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1797 bis 1814 die französische Gesetzgebung eingeführt worden war, diese zumeist nach 1815 wieder beseitigt, und bis 1860 bestand in denselben fast überall ein System der Gewerbeunfreiheit, bei dem allerdings in einer Reihe von Staaten viele Mißstände des frühern Rechtszustandes beseitigt und zum Teil nicht unerhebliche Modifikationen im Sinn der Gewerbefreiheit vorgenommen wurden. Seit dem Ende der 50er Jahre trat allgemein eine entschiedene Strömung zu gunsten der Gewerbefreiheit hervor, und dieselbe fand eine kräftige Unterstützung durch die Einführung der Gewerbefreiheit in Österreich [* 2] 1859 (Gewerbeordnung vom 20. Dez.). Neue auf der Gewerbefreiheit, zum Teil einer sehr weiten, beruhende Gewerbeordnungen wurden erlassen: 1860 in Nassau, 1861 in Bremen, [* 3] Oldenburg, [* 4] Sachsen, [* 5] 1862 in Württemberg, [* 6] Sachsen-Weimar, Meiningen, [* 7] Waldeck, [* 8] Baden, [* 9] 1863 in Koburg-Gotha, Altenburg, [* 10] Reuß [* 11] j. L., 1864 in Braunschweig, [* 12] 1865 in Hamburg, [* 13] Frankfurt [* 14] a. M., Schwarzburg-Rudolstadt, 1866 in Schwarzburg-Sondershausen, Lübeck. [* 15] Alle diese Gesetze waren nicht von langer Dauer. Die Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs setzte neue an ihre Stelle. Der Norddeutsche Bund betrachtete die neue einheitliche Regelung des Gewerbewesens als eine seiner ersten Aufgaben. Nach Erlaß des Freizügigkeitsgesetzes vom erging das sogen. Notgewerbegesetz vom für den stehenden Gewerbebetrieb, welches die Gewerbefreiheit für diejenigen Staaten des Norddeutschen Bundes, in denen dieselbe noch nicht bestand, herbeiführte, und auf Grund einer sehr weit gehenden Gewerbefreiheit regelte dann einheitlich die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom neu das gesamte Gewerbewesen. Dies Gesetz wurde nach der Gründung des Deutschen Reichs Reichsgesetz und trat in sämtlichen Bundesstaaten, mit Ausnahme von Elsaß-Lothringen, [* 16] wo nur § 29 eingeführt, im übrigen aber das frühere französische Recht mit einigen landesgesetzlichen Modifikationen beibehalten wurde, in Kraft. [* 17] In Bayern [* 18] war 1868 durch Gesetz vom 30. Jan. die Gewerbefreiheit eingeführt worden.
[Österreich. Übrige Staaten.]
In Österreich hatte die Gewerbeordnung von 1859 das Gewerberecht im großen und ganzen ähnlich wie die spätere deutsche Gewerbeordnung von 1869 geregelt. Nur in einem Hauptpunkt waren die Gesetzgebungen verschieden; die österreichische behielt Zwangsinnungen, sog. Genossenschaften, bei, ohne daß jedoch mit denselben praktische Erfolge erzielt wurden. Durch die neue Gewerbeordnung vom wurde die 1859 eingeführte Gewerbefreiheit mehrfach eingeschränkt und eine neue Organisation der Zwangsinnungen mit weitergehenden (teils obligatorischen) Aufgaben und Befugnissen ins Leben gerufen (s. Innungen).
Das Ziel derselben geht dahin, dem Kleingewerbe mehr Schutz zu bieten und die Lage des Handwerkerstandes zu verbessern. Die Gewerbe werden unterschieden in handwerksmäßige, konzessionierte und freie. Als handwerksmäßige Gewerbe gelten diejenigen, bei denen es sich um Fertigkeiten handelt, welche die Ausbildung im Gewerbe durch Erlernung und längere Verwendung in demselben erfordern, und für welche die Ausbildung in der Regel ausreicht. Handelsgewerbe (im engern Sinn), fabrikmäßig betriebene Unternehmungen und die Hausindustrie sind von der Einreihung in die vorläufig im Verordnungsweg zu bestimmenden handwerksmäßigen Gewerbe ausgenommen.
Für den selbständigen Betrieb solcher Gewerbe ist der Befähigungsnachweis sowie eine bestimmte Lehrlings- sowie Gesellenzeit vorgeschrieben. Doch kann von einem solchen in besondern Fällen dispensiert werden, insbesondere, wenn es sich um den Übergang von einem Gewerbe zu einem andern verwandten Gewerbe oder um den gleichzeitigen Betrieb verwandter Gewerbe handelt. Als konzessionierte Gewerbe werden diejenigen behandelt, bei denen öffentliche Rücksichten die Notwendigkeit begründen, die Ausübung derselben von einer besondern Bewilligung abhängig zu machen.
Die Zahl der konzessionierten Gewerbe wurde erhöht, so daß denselben jetzt 21 verschiedene Gewerbegruppen angehören. Außer den zum selbständigen Gewerbebetrieb für alle Gewerbe vorgeschriebenen Bedingungen wird für dieselben ohne Ausnahme Verläßlichkeit und für die Mehrzahl der Nachweis einer besondern Befähigung vorgeschrieben. In allen Fällen ist die Verleihung einer Konzession davon abhängig, daß vom Standpunkt der Sicherheits-, Sittlichkeits-, Gesundheits-, Feuer- oder Verkehrspolizei kein Anstand gegen den beabsichtigten Gewerbebetrieb obwaltet.
Für Gast- und Schankgewerbe wird noch Unbescholtenheit des Bewerbers gefordert und soll auf das Bedürfnis der Bevölkerung, [* 19] Eignung des Lokals und Möglichkeit polizeilicher Überwachung Rücksicht genommen werden. Frei sind alle Gewerbe, welche nicht besonders als handwerksmäßige oder konzessionierte bezeichnet werden. Für den Kleinverkauf von Waren, welche zu den notwendigsten Gegenständen des täglichen Unterhalts gehören, dann für Transport- und Platzdienstgewerbe etc. können je für einen Gemeindebezirk Maximaltarife festgesetzt werden.
Für Bäcker, Fleischer, Rauchfangkehrer, Kanalräumer und Transportgewerbe besteht Betriebspflicht, sie haben eine beabsichtigte Betriebseinstellung vier Wochen vorher der Gewerbebehörde anzuzeigen. Trödler- und Pfandleihgewerbe können im Weg der Verordnung besonderer polizeilicher Kontrolle unterstellt werden. Weitere Änderungen brachte das Gesetz vom welches die Betriebsfreiheit wesentlich einschränkte und den Arbeitern einen sehr weitgehenden Schutz gewährte (vgl. Fabrikgesetzgebung, S. 1002).
Auch in fast allen andern Kulturstaaten hat sich in neuerer Zeit die Gewerbefreiheit (mit größern und geringern Beschränkungen) Bahn gebrochen. Sie besteht im heutigen Belgien [* 20] schon seit der Vereinigung des Landes mit Frankreich im J. 1795, in Holland seit 1819, in Spanien [* 21] seit 1813 (zeitweise wieder aufgehoben gewesen), in Norwegen [* 22] seit 1839, in Schweden seit 1846, in Dänemark [* 23] seit 1862, in der Schweiz [* 24] in einzelnen Kantonen seit uralter Zeit, in den meisten schon vor 1848, allgemein nach der Bundesverfassung von 1848, ebenso in Italien, [* 25] Portugal, Griechenland, [* 26] Rumänien. [* 27] In Rußland herrscht die Gewerbefreiheit schon seit Katharina II., in England thatsächlich, wenn auch nicht rechtlich, schon seit dem 18. Jahrh.; die formelle Aufhebung der alten Beschränkungen erfolgte 1814 und 1835. Für die nordamerikanische Union verkündete schon die Deklaration der Menschenrechte vom die Gewerbefreiheit.
Die Gewerbeordnung im Deutschen Reich.
Die im Deutschen Reiche geltende Gewerbegesetzgebung umfaßt eine größere Zahl von Gesetzen. Das Hauptgesetz ist die Gewerbeordnung von 1869, die andern Gesetze sind teils solche, welche die Gewerbeordnung abändern, teils solche, welche sie ergänzen. Mit wenigen Ausnahmen ist die Tendenz der erstern, der individuellen Freiheit im öffentlichen Interesse engere Schranken zu ziehen oder die Arbeiterinteressen besser ¶
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zu fördern und zu wahren; die letztern betreffen im wesentlichen Gegenstände, welche mit der allgemeinen Gewerbeordnung noch nicht gleichzeitig erledigt werden konnten oder schon im Weg der Spezialgesetzgebung erledigt waren. Die abändernden Gesetze sind: das Gesetz vom betreffend die Abänderung einiger Strafbestimmungen der Gewerbeordnung;
das Gesetz vom betreffend gewerbliche Anlagen;
die Gesetze vom 7. und betreffend gewerbliche Hilfskassen (Titel 7 der Gewerbeordnung);
das Gesetz vom betreffend den Gewerbebetrieb der Maschinisten auf Seedampfschiffen;
die sogen. Gewerbeordnungsnovelle vom welche Titel 7 der Gewerbeordnung ersetzte, mit den auf Grund der im § 139 a ergangenen Verordnungen des Bundesrats (zwei vom vom vom
das Gesetz vom betreffend die Unternehmer von privaten Heilanstalten, die Gast- und Schankwirtschaft und den Branntweinkleinhandel und das Pfandleihgewerbe;
das Gesetz vom betreffend die Schauspielunternehmen;
das Gesetz vom betreffend Krankenversicherung der Arbeiter;
das Gesetz vom betreffend insbesondere den Gewerbebetrieb im Umherziehen;
das Gesetz vom betreffend die Anfertigung von Zündhölzern;
das Gesetz vom betreffend die Abänderung des Gesetzes über eingeschriebene Hilfskassen vom
das Gesetz vom gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen;
das Unfallversicherungsgesetz vom
das Gesetz vom betreffend den Feingehalt der Gold- und Silberwaren;
das Gesetz vom betreffend die Ergänzung des § 100 e (Halten von Lehrlingen);
das Gesetz vom betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter;
das Gesetz vom betreffend die Ausdehnung [* 29] der Unfall- und Krankenversicherung, sowie das Gesetz, betreffend die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen, vom Zu den die Gewerbeordnung ergänzenden Gesetzen sind zu rechnen: das Patentschutzgesetz vom
das Gesetz vom betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste;
das Photographienschutzgesetz vom
das Gesetz vom betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen;
das Fischereigewerbegesetz vom
das Gesetz vom betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften;
Die allgemeinen Bestimmungen der Gewerbeordnung (Titel 1) stellen an die Spitze den Satz, daß der Betrieb eines Gewerbes jedermann gestattet ist, soweit nicht durch Reichsgesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind. Jeder Unterschied zwischen Stadt und Land in Bezug auf den Gewerbebetrieb und dessen Ausdehnung ist aufgehoben. Der gleichzeitige Betrieb verschiedener Gewerbe sowie desselben Gewerbes in mehreren Betriebs- oder Verkaufsstätten ist gestattet.
Eine Beschränkung der Handwerker auf den Verkauf selbstgefertigter Waren findet nicht statt. Den Zünften, Innungen, kaufmännischen Korporationen steht ein Recht, andre von dem Betrieb eines Gewerbes auszuschließen, nicht zu. Alle ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, Zwangs- oder Bannrechte, Realgewerbeberechtigungen sind aufgehoben und können nicht mehr begründet werden. Das Geschlecht, das Glaubensbekenntnis und die Staatsangehörigkeit begründen keinen Unterschied in der Gewerbeberechtigung.
Der Gewerbebetrieb ist in keiner Gemeinde und in keinem Gewerbe von dem Besitz des Bürgerrechts abhängig, jedoch kann, wo dies in der betreffenden Gemeindeverfassung begründet ist, die Verpflichtung zum Erwerb desselben binnen drei Jahren ausgesprochen werden. Der Gewerbebetrieb bleibt jedoch allen in den Gesetzen begründeten oder auch örtlich geltenden Polizeivorschriften sowie den durch Zoll-, Steuer- und Postgesetze im fiskalischen Interesse ausgesprochenen Beschränkungen unterworfen.
Die deutsche Gewerbegesetzgebung unterscheidet zwischen stehendem Gewerbebetrieb und Gewerbebetrieb im Umherziehen. Bei stehendem Gewerbebetrieb ist 1) das Recht auf den selbständigen Betrieb im allgemeinen nur an die Verpflichtung der Anzeige des zu beginnenden Gewerbes bei der nach den Landesgesetzen zuständigen lokalen Behörde geknüpft. Eine solche Gewerbeanmeldung hat auch durch diejenigen zu erfolgen, welche zum Gewerbebetrieb im Umherziehen befugt sind. Die Behörde bescheinigt den Empfang der Anzeige durch Erteilung des Gewerbeanmeldescheins. (Feuerversicherungsagenten müssen außerdem der Behörde ihres Wohnortes Anzeige machen, und Buch- und Steindrucker, Buch- und Kunsthändler, Antiquare, Leihbibliothekare, Inhaber von Lesekabinetten, Verkäufer von Druckschriften, Zeitungen und Bildern müssen ihr Gewerbelokal angeben.) Ausnahmen bestehen für folgende Gewerbe: für Ärzte und Apotheker ist erforderlich Prüfung und Approbation, für Hebammen, Seeschiffer, Seesteuerleute, Maschinisten der Seedampfschiffe, Lotsen Prüfung, für den Betrieb des Hufbeschlaggewerbes kann durch die Landesgesetzgebung Prüfung vorgeschrieben werden;
konzessionspflichtig sind die Herstellung und der Vertrieb von Sprengstoffen, Unternehmer von Privatkranken-, Privatentbindungs- und Privatirrenanstalten, Apotheken, Schauspielunternehmer, der Betrieb von Gastwirtschaft, Schankwirtschaft oder Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus, [* 30] die gewerbsmäßige Veranstaltung von Singspielen, Gesangs- und deklamatorischen Vorträgen, Schaustellungen von Personen oder von theatralischen Vorstellungen, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet, das Pfandleihgewerbe und das gewerbsmäßige öffentliche Verbreiten von Druckschriften oder andern Schriften oder Bildwerken;
außerdem können Landesgesetze den Handel mit Giften, das Lotsengewerbe und das Gewerbe der Markscheider konzessionspflichtig machen;
in einer Reihe von Gewerben (darunter Erteilung von Tanz-, Turn- und Schwimmunterricht, Betrieb von Badeanstalten, Trödelhandel, gewerbsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten, Gesindevermieter, Stellenvermittler, Auktionatoren etc.) ist der Betrieb zu untersagen, wenn Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbtreibenden in Bezug auf seinen Gewerbebetrieb darthun.
Handlungsreisende bedürfen einer Legitimationskarte. Das Gewerbe der Feldmesser, der Auktionatoren, derjenigen, welche den Feingehalt edler Metalle oder die Beschaffenheit, Menge oder richtige Verpackung von Waren irgend einer Art feststellen, darf zwar frei betrieben werden; jedoch sind die verfassungsmäßig dazu befugten ¶