mit der Zeit werden daraus und aus der Rekrutierungsstatistik ebenso wichtige wie zuverlässige Folgerungen gezogen werden
können. Hieran reiht sich das
Studium der
Seuchen, ihrer
Ätiologie, die Verfolgung ihres Verbreitungswegs. Dies führt zur
Untersuchung der
Beschaffenheit des Trinkwassers, der
Boden- und
Flußverunreinigung, der
Entfernung der Abfallstoffe. Ebenso
liegt Abwehr gegen Entstehung und Verbreitung der
Viehseuchen ob, Untersuchung des Schlachtviehs vor und
nach dem
Schlachten;
[* 2] ferner Überwachung des Impfgeschäfts, des Apothekerwesens, der
Geheimmittel und vor allem
Verordnungen
gegen die
Verfälschung von
Nahrungsmitteln.
Für die Beratung spezieller
Fragen hat das Gesundheitsamt sich durch eine Anzahl außerordentlicher beratender Mitglieder kooptiert,
welche von dem
Direktor zu kollegialen
Plenarsitzungen zusammenberufen werden sollen. Über die bisherige
Thätigkeit des Gesundheitsamts vgl. die wöchentlich erscheinenden
»Berichte aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt« sowie »Mitteilungen
aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt« (Berl. 1881, 1884 und 1886), welche die im G.
ausgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen enthalten. In mehreren größern
Städten sind neuerdings Ortsgesundheitsämter
errichtet worden, welche den Ortsbehörden in Angelegenheiten der öffentlichen
Gesundheitspflege beratend
zur Seite stehen.
obrigkeitliche Bescheinigung, daß eine
Person oder
Ware aus einer Gegend komme, welche von keiner
ansteckenden
Krankheit heimgesucht sei. Vgl.
Quarantäne.
öffentliche (Gesundheitspolizei), der Inbegriff alles dessen, was zum
Zweck der
Erhaltung undFörderung
der
Gesundheit eines
Volkes oder einer Bevölkerungsgruppe geschieht. Die ö. Gesundheitspflege ruht auf der
Basis derjenigen
Wissenschaft,
welche als öffentliche Gesundheitslehre oder als öffentliche
Hygieine bezeichnet wird; sie ist die praktische Bethätigung
der
Regeln und Vorschriften, welche die öffentliche Gesundheitslehre auf wissenschaftlichem Weg zu entwickeln und festzustellen
hat.
Die ö. Gesundheitspflege ist ein Gegenstand von ganz eminenter Bedeutung und von der allergrößten
praktischen Tragweite. Die Überzeugung hiervon beginnt sich nach und nach auch in weitern
Kreisen mächtig
Bahn zu brechen,
wenn wir vorläufig auch noch weit davon entfernt sind, daß alle Gesellschaftskreise zu dieser für ihr Wohlergehen so wichtigen
Erkenntnis gekommen wären. Denn während die im
Interesse der öffentlichen
Gesundheit angeordneten Maßregeln
noch vielfach als überflüssig, ja als lästiger
Zwang und als Beschränkung der persönlichen
Freiheit des Einzelnen empfunden
werden, fehlt es anderwärts an der rechten
Teilnahme, an
Interesse und Verständnis für das, was auf die
Forderung des Volksgesundheitswesens
Bezug hat.
Namentlich der letztere Umstand, der Mangel an
Interesse und Verständnis, ist für die
Entwickelung des öffentlichen Gesundheitswesens
jederzeit das schwerste Hemmnis gewesen, und vielfach ist das
Interesse dafür erst mit dem
Augenblick geweckt worden, wo das
Individuum mit seinem Geldbeutel zur Einführung sanitärer Maßregeln dieser oder jener Art in Anspruch
genommen werden mußte. Gleichwohl ist die öffentliche
Gesundheit ein überaus wichtiger
Faktor nicht bloß für die Wohlfahrt
des
Individuums, sondern auch für das gesamte staatliche und wirtschaftliche
Leben.
Allerdings hat jeder
Mensch zunächst für seine eigne und für die
Gesundheit derer zu sorgen, welche seiner Obhut unmittelbar
anvertraut sind (private
Hygieine).
Allein er vermag dies nur insofern mit Erfolg zu thun, als es sich
um solche schädliche Einwirkungen auf den
Organismus handelt, gegen welche der Einzelne ihrer
Natur nach überhaupt anzukämpfen
vermag. Es gibt aber zahlreiche Krankheitsursachen, welche hervorgehen aus dem Zusammenleben der
Menschen, aus den jeweilig
herrschenden gesellschaftlichen Einrichtungen und aus der besondern
Stellung, welche der Einzelne in der
Gesellschaft einnimmt.
Solche Krankheitsursachen bedrohen die öffentliche
Gesundheit, weil jedes
Glied der
[* 4]
Gesellschaft ihnen ausgesetzt ist, solange
es eben einem bestimmten sozialen
Verband
[* 5] angehört. Solchen aus dem
Boden des sozialen
Lebens hervorsprossenden Schädlichkeiten
steht der Einzelne ohnmächtig gegenüber. Hier muß die Gesamtheit, die
Korporation, die
Gemeinde, der
Staat helfend eintreten. In letzter
Linie ist es immer der
Staat, welcher nicht bloß die
Pflicht, sondern auch das
Interesse
hat, sich der öffentlichen Gesundheitspflege anzunehmen.
Das
Interesse des
Staats an der öffentlichen Gesundheitspflege hängt zusammen mit der nationalökonomischen Bedeutung der
Gesundheit seiner
Bürger. Auf der
Gesundheit beruht die geistige und wirtschaftliche Produktionskraft des
Einzelnen wie des ganzen
Volkes. Mit der
Kraft
[* 6] und
Gesundheit steigt und sinkt die Erwerbsfähigkeit des
Individuums. Der Kranke
leistet nichts für die Gesamtheit, er wird häufig sogar zu einem störenden und lästigen
Element für diese.
Mit der Häufigkeit und Ausbreitung der
Krankheiten geht eine hohe
SterblichkeitHand
[* 7] in
Hand. Zahlreiche
Individuen verfallen dem
Tod, bevor sie noch zur vollen
Entwickelung ihrer Produktionskraft gelangt sind; ihre Auferziehung
erfolgte auf
Kosten des Gemeinwesens, für welches sie gleichwohl wegen ihres frühen
Todes nichts zu leisten vermögen. Der
Staat erleidet also durch
Krankheiten und
Tod einen Verlust an
Kräften, welche zur
Förderung des allgemeinen
Wohlstandes mitzuwirken berufen gewesen wären.
Die
Pflicht des
Staats, sich der öffentlichen Gesundheitspflege anzunehmen, ergibt sich daraus, daß der Einzelne, indem er
einer
Gemeinschaft beitritt, bis zu einem gewissen
Grade die Möglichkeit verliert,
Herr seiner
Gesundheit zu
bleiben und sich gewisser seine
Gesundheit bedrohenden Schädlichkeiten zu erwehren. Namentlich wird er sich der Einwirkung
solcher krank machenden Einflüsse nicht zu entziehen vermögen, welche durch das Zusammenleben der
Menschenan sich, durch
die jeweilig gegebenen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und vorzugsweise durch seine besondere
Stellung im
Staat
oder in der
Korporation bedingt sind. Je mehr daher das
Individuum aus irgend einem
Grund in seiner
Freiheit
durch das Gemeinwesen beschränkt ist, und je mehr dasselbe vermöge seiner sozialen
Stellung gesundheitswidrigen Einflüssen
ausgesetzt ist, um so mehr hat die
Verwaltung der öffentlichen Gesundheitspflege die
Pflicht, sich dieses
Individuums in Rücksicht
auf seine
Gesundheit anzunehmen, schützend und fördernd für dieselbe einzutreten.
Das Gebiet, auf welchem die ö. Gesundheitspflege ihre Thätigkeit zu entwickeln hat, ist ein so universelles, daß
jede Art meteorologischer, tellurischer Einwirkungen auf den
Menschen, seine
Wohnung,
Ernährung, seine Bekleidung, seine gewerbliche
Thätigkeit mit all ihren gesundheitsschädigenden
Momenten, die
Gefahren, denen er durch gifthaltige
Möbel,
[* 8] Tapeten,
Kunst- und Schmuckgegenstände ausgesetzt ist, die Vorbeugungsmaßregeln gegen
Menschen- und Tierseuchen
¶
mehr
und zahlreiche andre Vorkommnisse unter den Gesichtspunkt der öffentlichen Gesundheitspflege fallen. Nur einzelnes kann deshalb
hier hervorgehoben werden.
Da die Seuchen auf einem Ansteckungsstoff beruhen, welcher, in den menschlichen Organismus
verpflanzt, diesen erkranken macht, so wird die höchste Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege immer darin zu suchen
sein, daß die Entstehung und Vermehrung jener Ansteckungsstoffe nach Kräften verhütet werde. Die Medien, an welche bei weitem
die meisten Ansteckungsstoffe gebunden sind, und von wo aus sie in den menschlichen Organismus gelangen können, sind der
Boden, das Wasser und die Luft. In diesen Medien entwickeln sich aber die betreffenden Ansteckungsstoffe
nur dann, wenn sie verunreinigt werden durch organische Substanzen, welche in Zerfall und Fäulnis übergehen.
Nicht bloß die Leichen der Menschen und Tiere sowie absterbende und faulende Pflanzenteile, sondern auch die menschlichen Abfallstoffe,
namentlich die Kotmassen, ferner die beim Wirtschafts- und Fabrikbetrieb entstehenden Schmutzflüssigkeiten muß man demnach
in einer Weise zu entfernen und umzuwandeln suchen, daß eine gefährliche Verunreinigung des Bodens, des
Wassers und der Luft dabei nicht eintreten kann. Bei Fabriken, welche schädliche Gase
[* 10] produzieren, muß durch zweckmäßige
Lage der Gebäude zu Wohnhäusern, durch hohe Schornsteine etc. für hinreichende Ventilation gesorgt werden. (Vgl. § 16 der
Gewerbeordnung.) Ferner hat die ö. Gesundheitspflege zu sorgen für zweckmäßige Auswahl und Anlegung der Begräbnisplätze,
für die Art der Entfernung der menschligen ^[richtig: menschlichen] Fäkalstoffe (eine Frage, welche in den letzten Jahren
in der lebhaftesten Weise erörtert worden ist und in dem Schlagwort: »Kanalisation oder Abfuhr« gipfelt), weiterhin für zweckmäßige
Einrichtung der Abtritte (Waterclosets, Erdklosette, s. Desinfektion),
[* 11] für die Einrichtung besonderer Schlachthäuser,
für Verhütung der Verunreinigung der Flüsse
[* 12] und Wasserbecken durch die Schmutzwasser der Fabriken etc. Beim Herannahen einer
Seuche sind umfangreiche und strenge Absperrungsvorsichtsmaßregeln (Quarantäne) sowohl im Land- als im Seeverkehr zu treffen;
jeder etwa entstandene Erkrankungsherd ist sofort zu isolieren.
Ist eine Seuche zum Ausbruch gekommen, so hat die ö. Gesundheitspflege durch Maßregeln rein polizeilicher Natur dafür zu sorgen, daß die
Krankheit auf einen möglichst kleinen Herd beschränkt werde. Zu diesem Zweck ordnet sie an, daß ein jeder Erkrankungsfall
sofort zur Anzeige kommt, nimmt je nach der Natur des der Seuche zu Grunde liegenden Ansteckungsstoffs eine
Absperrung der bereits Erkrankten vor oder unterwirft die der Krankheit Verdächtigen einer Quarantäne, richtet geeignete und
genügende Räume zur Aufnahme von Kranken, namentlich von armen und sonst hilfsbedürftigen, her, sorgt dafür, daß das erforderliche
Heil- und Wartepersonal zur Hand sei, daß die Leichen alsbald aus dem Bereich der Lebenden entfernt und
schnell beerdigt werden, daß alle etwa angehäuften Unreinigkeiten sofort entfernt werden etc.
Auch die Sorge für die Beschaffung guten Trinkwassers, die Beaufsichtigung der Brunnen,
[* 13] die Absperrung verdächtiger oder
notorisch verunreinigter Brunnen, die Beschaffung gesunder und ausreichender Nahrungsmittel
[* 14] für Ärmere bilden bei ausbrechenden
Epidemien eine Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege.
Ferner hat dieselbe darauf Bedacht zu nehmen, daß dicht belegte Wohnräume evakuiert, daß Gefangene, Hospitaliten und dergleichen
Personen aus dem Bereich eines etwa vorhandenen Ansteckungsherdes entfernt, die Schulen geschlossen werden
etc. Besondere Aufmerksamkeit
ist endlich der Desinfektion (s. d.) zuzuwenden, und alle sanitätspolizeilichen Maßregeln
der genannten Art sind um so dringender indiziert, wenn es sich um Personen handelt, die aus irgend einem
Grund ihrer freien Selbstbestimmung beraubt sind (Gefangene, Soldaten etc.). Endlich ist es auch Sache der öffentlichen Gesundheitspflege,
daß das Publikum beizeiten in geeigneter Weise darüber belehrt werde, wie sich der Einzelne bei dem etwanigen
Ausbruch einer Epidemie in sanitärer Beziehung zu verhalten habe, um der auch ihm drohenden Gefahr möglichst zu entgehen.
Bei einzelnen Seuchen kommt die Anwendung ganz spezifischer Schutzmittel in Frage, so namentlich bei den Pocken die einmalige
und wiederholte Impfung,
[* 15] wie sie für das Deutsche Reich
[* 16] durch das Reichsimpfgesetz von 1873 vorgeschrieben
ist. Eine andere die ö. Gesundheitspflege vielfach beschäftigende ansteckende Krankheit ist die Syphilis. Da es nicht in der Macht der Gesetzgebung
und Verwaltung steht, die Gelegenheitsursache zur syphilitischen Ansteckung, nämlich den unreinen Beischlaf, zu beseitigen,
so sieht sich die ö. Gesundheitspflege dieser Krankheit gegenüber darauf angewiesen, durch Regelung des Prostitutionswesens
in größern Städten, als Hauptquelle der Ansteckung, namentlich durch Errichtung obrigkeitlich kontrollierter Häuser (Bordelle)
oder durch strenge ärztliche Überwachung der Prostituierten selbst, die Gelegenheit zur Ansteckung auf ein Minimum zu reduzieren.
Ganz anders verhält es sich mit denjenigen (endemischen) Seuchen, welche nicht von Mensch zu Menschübertragen werden, sondern
auf einem Miasma, auf giftigen Bodenausdünstungen, beruhen (Wechselfieber, Sumpffieber). Hier hat die ö. Gesundheitspflege, da sie derKrankheit
selbst gegenüber machtlos ist, durch Vorbeugungsmaßregeln einzugreifen. Es handelt sich bei diesen Krankheiten darum, den
Boden von den Produkten der Verwesung und Fäulnis organischer (meist pflanzlicher) Substanzen zu befreien oder denselben doch
unter solche Bedingungen zu versetzen, daß dergleichen gefährliche Umsetzungen der abgestorbenen Organismen in ihm unmöglich
werden.
Dieser Zweck wird erreicht durch künstliche Entwässerung des Bodens (Drainierung), durch Trockenlegung von Sumpfstrecken,
durch Regulierung der Flußläufe etc. Um aber die Luft über solchem verdächtigen Boden zu verbessern und die in ihr enthaltenen
Miasmen zu zerstören, empfiehlt es sich, Baumpflanzungen anzulegen und überhaupt den Boden mit einer grünen Pflanzendecke
zu überziehen. Endlich sind noch die ansteckenden und auf Menschen übertragbaren Tierkrankheiten zu erwähnen (Hundswut, Milzbrand,
Rotz etc.). Dieselben stellen an die ö. Gesundheitspflege ganz ähnliche Aufgaben
wie die Seuchen überhaupt. Nur ist hier die Handhabung der sanitätspolizeilichen Maßregeln eine viel
leichtere und im allgemeinen auch sicherere, weil durch sofortige Tötung der kranken oder verdächtigen Tiere die Quelle
[* 17] der
Ansteckung alsbald abgeschnitten werden kann.
[Marktpolizei.]
Auch auf die Nahrungsmittel, das Trinkwasser, die Genußmittel (Bier, Wein etc.) hat demnächst die ö. Gesundheitspflege sich
zu erstrecken. Zwar hat jeder Mensch zunächst selbst zu entscheiden, was ihm von Speisen und Getränken
nützlich oder schädlich ist, und hat demnach sein Verhalten einzurichten. Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege aber
ist es, darüber zu wachen, daß die zum Leben unentbehrlichen Nahrungs- und Genußmittel in einer der Gesundheit unschädlichen
Gestalt, unverfälscht und unverdorben, dem Publikum zugänglich gemacht werden. Dies ist im wesentlichen
die Aufgabe der
¶