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Gletschern aus dem Felsengebirge lassen nicht vollkommen klar erkennen, ob es sich um wirkliche, in ununterbrochener Thätigkeit begriffene Gletscher handelt. Die Gletscher fehlen ferner in dem tropischen Teil Amerikas, und nur an einzelnen Stellen der zwischen den Wendekreisen gelegenen Kordilleren sind Spuren der Gletscherthätigkeit nachweisbar; weiter nach Süden aber mehren sich die Gletscher rasch und steigen schon in der chilenischen Provinz Colchagua (unter 34° südl. Br.) bis zu 1800 m Meereshöhe herab. Daß unter 47°, also unter der Breite [* 2] der Alpen [* 3] auf der nördlichen Halbkugel, dort die untere Grenze das Meer erreicht, wurde schon oben erwähnt.
Wirkungen der Gletscher.
Die geologische Wichtigkeit der Gletscher beschränkt sich aber nicht auf den im obigen geschilderten Transport des Eises von Bergeshöhen hinab in das Thal. [* 4] Es dient vielmehr zugleich der Gletscher als Vehikel für bedeutende Felsmassen, welche von den Felswänden längs des Gletscherbettes durch die Einwirkung der Atmosphärilien, besonders aber durch Frost abgelöst werden und auf den Gletscher niederfallen. Durch die langsame, aber stetige Bewegung thalabwärts ordnen sich die Blöcke zu zwei Reihen an, parallel zur Längsachse des Eisstroms, nahe den beiderseitigen Ufern (Seitenmoränen, Gandecken in Bern, [* 5] moraines latérales, a der [* 1] Figur).
Die Sonne

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Sonne.Bei Gletschern, welche aus der Vereinigung zweier Einzelströme entstanden sind, legen sich zwei Seitenmoränen zu einer Mittelmoräne (Gufferlinie, bandes, moraines médianes, b der [* 1] Figur) zusammen, welche in Mehrzahl sich wiederholen, wenn sich drei oder mehr Gletscher vereinen. Sie überragen oft bedeutend die Oberfläche des Gletschers, eine Erhöhung, die nicht ausschließlich auf das Gestein selbst zurückzuführen ist, sondern zum Teil ihren Grund darin hat, daß der durch die Gesteinsbedeckung vor der Einwirkung der Sonne [* 6] geschützte Gletscherstreifen weniger abschmilzt als der übrige ungeschützte Teil.
Besonders deutlich ist dieses Verhältnis bei den sogen. Gletschertischen (Champignons, c der [* 1] Figur) nachweisbar, einzelnen in die Mitte des Stroms geratenen Blöcken, unter deren Schutz sich Eissäulen, meist 0,5-1 m, mitunter selbst 2-4 m hoch, erhalten haben, denen nun das Gesteinsstück wie der Hut [* 7] eines Pilzes aufsitzt. Im Gegenteil zu solcher schützenden Einwirkung größerer Gesteinsstücke befördert aufgeflogener Staub und Sand durch feine dunklere Färbung die oberflächliche Abschmelzung, wie oben bei den Schmutzstreifen besprochen wurde.
Aber auch am Grunde des Gletschers bewegt sich Gesteinsmaterial, vorwiegend in Form eines Zerreibungspulvers, welches in den dort sich bewegenden und als Gletscherbach austretenden Wassern suspendiert wird und denselben je nach der Natur der pulverisierten Gesteine [* 8] verschiedene intensive Farben (Gletschermilch) erteilt. Daneben kommen auch größere Gesteinsstücke, mitunter fest im Eis [* 9] eingewachsen, am Grund vor, die bei ihrer Wanderung thalwärts den felsigen Untergrund und die Seitenwände des Gletschers ritzen und polieren (Gletscherstreifen), dabei selbst aber geritzt und gestreift werden (geritzte Gerölle, Scheuersteine).
Unebenheiten des Untergrundes werden geebnet, Felszacken allmählich entfernt und namentlich in der Richtung des anstoßenden Gletschers, also thalauf, gerundet u. dadurch die eigentümlichen, mit Streifung versehenen runden Formen erzeugt, die man als Rundhöcker (roches moutonnées) bezeichnet. Wo der Gletscher sein Ende findet, dort wird grobes u. feines Material (letzteres, soweit es nicht im Bachwasser suspendiert weiter transportiert wird) zum Absatz kommen (Endmoränen, Stirnmoränen, moraines frontales, d der [* 1] Figur), untermeerisch als Gletscherdelta dann, wenn der in das Meer mündet.
Eine besondere Wichtigkeit besitzen diese Gletscherstreifen, geritzten Gerölle, Rundhöcker und Stirnmoränen als bleibende Signale, wenn sich der Gletscher zurückzieht, und von ihrem Nachweis ist die Kenntnis der weiten Verbreitung der in geologischer Vorzeit ausgegangen. Immerhin ist bei der Ausdeutung solcher Anzeichen eine wohl nicht immer geübte Vorsicht zu empfehlen, da die an ehemalige Gletscherthätigkeit geknüpften Erscheinungen recht ähnlich auch durch fließendes Wasser erzeugt werden können. So ist es sicher zu weit gegangen, wenn man die sogen. Riesentöpfe (s. d.) als untrügliche Anzeichen eines in prähistorischen Zeiten an der Stelle befindlichen Gletschers auffaßt.
Dieselben setzen zu ihrer Bildung strudelförmig bewegtes Wasser voraus, welches aus einer Gletschermühle stammen kann, aber nicht zu stammen braucht. In ähnlich extremer Weise ist neuerdings die erodierende Thätigkeit der Gletscher aufgefaßt worden. Vorschreitende Gletscher können (dafür gibt es Beispiele) ein lockeres Erdreich mit der Grasnarbe vor sich herschieben, falten und aufrollen, sie können ihre Stirn- und Grundmoränen in ein wenig festes Alluvium einwühlen; aber zwischen solchen Thatsachen und der Annahme, daß Thäler, Fjorde, Seebecken durch Gletscher im festen Gestein »ausgehobelt« worden seien, liegt noch ein großer Sprung - nicht jeder ist geneigt, mitzuspringen!
Münster

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Münster.Geschichte der Gletscherforschung.
Unter den alten Geographen kennt schon Strabon die Eisberge und Gletscher; unter den neuern gibt Sebast. Münster [* 10] 1543 in seiner »Kosmographie« die erste Kunde davon, genauer Simler 1574, der schon Firn und Gletscher unterscheidet. Hottinger und Scheuchzer stellten im Anfang des 17. Jahrh. die erste Theorie über das Vorrücken der Gletscher auf, welches sie aus der Ausdehnung [* 11] des in den Gletscherspalten gefrierenden Wassers und der Ausdehnung der im Gletschereis eingeschlossenen Luft herleiteten.
Gletscherfloh - Glied

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Seite 7.427.Christen und Altmann (1751) verbreiteten die phantastische Vorstellung eines den höchsten Rücken der Alpen von der Rheinquelle bis nach Grindelwald bedeckenden wirklichen Eismeers, aus dem die Gletscherströme sich in die Nachbarthäler verbreiteten, erklärten aber ihr Vorrücken richtiger aus den Wirkungen der Schwere. Gruners 1760 erschienenes Werk über die Eisgebirge der Schweiz [* 12] faßt die ganze damalige Kenntnis der Gletscher zusammen. Von großer Wichtigkeit für die Kenntnis der Gletscher wurden Saussures Untersuchungen der Gletscher von Chamonix in den Jahren 1760 und 1761, wenn auch, verdunkelt durch das Ansehen jenes verdienstvollen Physikers und Geologen, die von Bordier 1773 zuerst über das Vorrücken der Gletscher ausgesprochene Ansicht, daß sie sich wie eine zähflüssige Masse bewegen, unbeachtet blieb und erst in unsrer Zeit durch Messung und Experiment als die richtige zur Geltung kommen konnte. In Kuhns Werk »Versuch über den Mechanismus der Gletscher« (1787) werden zum erstenmal die über das heutige Eisgebiet hinausragenden Moränen verfolgt und so der Grund zur Kunde eines in prähistorischen Zeiten größern Umfanges der Gletscherthätigkeit gelegt. Ramond, Studer u. a. brachten manche neue Thatsachen über Gletscher zur Kenntnis der Physiker, L. v. Buch, Wehlenberg über ihre Verbreitung. Aber erst in die Jahre 1830-45 fällt die rastlose Thätigkeit in der Erforschung der Natur der Gletscher. Wie Saussure einst auf dem hohen Col de Géant Tage zugebracht hatte, um meteorologische Beobachtungen zu machen, so beginnen ¶
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mit Hugis kühnen Forschungsreisen auf den Gletschern und firnbedeckten Gipfeln des Berner Oberlandes, deren Beschreibung 1830 erschien, die Gletscherexpeditionen, welche 1841-43 von Agassiz in Begleitung von Wild (dem Bearbeiter der vortrefflichen Karte des Unteraargletschers), Désor, K. Vogt u. a., von Forbes und den Gebrüdern Schlagintweit fortgesetzt wurden. Gleichzeitig entbrannte der heftige wissenschaftliche Streit über die frühere größere Ausdehnung der Gletscher, welche schon Kuhn (1787) und Playfair (1802) behauptet hatten, ohne daß man ihren Untersuchungen Beachtung geschenkt hätte. Venetz regte durch 1816 und 1821 erschienene Arbeiten die Frage wieder an, welche in Charpentier einen warmen Vertreter fand. Von den neuern Gletscherforschern nennen wir: Heim, Forel, Hagenbach, Simony, Gastaldi, Favre, Kjerulf, Torell, Erdmann, Credner, Berendt, Koch, Klocke, Pfaff, Hochstetter, Ramsay, Geikie, Hall, [* 14] Dana, Whitney.
Aus der umfangreichen Litteratur sind im folgenden nur einige größere oder für die Geschichte der Gletscherkunde besonders wichtige Werke (soweit sie nicht schon oben erwähnt wurden) herausgegriffen: Hugi, Alpenreise (Soloth. 1830);
Charpentier, Essai sur les glaciers et sur le terrain erratique (Laus. 1841);
Agassiz, Études sur les glaciers (Neuchât. 1840, deutsch 1841) und »Nouvelles études« (Par. 1847);
Désor, Excursions et séjours dans les glaciers, etc. (Neuchât. 1844);
Forbes, Travels through the Alps (2. Aufl., Lond. 1845; deutsch; Stuttg. 1845);
Derselbe, Norway and its glaciers (Lond. 1853; deutsch, Leipz. 1855);
Mousson, Die Gletscher der Jetztzeit (Zürich [* 15] 1854);
Dollfus-Ausset, Matériaux pour l'étude des glaciers (Par. 1863-73, 13 Bde.);
Ramsay, Old glaciers of North Wales and Switzerland (Lond. 1860);
Tyndall, Glaciers of the Alps (das. 1860);
Kjerulfs zahlreiche Arbeiten über norwegische Gletscher (Christ. 1869-1881);
Penck, Vergletscherung der deutschen Alpen (Leipz. 1882);
Partsch, Gletscher der Vorzeit (Bresl. 1882);
Heim, Handbuch der Gletscherkunde (Stuttg. 1885).