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Benutzung der besten alten Muster und durch Schaffung neuer Arten das transparente Farbenglas mannigfach zur Anwendung und verdrängte dadurch das opake Farbenglas allmählich vom Markt [* 1] (Fig. 1). Seinem Beispiel ist es zu verdanken, daß andre böhmisch-österreichische Fabrikanten dieselben Wege eingeschlagen haben. Auch auf dem Gebiet der Glaskurzwarenindustrie, der sogen. Quincaillerie, sind die Raffineure von Gablonz und Umgebung wie nicht minder ihre deutschen Rivalen in Schwäbisch-Gmünd, Pforzheim [* 2] und Hanau [* 3] bemüht, ihre mannigfachen Erzeugnisse durch dem Material entsprechendere stilvollere Formen zu veredeln.
Eine neue Erscheinung auf diesem Gebiet sind die irisierenden Gläser. Schon in Kaiser Hadrians Briefen ist von farbenwechselnden ägyptischen Gläsern die Rede. Ob diese irisierende waren, wie solche in neuester Zeit hergestellt werden, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit bestimmen. Jedenfalls ist das kolibrigefiederartig, prächtig Schimmernde mancher antiker Glasgefäße, überhaupt das Schillernde vieler ausgegrabener alter Gläser nur ein Produkt der Verwitterung. Die sogen. irisierenden Gläser der Neuzeit verdanken ihre Entstehung einem Zufall, durch welchen man in der ungarischen Fabrik in Zlatno 1856 entdeckte, daß das Irisieren der Gläser ein Produkt metallischer Dämpfe ist. Seit 1874 wurden irisierende Gläser auch in Böhmen [* 4] erzeugt und dann überall nachgeahmt.
In
Frankreich brachten die
Fabriken
Baccarat und
St.-Louis wie zahlreiche andre kleinere, gut geleitete die
Glaskunstindustrie zu fortschreitender
Entwickelung.
In den erstgenannten Etablissements führte
man um 1830 das Preßglas ein,
wozu die weichere, bleihaltige
Masse sich vorzüglich eignete. Die derart erzeugten
Gefäße hatten reiche
Ornamente
[* 5] auf gesandetem
Grund und waren in ihrer
Erscheinung so neu und bestechend, auch verhältnismäßig so billig, daß sie epoche
machend
wirkten. St.-Louis, auf elsässischem
Boden, zählt nunmehr zu
Deutschland.
[* 6]
Baccarat
[* 1]
(Fig. 2) ist die bedeutendste Glasfabrik
Frankreichs geblieben, nimmt trotzdem aber keine Führerrolle auf dem Gebiet der Glaskunstindustrie ein.
Die Glaskunstindustrie Frankreichs steht zweifellos, nicht nur was Massenartikel betrifft, sondern auch in anbetracht der feinen Erzeugnisse, auf verhältnismäßig hoher Stufe. Ihre Produkte zeichnen sich durchweg durch Eleganz und gefällige Grazie aus, leiden aber unter starker Neigung zu naturalistischen Auswüchsen. Eine erste Rolle spielt sie nicht. In England erfand man im 17. Jahrh. ein Kristallglas, das wegen seiner herrlichen Farbenbrechung richtiger den Namen Diamantglas verdiente und das bis heute nirgends gleich schön erzeugt wird.
Das böhmische Kristallglas ist die richtige Nachbildung des Bergkristalls, farblos und sowenig farbenbrechend wie der Bergkristall. Das englische Kristallglas dagegen zeigt, namentlich wenn es brillantartig geschliffen ist, ein Farbenspiel, das dem des facettierten Diamanten sehr nahekommt. Man kultivierte in England die Brillantierung des Kristallglases in hervorragender Weise, so daß man schließlich dazu kam, auch dünne Gläser mit solchem Schliff auszuführen [* 1] (Fig. 3). Das englische Glas [* 7] ist nicht so weich wie das venezianische, doch ungleich weicher als das böhmische und darum auch bildsamer.
Die Engländer kultivieren auch die Gravierung des Kristallglases mit großem Aufwand, wobei sie allerdings noch sehr dem Naturalismus huldigen. Die Portlandvase [* 8] im Britischen Museum drängte die englischen Glasindustriellen zur Nachbildung. Auf der Weltausstellung von 1878 brachten Thomas Webb and Sons, A. B. Daniels and Sons und Hodgetts, Richardson and Son vorzügliche Kopien jener Vase. In Deutschland wird die Glaskunstindustrie zumeist auf der gräflich Schaffgotschschen Fabrik Josephinenhütte bei Warmbrunn in Schlesien [* 9] (Fig. 4) und durch Heckert ebendaselbst gepflegt, wo man vorwiegend die verschiedensten Sorten Farbenglas mit Malereien, dann Nachahmungen von Venezianer Fadenglasgegenständen, von Gläsern mit Perlendekorationen, von orientalischen Gläsern u. dgl. fertigt.
Auch die Steigerwaldsche Fabrik war um 1850 unter so tüchtiger Leitung, daß sie, namentlich was die milchigen Glassorten betrifft, für die damaligen Verhältnisse Mustergültiges lieferte. Eine neue Errungenschaft sind die Leistungen der Fabrik Ehrenfeld bei Köln [* 10] a. Rh. [* 1] (Fig. 5), welche die alten deutschen Römer [* 11] mit ihrem aus einem Glasfaden geringelten Fuß und andre derartige Becher, [* 12] Humpen, Weinkelche etc. mit ihren hübschen Buckeln, Butzen, Traubenansätzen etc., die römischen Krüge [* 13] mit ihren besondern Henkeln, welche in den ersten Jahrhunderten nach Christo den Rhein entlang erzeugt wurden, endlich manche Venezianer Arbeiten, welche hervorragende Glasmacherfertigkeit bedingen, wie z. B. jene mit einem frei stehenden Glasnetz umsponnenen Gefäße, ausgezeichnet nachzubilden weiß, aber auch vortreffliche freie Schöpfungen aufzuweisen hat. Die kaiserlich russische Fabrik in Petersburg [* 14] brachte auf die Weltausstellung 1873 eine Serie sehr interessanter Gefäße aus weißem, grünlichem und andersfarbigem Glas mit Emailverzierungen im frühbyzantinischen oder russischen Stil [* 1] (Fig. 6 u. 7). Die venezianische Glasindustrie [* 1] (Fig. 8) erzeugt nur Spezialitäten, wie sie allgemein in andern Ländern nicht gemacht werden.
Das venezianische Glas ist das weichste. Es lassen sich damit die feinsten und zierlichsten Gebilde schaffen; das weiße Glas ist nicht so farblos wie das Kristallglas, das man anderwärts erzeugt, und ebensowenig feurig und klar wie das blaue, grüne oder violette Glas, das man dort schmelzt, was alles jedoch den Reiz der venezianischen Gefäße eher erhöht, als vermindert. Der Hauptwert derselben liegt in der kunstvollen Glasmacherarbeit. Schliff kommt bei den venezianischen Gefäßen eigentlich nicht vor, von Gravierungen nahezu nur solche mit Diamanten, von Malereien nur wenige mit Emailfarben.
Die Artikel sind fast ausschließlich nur Ziergerät. Eigentliche Gebrauchsgegenstände werden nicht erzeugt, was vielleicht einen Vorzug, gewiß aber auch die Schwäche der venezianischen Glaskunstindustrie bildet, da, wenn einmal der Markt mit solchen Ziergefäßen übersättigt sein wird, wie dies schon einmal der Fall war, diese Industrie wieder dem Rückgang verfallen dürfte. In Venedig [* 15] war in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts die Glasfabrikation, [* 16] mit Ausnahme der Erzeugung von Perlen und andrer kleinerer Gegenstände, auf das tiefste gesunken.
Wohl hatte Lorenzo Radi sich schon vor 1840 mit Geschick und einigem Erfolg bemüht, die Technik der Glasmosaik wieder zu erwecken; der Schöpfer der neuen Epoche der venezianischen Glaskunstindustrie wurde indes Salviati. Begeistert durch die herrlichen alten Leistungen, die er in den verschiedenen Sammlungen gesehen hatte, entschloß er sich 1859, dahin zu wirken, daß die Kunstfertigkeit der Väter wieder erreicht werde. Er zog Radi und einige andre der tüchtigern Glasarbeiter heran und sammelte mit rastlosem Eifer aus alten Schriften und Überlieferungen die Behelfe, um ¶
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wieder das eine oder das andre Verfahren zur Übung zu bringen. Als Salviatis Mittel nicht mehr ausreichten, übernahm 1866 eine englische Gesellschaft nicht nur die Fortführung des von ihm seither geleiteten Unternehmens, sondern baute eine neue Fabrik, Salviati anfangs mehr, später weniger als Leiter benutzend, bis im Mai 1877 sein Austritt erfolgte. Castellani, der nun die Leitung übernahm, bewährte sich bald, indem er eine immer exaktere Arbeit bei Nachahmungen alter Muster oder Ausführungen neuer Schöpfungen erzielte, die Wiedererzeugung der sog. Katakombengläser vervollkommte und die römischen Mosaikschalen, Achatgläser u. dgl., welche die alten Venezianer nicht fabrizierten, mit der gleichen Kunstfertigkeit ausführen ließ, mit welcher sie zu Anfang unsrer Zeitrechnung hergestellt wurden. Solche Mosaikschalen im Durchmesser von ca. 15 cm kosten, nebenbei bemerkt, 600-1500 Frank das Stück. Salviati hat Ende 1877 eine andre Fabrik in Murano eröffnet, schafft in gleicher Weise rührig fort wie früher und wendet namentlich den Wandmosaiken seine Thätigkeit zu. (S. Mosaik.)
Einen besondern Zweig der Glaskunstindustrie bilden die Kronleuchter. Die ersten aus nur weißem oder teils auch farbigem an welchen auch die Arme aus solchem Material waren, dürften wohl im 14. oder 15. Jahrh. in Murano erzeugt worden sein. Man formte Blüten und Blätter, wozu das weiche venezianische Glas sich vorzüglich eignete, und setzte daraus Blumenkronen zusammen, in die man hin und wieder noch Früchte oder Vögel [* 18] einfügte. Man wußte dabei eine so reiche Abwechselung zu erzielen, daß man heute noch in Murano jene phantasievollen, schönen Gebilde früherer Zeit nachahmt [* 17] (Fig. 9). Als im 17. Jahrh. die böhmische Glasindustrie sich immer bedeutender entwickelte, wendete man sich auch bald der Nachbildung der Bergkristallbehänge zu, mit welchen man damals Messing- oder Stahllüster schmückte.
Die viel billigern, teils nur gepreßten Glasbehänge ermöglichten deren reichere Anwendung. Man schuf jene Kronleuchter, deren Gerippe aus verzinnten, flachen Eisenstäben besteht, die mit platt gedrückten, kurzen Glasröhren und Rosetten ganz belegt und mit meist breiten, geschliffenen oder gepreßten Behängen geziert sind. Solche Lüster finden sich noch zahlreich in alten österreichischen und deutschen Schlössern und werden, da ihre Form ebenso edel wie charakteristisch ist, so daß sie stets geschätzt bleiben wird, heute noch, besonders in Wien, [* 19] vielfach nachgebildet, nur daß die neuen weit mehr Kerzenarme haben müssen. Es wurden ferner mancherlei Kronen [* 20] aus zartern Messinggerüsten mit größern oder kleinern Glassteinen oder Glasketten reich verziert, auch solche mit geschliffenen Glasarmen im 17. und in unserm Jahrhundert erzeugt, welche die größte Mannigfaltigkeit und Originalität der Formen aufweisen.
Frankreich kam anscheinend erst etwas später daran und hat hierin wohl nicht minder Gutes, doch kaum Eigentümliches geleistet; ebenso folgte England erst nach, auch dabei bald seine Vorliebe für das Massige und Bizarre zur Geltung bringend. Seine Kronleuchter sind meist für den Export nach Indien berechnet. Auch Böhmen erzeugt zumeist in Haida und Steinschönau für den ganzen Orient ähnliche Lüster. Lobmeyr in Wien hat auch von diesem Artikel, teils alte Vorbilder verwertend, sich seine eignen Spezialitäten geschaffen [* 17] (Fig. 10).
[Litteratur.]
Vgl. Benrath, Die Glasfabrikation (Braunschw. 1875);
Tscheuschner, Handbuch der Glasfabrikation (Weim. 1884);
Gerner, Glasfabrikation (Wien 1881);
Schür, Praxis der Hohlglasfabrikation (Berl. 1867);
Dralle, Anlage und Betrieb der Glasfabriken (Leipz. 1886);
Gräf, Der praktische Glaser (2. Aufl., Weim. 1885);
Schebeck, Böhmens Glasindustrie (Prag [* 21] 1878);
Lobmeyr, Die Glasindustrie (Stuttg. 1874, mit Ilg u. Böheim);
Minutoli, Über Anfertigung und Nutzanwendung der farbigen Gläser bei den Alten (Berl. 1836);
Demmin, [* 22] Keramik-Studien, 4. Teil: Das Glas (Leipz. 1883);
Friedrich, Die altdeutschen Gläser (Nürnb. 1884);
Flamm, Le verrier [* 23] du XIX. siècle (Par. 1863);
Bontemps, Guide du verrier (das. 1868);
Sauzay, La verrerie depuis les temps les plus reculés, etc. (4. Aufl., das. 1884);
Deville, Histoire de l'art de la verrerie dans l'antiquité (das. 1873);
Fröhner, La verrerie antique (das. 1879);
Gerspach, L'art de la verrerie (das. 1885);
Garnier, Histoire de la verrerie et de l'émaillerie (Tours [* 24] 1886);
Pellatt, Curiosities of glassmaking (Lond. 1849);