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des Vorrückens und des Rückschreitens der Gletscher unterscheidbar. So ist der Rhônegletscher 1856-80 um 854 m, Mer de Glace 1866-78 im jährlichen Durchschnitt um 73 m zurückgegangen; 1879-80 hielt sich der letztere stabil, seit 1880 rückt er wieder vor. Und wie diese Gletscher, so sind jetzt zwölf der Schweizer Gletscher wieder im Vorrücken, während sie in den 70er Jahren sämtlich im Schwinden waren. Ja, es stellt sich heraus, daß, soweit die allerdings nur dürftigen Notizen reichen, alle alpinen Gletscher wenigstens ungefähr mit geringen Abweichungen in den Jahreszahlen des Eintritts des Wechsels dieselben Perioden des Vorrückens und des Schwindens gehabt haben.
Solche Perioden sind: vorrückende Tendenz 1595-1610, 1677-81, 1710-16, 1760-86, 1811-22, 1840-50 oder 1855;
rückschreitende Tendenz 1750-67, 1800-1812, 1822-1844, 1855-80. Im allgemeinen hat sich für diese Steigerung und Abschwächung der Gletscherthätigkeit ein Zusammenhang mit dem meteorologischen Charakter der betreffenden Zeitperiode ergeben, besonders wenn man, und zwar namentlich bei den größern Gletschern, einer gewissen Retardation der Wirkung gegenüber der Ursache Rechnung trägt und außerdem nur länger andauernde meteorologisch abnorme Perioden berücksichtigt, da erfahrungsmäßig einzelne auffallend kühle und feuchte Jahre ebensowenig einen Einfluß auf Ausdehnung [* 2] der Gletscher haben wie einzelne hervorragend warme auf ein Zurückgehen derselben.
Daß eine weiter zurückliegende geologische Periode (das mittlere Diluvium) [* 3] besonders günstige Verhältnisse für ein Anwachsen der Gletscher dargeboten haben muß, wurde unter »Eiszeit« [* 4] und »Diluvium« besprochen.
Die Meereshöhe der untern Gletschergrenze (s. obige Tabelle) ist zunächst abhängig von der mittlern Temperatur der betreffenden Gegend und nähert sich deshalb im allgemeinen in hohen Breiten mehr und mehr dem Meeresspiegel. Einen sehr wichtigen, diesen allgemeinen Satz wesentlich alterierenden Einfluß aber üben lokale Verhältnisse aus. So befördert die Kombination von kühlen Sommern und gemäßigten Wintern die Gletscherthätigkeit im Gegensatz zu heißen Sommern, selbst wenn diese mit kältern Wintern gepaart auftreten.
Daß namentlich hohe Kälte allein durchaus nicht als beförderndes Moment aufgefaßt werden darf, dafür zeugen viele in hohen Breiten gelegene und doch der Gletscher gänzlich oder doch fast entbehrende Gegenden; vielmehr ist ein um den Nullpunkt des öftern herumschwankender klimatischer Zustand wohl die geeignetste Bedingung für die Entwickelung der Gletscher. Reichliche Niederschläge sind ein weiteres Erfordernis, wie z. B. im Himalaja die Südseite, als den wasserbeladenen Meereswinden ausgesetzt, weiter hinunter vergletschert ist als die von trocknen Landwinden bestrichene Nordseite. Wohl auf ähnliche lokale Verschiedenheiten ist der Umstand zurückzuführen, daß die Gletscher Patagoniens unter 47° noch bis an das Meer reichen, während die Schmelzlinie in den unter gleicher nördlicher Breite [* 5] liegenden Alpen [* 6] 1000-1700 m ü. M. liegt.
Geographische Verbreitung der Gletscher.
Die am meisten vergletscherten Gebiete Europas sind, abgesehen von Island [* 7] und Spitzbergen, welche Inseln, ihrer Lage unter hohen Breiten entsprechend, bedeutende Gletscher besitzen, auf die Alpen, die Pyrenäen und die norwegischen Gebirge beschränkt, unter denen die Alpen weitaus die zahlreichsten und gewaltigsten aufzuweisen haben. Hier werden 1155 Gletscher gezählt und das vergletscherte Territorium auf 3000-4000 qkm geschätzt. Speziell in einzelnen Schweizer Kantonen entfallen bedeutende Bruchteile des Gesamtterritoriums auf die Gletscher und Firnfelder, wie die folgenden Zahlen zeigen:
Gletscher QKilom. | Gesamtfläche QKilom. | Proz. der Gesamtfläche | |
---|---|---|---|
Wallis | 971.7 | 5247.1 | 18.5 |
Uri | 114.8 | 1076.0 | 10.6 |
Glarus | 36.1 | 691.2 | 5.2 |
Graubünden | 359.9 | 7184.0 | 5.0 |
Bern | 288.0 | 6889.0 | 4.2 |
Unterwalden | 13.5 | 765.3 | 1.8 |
Tessin | 34.0 | 2818.4 | 1.2 |
St. Gallen | 7.4 | 2019.0 | 0.37 |
Waadt | 11.2 | 3222.8 | 0.35 |
Appenzell | 1.1 | 419.6 | 0.26 |
Schwyz | 1.3 | 908.5 | 0.14 |
Der längste unter den Alpengletschern ist der große Aletschgletscher mit 24 km Länge und einer Breite von 1,8 km, was einer Gesamtoberfläche von etwa 130 qkm entspricht. Hinsichtlich der Mächtigkeit der Eismasse ist man meist auf nicht zuverlässige Schätzungen angewiesen, da sich direkte Messungen nur an kleinern Hängegletschern vornehmen lassen. Immerhin ist man berechtigt, für die größten Gletscher 200-400 m und in einzelnen Fällen noch mehr Mächtigkeit anzunehmen, woraus dann Heim für den Aletschgletscher eine Eismasse von 10,800 Mill. cbm berechnet.
Den Alpen sind die Pyrenäen nur wenig ebenbürtig, denn unter den etwa 100 Gletschern, welche angegeben werden, dürfte sich eine Mehrzahl von bloßen Schneefeldern befinden. In der Sierra de Gredos und der Sierra Nevada in Spanien [* 8] sollen ebenfalls kleine Gletscher vorkommen. Norwegens Hauptgletschergebiet sind die Justedalsbraeer, von denen 24 erster Ordnung und mehrere Hundert zweiter Ordnung entspringen. Von Europas Grenzgebirgen ist der Ural gletscherfrei, der Kaukasus dagegen in seinen höhern Gipfelgruppen stark vergletschert.
Als größter Gletscher wird der Kaltschidon oder Karagan von etwa 8 km Länge angegeben. Asiens größte Gletscher liegen im Himalajagebirge (und hier wieder in erster Linie im Transhimalaja von Kaschmir), [* 9] im Hindukusch und im Karakorumgebirge. Aus letzterm wird ein Gletscher, der Baltoragletscher, von 56 km Länge beschrieben. Die Gletscherarmut, ja das fast gänzliche Fehlen derselben in Zentralasien, [* 10] welches gegen diese großartige Vergletscherung der südlichen Ketten so absticht, wird auf dieselben Ursachen zurückgeführt, die, wie oben schon bemerkt, den Südabhang des Himalaja stärker vergletschern lassen als den Nordabhang: die südlichen Bergriesen fangen die Seewinde ab, und im Innern erhalten nur die höchsten Ketten noch einen Teil dieser mit Wasser geschwängerten Zufuhr.
Afrika [* 11] ist nach allem, was man weiß, vollkommen gletscherfrei, ebenso das australische Festland; dagegen besitzt Neuseeland eine große Anzahl sehr bedeutender Gletscher. In Nordamerika [* 12] konzentriert sich die Gletscherthätigkeit in Grönland, wo eine große Anzahl gewaltiger Gletscher die Massen des Binnen- (Inland-) Eises dem Meer zuführen; erzählt doch Helland, daß er bei einer starken Tagesreise deren 47 zu überschreiten hatte. Als großartigster wird der Humboldtgletscher genannt, der in einer Mächtigkeit von über 200 m und einer Breite von 70 km in das Meer mündet. Ein großer Teil der mitunter weit südwärts wandernden Eisberge wird durch das Abbrechen der Stirnen grönländischer, in das Meer mündender Gletscher geliefert (»Kalben« der Gletscher). Im übrigen Nordamerika tragen die bedeutenden Bergzüge im Westen vom Norden [* 13] an bis etwa zum 44. Breitengrad zahlreiche Gletscher, von da ab nach Süden fast gar nicht mehr. Angaben von ¶
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Gletschern aus dem Felsengebirge lassen nicht vollkommen klar erkennen, ob es sich um wirkliche, in ununterbrochener Thätigkeit begriffene Gletscher handelt. Die Gletscher fehlen ferner in dem tropischen Teil Amerikas, und nur an einzelnen Stellen der zwischen den Wendekreisen gelegenen Kordilleren sind Spuren der Gletscherthätigkeit nachweisbar; weiter nach Süden aber mehren sich die Gletscher rasch und steigen schon in der chilenischen Provinz Colchagua (unter 34° südl. Br.) bis zu 1800 m Meereshöhe herab. Daß unter 47°, also unter der Breite der Alpen auf der nördlichen Halbkugel, dort die untere Grenze das Meer erreicht, wurde schon oben erwähnt.
Wirkungen der Gletscher.
Die geologische Wichtigkeit der Gletscher beschränkt sich aber nicht auf den im obigen geschilderten Transport des Eises von Bergeshöhen hinab in das Thal. [* 15] Es dient vielmehr zugleich der Gletscher als Vehikel für bedeutende Felsmassen, welche von den Felswänden längs des Gletscherbettes durch die Einwirkung der Atmosphärilien, besonders aber durch Frost abgelöst werden und auf den Gletscher niederfallen. Durch die langsame, aber stetige Bewegung thalabwärts ordnen sich die Blöcke zu zwei Reihen an, parallel zur Längsachse des Eisstroms, nahe den beiderseitigen Ufern (Seitenmoränen, Gandecken in Bern, [* 16] moraines latérales, a der [* 14] Figur).
Bei Gletschern, welche aus der Vereinigung zweier Einzelströme entstanden sind, legen sich zwei Seitenmoränen zu einer Mittelmoräne (Gufferlinie, bandes, moraines médianes, b der [* 14] Figur) zusammen, welche in Mehrzahl sich wiederholen, wenn sich drei oder mehr Gletscher vereinen. Sie überragen oft bedeutend die Oberfläche des Gletschers, eine Erhöhung, die nicht ausschließlich auf das Gestein selbst zurückzuführen ist, sondern zum Teil ihren Grund darin hat, daß der durch die Gesteinsbedeckung vor der Einwirkung der Sonne [* 17] geschützte Gletscherstreifen weniger abschmilzt als der übrige ungeschützte Teil.
Besonders deutlich ist dieses Verhältnis bei den sogen. Gletschertischen (Champignons, c der [* 14] Figur) nachweisbar, einzelnen in die Mitte des Stroms geratenen Blöcken, unter deren Schutz sich Eissäulen, meist 0,5-1 m, mitunter selbst 2-4 m hoch, erhalten haben, denen nun das Gesteinsstück wie der Hut [* 18] eines Pilzes aufsitzt. Im Gegenteil zu solcher schützenden Einwirkung größerer Gesteinsstücke befördert aufgeflogener Staub und Sand durch feine dunklere Färbung die oberflächliche Abschmelzung, wie oben bei den Schmutzstreifen besprochen wurde.
Aber auch am Grunde des Gletschers bewegt sich Gesteinsmaterial, vorwiegend in Form eines Zerreibungspulvers, welches in den dort sich bewegenden und als Gletscherbach austretenden Wassern suspendiert wird und denselben je nach der Natur der pulverisierten Gesteine [* 19] verschiedene intensive Farben (Gletschermilch) erteilt. Daneben kommen auch größere Gesteinsstücke, mitunter fest im Eis [* 20] eingewachsen, am Grund vor, die bei ihrer Wanderung thalwärts den felsigen Untergrund und die Seitenwände des Gletschers ritzen und polieren (Gletscherstreifen), dabei selbst aber geritzt und gestreift werden (geritzte Gerölle, Scheuersteine).
Unebenheiten des Untergrundes werden geebnet, Felszacken allmählich entfernt und namentlich in der Richtung des anstoßenden Gletschers, also thalauf, gerundet u. dadurch die eigentümlichen, mit Streifung versehenen runden Formen erzeugt, die man als Rundhöcker (roches moutonnées) bezeichnet. Wo der Gletscher sein Ende findet, dort wird grobes u. feines Material (letzteres, soweit es nicht im Bachwasser suspendiert weiter transportiert wird) zum Absatz kommen (Endmoränen, Stirnmoränen, moraines frontales, d der [* 14] Figur), untermeerisch als Gletscherdelta dann, wenn der in das Meer mündet.
Eine besondere Wichtigkeit besitzen diese Gletscherstreifen, geritzten Gerölle, Rundhöcker und Stirnmoränen als bleibende Signale, wenn sich der Gletscher zurückzieht, und von ihrem Nachweis ist die Kenntnis der weiten Verbreitung der in geologischer Vorzeit ausgegangen. Immerhin ist bei der Ausdeutung solcher Anzeichen eine wohl nicht immer geübte Vorsicht zu empfehlen, da die an ehemalige Gletscherthätigkeit geknüpften Erscheinungen recht ähnlich auch durch fließendes Wasser erzeugt werden können. So ist es sicher zu weit gegangen, wenn man die sogen. Riesentöpfe (s. d.) als untrügliche Anzeichen eines in prähistorischen Zeiten an der Stelle befindlichen Gletschers auffaßt.
Dieselben setzen zu ihrer Bildung strudelförmig bewegtes Wasser voraus, welches aus einer Gletschermühle stammen kann, aber nicht zu stammen braucht. In ähnlich extremer Weise ist neuerdings die erodierende Thätigkeit der Gletscher aufgefaßt worden. Vorschreitende Gletscher können (dafür gibt es Beispiele) ein lockeres Erdreich mit der Grasnarbe vor sich herschieben, falten und aufrollen, sie können ihre Stirn- und Grundmoränen in ein wenig festes Alluvium einwühlen; aber zwischen solchen Thatsachen und der Annahme, daß Thäler, Fjorde, Seebecken durch Gletscher im festen Gestein »ausgehobelt« worden seien, liegt noch ein großer Sprung - nicht jeder ist geneigt, mitzuspringen!
Geschichte der Gletscherforschung.
Unter den alten Geographen kennt schon Strabon die Eisberge und Gletscher; unter den neuern gibt Sebast. Münster [* 21] 1543 in seiner »Kosmographie« die erste Kunde davon, genauer Simler 1574, der schon Firn und Gletscher unterscheidet. Hottinger und Scheuchzer stellten im Anfang des 17. Jahrh. die erste Theorie über das Vorrücken der Gletscher auf, welches sie aus der Ausdehnung des in den Gletscherspalten gefrierenden Wassers und der Ausdehnung der im Gletschereis eingeschlossenen Luft herleiteten.
Christen und Altmann (1751) verbreiteten die phantastische Vorstellung eines den höchsten Rücken der Alpen von der Rheinquelle bis nach Grindelwald bedeckenden wirklichen Eismeers, aus dem die Gletscherströme sich in die Nachbarthäler verbreiteten, erklärten aber ihr Vorrücken richtiger aus den Wirkungen der Schwere. Gruners 1760 erschienenes Werk über die Eisgebirge der Schweiz [* 22] faßt die ganze damalige Kenntnis der Gletscher zusammen. Von großer Wichtigkeit für die Kenntnis der Gletscher wurden Saussures Untersuchungen der Gletscher von Chamonix in den Jahren 1760 und 1761, wenn auch, verdunkelt durch das Ansehen jenes verdienstvollen Physikers und Geologen, die von Bordier 1773 zuerst über das Vorrücken der Gletscher ausgesprochene Ansicht, daß sie sich wie eine zähflüssige Masse bewegen, unbeachtet blieb und erst in unsrer Zeit durch Messung und Experiment als die richtige zur Geltung kommen konnte. In Kuhns Werk »Versuch über den Mechanismus der Gletscher« (1787) werden zum erstenmal die über das heutige Eisgebiet hinausragenden Moränen verfolgt und so der Grund zur Kunde eines in prähistorischen Zeiten größern Umfanges der Gletscherthätigkeit gelegt. Ramond, Studer u. a. brachten manche neue Thatsachen über Gletscher zur Kenntnis der Physiker, L. v. Buch, Wehlenberg über ihre Verbreitung. Aber erst in die Jahre 1830-45 fällt die rastlose Thätigkeit in der Erforschung der Natur der Gletscher. Wie Saussure einst auf dem hohen Col de Géant Tage zugebracht hatte, um meteorologische Beobachtungen zu machen, so beginnen ¶