit Redeschmuck ausgezierte »Lobgesang
auf die Jungfrau Maria« (hrsg. von v. d. Hagen in dessen »Sammlung der Minnesinger« und in Haupts »Zeitschrift für deutsches Altertum«,
Bd. 4; vgl. auch Watterich, Gottfried von
Straßburg, ein Sänger der Gottesminne, Leipz. 1858),
welcher früher dem Dichter zugeschrieben wurde,
nicht von ihm, wie Franz Pfeiffer (»Germania«, Bd. 3) schlagend nachgewiesen hat. An der
Fortsetzung von »Tristan und Isolde« haben sich bald nach Abfassung des Gedichts zwei Poeten versucht: plump und trocken Ulrich von Türheim
(s. d.),
mehr dem Stil Gottfrieds sich. nähernd, gewandt und anmutig Heinrich von Freiberg (s. d.),
beide
aber nach andrer Quelle als der von Gottfried benutzten. Die älteste Ausgabe von »Tristan und Isolde« findet sich im 2. Band von Myllers
»Sammlung altdeutscher Gedichte«; andre Ausgaben sind von Fr. Heinrich v. d. Hagen (mit beiden Fortsetzungen, den Liedern etc.,
Bresl. 1823), E. v. Groote (mit der Fortsetzung Heinrichs von Freiberg, Berl. 1821), Maßmann (mit Ulrich,
Leipz. 1843); die beste lieferte R. Bechstein (2. Aufl., das. 1873, 2 Bde.).
Übersetzungen von Gottfrieds Gedicht haben wir von Herm. Kurz (Stuttg. 1844, mit selbständigem Schluß; 3. Aufl. 1877), Simrock
(Leipz. 1855; 2., ebenfalls mit Fortsetzung und Schluß versehene Auflage, das. 1875) und Wilh. Hertz (Stuttg.
1877), mit einem Schluß nach den
mehr
Bruchstücken des Trouvere Thomas. K. Immermanns mehr selbständige Behandlung des Stoffes ist unvollendet geblieben. R. Wagner
hat die Sage zu einem musikalischen Drama verarbeitet.
Vgl. R. Bechstein, Tristan und Isolt in deutschen Dichtungen der Neuzeit
(Leipz. 1877).