mit der Zeit werden daraus und aus der Rekrutierungsstatistik ebenso wichtige wie zuverlässige Folgerungen gezogen werden
können. Hieran reiht sich das Studium der Seuchen, ihrer Ätiologie, die Verfolgung ihres Verbreitungswegs. Dies führt zur
Untersuchung der Beschaffenheit des Trinkwassers, der Boden- und Flußverunreinigung, der Entfernung der Abfallstoffe. Ebenso
liegt Abwehr gegen Entstehung und Verbreitung der Viehseuchen ob, Untersuchung des Schlachtviehs vor und
nach dem Schlachten; ferner Überwachung des Impfgeschäfts, des Apothekerwesens, der Geheimmittel und vor allem Verordnungen
gegen die Verfälschung von Nahrungsmitteln.
Für die Beratung spezieller Fragen hat das Gesundheitsamt sich durch eine Anzahl außerordentlicher beratender Mitglieder kooptiert,
welche von dem Direktor zu kollegialen Plenarsitzungen zusammenberufen werden sollen. Über die bisherige
Thätigkeit des Gesundheitsamts vgl. die wöchentlich erscheinenden »Berichte aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt« sowie »Mitteilungen
aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt« (Berl. 1881, 1884 und 1886), welche die im G.
ausgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen enthalten. In mehreren größern Städten sind neuerdings Ortsgesundheitsämter
errichtet worden, welche den Ortsbehörden in Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheitspflege beratend
zur Seite stehen.
obrigkeitliche Bescheinigung, daß eine Person oder Ware aus einer Gegend komme, welche von keiner
ansteckenden Krankheit heimgesucht sei. Vgl. Quarantäne.
öffentliche (Gesundheitspolizei), der Inbegriff alles dessen, was zum Zweck der Erhaltung und Förderung
der Gesundheit eines Volkes oder einer Bevölkerungsgruppe geschieht. Die ö. Gesundheitspflege ruht auf der Basis derjenigen Wissenschaft,
welche als öffentliche Gesundheitslehre oder als öffentliche Hygieine bezeichnet wird; sie ist die praktische Bethätigung
der Regeln und Vorschriften, welche die öffentliche Gesundheitslehre auf wissenschaftlichem Weg zu entwickeln und festzustellen
hat.
Die ö. Gesundheitspflege ist ein Gegenstand von ganz eminenter Bedeutung und von der allergrößten
praktischen Tragweite. Die Überzeugung hiervon beginnt sich nach und nach auch in weitern Kreisen mächtig Bahn zu brechen,
wenn wir vorläufig auch noch weit davon entfernt sind, daß alle Gesellschaftskreise zu dieser für ihr Wohlergehen so wichtigen
Erkenntnis gekommen wären. Denn während die im Interesse der öffentlichen Gesundheit angeordneten Maßregeln
noch vielfach als überflüssig, ja als lästiger Zwang und als Beschränkung der persönlichen Freiheit des Einzelnen empfunden
werden, fehlt es anderwärts an der rechten Teilnahme, an Interesse und Verständnis für das, was auf die Forderung des Volksgesundheitswesens
Bezug hat.
Namentlich der letztere Umstand, der Mangel an Interesse und Verständnis, ist für die Entwickelung des öffentlichen Gesundheitswesens
jederzeit das schwerste Hemmnis gewesen, und vielfach ist das Interesse dafür erst mit dem Augenblick geweckt worden, wo das
Individuum mit seinem Geldbeutel zur Einführung sanitärer Maßregeln dieser oder jener Art in Anspruch
genommen werden mußte. Gleichwohl ist die öffentliche Gesundheit ein überaus wichtiger Faktor nicht bloß für die Wohlfahrt
des Individuums, sondern auch für das gesamte staatliche und wirtschaftliche Leben.
Allerdings hat jeder Mensch zunächst für seine eigne und für die Gesundheit derer zu sorgen, welche seiner Obhut unmittelbar
anvertraut sind (private Hygieine).
Allein er vermag dies nur insofern mit Erfolg zu thun, als es sich
um solche schädliche Einwirkungen auf den Organismus handelt, gegen welche der Einzelne ihrer Natur nach überhaupt anzukämpfen
vermag. Es gibt aber zahlreiche Krankheitsursachen, welche hervorgehen aus dem Zusammenleben der Menschen, aus den jeweilig
herrschenden gesellschaftlichen Einrichtungen und aus der besondern Stellung, welche der Einzelne in der
Gesellschaft einnimmt.
Solche Krankheitsursachen bedrohen die öffentliche Gesundheit, weil jedes Glied der Gesellschaft ihnen ausgesetzt ist, solange
es eben einem bestimmten sozialen Verband angehört. Solchen aus dem Boden des sozialen Lebens hervorsprossenden Schädlichkeiten
steht der Einzelne ohnmächtig gegenüber. Hier muß die Gesamtheit, die Korporation, die Gemeinde, der
Staat helfend eintreten. In letzter Linie ist es immer der Staat, welcher nicht bloß die Pflicht, sondern auch das Interesse
hat, sich der öffentlichen Gesundheitspflege anzunehmen.
Das Interesse des Staats an der öffentlichen Gesundheitspflege hängt zusammen mit der nationalökonomischen Bedeutung der
Gesundheit seiner Bürger. Auf der Gesundheit beruht die geistige und wirtschaftliche Produktionskraft des
Einzelnen wie des ganzen Volkes. Mit der Kraft und Gesundheit steigt und sinkt die Erwerbsfähigkeit des Individuums. Der Kranke
leistet nichts für die Gesamtheit, er wird häufig sogar zu einem störenden und lästigen Element für diese.
Mit der Häufigkeit und Ausbreitung der Krankheiten geht eine hohe Sterblichkeit Hand in Hand. Zahlreiche
Individuen verfallen dem Tod, bevor sie noch zur vollen Entwickelung ihrer Produktionskraft gelangt sind; ihre Auferziehung
erfolgte auf Kosten des Gemeinwesens, für welches sie gleichwohl wegen ihres frühen Todes nichts zu leisten vermögen. Der
Staat erleidet also durch Krankheiten und Tod einen Verlust an Kräften, welche zur Förderung des allgemeinen
Wohlstandes mitzuwirken berufen gewesen wären.
Die Pflicht des Staats, sich der öffentlichen Gesundheitspflege anzunehmen, ergibt sich daraus, daß der Einzelne, indem er
einer Gemeinschaft beitritt, bis zu einem gewissen Grade die Möglichkeit verliert, Herr seiner Gesundheit zu
bleiben und sich gewisser seine Gesundheit bedrohenden Schädlichkeiten zu erwehren. Namentlich wird er sich der Einwirkung
solcher krank machenden Einflüsse nicht zu entziehen vermögen, welche durch das Zusammenleben der Menschen an sich, durch
die jeweilig gegebenen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und vorzugsweise durch seine besondere Stellung im Staat
oder in der Korporation bedingt sind. Je mehr daher das Individuum aus irgend einem Grund in seiner Freiheit
durch das Gemeinwesen beschränkt ist, und je mehr dasselbe vermöge seiner sozialen Stellung gesundheitswidrigen Einflüssen
ausgesetzt ist, um so mehr hat die Verwaltung der öffentlichen Gesundheitspflege die Pflicht, sich dieses Individuums in Rücksicht
auf seine Gesundheit anzunehmen, schützend und fördernd für dieselbe einzutreten.
Das Gebiet, auf welchem die ö. Gesundheitspflege ihre Thätigkeit zu entwickeln hat, ist ein so universelles, daß
jede Art meteorologischer, tellurischer Einwirkungen auf den Menschen, seine Wohnung, Ernährung, seine Bekleidung, seine gewerbliche
Thätigkeit mit all ihren gesundheitsschädigenden Momenten, die Gefahren, denen er durch gifthaltige Möbel,
Tapeten, Kunst- und Schmuckgegenstände ausgesetzt ist, die Vorbeugungsmaßregeln gegen Menschen- und Tierseuchen
mehr
und zahlreiche andre Vorkommnisse unter den Gesichtspunkt der öffentlichen Gesundheitspflege fallen. Nur einzelnes kann deshalb
hier hervorgehoben werden.
[Die Volkskrankheiten oder Seuchen.]
Da die Seuchen auf einem Ansteckungsstoff beruhen, welcher, in den menschlichen Organismus
verpflanzt, diesen erkranken macht, so wird die höchste Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege immer darin zu suchen
sein, daß die Entstehung und Vermehrung jener Ansteckungsstoffe nach Kräften verhütet werde. Die Medien, an welche bei weitem
die meisten Ansteckungsstoffe gebunden sind, und von wo aus sie in den menschlichen Organismus gelangen können, sind der
Boden, das Wasser und die Luft. In diesen Medien entwickeln sich aber die betreffenden Ansteckungsstoffe
nur dann, wenn sie verunreinigt werden durch organische Substanzen, welche in Zerfall und Fäulnis übergehen.
Nicht bloß die Leichen der Menschen und Tiere sowie absterbende und faulende Pflanzenteile, sondern auch die menschlichen Abfallstoffe,
namentlich die Kotmassen, ferner die beim Wirtschafts- und Fabrikbetrieb entstehenden Schmutzflüssigkeiten muß man demnach
in einer Weise zu entfernen und umzuwandeln suchen, daß eine gefährliche Verunreinigung des Bodens, des
Wassers und der Luft dabei nicht eintreten kann. Bei Fabriken, welche schädliche Gase produzieren, muß durch zweckmäßige
Lage der Gebäude zu Wohnhäusern, durch hohe Schornsteine etc. für hinreichende Ventilation gesorgt werden. (Vgl. § 16 der
Gewerbeordnung.) Ferner hat die ö. Gesundheitspflege zu sorgen für zweckmäßige Auswahl und Anlegung der Begräbnisplätze,
für die Art der Entfernung der menschligen ^[richtig: menschlichen] Fäkalstoffe (eine Frage, welche in den letzten Jahren
in der lebhaftesten Weise erörtert worden ist und in dem Schlagwort: »Kanalisation oder Abfuhr« gipfelt), weiterhin für zweckmäßige
Einrichtung der Abtritte (Waterclosets, Erdklosette, s. Desinfektion), für die Einrichtung besonderer Schlachthäuser,
für Verhütung der Verunreinigung der Flüsse und Wasserbecken durch die Schmutzwasser der Fabriken etc. Beim Herannahen einer
Seuche sind umfangreiche und strenge Absperrungsvorsichtsmaßregeln (Quarantäne) sowohl im Land- als im Seeverkehr zu treffen;
jeder etwa entstandene Erkrankungsherd ist sofort zu isolieren.
Ist eine Seuche zum Ausbruch gekommen, so hat die ö. Gesundheitspflege durch Maßregeln rein polizeilicher Natur dafür zu sorgen, daß die
Krankheit auf einen möglichst kleinen Herd beschränkt werde. Zu diesem Zweck ordnet sie an, daß ein jeder Erkrankungsfall
sofort zur Anzeige kommt, nimmt je nach der Natur des der Seuche zu Grunde liegenden Ansteckungsstoffs eine
Absperrung der bereits Erkrankten vor oder unterwirft die der Krankheit Verdächtigen einer Quarantäne, richtet geeignete und
genügende Räume zur Aufnahme von Kranken, namentlich von armen und sonst hilfsbedürftigen, her, sorgt dafür, daß das erforderliche
Heil- und Wartepersonal zur Hand sei, daß die Leichen alsbald aus dem Bereich der Lebenden entfernt und
schnell beerdigt werden, daß alle etwa angehäuften Unreinigkeiten sofort entfernt werden etc.
Auch die Sorge für die Beschaffung guten Trinkwassers, die Beaufsichtigung der Brunnen, die Absperrung verdächtiger oder
notorisch verunreinigter Brunnen, die Beschaffung gesunder und ausreichender Nahrungsmittel für Ärmere bilden bei ausbrechenden
Epidemien eine Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege.
Ferner hat dieselbe darauf Bedacht zu nehmen, daß dicht belegte Wohnräume evakuiert, daß Gefangene, Hospitaliten und dergleichen
Personen aus dem Bereich eines etwa vorhandenen Ansteckungsherdes entfernt, die Schulen geschlossen werden
etc. Besondere Aufmerksamkeit
ist endlich der Desinfektion (s. d.) zuzuwenden, und alle sanitätspolizeilichen Maßregeln
der genannten Art sind um so dringender indiziert, wenn es sich um Personen handelt, die aus irgend einem
Grund ihrer freien Selbstbestimmung beraubt sind (Gefangene, Soldaten etc.). Endlich ist es auch Sache der öffentlichen Gesundheitspflege,
daß das Publikum beizeiten in geeigneter Weise darüber belehrt werde, wie sich der Einzelne bei dem etwanigen
Ausbruch einer Epidemie in sanitärer Beziehung zu verhalten habe, um der auch ihm drohenden Gefahr möglichst zu entgehen.
Bei einzelnen Seuchen kommt die Anwendung ganz spezifischer Schutzmittel in Frage, so namentlich bei den Pocken die einmalige
und wiederholte Impfung, wie sie für das Deutsche Reich durch das Reichsimpfgesetz von 1873 vorgeschrieben
ist. Eine andere die ö. Gesundheitspflege vielfach beschäftigende ansteckende Krankheit ist die Syphilis. Da es nicht in der Macht der Gesetzgebung
und Verwaltung steht, die Gelegenheitsursache zur syphilitischen Ansteckung, nämlich den unreinen Beischlaf, zu beseitigen,
so sieht sich die ö. Gesundheitspflege dieser Krankheit gegenüber darauf angewiesen, durch Regelung des Prostitutionswesens
in größern Städten, als Hauptquelle der Ansteckung, namentlich durch Errichtung obrigkeitlich kontrollierter Häuser (Bordelle)
oder durch strenge ärztliche Überwachung der Prostituierten selbst, die Gelegenheit zur Ansteckung auf ein Minimum zu reduzieren.
Ganz anders verhält es sich mit denjenigen (endemischen) Seuchen, welche nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden, sondern
auf einem Miasma, auf giftigen Bodenausdünstungen, beruhen (Wechselfieber, Sumpffieber). Hier hat die ö. Gesundheitspflege, da sie der Krankheit
selbst gegenüber machtlos ist, durch Vorbeugungsmaßregeln einzugreifen. Es handelt sich bei diesen Krankheiten darum, den
Boden von den Produkten der Verwesung und Fäulnis organischer (meist pflanzlicher) Substanzen zu befreien oder denselben doch
unter solche Bedingungen zu versetzen, daß dergleichen gefährliche Umsetzungen der abgestorbenen Organismen in ihm unmöglich
werden.
Dieser Zweck wird erreicht durch künstliche Entwässerung des Bodens (Drainierung), durch Trockenlegung von Sumpfstrecken,
durch Regulierung der Flußläufe etc. Um aber die Luft über solchem verdächtigen Boden zu verbessern und die in ihr enthaltenen
Miasmen zu zerstören, empfiehlt es sich, Baumpflanzungen anzulegen und überhaupt den Boden mit einer grünen Pflanzendecke
zu überziehen. Endlich sind noch die ansteckenden und auf Menschen übertragbaren Tierkrankheiten zu erwähnen (Hundswut, Milzbrand,
Rotz etc.). Dieselben stellen an die ö. Gesundheitspflege ganz ähnliche Aufgaben
wie die Seuchen überhaupt. Nur ist hier die Handhabung der sanitätspolizeilichen Maßregeln eine viel
leichtere und im allgemeinen auch sicherere, weil durch sofortige Tötung der kranken oder verdächtigen Tiere die Quelle der
Ansteckung alsbald abgeschnitten werden kann.
[Marktpolizei.]
Auch auf die Nahrungsmittel, das Trinkwasser, die Genußmittel (Bier, Wein etc.) hat demnächst die ö. Gesundheitspflege sich
zu erstrecken. Zwar hat jeder Mensch zunächst selbst zu entscheiden, was ihm von Speisen und Getränken
nützlich oder schädlich ist, und hat demnach sein Verhalten einzurichten. Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege aber
ist es, darüber zu wachen, daß die zum Leben unentbehrlichen Nahrungs- und Genußmittel in einer der Gesundheit unschädlichen
Gestalt, unverfälscht und unverdorben, dem Publikum zugänglich gemacht werden. Dies ist im wesentlichen
die Aufgabe der
mehr
Marktpolizei. Allein die ö. hat sich in dieser Beziehung viel weiter zu erstrecken. Wir erinnern nur an die so überaus
wichtige sanitätspolizeiliche Fleischbeschau, welche neuerdings z. B. in Berlin mit großer Umsicht und sichtbarem Erfolg
geübt wird. Sache der öffentlichen Gesundheitspflege ist es, die Brunnen zu überwachen, aus denen das
Trinkwasser bezogen wird, überhaupt die ausreichende Menge gesunden Trinkwassers zu beschaffen, ferner die notwendigsten
Nahrungsmittel, wie Mehl, Brot, Milch, bezüglich ihrer Qualität zu kontrollieren, Verfälschungen und gesundheitswidrige Verunreinigungen
derselben sowie der Genußmittel, wie des Biers und Weins, zu ermitteln und solche Gegenstände unschädlich zu machen etc.
Zur Zeit einer Epidemie ist im Interesse der ärmern Bevölkerung allen diesen Dingen nur um so größere
Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Man sieht leicht, daß die Nahrungsmittelhygieine ein ebenso weitschichtiges wie für die private und öffentliche Gesundheit
wichtiges Kapitel der öffentlichen Gesundheitspflege repräsentiert. Allein gerade hierbei zeigt es sich, daß sanitätspolizeiliche
Maßregeln allein das wenigste auszurichten vermögen, daß vielmehr eine geläuterte Einsicht des Individuums
in das, was ihm heilsam und seiner Gesundheit förderlich, unerläßlich ist. Und was der Einzelne als solcher nicht erreichen
kann, das wird er auf dem Weg der Association erreichen können, sobald volle Klarheit über die zu erreichenden Ziele und die
dabei aufzuwendenden Mittel besteht.
[Wohnungen, Schul- und Gewerbehygieine.]
Die Wohnungen der Menschen sind von nicht geringerm Einfluß auf die Gesundheit. Auch
hier bietet sich der öffentlichen Gesundheitspflege ein ungemein weites und dankbares, leider noch sehr wenig angebautes
Feld der Thätigkeit dar (Bau- oder Wohnungshygieine). Der Reiche und Wohlhabende wird sich überall seine
Wohnung so zu wählen und einzurichten wissen, daß sie den Anforderungen der Gesundheitspflege entspricht; der Arme dagegen,
der Kranke und Gefangene, der Soldat in der Kaserne, das Kind in der Schulstube müssen hinnehmen, was sich ihnen gerade darbietet.
Mit Rücksicht auf sie hat also die b. Gesundheitspflege einzuschreiten. Sie hat dafür zu sorgen, daß gewisse Räume,
welche ihrer Natur nach, z. B. weil sie unter der Erde liegen, weil sie feucht, lichtlos, zu eng sind etc., die Gesundheit jedes
Insassen notwendig beeinträchtigen müssen, überhaupt nicht bewohnt werden dürfen. Feuchte Kellerräume sollten als
Wohnungen für Menschen schlechterdings nirgends benutzt werden dürfen. Sodann muß jeder Wohnraum für
die bestimmte Anzahl von Menschen, welche sich in demselben aufhalten sollen, einen bestimmten minimalen Kubikinhalt haben,
damit die Luftverschlechterung durch die Atmung nicht alles Maß überschreite. In öffentlichen Anstalten, in welchen sich
die Insassen häufig gegen ihren Willen aufhalten, ist nicht bloß dafür zu sorgen, daß jedem Individuum
ein bestimmtes ausreichendes Volumen von Luft vorbehalten sei, sondern auch die sonstigen Bedingungen der Gesundheit müssen
in solchen Räumen erfüllt sein; namentlich müssen sie trocken, gehörig hell, zu heizen und zu ventilieren sein.
Überhaupt gehört die Frage nach der zweckmäßigsten Art der Heizung und der Ventilation zu den wichtigsten
der ganzen Hygieine. Selbstverständlich wird bei der Anlage und Einrichtung öffentlicher Anstalten auch die nötige Sorgfalt
auf die Wahl eines gesunden und sonst geeigneten Baugrundes, auf die Ermittelung seiner Grundwasserverhältnisse, auf die Situation
des Gebäudes (Sonnen-
und Wetterseite) und auf tausend andre Umstände zu verwenden sein.
Schulhygieine. Diese hat sich nicht bloß mit der gesundheitsgemäßen Anlage und Einrichtung der Schulhäuser
und Klassenzimmer, sondern auch mit Thun und Lassen der Kinder in der Schule zu befassen. Sie hat die zeitliche Ausdehnung des
Unterrichts für verschiedene Altersklassen festzusetzen, für angemessene Abwechselung der körperlichen und geistigen
Thätigkeiten, namentlich auch für den Turnunterricht und allerhand Leibesübungen, zu sorgen, sich mit
der Zimmerventilation, den Beleuchtungsverhältnissen und der darauf beruhenden Pflege der Augen, mit der Herstellung zweck-
und gesundheitsgemäßer Subsellien und vielen andern Dingen zu befassen.
Gewerbehygieine. Noch mannigfacher vielleicht sind die Aufgaben der Fabrikhygieine, insofern bei den zahlreichen die Gesundheit
der Arbeiter bedrohenden Gewerbszweigen die allerverschiedenartigsten Schädlichkeiten in Frage kommen
(vgl. Gewerbekrankheiten, Gaseinatmungs- und Staubeinatmungskrankheiten, Phosphor-, Arsenik-, Blei-, Quecksilbervergiftung etc.).
Auch die Produkte vieler Gewerbe fallen in fertigem Zustand unter die Aufsicht der öffentlichen Gesundheitspflege, so die Giftstoffe,
der Handel mit feuergefährlichen explodierenden Präparaten, Pulver und Schießbaumwolle. Besonders ist das Publikum über die
Gefahren zu belehren und eventuell dagegen zu schützen, welche aus der Benutzung von Gerätschaften,
Kleiderstoffen, Tapeten, Spielsachen, Tuschkasten etc. hervorgehen, bei deren Herstellung metallische und
vegetabilische Giftstoffe benutzt worden sind.
[Heil- und Krankenwesen.]
Prinzipiell freilich und in der Regel kann sich die Verwaltung nicht der Heilung des einzelnen Individuums
widmen, noch kann dieselbe die Heilthätigkeit der Ärzte bis in das Detail überwachen. Vielmehr hat die
Verwaltung nur darauf zu sehen, daß ein tüchtig herangebildetes Heilpersonal vorhanden und für jedermann zugänglich
sei, sowie darauf, daß die erforderlichen Heil- und Pfleganstalten für Mittellose etc. vorhanden seien.
Auch muß sie durch Gewährung von Geldzuschüssen und andern Vorteilen zu bewirken suchen, daß auch
ärmere und für den Arzt weniger lohnende Gegenden niemals des notwendigsten Heilpersonals beraubt seien. Die Gemeinde hat
ihrerseits durch Anstellung von Armenärzten auf die öffentliche Gesundheit einzuwirken. Früher ließ es sich der Staat auch
angelegen sein, der Kurpfuscherei, Quacksalberei und dem Handel mit Geheimmitteln (s. d.) entgegenzutreten.
Allein man ist immer mehr zu der Einsicht gekommen, daß der Staat in dieser Richtung ohnmächtig bleibt, wenn das Publikum
nicht selbst zur Einsicht dessen, was ihm nützlich oder schädlich ist, zu bringen ist, und wenn es nicht selbst die Absicht
hat, sich vor solchen Gefahren zu schützen.
Daher sind neuerdings im Deutschen Reich die gesetzlichen Bestimmungen gegen Medikasterei etc. aufgehoben worden; ein jeder
darf nun kurieren und sich kurieren lassen, von wem er will, und der Staat sorgt nur dafür, daß zwischen approbierten Ärzten
und nicht approbierten Personen ein Unterschied gemacht werde. Dagegen bildet das Apothekenwesen nach
wie vor einen wichtigen Gegenstand der Medizinalpolizei. Der Staat übt ein Aufsichtsrecht über die Apotheken aus und schreibt
den Apothekern eine Medizinaltaxe vor. Gegenwärtig aber ventiliert man die Frage, ob das Apothekergewerbe im Deutschen Reich
ein privilegiertes Gewerbe unter staatlicher Oberaufsicht
mehr
bleiben, oder ob es, wie es in Nordamerika und anderwärts der Fall ist, gänzlich freigegeben werden soll. Zu den Medizinalpersonen
sind auch die Hebammen und Heildiener zu rechnen. Während der Staat das Hebammenwesen in die Hand genommen hat, ist die Heranbildung
von Heildienern und Krankenwärtern bisher ganz in den Händen privater Associationen und öffentlicher
Wohlthätigkeitsanstalten gewesen. Endlich fällt der öffentlichen Gesundheitspflege anheim die Herstellung und Unterhaltung
allgemeiner Krankenhäuser (s. d.), Pfleg- und Siechenhäuser, besonderer Anstalten für Heilung und Pflege der Irren, der Blinden,
Taubstummen, Kretins etc. Namentlich die letztgenannten, einer bestimmten Gruppe von Hilfsbedürftigen ausschließlich gewidmeten
Anstalten muß der Staat in die Hand nehmen, weil nur sehr wenige Gemeinden eines Landes groß und reich
genug sein werden, allein für ihr eignes Bedürfnis solche Anstalten zu errichten. Endlich bildet die Hilfsleistung für Verunglückte
(z. B. die Sanitätswachen in größern Städten) und namentlich die Verhütung von Unglücksfällen einen Gegenstand der öffentlichen
Gesundheitspflege. In diese Kategorie gehört die von besondern Ärzten vorzunehmende Leichenschau zum Zweck
der Sicherung von Scheintoten sowie die Aufstellung der Leichen in besondern Leichenhallen etc.
Erwägt man an der Hand des Vorstehenden, welche großen und schwierigen Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege zufallen,
und von welcher Tragweite eine gute ö. Gesundheitspflege für die Wohlfahrt des Staats und jedes Einzelnen ist, so kann
man sich nicht verhehlen, daß zur glücklichen Lösung aller jener Aufgaben der Staat allein kaum befähigt sein dürfte.
Es ist vielmehr durchaus nötig, daß das Publikum über die Ziele der öffentlichen Gesundheitspflege aufgeklärt werde, und
daß es seine Interessen selbst in die Hand nehme, indem allerorten, namentlich in größern Städten, besondere
Organe aus dem Schoß der Bürgerschaft gebildet werden sollten, welche die gesundheitlichen Interessen der betreffenden Bevölkerungsgruppe
zu überwachen, einzelne besonders wichtige Fragen eingehend zu studieren und auf Mittel zur Beseitigung vorhandener Übelstände
Bedacht zu nehmen hätten. In Deutschland ist in dieser Beziehung verhältnismäßig noch sehr wenig geschehen.
Wieviel aber auf dem angedeuteten Wege geleistet werden kann, zeigt uns namentlich England, wo schon so manche schwierige
Frage durch das selbständige Vorgehen der Staatsbürger ihre praktische Lösung zum Nutzen des Gemeinwesens gefunden hat. In
Deutschland ist die maßgebende beratende Behörde, welcher die Prüfung einzelner Fälle und Vorschläge
zum polizeilichen Einschreiten obliegen, das Gesundheitsamt (s. d.).
Die Wissenschaft der öffentlichen Gesundheitspflege wird stets einen wesentlichen Bestandteil der medizinischen Wissenschaft
bilden, so verschiedenen Fächern auch die Kenntnisse zu entnehmen sind, welche bei einem Vertreter der öffentlichen Gesundheitspflege
vorausgesetzt werden müssen. Deshalb werden die Gesundheitsbeamten sich stets aus den Reihen der Ärzte
zu rekrutieren haben. Allein es müssen in Zukunft ganz andre Anstrengungen zur Ausbildung der Ärzte für diesen ausgedehnten
Komplex des Wissens gemacht werden, als dies bisher geschah.
Vor allen Dingen ist es nötig, an den Hochschulen in weiterm Umfang als bisher besondere Lehrstühle für ö.
Gesundheitspflege zu errichten, durch welche das Fach in einer seiner Bedeutung durchaus entsprechenden Weise vertreten wird. Gegenwärtig
bestehen hygieinische Institute in München,
Göttingen, Berlin, Jena. In solchen Instituten muß der junge Arzt in alle die Kenntnisse
aus dem Gebiet der Medizin nicht bloß, sondern auch der Physik und Chemie, der Technik, der Baukunde etc.
eingeweiht werden, ohne welche ein umfassendes Verständnis der öffentlichen Gesundheitspflege nicht möglich ist.
Aber nicht bloß den Ärzten und spätern Gesundheitsbeamten, sondern auch den zukünftigen Verwaltungsbeamten, Technikern,
kurz jedem, welcher nach allgemeiner Bildung strebt, muß die Universität die Quellen der Belehrung im Fach der öffentlichen
Gesundheitspflege eröffnen, damit diese Männer, wenn sie in das praktische Leben hinübertreten, auch
im weitern Kreis die Kenntnis und das Interesse für das so hochwichtige Fach der öffentlichen Gesundheitspflege zu verbreiten
vermögen. Ist einmal die Überzeugung von der praktischen Tragweite und dem unschätzbaren Wert einer alle Lebensverhältnisse
umfassenden öffentlichen Gesundheitspflege im Volk selbst geweckt worden, so eröffnet sich die Aussicht,
daß zahlreiche jetzt auf der Tagesordnung stehende und die wichtigsten Interessen berührende Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege
schneller als bisher einer gedeihlichen Lösung entgegengeführt werden.
Schürmayer, Handbuch der medizinischen Polizei (2. Aufl., Erlang. 1856);
Lion, Handbuch der Medizinal- und Sanitätspolizei (Iserl. 1862-75, 3 Bde.);
Horn, Das preußische Medizinalwesen (2. Aufl., Berl. 1863, 2 Tle.);
Pappenheim, Handbuch der Sanitätspolizei (2. Aufl., das.
1867-70, 2 Bde.);
Stein, Das öffentliche Gesundheitswesen etc., in dessen »Verwaltungslehre«,
Teil 3 (2. Aufl., Stuttg. 1882);
Hirt, System der Gesundheitspflege (3. Aufl., Bresl. 1885);
Österlen, Handbuch der Hygieine
(3. Aufl., Tübing. 1876);
Sander, Handbuch der öffentlichen Gesundheitspflege (Leipz. 1877);
Eulenberg, Handbuch der Gewerbehygieine
(Berl. 1876);
Derselbe, Handbuch des öffentlichen Gesundheitswesens (das. 1881-82, 2 Bde.);
Pettenkofer und Ziemssen, Handbuch der Hygieine und Gewerbekrankheiten (3. Aufl., Leipz. 1882, 3 Tle., daraus
besonders: Merkel und Hirt, Gewerbekrankheiten, und Geigel, Öffentliche Gesundheitspflege);
Baginsky, Handbuch der Schulhygiene
(2. Aufl., Stuttg. 1883);
Uffelmann, Handbuch der privaten und öffentlichen Hygieine des Kindes (Leipz. 1882);
Derselbe, Darstellung
des auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege in außerdeutschen Ländern bis jetzt Geleisteten
(Berl. 1878);
Sander, Die englische Sanitätsgesetzgebung (Elberf. 1869);
Götel, Die ö. in den außerdeutschen Staaten (Leipz.
1878).
Zeitschriften: »Annales d'hygiène publique et de médecine legale« (Par.,
seit 1829);
»Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen« (hrsg. von Eulenburg, Berl. 1852 ff.);
»Deutsche Vierteljahrsschrift für ö. Gesundheitspflege« (hrsg.
von Finkelnburg u. a., Braunschw. 1869 ff.);
»Zentralblatt für allgemeine Gesundheitspflege« (hrsg. von Finkelnburg u. a.,
Bonn 1882 ff.);
»Archiv für Hygieine« (hrsg. von Pettenkofer u. a., Münch. 1883 ff.);
»Wochenblatt für Gesundheitspflege und
Rettungswesen« (Berl. 1884 ff.);
»Zeitschrift für Hygieine« (hrsg. von Koch und Flügge, Leipz. 1886 ff.);
»Veröffentlichungen des kaiserlich deutschen Gesundheitsamtes« (Berl. 1877 ff.).