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fortgesetztes Betrachten von Rot ermüden die rot empfindenden Fasern, während der Erregungszustand der grün und violett empfindenden Fasern andauert und als Blaugrün zum Bewußtsein kommt.
Gesichtswahrnehmungen.
Die Gesichtsempfindungen dienen in Verbindung mit dem Muskelgefühl und dem Tastsinn zu Vorstellungen von der Existenz, Form u. Lage äußerer Objekte (Gesichtswahrnehmungen). Alle durch Erregungen der Netzhaut hervorgerufenen Empfindungen werden von uns in den äußern Raum versetzt. Die Richtung eines fixierten Punktes verlegen wir in die verlängerte Sehlinie, die Richtung aller übrigen indirekt gesehenen Punkte in ihre Richtungslinien. Von der Lage aller dieser Linien sind wir genau unterrichtet, sofern wir ein deutliches Gefühl unsrer jeweiligen Augenstellung haben, und dieses Gefühl ist die Resultante aus den Gemeingefühlen der Muskeln [* 2] des Augapfels. Wir beziehen also jeden Netzhauteindruck auf eine bestimmte Stelle im Raum, wobei wir die Breite [* 3] und Höhe der Objekte viel schärfer und richtiger zu beurteilen pflegen als ihre Tiefenverhältnisse. Wenn wir nun zufällig die Stellung unsrer Augen oder unsers Körpers überhaupt falsch auffassen, so gelangen wir auch zu einer falschen Auffassung über die Richtung der gesehenen Objekte.
Eine Gesichtswahrnehmung muß sich aus folgenden Akten zusammensetzen:
1) Entstehung des Bildes in der Netzhaut;
2) Erregung der Nervenendapparate durch die Ätheroszillation;
Iron Mountain - Irrede
![Bild 59.696: Iron Mountain - Irredentisten [unkorrigiert] Bild 59.696: Iron Mountain - Irredentisten [unkorrigiert]](/meyers/thumb/59/59_0696.jpeg)
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Irradiation.3) psychischer Prozeß im Zentralnervensystem als Folge dieser Erregung. Da unsre Vorstellungen von äußern Gegenständen auf der Deutlichkeit der Empfindungen beruhen, so sollte man meinen, daß die Vorstellungen dem Netzhautbild genau entsprechen müßten. Hiervon gibt es indessen zahlreiche Ausnahmen. So erscheint z. B. ein weißer Gegenstand auf dunklem Grund größer als ein gleich großer dunkler Gegenstand auf hellem Grund, was auf Irradiation [* 4] (s. S. 236) zurückzuführen ist.
Wir erfuhren oben, daß die Eintrittsstelle des Sehnervs für Licht [* 5] völlig unempfindlich ist; dennoch nehmen wir keine dem blinden Fleck entsprechende Lücke im Gesichtsfeld wahr, sondern es rücken die Punkte, welche von der Umgebung wahrgenommen werden, aneinander und füllen die Lücke aus. Auch die Kontrastwirkungen sind auf Verschiebung unsers Urteils zurückzuführen. Legt man ein kleines Stück graues Papier auf einen Bogen [* 6] grünes Papier und bedeckt beide mit dünnem Seidenpapier, so erscheint das Grau in der Komplementärfarbe des Grüns, nämlich in Rosenrot.
Stellt man einen Bleistift [* 7] senkrecht auf ein weißes Blatt [* 8] und läßt von der einen Seite Sonnen-, von der andern Kerzenlicht einwirken, so entstehen zwei Schatten, [* 9] der eine durch das weiße Sonnen-, der andre durch das gelbe Kerzenlicht hervorgerufen. Der von der Sonne [* 10] geworfene Schatten wird durch das gelbe Kerzenlicht beleuchtet und erscheint gelb, der von der Kerze [* 11] geworfene Schatten wird durch das weiße Sonnenlicht beleuchtet, erscheint aber nicht weiß, sondern blau, er hat durch Kontrastwirkung die komplementäre Farbe des Kerzenlichts angenommen.
Schielbrille - Schiele

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Schielen.Einfachsehen. Obwohl wir zwei Augen besitzen und auf jeder Netzhaut ein Bild des gesehenen Gegenstandes entworfen wird, sehen wir in der Regel die Objekte nicht doppelt, sondern einfach. Aber sobald wir eins der Augen durch Schielen [* 12] oder durch Druck aus seiner normalen Stellung bringen, verdoppelt sich das Bild, und wir erblicken nunmehr zwei Objekte, trotzdem nur eins existiert. Die Ursache des Einfachsehens mit beiden Augen liegt darin, daß das Bild auf bestimmte zusammengehörige Teile einer jeden Netzhaut fällt, und daß unser Bewußtsein gelernt hat, die Empfindungen beider zu einer Vorstellung zu verschmelzen.
Nase - Nasenbluten

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Nase.Solche Punkte der beiden Netzhäute, deren gleichzeitige Erregung zu einer Vorstellung führt, nennt man korrespondierende oder identische Punkte. Solche identische Netzhautstellen, vermöge deren wir beim Sehen [* 13] mit beiden Augen die Gegenstände einfach sehen, sind zunächst die Mittelpunkte des gelben Fleckes, wo das schärfste Sehen stattfindet. Die Lage der übrigen identischen Netzhautstellen bestimmt sich nach der Regel, daß sie von der Mitte der Netzhaut (dem gelben Fleck) in gleicher Richtung gleich weit abliegen. Es wird z. B. ein Punkt der Netzhaut, welcher im rechten Auge [* 14] 5 mm von dem gelben Fleck entfernt nach innen, d. h. der Nase [* 15] zu, liegt, identisch sein mit demjenigen Punkte der linken Netzhaut, welcher 5 mm vom gelben Fleck nach außen, der Schläfe zu, liegt. Es hat sich nun die wichtige Frage erhoben, ob die Identität gewisser Netzhautstellen angeboren und auf gewissen anatomischen Einrichtungen des Sehnervs begründet (nativistische oder Naturanlagetheorie) oder das Resultat der Gewohnheit, Erfahrung und Erziehung sei (empiristische oder Erfahrungstheorie). Zu gunsten der letztern Ansicht hat sich namentlich Helmholtz ausgesprochen. Derselbe sieht in der Verschmelzung zweier Netzhautreizungen zu Einem Eindruck in unserm Bewußtsein nichts Angebornes, sondern etwas Erlerntes.
Den Inbegriff aller Punkte im Raum, welche bei einer bestimmten Augenstellung einfach gesehen werden, bezeichnet man als den Horopter. Wegen der beschränkten Ausdehnung [* 16] des Horopters können neben dem Einfallen des Sehobjekts auf identische Punkte gleichzeitig Bilder andrer Objekte entstehen, welche nicht auf identische Punkte fallen. Es müssen deshalb neben dem einfachen Bild auch zahlreiche Doppelbilder vorhanden sein. Diese Doppelbilder vernachlässigen wir, weil die einfach gesehenen Objekte einen stärkern Eindruck hervorrufen als die andern und unsre psychische Thätigkeit sich hauptsächlich den einfachen Bildern zuwendet. So bildet sich durch Gewohnheit eine Vernachlässigung der Doppelbilder aus, die schließlich so weit geht, daß vielen Personen die Doppelbilder überhaupt unbekannt sind.
Gesicht (Vision) - Ges

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Seite 7.241.Schätzung der Größe, Entfernung und Bewegung. Was die Größenwahrnehmung anbetrifft, so beruht unser Urteil über die relative Größe verschieden großer Objekte, welche gleich weit von dem Auge entfernt sind, teils auf dem Bewußtwerden der verschiedenen Größe der Augenbewegungen, welche erforderlich sind, um die verschiedenen Punkte ihres Umfanges zu fixieren, teils auf dem verschiedenen Umfang der von ihnen erregten Netzhautpartien (oder der Größe ihres Netzhautbildes), die wir direkt als verschiedene Größen im Gesichtsfeld empfinden. Da das Gesichtsfeld für unsre Vorstellung keine bestimmte Größe hat, so können wir die absolute Größe eines Gegenstandes nur durch Zuhilfenahme anderweitig, namentlich durch den Tastsinn, gewonnener Erfahrungen schätzen. Zu der Wahrnehmung der Größe des Netzhautbildes muß dabei dann noch jedesmal eine Schätzung der Entfernung hinzukommen, da wir durch Erfahrung wissen, daß mit zunehmender Entfernung der Umfang des Netzhautbildes kleiner wird. Bei der Beurteilung der Entfernung der Objekte von unserm Auge kommen sehr verschiedenartige Faktoren in Betracht, weshalb auch ganz gewöhnlich Täuschungen aller Art mit unterlaufen. Hauptsächlich gründet sich unser Urteil ¶
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über die Entfernung auf die scheinbare Größe der Gegenstände, d. h. auf den Sehwinkel, unter dem sie uns erscheinen. Die Bewegung eines Objekts beurteilen wir bei unbewegtem Auge daraus, ob dasselbe seine Stellung im Gesichtsfeld wechselt, d. h. ob sein Netzhautbild auf der Netzhaut seine Lage verändert. Fixieren wir dagegen ein bewegtes Objekt fortgesetzt, und folgen wir ihm mit unserm Auge, so ändert zwar das Netzhautbild seine Lage nicht, aber wir schließen aus der Größe der von uns zum Zweck der fortgesetzten Fixation ausgeführten Bewegungen des Auges, bez. des Kopfes und des ganzen Körpers auf die Geschwindigkeit des Objekts.
Körperliches Sehen. Da die beiden Augen eine etwas verschiedene Lage einnehmen, so betrachten wir die Außenwelt gewissermaßen von zwei verschiedenen Standpunkten aus. Es entspricht z. B., wenn wir eine abgestumpfte Pyramide [* 17] (Fig. 7 A) vor uns sehen, das in das rechte Auge fallende Bild derselben der [* 17] Figur R, das in das linke fallende der [* 17] Figur L. Diese verschiedenen perspektivischen Bilder werden nun in der Vorstellung zu Einem Bild vereinigt, in welchem wir neben den zwei Dimensionen der Länge und Breite auch die dritte Dimension, [* 18] die Tiefe, wahrnehmen. Auf dieser Fähigkeit beruht das körperliche Sehen. S. hierüber auch Stereoskop. [* 19]
Sehschärfe. Da sich das Bild auf der Netzhaut mosaikartig aus kleinen Punkten zusammensetzt, so ist die Genauigkeit der Wahrnehmung von der Fähigkeit abhängig, sehr nahe bei einander liegende Punkte voneinander zu unterscheiden. Nun steht es fest, daß wir die Eindrücke von zwei nebeneinander liegenden Elementen der Netzhaut nicht zu unterscheiden vermögen, daß diese vielmehr zu Einer Wahrnehmung verschmelzen. Sollen deshalb zwei Lichtempfindungen auf räumlich getrennte Objekte als Ursachen bezogen werden, so muß mindestens ein ruhendes Element der Netzhaut zwischen den beiden gereizten liegen.
Experimentell konnte man feststellen, daß der Dickendurchmesser eines einzelnen Zapfens thatsächlich annähernd mit der Sehschärfe übereinstimmt. Es beträgt nämlich dieser Durchmesser an der Stelle des deutlichsten Sehens (am gelben Fleck) ca. 0,0025 mm, die kleinste Distanz der Netzhaut, innerhalb welcher zwei Eindrücke getrennt wahrgenommen werden, ca. 0,003 mm. Ein einzelnes Objekt braucht natürlich nicht die ganze Breite eines Zapfens einzunehmen, um wahrgenommen zu werden, vorausgesetzt, daß es genügende Lichtstärke besitzt.
In Schutz nehmen - Ins

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Insekten.Für das Facettenauge der Insekten [* 20] und Krebse gibt es keinen Nahpunkt, d. h. keine Distanz, über welche hinaus ein betrachteter Gegenstand dem Auge nicht genähert werden darf, wenn er noch deutlich gesehen werden soll. Je näher im Gegenteil ein Objekt dem Arthropodenauge ist, um so deutlicher wird es gesehen; je weiter es davon entfernt ist, um so undeutlicher wird es gesehen, und zwar nimmt die Deutlichkeit der Gesichtswahrnehmung mit dem Quadrat der Entfernung des betrachteten Objekts, also äußerst rapid, ab. Die Vergleichung des Sehvermögens des menschlichen Auges mit dem des Facettenauges ergibt, daß ein Gegenstand dem Facettenauge außerordentlich (ungefähr bis auf 1 mm) genähert werden muß, um mit der nämlichen Deutlichkeit gesehen zu werden, mit der ihn das menschliche Auge zu unterscheiden im stande ist.
Nähert man den Gegenstand dem Auge noch mehr, so wird er vom Facettenauge aber viel deutlicher erkannt, und wenn sein Abstand vom Auge verschwindend klein wird, so kann er vom Insektenauge bis fünfmal deutlicher gesehen werden, als wenn er vom menschlichen Auge am deutlichsten erkannt wird. Das Facettenauge ist also im höchsten Grad kurzsichtig. Setzen wir die Deutlichkeit, mit der ein Gegenstand im Nahpunkt des menschlichen Auges gesehen wird, gleich 1, so sinkt die Deutlichkeit der Gesichtswahrnehmung beim Facettenauge schon bis auf 1/10 herab, wenn der Gegenstand nur auf etwa ½-1 cm von ihm entfernt wird.
Das musivische Sehen des Facettenauges besteht darin, daß jede einzelne Facette nur einen bestimmten Teil des Horizonts sieht und das Gesamtbild durch Kombination der Eindrücke sämtlicher Elementarbestandteile zu stande kommt. Die Distanz, in der ein Gegenstand nicht mehr deutlich erkannt werden kann, schwankt bei den einzelnen Spezies zwischen 15 und 90 cm, ist also außerordentlich klein. Im Hinblick auf diese Thatsache erscheint es unmöglich, daß die Insekten und Krebse ihre außerordentlich entwickelte Fähigkeit der raschen Orientierung im Raum dem Unterscheidungsvermögen der Facettenaugen verdanken.
Vgl.: Helmholtz, Physiologische Optik (2. Aufl., Leipz. 1886);
Aubert, Physiologie der Netzhaut (Bresl. 1864);
Bernstein

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Bernstein.Bernstein, [* 21] Die fünf Sinne des Menschen (Leipz. 1875);
Classen, Physiologie des Gesichtssinns (Braunschw. 1876);
Wundt, Physiologische Psychologie (2. Aufl., Leipz. 1880, 2 Bde.);
Hering, Zur Lehre [* 22] vom Lichtsinn (Wien [* 23] 1878);
Fick (Dioptrik und Lichtempfindungen), Kühne (Chemische [* 24] Vorgänge in der Netzhaut), Hering (Der Raumsinn und die Bewegungen des Auges) in Hermanns »Handbuch der Physiologie«, Bd. 3 (Leipz. 1879).