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Sterl. etc.);
der Kassenbestand war 162,768 Pfd. Sterl. Der Schwerpunkt [* 2] der Unterstützungen der englischen Gewerkvereine liegt in der Unterstützung an arbeitslose Mitglieder;
die Gewerkvereine sind freilich auch Kampf- und Streikvereine, der Streik ist ihre ultima ratio, falls sie ihre Forderungen nicht durchsetzen können;
aber es ist doch ein Hauptbestreben der Gewerkvereine, Ausgaben für Streiks zu vermeiden, und die Zentralausschüsse stimmen nur im äußersten Notfall für diese Maßregel.
Auf dem letzten, 18. Jahreskongreß der englischen Gewerkvereine (im September 1885) wurde von dem Präsidenten bezüglich dieses Punktes ausdrücklich in seiner Eröffnungsrede hervorgehoben, daß die Vereine sich hüten, ihr Geld in böswilligen Streiks zu vergeuden, daß die sieben größten Vereine innerhalb der letzten fünf Jahre von einer Totalausgabe von 53,263,600 Mk. an arbeitslose Mitglieder 24,143,600 Mk., an Altersinvaliden, verunglückte, abgebrannte oder sonst in Not geratene Mitglieder etc. nebst Verwaltungskosten 19,501,040 Mk. und nur 3,773,600 Mk. für Streiks verausgabt haben.
Eine charakteristische allgemeine Einrichtung der englischen Gewerkvereine als Hilfskassen ist, daß nicht besondere Kassen für die einzelnen Unterstützungszwecke bestehen, sondern nur eine Kasse und aus dieser Kasse auch die Unterstützung an streikende Mitglieder gezahlt wird, so daß also angesammelte Reserven auch für diesen Zweck verbraucht werden können. Über die Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung sind die Ansichten geteilt. Für dieselbe wird namentlich geltend gemacht, daß gerade sie die Vereine zu äußerster Vorsicht in der Genehmigung von Streiks veranlaßt; indes ist die große Gefahr derselben unleugbar.
Die englischen Gewerkvereine sind entschiedene Gegner der Sozialdemokratie. Ihre Existenz ist eine der Ursachen, daß die Sozialdemokratie in England nur sehr vereinzelte Anhänger fand. Bis vor wenigen Jahren hielten die Gewerkvereine sich von der Politik fern; politische Fragen durften in den Vereinen nicht verhandelt werden, ihre Erörterung war sogar ein Ausschließungsgrund. In den letzten Jahren tritt aber doch ein entschiedenes Bestreben der Gewerkvereine hervor, im Interesse der Arbeiterklasse einen Einfluß auf die Politik des Landes, namentlich bei den Wahlen, auszuüben, und wenn auch noch auf dem letzten Kongreß stark betont wurde, daß die Arbeiter weder eine besondere politische Partei bilden, noch ein eignes politisches Programm aufstellen sollen, welches nicht mit den Interessen der ganzen Nation in Harmonie ist, wurde doch von demselben Kongreß eine Ansprache an die Arbeiter beschlossen, in welcher es als die Pflicht derselben bezeichnet wurde, wo Arbeiter bei den Parlamentswahlen als Kandidaten auftreten, für deren Wahl thätig zu sein und bei andern Kandidaten darauf zu bestehen, daß sie für folgende Punkte eintreten: für die Verbesserung des Haftpflichtgesetzes von 1880;
Vermehrung der Zahl der Fabrik- und Werkstattinspektoren;
fernere Vermehrung der Grubeninspektoren;
ein Gesetz, den verhütbaren Lebensverlust zur See zu verhindern;
Ausdehnung [* 3] des Haftpflichtgesetzes von 1880 auf die Schiffahrt;
ein Gesetz für die bessere Regulierung der Eisenbahnen und Verhinderung von Unfällen;
Atteste der Fähigkeit der Leute, welchen auf dem Lande Dampfmaschinen [* 4] anvertraut werden, wie es bereits zur See obligatorisch ist;
Beseitigung aller unnötigen Hindernisse, welche der Anstellung von Arbeitern im Zivil- und Magistratsdienst im Wege stehen;
Aufhebung der Eigentumsqualifikation im Lokalregierungswesen;
eine Reform der Landesgesetze, die geeignet ist, die Quellen der nationalen Industrie freizulegen und den heimischen Verbrauch von Industrieerzeugnissen zu befördern;
Wiedererstattung von Bildungs- und andern Stiftungen für die Zwecke, für welche sie ursprünglich beabsichtigt waren.
Arbeitervereine entstanden in England schon im 18. Jahrh., aber die eigentliche Entwickelung der Gewerkvereine zu der vorstehend geschilderten, für die Arbeiterklasse und das Land segensreichen Institution beginnt doch erst mit der Koalitionsfreiheit 1824 ihre großartige Ausbreitung, und die stetig zunehmende Durchführung einer maßvollen, praktischen, besonnenen Gewerkvereinspolitik erfolgte seit den 50er Jahren. Seitdem entwickelte sich auch erst die Organisation in zentralisierten Landesvereinen, vorher waren die Gewerkvereine zumeist selbständige Ortsvereine ohne Verbindung der verschiedenen Ortsvereine eines Gewerkes.
Die Zahl ihrer Mitglieder ist nicht genau bekannt, sie wird auf 8-900,000 geschätzt; auf dem letzten Kongreß hatten 161 Delegierte, die 136 Vereine mit 560,976 Mitgliedern vertraten, ihre Mandate eingereicht; schon 1869 berichtete die Parlamentskommission auf Grund einer sehr umfassenden Enquete über die Trades' Unions, »daß es keine Industrie gebe (abgesehen von wenigen äußerst zweifelhaften Ausnahmen), welche die Gewerkvereinsbewegung nicht ergriffen hat, und sehr wenige Teile des Landes, wo sie nicht vorherrscht«. Die Hauptagitation der englischen Gewerkvereine ist jetzt auf die Durchsetzung des achtstündigen Arbeitstags gerichtet.
Die deutschen Gewerkvereine.
In Deutschland [* 5] stehen die Gewerkvereine, was ihre Verbreitung und ihre Bedeutung für die Arbeiterklasse und für die praktische Lösung des sozialen Problems betrifft, sehr weit hinter den englischen zurück. Bis zum Erlaß des Sozialistengesetzes waren sozialdemokratische und antisozialdemokratische Gewerkvereine zu unterscheiden. Erstere waren lediglich Organe der Sozialdemokratie, der sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, [* 6] und sahen ihre Hauptaufgabe darin, für die Zwecke und Ziele dieser Partei thätig zu sein.
Sie sind seit 1878 verschwunden. Zu den letztern, den entschiedenen Gegnern aller sozialdemokratischen und sozialistischen Bestrebungen, gehören namentlich die von Max Hirsch [* 7] und Franz Duncker zuerst 1868 gegründeten und seitdem von Hirsch als ihrem Anwalt geleiteten Gewerkvereine (sogen. Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine). Die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine streben dem englischen Vorbild nach, zeigen aber von diesem doch manche sehr wesentliche Unterschiede. Es existieren bei ihnen nicht die strengen Aufnahmebedingungen.
Ferner fehlt in ihrer Organisation die Vereinigung und straffe Zentralisierung der Ortsvereine eines Gewerkes in einem Landesgewerkverein unter einem den Verein dirigierenden Vorstand. Ihre Organisation baut sich auf den Berufsvereinen der einzelnen Orte (Ortsvereine) auf. Diese Ortsvereine sind neben Zentralrat und Anwaltschaft die Hauptorgane. Jeder Ortsverein wählt seinen Vorstand und Ausschuß und verwaltet seine Angelegenheiten und Kassen ganz selbständig.
Mehrere Ortsvorstände eines bestimmten Berufs bilden einen Gewerkverein. Die Ortsvereine eines Ortes bilden einen Ortsverband. Alle Gewerkvereine und selbständigen Ortsvereine bilden zusammen den Verband [* 8] der deutschen Gewerkvereine (Hirsch-Duncker), dessen Organe der Verbandstag (Abgeordnete der verbundenen Gewerkvereine und selbständigen Ortsvereine), der Zentralrat als zentrales Verwaltungsorgan, der Anwalt (jetzt Hirsch) und die Ortsverbände sind. Ein weiterer Unterschied ist, daß für die verschiedenen Unterstützungszwecke streng gesonderte Kassen bestehen, der praktisch wichtigste aber, daß eine Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (die ¶
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Hauptunterstützung der englischen Gewerkvereine) nur von ganz wenigen Vereinen und in geringem Maß gewährt wird. Die Unterstützungen der Gewerk- und Ortsvereine beschränken sich wesentlich auf die Krankenunterstützung (26 Wochen lang, je nach dem Beruf 15-24 Mk. pro Woche) und die Begräbnisunterstützung. Daneben besteht (seit eine Verbandsinvalidenkasse, zu welcher alle Gewerk- und Ortsvereine außer dem Gewerkverein der deutschen Maschinenbau- und Metallarbeiter sich vereinigt haben.
Dieser Verein, überhaupt der bedeutendste der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine (1886 über 11,000 Mitglieder mit 250 Ortsvereinen, Vermögen ca. 200,000 Mk.), hat seine eigne Invalidenkasse. Dieselbe gewährt jetzt den Mitgliedern bei eintretender dauernder Erwerbsunfähigkeit nach fünfjähriger Karenzzeit eine einmal zu zahlende Unterstützungssumme in der Höhe, wie sich ein Mitglied versichert hat: 225 Mk., resp. 450 Mk., resp. 900 Mk. Beiträge pro Woche im Eintrittsalter bis zu 30 Jahren 5, resp. 10, resp. 20 Pf., im Eintrittsalter von 30-40 Jahren 8, resp. 15, resp. 30 Pf., im Eintrittsalter von 40-45 Jahren 10, resp. 20, resp. 40 Pf. Die Verbandsinvalidenkasse gewährt bei wöchentlichen Beiträgen von 14-47 Pf. (je nach dem Alter des Eintritts) eine Invalidenpension von 2,25 Mk. pro Woche.
Diese Gewerkvereine haben in den letzten Jahren einen starken Aufschwung genommen: im J. 1886 an ca. 600 Orten in 1029 Ortsvereinen über 51,000 Mitglieder gegen ca. 20,000 Mitglieder an 270 Orten in 521 Ortsvereinen im J. 1881. Hervorzuheben sind die verdienstlichen Bestrebungen, namentlich auch des Anwalts, zur Verhinderung von Streiks, zur Ausgleichung von Streitigkeiten zwischen Arbeitern und ihren Arbeitgebern, zur Erleichterung des Arbeitsnachweises, zur Herbeiführung einer Arbeitsstatistik, zur Gewährung von Reiseunterstützungen, zur Vertretung der Arbeiterrechte bei der Gesetzgebung und Verwaltung wie in der Öffentlichkeit überhaupt, zur Hebung [* 10] der Arbeiter in moralischer und intellektueller Hinsicht etc. Eine Sonderstellung nehmen die beiden Gewerkvereine der Buchdrucker (seit 1878 Unterstützungsverein deutscher Buchdrucker, im J. 1885 ca. 12,000 Mitglieder gegen 5000 Nichtverbandsbuchdrucker) und der Hutmacher ein; beide sind nach der Art der englischen Gewerkvereine zentralisiert und unterstützen außer Kranken, Invaliden etc. auch Arbeitslose.
Frankreich, Italien, Nordamerika.
In Frankreich war die bisherige restriktive Vereinsgesetzgebung der erfolgreichen Wirksamkeit von Gewerkvereinen, Arbeitersyndikaten (syndicats ouvriers, professionnels etc.) hinderlich. Erst durch Gesetz vom sind das Associationsverbot (Gesetz vom 14.-17. Juni 1791) und der Art. 416 des Code pénal aufgehoben und die Gründung von gewerblichen Associationen, auch von Gewerkvereinen, mit einigen Beschränkungen freigegeben (die Syndikate sind unter anderm nur verpflichtet, ihre Statuten einzureichen, die Namen der Mitglieder, der Vorsteher etc. anzugeben, haben aber dann das Recht der juristischen Person).
Eigentliche Gewerkvereine entstanden erst nach Aufhebung der Koalitionsverbote (1864), von der liberalen kaiserlichen Regierung geduldet, seit 1867; ihre Zahl war aber nur eine geringe, ihre Thätigkeit eine verhältnismäßig unbedeutende. Größer wurde die Zahl und erheblicher die Wirksamkeit seit 1872. Von den englischen und deutschen unterscheiden sie sich sehr wesentlich dadurch, daß sie das eigentliche Hilfskassenwesen bisher nicht zu ihrem unmittelbaren Wirkungskreis rechneten (die ausführliche Geschichte der französischen Gewerkvereine bei Lexis, s. Litteratur). - In Italien [* 11] sind Gewerkvereine seit dem Anfang der 70er Jahre entstanden, der bedeutendste ist der der italienischen Buchdrucker. Eine Enquete im J. 1881 konstatierte damals ca. 400 Gewerkvereine. - In den Vereinigten Staaten [* 12] von Nordamerika [* 13] hat die Gewerkvereinsbewegung durch die eigentümlichen, für die Arbeiter im allgemeinen günstigern Verhältnisse der dortigen Volkswirtschaft einen besondern Charakter.
Die dortigen Gewerkvereine (trades' unions, Gewerkschaften) konzentrierten und beschränkten ihre Bestrebungen wesentlich nur auf die Erzielung günstiger Arbeitsbedingungen, insbesondere Verkürzung der Arbeitszeit und Erhöhung des Arbeitslohns, waren deshalb zumeist nur Kampfvereine und häufig nur temporäre Vereine. Nur ganz wenige hatten und haben Unterstützungskassen, außer für Streiks. Bei den Gewerkvereinen, welche ausnahmsweise auch Kranken- und andre Unterstützungen gewähren, existieren dafür besondere Kassen neben der Gewerkvereinskasse, und der Zutritt zu jenen Kassen steht den Vereinsmitgliedern gegen Bezahlung besonderer Beiträge frei.
Die ersten Gewerkvereine entstanden in den 30er und 40er Jahren, es waren aber nur lokale Vereine, die meisten nicht von langer Dauer. Erst in den 50er Jahren bildeten sich auch nationale (auf mehrere Orte sich erstreckende) und internationale (auch über Kanada sich erstreckende) Gewerkvereine, viele gingen in der Krisis von 1873 bis 1879 zu Grunde. Seit 1880 ist ein neuer Aufschwung wahrzunehmen. Nach einer Statistik von 1885 (bei Sartorius, s. Litteratur) existierten im Januar 1885: 15 nationale und 26 internationale Gewerkvereine mit 434,550 Teilnehmern. Daneben bestehen aber noch zahlreiche lokale Gewerkvereine (mit ca. 75,000 Mitgliedern) und außerdem allgemeine teils lokale, teils über das Land einheitlich organisierte und zentralisierte Arbeiterverbände (der bedeutendste die »Ritter der Arbeit, knights of labor«, seit 1869, ca. 600,000 Mitglieder) mit ähnlichen Bestrebungen wie die Gewerkvereine. Die achtstündige Arbeitszeit ist jetzt auch dort das Hauptziel der Arbeiterbestrebungen.
Vgl. L. Brentano, Die Arbeitergilden der Gegenwart (Leipz. 1871-72, 2 Bde.);
Derselbe, Das Arbeitsverhältnis gemäß dem heutigen Recht (das. 1877);
Crompton, Industrial conciliation (Lond. 1876);
Schönberg, Die (in der Tübinger »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft« 1871);
Holyoake, History of the cooperation in England (3. Aufl., Lond. 1885, 2 Bde.);
H. Polke, Die deutschen Gewerkvereine (Stuttg. 1879);
Max Hirsch, Was bezwecken die G.? (8. Aufl., Berl. 1885);
Derselbe, Die Perle der deutschen Gewerkvereine (3. Aufl., das. 1880);
Derselbe, Die deutschen Gewerkvereine und ihr neuester Gegner (das. 1879);
Walcker, Die Arbeiterfrage mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Gewerkvereine (Eisenach [* 14] 1881);
»Zur Arbeiterversicherung. Geschichte und Wirken eines deutschen Gewerkvereins 1866-81« (Leipz. u. Stuttg. 1882);
W. Lexis, Gewerkvereine und Unternehmerverbände in Frankreich (Leipz. 1879);
Farnam, Die amerikanischen Gewerkvereine (das. 1878);
A. v. Studnitz, Amerikanische Arbeiterverhältnisse (das. 1877);
A. Sartorius v. Waltershausen, Die nordamerikanischen Gewerkschaften etc. (Berl. 1886).