mehr
dem Fall des oströmischen Reichs wanderten aber die Glasmacher aus, und nun begann Venedig, [* 2] die Mutter der westeuropäischen Glasfabrikation, [* 3] den hervorragendsten Platz einzunehmen. Die Glasindustrie hatte sich hier seit alter Zeit festgesetzt und entwickelt; wiederholt herangezogene auswärtige Arbeiter importierten neue Kunstzweige (die Byzantiner z. B. die Glasmosaik), und in Venedig selbst wurden verschiedene Gattungen erfunden. Das tiefe und durch Androhung schwerer Strafe behütete Geheimnis, mit welchem die 1289 nach Murano verlegten Fabriken umgeben waren, sicherte auf lange Zeit ein Monopol. - Unter dem Einfluß der Renaissance entwickelte sich eine Glasmacherkunst, welche im 16. und 17. Jahrh. ihre größten, noch heute mustergültigen Meisterwerke in Form und Farbe (Gefäße, Spiegel) [* 4] schuf. Man behandelte das Glas [* 5] durchgehends nur als weiche, bildsame Masse und erzeugte seine weichen und gerundeten Formen ausschließlich vor der Pfeife und mit der Pinzette. Der biegsame Faden [* 6] war das Hauptmittel der Ornamentation, Filigranglas und Perlen sind spezifische Produkte Venedigs. Der hohen Blüte [* 7] folgte hier aber ein schneller Verfall.
Die Römer [* 8] hatten in allen Teilen des Reichs Glashütten angelegt, aber neben dieser römischen ist an vielen Orten auch eine aus barbarischen Elementen hergeleitete Thätigkeit in der Glasmacherei zu erkennen. Bedeutungsvoll ist, daß im Norden [* 9] bei Germanen und keltischen Galliern die Wertschätzung des Glases einst bis zur Einmischung seines Begriffs in die religiösen Vorstellungen des Volkes steigen konnte. Die Edda und die deutschen Mythen erzählen von Glasbergen und vom gläsernen Himmel. [* 10] In Grabstätten sind mehrfach Glasgegenstände gefunden worden, und im frühen Mittelalter bestand in Deutschland [* 11] schon eine recht entwickelte Glasindustrie, welche in Formgebung und Ornamentation von der byzantinischen und venezianischen abwich.
Namentlich im Süden und Westen des Reichs ansässig, konkurrierte sie früh mit dem Ausland, selbst auf venezianischem Markte. Das deutsche Glas, aus Holzasche dargestellt, war meist grünlich, übertraf aber das venezianische an Härte und Widerstandsfähigkeit. Fensterglas war jedoch selbst zu Luthers Zeiten noch nicht allgemein verbreitet. Das Hohlglas zeigte einfache, wenig schwunghafte Formen, vielleicht, um möglichst ausgedehnte Bemalung zu gestatten.
Edelsteinimitationen und gläserne Ringe waren sehr beliebt. Kleine Spiegel, aus im Innern mit einer Metallkomposition überzogenen Glaskugeln geschnitten, wurden im 12. und 13. Jahrh. als Schmuck getragen, und die großen, zuerst mit Blei-, seit dem 14. Jahrh. mit Zinnamalgam belegten Spiegel scheinen eine deutsche Erfindung zu sein. Zu Anfang des 16. Jahrh. wurde in Venedig mit Neid anerkannt, daß ein deutsches und ein flandrisches Haus alle Welt mit Spiegeln versorge.
Hier sind von litterarischen Arbeiten auf diesem Gebiet des Theophilus, eines deutschen Mönchs, »Diversarum artium schedulae« aus dem 11. oder 12. Jahrh. und vor allen Agricolas »De re metallica« (1530) zu erwähnen, in welchem zuerst eine Hütte mit Ofen und Utensilien abgebildet ist. Diese Arbeit wurde ergänzt durch Mathesius' »Sarepta oder Bergpostill« (1564), in welcher hessisches Tafelglas und die Glasproduktion am Spessart, in der Pfalz und im Meißnischen erwähnt wird. Im 15. Jahrh. begann auch die böhmische Glasindustrie eine Rolle zu spielen.
Das böhmische Glas, aus sehr reinen Materialien dargestellt, wetteiferte in Farblosigkeit und Glanz mit dem venezianischen. Man verarbeitete es aber in wesentlich abweichender Weise, indem die Steinschleifer, die in Prag [* 12] seit alter Zeit einen gewerblichen Mittelpunkt gehabt, daraus Formen im reinen Kristallstil zu bilden suchten (böhmischer Kristall). Auch die Tafelglasfabrikation gelangte hier zu hoher Blüte; aus Venedig wurde die Bereitung der Schmelzfarben und die Glasmalerei [* 13] importiert, und so kam man, wie in Murano, zur Perlenfabrikation, zur Anfertigung falscher Steine etc. Zur Zeit des Verfalles der venezianischen Glasmacherei beherrschte Böhmen [* 14] den Weltmarkt und behauptete seine Stellung bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, wenn auch unter allmählichem Sinken der Leistungen.
Später belegten fast alle Staaten Europas das böhmische Glas mit hohem Einfuhrzoll und begünstigten die Einwanderung böhmischer Arbeiter, so daß die Industrie allmählich in Verfall geriet, aus welchem sie sich erst in neuester Zeit wieder erhoben hat. Erwähnenswert ist die Förderung, welche die Glasindustrie in Deutschland durch mehrere Fürsten fand. Der Große Kurfürst errichtete z. B. auf der Pfaueninsel bei Potsdam [* 15] eine Glashütte, welche unter Kunckels Leitung namentlich durch ihren Goldrubin großen Ruf gewann.
Kunckel veröffentlichte eins der bedeutendsten ältern Werke über Glasmacherei, die »Ars vitraria experimentalis« (1689), eine erweiterte Bearbeitung von Neris Rezeptensammlung von 1612 und deren englischer Bearbeitung von Merret, ein Werk, welches bis in unser Jahrhundert hinein der gelehrte Ratgeber des Glasmachers blieb. Das antike Glas war Kalknatronglas; im Innern des europäischen Kontinents aber bereitete man ausschließlich Kaliglas aus Pflanzenasche, bis die Begründung der Sodaindustrie (1791) einen völligen Umschwung herbeiführte.
Gegenwärtig hat das Natronglas weitaus die größte Bedeutung. Auch Glaubersalz (schwefelsaures Natron) ward schon im 17. Jahrh. angewandt, die ersten Versuche damit in größerm Maßstab [* 16] führte Laxmann in Sibirien 1764 aus; aber erst durch Baader wurde 1808 ein Verfahren bekannt, nach welchem man gutes Glaubersalzglas darstellen konnte, und nun verbreitete sich die Verwendung des Glaubersalzes in Böhmen und andern Ländern sehr schnell. Um dieselbe Zeit etwa wurde auch die Fabrikation des Bleiglases bei uns eingeführt, dessen Fabrikation zu Anfang des 18. Jahrh. in England bereits schwunghaft betrieben worden war.
Übrigens war Bleiglas bereits Neri 1612 bekannt, und in manchen antiken Gläsern findet sich Bleioxyd als wesentlicher Bestandteil. 1806 fabrizierte Utzschneider in Benediktbeuern ein vorzügliches optisches Glas Erwähnenswert sind die frühzeitige Darstellung von Walzenglas und die hohe Ausbildung der Strecköfen in Deutschland. Als Heizmaterial benutzte man bei uns ehedem ausschließlich, wie noch jetzt in erheblichem Maß, das Holz, [* 17] und erst zu Anfang des 19. Jahrh. wandte man sich allmählich der Heizung [* 18] mit Steinkohle, Braunkohle und Torf zu. Seit 1850 benutzte Fickentscher in Zwickau [* 19] einen Gasofen mit in abgesondertem Generator erzeugtem Braunkohlengas, und 1856 erhielt Siemens das Patent auf seinen Regenerativgasofen (s. oben, S. 386), der mit desselben Erfinders Wannenofen für kontinuierlichen Betrieb eine neue Ära in der Glasindustrie begründete.
Frankreich besaß schon zu Beginn unsrer Zeitrechnung eigne Glashütten; allein an der Darstellung bessern Glases beteiligte es sich so spät, daß es noch im 18. Jahrh. besseres Fensterglas ausschließlich aus Böhmen und Deutschland beziehen mußte. 1740 wurde von Drolinvaux eine Gesellschaft zur ¶
mehr
Fabrikation von Walzenglas gebildet und zu Lettenbach (St.-Quirin) eine Fabrik mit deutschen Arbeitern gegründet, welche zu großem Ruf gelangte und die Mutterfabrik der modernen französischen, belgischen und einiger englischer Tafelglashütten wurde. Noch heute findet sich unter den französischen Glasarbeitern eine weit überwiegende Mehrzahl deutscher Namen, und unter den terminis technicis sind viele deutsche Ausdrücke. Großes und Selbständiges leistete Frankreich im 18. Jahrh. in der Spiegelfabrikation.
Letztere gilt, wie erwähnt, für eine deutsche Erfindung; durch dal Gallo in Venedig wurde 1507 die Herstellung geblasener Spiegel wesentlich verbessert, um 1665 fand diese Kunst ziemlich gleichzeitig Eingang in Frankreich und England, und 1695 wurde mit französischen Arbeitern eine Fabrik für geblasene Spiegel in Neustadt [* 21] a. d. Dosse angelegt. Wahrscheinlich hat man schon im Altertum Glas gegossen, auch wurden um die Mitte des 17. Jahrh. in England Tafeln zu kleinen Spiegeln durch Guß hergestellt; zu praktischer Brauchbarkeit erwuchs das neue Verfahren aber erst durch die Bemühungen von Lucas de Nehou, welcher 1688 in Tour la Ville bei Cherbourg [* 22] den Hafen aus dem Ofen nahm und das gegossene Glas mit einer Walze ausbreitete.
Diese Erfindung wurde einer Gesellschaft auf den Namen Thévarts patentiert, und man gründete in Paris [* 23] eine Fabrik, die bald darauf nach St.-Gobin verlegt wurde, seit 1701 mit gutem Erfolg arbeitet und die Mutter aller Gußglasfabriken der Welt geworden ist. In Österreich [* 24] legte der Graf Rechtskron 1701 mit Hilfe von Arbeitern aus St.-Gobin eine Spiegelgießerei in Neuhaus an, die 1728 an den österreichischen Staat überging; eine bedeutende Entwickelung aber fand die Darstellung von gewalztem Spiegelglas zunächst nur in England seit 1773. In Deutschland wurde die erste Spiegelfabrik zu Stolberg [* 25] bei Aachen [* 26] 1852 gegründet.
Die ältesten Nachrichten über englische Glasindustrie datieren aus dem 15. Jahrh., zu welcher Zeit schlechtes Fensterglas dargestellt wurde. Wichtig ist die durch Mansell eingeführte Verwendung der Steinkohlen in Glasöfen um 1635, nachdem freilich schon 1619 d'Azémar in Rouen [* 27] mit Steinkohle gefeuert hatte. Im J. 1670 gründete der Herzog von Buckingham mit Hilfe venezianischer Arbeiter die erste englische Fabrik geblasener Spiegel in Lambeth. Die erste Bleikristall- oder Flintglashütte wurde zu Anfang des 18. Jahrh. angelegt. In Nordamerika [* 28] legte Hewes 1790 die erste Glashütte im Wald von New Hampshire an, aber erst seit 1803 entwickelte sich die amerikanische Glasindustrie lebhafter; 1811 konnte bereits die Hälfte des Bedarfs an Fensterglas von den eignen Hütten [* 29] gedeckt werden. Preßglas wurde bis Anfang dieses Jahrhunderts nur gelegentlich hergestellt und trat erst seit dieser Zeit als englische oder amerikanische Erfindung selbständig auf. Das Hartglas wurde 1874 von de la Bastie in Richmont (Departement Ain) erfunden, bald darauf brachten Siemens, Pieper u. a. neue Härtungsverfahren in Vorschlag, von welchen wenigstens das Siemenssche Eingang in die Praxis gefunden hat.
Aus prähistorischer Zeit fand man außer in den altitalischen Nekropolen zuerst in Hallstatt Glasperlen, die dann in der La Tène-Periode häufiger werden. Auch größere Ringe (Armbänder) sind gefunden worden. In der Römerzeit treten auch Gefäße auf, und in der merowingischen Zeit sind solche und Perlen sehr häufig und letztere oft sehr kunstvoll mosaikartig zusammengesetzt.
Die moderne Glaskunstindustrie.
(Hierzu die Tafel »Moderne Glaskunstindustrie«). [* 30]
Die Glasindustrie hat in unserm Jahrhundert, namentlich in der zweiten Hälfte desselben, seit dem Beginn der 50er Jahre, dank dem durch die Weltausstellungen erzeugten Wetteifer einen solchen Aufschwung und eine so reiche Vielseitigkeit gewonnen, daß sie sich unter den Zweigen der modernen Kunstindustrie eine erste Stellung erobert hat. In Böhmen erzeugte man schon in den ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts vorzügliches Kristallglas, durch Gold [* 31] in der Masse gefärbtes Rubinglas, das dunkelblaue und tiefgrüne Glas und das milchweiße, welche Arten schon die Alten kannten.
Man verstand es auch, das Kristallglas an der Innen- oder Außenseite mit blassem Rot oder Blau zu überfangen, es rubinrot oder gelb zu ätzen, und hatte im Schleifen und Gravieren, Vergolden und Bemalen des Glases eine große technische Fertigkeit. Friedrich Egermann in Blottendorf bei Haida führte um 1810 das Mattschleifen des gewöhnlichen sogen. Kreideglases ein, welches dann Achatglas genannt wurde. Das farbige und das weiße Beinglas, welches er später ebenfalls mattierte, nannte er Biskuit- und Alabasterglas und verzierte es mit weißem oder farbigem Email, mit Gold- und Bronzefarben. Er erfand die jetzt noch vielfach geübte Gelbätzung für Kristallglas wie die Bemalung desselben mit durchsichtiger blauer, rosa oder violetter Farbe, was wieder eine reiche Anwendung der Gravierung zur Folge hatte. Um 1824 erwarb er sich ein Patent auf ein Edelsteinglas, das er Lithyalin benannte.
Bei demselben kam ein Beisatz von Pflanzenaschen und Metalloxyden in Anwendung, und durch das Abätzen der Schmelzfläche traten sehr feine Marmorierungen zu Tage. Gegen 1830 erfand er das Rubinieren des Glases und verbesserte später die Emailmalereien und Vergoldungen unter Beihilfe seines Sohns Ambros, welch letzterer nebst manchem andern auch das Polieren der Tiefgravierungen mit Korkrädern u. dgl. einführte. Auf der gräflich Buquoyschen Fabrik Silberberg erzeugte man 1830 in vorzüglicher Weise das schwarze, obsidianartige Glas der Alten, dem man den Namen Hyalith gab, zinnoberrotes und achatartiges Glas. Um 1840 wurden von Wilhelm Kralik auf den Johann Meyrschen Fabriken bei Winterberg das Alabasterglas und die andern milchig-opaken Glasarten, die man Aquamarin oder Türkis, Beryll, Mattrosa- oder Alabasterrosaglas benannte, neu hergestellt.
Man erzielte bald, teils durch Überfangen des Beinglases, teils durch Färbung in der Masse, völlig opake grüne, gelbe, blaue und violette Glasarten. Man fand ein ganz sattes weißes Email, das sich zum Überfangen des Kristallglases wie andrer Glassorten besonders eignete, und kam so immer mehr dazu, dem Porzellan Konkurrenz zu machen, auf der andern Seite aber das mehr berechtigte Gebiet der Glasindustrie, die Kultivierung des transparenten farbigen Glases, entschiedener zu vernachlässigen.
Auch in Frankreich, dem mächtigsten Rival Böhmens in Bezug auf das farbige Glas, wurde diese verfehlte Richtung maßgebend und ist es noch bis heute geblieben. In Österreich trat ein Umschwung zum Bessern durch die Bemühungen des 1864 eröffneten österreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien [* 32] ein. Lobmeyr in Wien suchte als geschulter Zeichner selbstschaffend nicht nur die Formen der Prunkgeräte und des kostbarern Glasgeschirrs, sondern auch die der gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände mehr und mehr zu veredeln; auch brachte er mit ¶