geordnet, den geheimen Auftrag, die Verhältnisse des
Auslandes zu studieren. Er reiste zu diesem
Zweck 1811 nach
Österreich,
[* 2] Rußland und
England und war mit den mannigfachsten
Entwürfen, das
Ziel seiner heißesten
Wünsche, die
BefreiungDeutschlands,
[* 3] zu erreichen, beschäftigt. Oft verzweifelte
er an der Möglichkeit, den unentschlossenen König zum Befreiungskampf fortzureißen.
Auf die
Kunde von dem
Ausgang des russischen
Feldzugs kehrte er nach
Preußen
[* 4] zurück und wurde als
Generalmajor wieder
angestellt und zum Generalstabschef zuerst des Blücherschen
Korps, dann, nach dem
Waffenstillstand, der schlesischen
Armee
ernannt. Im
Befreiungskrieg hat er sich die größten
Verdienste erworben.
Von gleichem Thatendrang beseelt wie sein Oberfeldherr, entwarf er die genialsten und doch zugleich sorgfältigst
berechneten Operationspläne und führte sie im
Verein mit
Blücher mit kühner, rücksichtsloser
Energie durch; er schonte
die
Truppen allerdings nicht, was ihm die größte Unzufriedenheit, ja
FeindschaftYorks zuzog. Der König bezeigte ihm nach
der
Schlacht beiLeipzig
[* 5] seinen Dank durch die Ernennung zum
Generalleutnant, durch die
Erhebung in den Grafenstand
und nach dem ersten
PariserFrieden durch eine
Dotation. 1815 war Gneisenau wieder
Blüchers Generalstabschef, ermöglichte durch seine
treffliche
Anordnung nach der
Niederlage bei
Ligny(16. Juni) den
Marsch nach
Waterloo,
[* 6] und nachdem das pünktliche Erscheinen der
Preußen den
Sieg der Alliierten 18. Juni entschieden hatte, leitete er die Verfolgung mit solcher
Schnelligkeit und
Kraft,
[* 7] daß
der
Rückzug der französischen
Armee in wilde
Flucht ausartete. Nach dem Einzug in
Paris
[* 8] nahm
er an dem
Friedensschluß teil,
ohne indes die Erfüllung seiner patriotischen
Wünsche erreichen zu können, und erhielt dann, zum
General
der
Infanterie ernannt, das
Kommando des rheinischen
Armeekorps. 1816 nahm er seinen
Abschied und zog sich nach seinem
SchloßErdmannsdorf am
Riesengebirge zurück. Hier verlebte er im
Kreise
[* 9] seiner
Familie mit einigen
Unterbrechungen die letzte Zeit seines
Lebens. 1818 wurde er nämlich zum
Gouverneur vonBerlin
[* 10] und Mitglied des
Staatsrats, 1825 zum
Generalfeldmarschall
und Präses der Militärexaminationskommission und 1831 beim
Ausbruch des polnischen
Aufstandes zum Oberbefehlshaber der vier
östlichen zum
Schutz der preußischen
Grenze aufgestellten
Armeekorps ernannt. Am 24. Aug. d. J. starb er in
Posen
[* 11] an der
Cholera
und wurde in Sommerschenburg beigesetzt. - Gneisenau war nicht bloß ein hervorragender
Feldherr und
Soldat, sondern
seine vielseitige Geistesbildung und seine staatsmännischen
Gaben hätten ihn auch zu einer bedeutenden politischen Thätigkeit
nach 1815 befähigt, wenn
man inPreußen davon hätte
Gebrauch machen wollen; aber die reaktionäre Strömung drängte ihn
in den
Hintergrund. Wie seine Thaten ihm denRuhm der Nachwelt sicherten, so verschafften ihm seine schöne
ritterliche
Erscheinung, seine edle
Bescheidenheit, sein wohlwollendes, liebenswürdiges
Wesen die
Liebe und Verehrung der Mitlebenden.
Seine Erzstatue ist 1855 in
Berlin am Opernplatz neben denen
Blüchers und
Yorks aufgestellt worden. - Von seinen
Söhnen führte
der dritte,
Bruno,
Graf Neithardt von Gneisenau, geb. im letzten französischen
Krieg die 31.
Brigade des 8.
Armeekorps und ist jetzt
General der
Infanteriea. D. Eine vortreffliche Lebensskizze Gneisenaus bis 1806 hat
E. F. v.
Fransecky geschrieben (anonym, Beiheft zum »Militärwochenblatt« 1856).
Das große Werk von H.
Pertz: »Das
Leben des
Feldmarschalls Neithardt
v. Gneisenau« (fortgesetzt
von
Delbrück, Berl.
1864-80, 5 Bde.) enthält reiches
Material, das
Delbrück in einer
Biographie (das. 1882, 2 Bde.)
verarbeitet hat.
dann sein Hauptwerk: »Das heutige englische
Verfassungs- und
Verwaltungsrecht« (das. 1857-63, 2
Tle.
mit 1 Ergänzungsband; 3. Aufl. des 1. Teils in 2 Bdn.
1883-1884; 3. Aufl. des 2. Teils 1876),
woraus der
Abschnitt über »Das englische Grundsteuersystem« (das.
1859) separat erschien. Hieran schlossen sich in der
Folge: »Budget und
Gesetz nach dem konstitutionellen
StaatsrechtEnglands«
(Berl. 1867);
»Die Stadtverwaltung der
City von
London«
[* 14] (das. 1867);
»Englische
[* 15] Verfassungsgeschichte« (das. 1882;
ins
Englische übersetzt von Ashworth, Lond. 1886, 2 Bde.);
»Das englische
Parlament« (Berl. 1886; englisch von Shee, 1886).
1858 wurde Gneist zum ordentlichen
Professor befördert, nachdem
er die
Institutionen des
Gajus u. Justinian synoptisch unter dem
Titel: »Institutionum et regularum juris
romani syntagma« (Leipz. 1858, 2. Aufl. 1880) herausgegeben
hatte. Seine parlamentarische Wirksamkeit begann 1858 mit seinem
Eintritt in das preußische Abgeordnetenhaus,
dem er bis in
die neueste Zeit ebenso wie dem
Reichstag des Norddeutschen
Bundes und dem deutschen
Reichstag angehört hat.
In denTagen des
Konflikts zählte er zu den durch
Schärfe des
Urteils und
Klarheit der Bestrebungen am meisten hervorragenden
Mitgliedern der liberalen
Opposition.
Die Militärfrage beleuchtete er in der
Flugschrift »Die
Lage der preußischen Heeresorganisation« (Berl. 1862). Das Verhalten
der Staatsregierung im
»Kulturkampf« verteidigte er gegen die
Angriffe der
Klerikalen. Im
Reichstag stand er auf seiten der
nationalliberalen
Partei. Im
November 1875 wurde er zum Mitglied des
Oberverwaltungsgerichts ernannt, welches
Amt er jedoch 1877 wieder
niederlegte. Ein eifriger Förderer aller praktisch-politischen
Fragen der Gegenwart, schrieb er noch: »Soll der
Richter auch
über die
Frage zu befinden haben, ob ein
Gesetz verfassungsmäßig zu stande gekommen?« (Berl. 1863);
Er veröffentlichte Ausgaben des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung nebst Einführungsgesetzen (beide
Berl. 1877) und als Mitglied der Reichstagskommission zur Beratung des Sozialistengesetzes die
Schrift »Das Reichsgesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« (das. 1878).