mehr
einen merklichen Erregungszustand geraten ist, und daß anderseits die Erregung den Reiz kurze Zeit überdauert. Es erscheint eine glühende Kohle als Feuerkreis, sobald sie mit einer gewissen Geschwindigkeit im Kreis [* 2] gedreht wird. Nach jedem Gesichtseindruck bleibt also der gesehene Gegenstand noch kurze Zeit sichtbar, es bildet sich ein sogen. Nachbild. War der Lichteindruck stark, so kann die Erregbarkeit der Netzhaut durch Ermüdung derartig abnehmen, daß eine dunkle Stelle von der Gestalt des gesehenen Gegenstandes als Nachbild erscheint (negatives Nachbild). Zuweilen wechseln positive mit negativen Nachbildern im schnellen Wechsel ab, wie das z. B. der Fall ist, wenn man die Augen etwa eine halbe Minute hindurch scharf auf den kleinen weißen Fleck in der Mitte der [* 1] Fig. 5 richtet und nunmehr kurze Zeit hindurch ruhig auf eine weiße Fläche sieht. Farbige Nachbilder, s. unten.
Licht

* 3
Licht.Die wahrgenommenen Gegenstände besitzen alle eine gewisse Farbe, welche von dem Licht [* 3] herrührt, welches sie durchlassen oder reflektieren. Das gewöhnliche Sonnenlicht läßt sich mit Hilfe eines Prismas in ein Farbenband zerlegen, welches als Hauptfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigblau und Violett zeigt, aus denen sich alle überhaupt vorkommenden Farben durch bloße Mischung herstellen lassen. Durch Mischung mehrerer Spektralfarben kommt man zu folgenden Ergebnissen:
1) Mehrere Farbenpaare liefern, in einem bestimmten Verhältnis gemischt, Weiß. Solche Paare nennt man komplementäre Farben. Es sind das:
Rot und Grünlichblau, | Gelb und Indigblau, | |
Orange und Cyanblau, | Grünlichgelb und Violett. |
2) Reines Grün besitzt keine Komplementärfarbe. Um aus Grün Weiß zu erhalten, muß es mit zwei Farben, mit Rot und Violett, gemischt werden. Rot, Grün und Violett, die einzigen drei reinen Farbenqualitäten, welche zusammen Weiß geben, bezeichnet man als Grundfarben, und es lassen sich alle übrigen Farbenqualitäten aus Mischungen dieser Grundfarben herstellen.
3) Durch Mischung der äußersten Farben des Spektrums, also des Rots und des Violetts, entsteht eine diesem selbst fehlende Farbe, der Purpur.
4) Alle Mischfarben des Spektrums lassen sich durch Vermischung zweier Farben desselben hervorrufen. Alle Farben lassen sich somit auf drei Grundfarben zurückführen, ein Umstand, der für die Beantwortung der Frage, wie es komme, daß die Netzhaut so verschiedenartiger Erregung fähig ist, von großer Bedeutung ist. Alle Erscheinungen der Farbenempfindung werden nämlich verständlich, sobald man annimmt, daß in jedem Punkte der Netzhaut so viel verschiedene farbenempfindende Nervenfasern enden, wie Grundfarben existieren, und daß jede dieser Nervenfasern nur durch eine ganz bestimmte Grundfarbe erregt werden kann.
Man lehrt deshalb, es gebe drei verschiedene farbenperzipierende Elemente, nämlich ein rot empfindendes, ein grün empfindendes und ein violett empfindendes, und jede Netzhautstelle enthalte ein Multiplum von Nervenendigungen, deren jede durch eine bestimmte Grundfarbe allein oder doch hauptsächlich erregt werde, daß es somit nur drei Grundempfindungen gebe (Young-Helmholtzsche Farbentheorie). Helmholtz hat die Wirkung der Spektralfarben auf die Netzhaut in untenstehender [* 1] Fig. 6 wiedergegeben. Die Horizontale bedeutet das Spektrum. Über derselben erheben sich drei Kurven, von denen jede eine Grundfarbe repräsentiert. Legt man von der Horizontalen senkrechte Linien durch die Kurven, so erkennt man an den Abschnitten, in welche diese Linien zerfallen, wie stark jedes der drei Nervenelemente bei Einwirkung einer bestimmten Spektralfarbe auf die Netzhaut erregt wird.
Seguro - Sehen

* 4
Sehen.Hering hat eine auf den subjektiven Empfindungen fußende Farbenhypothese aufgestellt. Auf den Unbefangenen machen nach Hering vier Farben den Eindruck des Einfachen, nämlich: Rot, Grün, Gelb und Blau; ferner erzeugen sowohl Weiß als Schwarz Empfindungen von durchaus einfachem Charakter. Die zusammengesetzten Farben können aus den genannten Grundfarben hervorgehen; es lassen sich aus keiner zusammengesetzten Farbe mehr als zwei Grundfarben heraus empfinden.
Beim Sehen [* 4] erfährt die Sehsubstanz eine chemische Umwandlung, dem entsprechend muß es sich um eine Zerstörung (Dissimilierung) und eine Erneuerung (Assimilierung) derselben handeln. Die sechs genannten Grundempfindungen ordnen sich zu den drei Paaren: Weiß und Schwarz, Grün und Rot, Gelb und Blau. Jedem der Paare entspricht eine besondere Sehsubstanz, die als schwarz-weiße, grün-rote und gelb-blaue Sehsubstanz bezeichnet werden kann. In der schwarz-weißen Substanz entspricht der Dissimilierung das Weiß, der Assimilierung das Schwarz. Verlaufen beide Prozesse gleichzeitig, so treten je nach der Intensität derselben die Übergänge zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz, d. h. die verschiedenen Stufen des Graus, hervor. Für die zwei andern Substanzen läßt Hering es noch unentschieden, welche Empfindung der Dissimilierung, welche der Assimilierung entspricht.
Bei längerer Betrachtung eines farbigen Objekts verliert die Farbe desselben allmählich ihre ursprüngliche Lebhaftigkeit. Richtet man dann das Auge [* 5] auf eine weiße oder schwarze Fläche, so erscheint das Nachbild des Objekts in der zugehörigen Komplementärfarbe. So z. B. erscheint das Nachbild eines roten Gegenstandes grünlichblau. Das erklärt sich sehr leicht mit Hilfe der Young-Helmholtzschen Theorie; durch
[* 1] ^[Abb.: Fig. 5. Nachbild.]
Gesicht (Einfachsehen,

* 6
Seite 7.240.[* 1] ^[Abb.: Fig. 6. Wirkung der Spektralfarben auf die Netzhaut.] ¶
mehr
fortgesetztes Betrachten von Rot ermüden die rot empfindenden Fasern, während der Erregungszustand der grün und violett empfindenden Fasern andauert und als Blaugrün zum Bewußtsein kommt.
Gesichtswahrnehmungen.
Die Gesichtsempfindungen dienen in Verbindung mit dem Muskelgefühl und dem Tastsinn zu Vorstellungen von der Existenz, Form u. Lage äußerer Objekte (Gesichtswahrnehmungen). Alle durch Erregungen der Netzhaut hervorgerufenen Empfindungen werden von uns in den äußern Raum versetzt. Die Richtung eines fixierten Punktes verlegen wir in die verlängerte Sehlinie, die Richtung aller übrigen indirekt gesehenen Punkte in ihre Richtungslinien. Von der Lage aller dieser Linien sind wir genau unterrichtet, sofern wir ein deutliches Gefühl unsrer jeweiligen Augenstellung haben, und dieses Gefühl ist die Resultante aus den Gemeingefühlen der Muskeln [* 7] des Augapfels. Wir beziehen also jeden Netzhauteindruck auf eine bestimmte Stelle im Raum, wobei wir die Breite [* 8] und Höhe der Objekte viel schärfer und richtiger zu beurteilen pflegen als ihre Tiefenverhältnisse. Wenn wir nun zufällig die Stellung unsrer Augen oder unsers Körpers überhaupt falsch auffassen, so gelangen wir auch zu einer falschen Auffassung über die Richtung der gesehenen Objekte.
Eine Gesichtswahrnehmung muß sich aus folgenden Akten zusammensetzen:
1) Entstehung des Bildes in der Netzhaut;
2) Erregung der Nervenendapparate durch die Ätheroszillation;
Iron Mountain - Irrede
![Bild 59.696: Iron Mountain - Irredentisten [unkorrigiert] Bild 59.696: Iron Mountain - Irredentisten [unkorrigiert]](/meyers/thumb/59/59_0696.jpeg)
* 9
Irradiation.3) psychischer Prozeß im Zentralnervensystem als Folge dieser Erregung. Da unsre Vorstellungen von äußern Gegenständen auf der Deutlichkeit der Empfindungen beruhen, so sollte man meinen, daß die Vorstellungen dem Netzhautbild genau entsprechen müßten. Hiervon gibt es indessen zahlreiche Ausnahmen. So erscheint z. B. ein weißer Gegenstand auf dunklem Grund größer als ein gleich großer dunkler Gegenstand auf hellem Grund, was auf Irradiation [* 9] (s. S. 236) zurückzuführen ist.
Wir erfuhren oben, daß die Eintrittsstelle des Sehnervs für Licht völlig unempfindlich ist; dennoch nehmen wir keine dem blinden Fleck entsprechende Lücke im Gesichtsfeld wahr, sondern es rücken die Punkte, welche von der Umgebung wahrgenommen werden, aneinander und füllen die Lücke aus. Auch die Kontrastwirkungen sind auf Verschiebung unsers Urteils zurückzuführen. Legt man ein kleines Stück graues Papier auf einen Bogen [* 10] grünes Papier und bedeckt beide mit dünnem Seidenpapier, so erscheint das Grau in der Komplementärfarbe des Grüns, nämlich in Rosenrot.
Stellt man einen Bleistift [* 11] senkrecht auf ein weißes Blatt [* 12] und läßt von der einen Seite Sonnen-, von der andern Kerzenlicht einwirken, so entstehen zwei Schatten, [* 13] der eine durch das weiße Sonnen-, der andre durch das gelbe Kerzenlicht hervorgerufen. Der von der Sonne [* 14] geworfene Schatten wird durch das gelbe Kerzenlicht beleuchtet und erscheint gelb, der von der Kerze [* 15] geworfene Schatten wird durch das weiße Sonnenlicht beleuchtet, erscheint aber nicht weiß, sondern blau, er hat durch Kontrastwirkung die komplementäre Farbe des Kerzenlichts angenommen.
Schielbrille - Schiele

* 16
Schielen.Einfachsehen. Obwohl wir zwei Augen besitzen und auf jeder Netzhaut ein Bild des gesehenen Gegenstandes entworfen wird, sehen wir in der Regel die Objekte nicht doppelt, sondern einfach. Aber sobald wir eins der Augen durch Schielen [* 16] oder durch Druck aus seiner normalen Stellung bringen, verdoppelt sich das Bild, und wir erblicken nunmehr zwei Objekte, trotzdem nur eins existiert. Die Ursache des Einfachsehens mit beiden Augen liegt darin, daß das Bild auf bestimmte zusammengehörige Teile einer jeden Netzhaut fällt, und daß unser Bewußtsein gelernt hat, die Empfindungen beider zu einer Vorstellung zu verschmelzen.
Nase - Nasenbluten

* 17
Nase.Solche Punkte der beiden Netzhäute, deren gleichzeitige Erregung zu einer Vorstellung führt, nennt man korrespondierende oder identische Punkte. Solche identische Netzhautstellen, vermöge deren wir beim Sehen mit beiden Augen die Gegenstände einfach sehen, sind zunächst die Mittelpunkte des gelben Fleckes, wo das schärfste Sehen stattfindet. Die Lage der übrigen identischen Netzhautstellen bestimmt sich nach der Regel, daß sie von der Mitte der Netzhaut (dem gelben Fleck) in gleicher Richtung gleich weit abliegen. Es wird z. B. ein Punkt der Netzhaut, welcher im rechten Auge 5 mm von dem gelben Fleck entfernt nach innen, d. h. der Nase [* 17] zu, liegt, identisch sein mit demjenigen Punkte der linken Netzhaut, welcher 5 mm vom gelben Fleck nach außen, der Schläfe zu, liegt. Es hat sich nun die wichtige Frage erhoben, ob die Identität gewisser Netzhautstellen angeboren und auf gewissen anatomischen Einrichtungen des Sehnervs begründet (nativistische oder Naturanlagetheorie) oder das Resultat der Gewohnheit, Erfahrung und Erziehung sei (empiristische oder Erfahrungstheorie). Zu gunsten der letztern Ansicht hat sich namentlich Helmholtz ausgesprochen. Derselbe sieht in der Verschmelzung zweier Netzhautreizungen zu Einem Eindruck in unserm Bewußtsein nichts Angebornes, sondern etwas Erlerntes.
Den Inbegriff aller Punkte im Raum, welche bei einer bestimmten Augenstellung einfach gesehen werden, bezeichnet man als den Horopter. Wegen der beschränkten Ausdehnung [* 18] des Horopters können neben dem Einfallen des Sehobjekts auf identische Punkte gleichzeitig Bilder andrer Objekte entstehen, welche nicht auf identische Punkte fallen. Es müssen deshalb neben dem einfachen Bild auch zahlreiche Doppelbilder vorhanden sein. Diese Doppelbilder vernachlässigen wir, weil die einfach gesehenen Objekte einen stärkern Eindruck hervorrufen als die andern und unsre psychische Thätigkeit sich hauptsächlich den einfachen Bildern zuwendet. So bildet sich durch Gewohnheit eine Vernachlässigung der Doppelbilder aus, die schließlich so weit geht, daß vielen Personen die Doppelbilder überhaupt unbekannt sind.
Schätzung der Größe, Entfernung und Bewegung. Was die Größenwahrnehmung anbetrifft, so beruht unser Urteil über die relative Größe verschieden großer Objekte, welche gleich weit von dem Auge entfernt sind, teils auf dem Bewußtwerden der verschiedenen Größe der Augenbewegungen, welche erforderlich sind, um die verschiedenen Punkte ihres Umfanges zu fixieren, teils auf dem verschiedenen Umfang der von ihnen erregten Netzhautpartien (oder der Größe ihres Netzhautbildes), die wir direkt als verschiedene Größen im Gesichtsfeld empfinden. Da das Gesichtsfeld für unsre Vorstellung keine bestimmte Größe hat, so können wir die absolute Größe eines Gegenstandes nur durch Zuhilfenahme anderweitig, namentlich durch den Tastsinn, gewonnener Erfahrungen schätzen. Zu der Wahrnehmung der Größe des Netzhautbildes muß dabei dann noch jedesmal eine Schätzung der Entfernung hinzukommen, da wir durch Erfahrung wissen, daß mit zunehmender Entfernung der Umfang des Netzhautbildes kleiner wird. Bei der Beurteilung der Entfernung der Objekte von unserm Auge kommen sehr verschiedenartige Faktoren in Betracht, weshalb auch ganz gewöhnlich Täuschungen aller Art mit unterlaufen. Hauptsächlich gründet sich unser Urteil ¶