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Bau kaum von den gewöhnlichen Ganglien- oder Nervenzellen unterscheiden, senden mehrere Ausläufer aus, die nach außen dringen und sich in äußerst feine Fädchen teilen, welche an die innere Körnchenschicht treten und sich innerhalb derselben verlieren. Die Fäden stehen wohl unzweifelhaft im Zusammenhang mit der inneren Körnerschicht. In dieser findet man nämlich zahlreiche größere Körner, die in ihrem Verhalten an kleine Nervenzellen erinnern, und von denen jedes Korn zwei Ausläufer besitzt, deren einer nach innen, der andre nach außen gerichtet ist.
Der erste Ausläufer dürfte im Zusammenhang stehen mit den Fädchen der innern Körnerschicht, während der andre in Fädchen der äußern Körnchenschicht übergeht, die sich, wie die jetzt folgende äußere Körnerschicht, wesentlich wie die entsprechende innere Schicht verhält. Jedes Korn der äußern Körnerschicht steht nun mittels eines nach außen gerichteten Ausläufers mit einem Stäbchen oder Zapfen [* 2] der jetzt folgenden Schicht in Verbindung. Die Schicht der Stäbchen und Zapfen setzt sich aus dicht gedrängten nervösen Elementen von zweifacher Art zusammen: die einen sind kürzer und dicker (Zapfen), die andern länger und schmäler (Stäbchen). Im übrigen sind beide wohl schwerlich wesentlich verschiedene Elemente. Die Stäbchen und Zapfen stellen die letzten nervösen Anhangsgebilde dar und sind als die Angriffsstellen des Lichtreizes zu betrachten; hier bewirken die Ätheroszillationen eigentümliche Veränderungen, welche die Fasern des Sehnervs, die selbst für Licht [* 3] völlig unempfindlich sind, erregen und zu Gesichtsempfindungen führen.
Fragen wir uns, welche Elemente der Netzhaut durch Licht reizbar sind. Jedes Sehobjekt, jeden Gegenstand kann man als eine Mosaik vieler leuchtender Punkte auffassen. Deshalb muß auch die Netzhautschicht, in welcher die Nervenreizung erfolgt, einen mosaikartigen Bau besitzen; ein solcher kommt aber nur der Schicht der Stäbchen und Zapfen zu. Auch schon der Umstand, daß diese Schicht am äußersten Ende der oben beschriebenen Verkettung von nervösen Elementen gelegen ist, weist auf sie als die reizbaren Elemente hin.
Die Sehnervenfasern selbst und die Schichten der Ganglien und Körnchen sind als Angriffsstellen des Lichtreizes schon deshalb ungeeignet, weil Nervenfasern sowohl als Ganglien und Körnchen in mehreren Lagen übereinander liegen und daher der Lichtstrahl meist mehrere Elemente gleichzeitig reizen würde. Man kann aber auch direkt nachweisen, daß die Fasern des Sehnervs selbst durch Licht nicht reizbar sind. Die ziemlich große Eintrittsstelle des Sehnervs enthält nämlich gar nichts andres von nervösen Elementen als Nervenfasern.
Läßt man nun auf diese Stelle das Bild eines hellen Gegenstandes fallen, so nimmt man nicht die Spur einer Lichtempfindung wahr. Fixiert man von den beiden dunkeln Marken in der folgenden [* 1] Fig. 4 die rechts gelegene mit dem linken Auge [* 4] (das rechte Auge wird geschlossen) aus einer Entfernung von ca. 25 cm, so wird die links befindliche unsichtbar. Ebenso verschwindet die rechts gelegene, sobald man die links gelegene mit dem rechten Auge fixiert. Um die richtige Entfernung zu finden, nähert man das Buch aus größerer Entfernung allmählich dem Auge.
Man sieht alsdann die Marke bei einer bestimmten Entfernung verschwinden und bei einer weitern Annäherung wieder auftauchen. In diesem Versuch nun verschwindet die eine Marke dann, wenn ihr Bild gerade auf die Eintrittsstelle des Sehnervs fällt; diese Stelle bezeichnet man deshalb als den blinden Fleck. Daß beim gewöhnlichen Sehen [* 5] keine der Eintrittsstelle des Sehnervs entsprechende Lücke empfunden wird, hat darin seinen Grund, daß die Punkte, welche von der Umgebung des blinden Fleckes wahrgenommen werden, aneinander rücken und diese Lücke ausfüllen.
Durch äußerst starke Reizbarkeit zeichnet sich eine andre Stelle der Netzhaut, der sogen. gelbe Fleck, aus; sie enthält keine Spur von Optikusfasern, wohl aber enthält sie eine mächtige Ganglienschicht und ist ganz außerordentlich reich an Zapfen, nervösen Elementen, die an allen andern Stellen der Netzhaut nur vereinzelt auftreten. Auch durch Prüfung des Ortssinnes der Netzhaut (s. unten) hat man die Anschauung begründet, daß die Stäbchen und Zapfen die reizbaren Elemente der Netzhaut sind.
Man nimmt heute allgemein an, daß chemische Vorgänge in der Netzhaut von höchster Wichtigkeit für den Sehakt sind, ja daß ohne sie ein Sehen überhaupt nicht möglich ist. Um chemische Prozesse zu erzeugen, muß das Licht absorbiert, muß es durch chemische Arbeitsleistung verbraucht werden. Die Ätherbewegung wird in der Netzhaut in molekulare Bewegung umgewandelt. Nimmt man nun an, daß die wirksamen Endorgane des Sehnervs, also die Stäbchen und Zapfen, von lichtempfindlichen Substanzen umgeben sind, so kann man sich vorstellen, wie das auf diese Substanzen fallende Licht chemische Körper in Freiheit zu setzen vermag, die dann als Reize auf die Nervenendigungen wirken und so zu Gesichtsempfindungen führen.
Die Neuzeit konnte chemische Prozesse in unmittelbarster Nähe der Stäbchen direkt nachweisen. Die Außenglieder der Stäbchen der meisten Wirbeltiere (Hühner [* 6] und Tauben [* 7] bilden Ausnahmen) sind mit einem eigentümlichen roten Farbstoff, dem sogen. Sehrot oder Sehpurpur (s. d.), überzogen. Dieser Farbstoff wird unter der Einwirkung des Lichts zerstört, und man konnte durch partielle Belichtung der Netzhaut photographische Bilder, sogen. Optogramme, erhalten.
Aber nicht allein destruktive, sondern auch regenerative Vorgänge werden in der Netzhaut beobachtet. Denn die beim Sehen gebleichten Stäbchen sind des Purpurs nur vorübergehend beraubt und nehmen nach kurzem Aufenthalt im Dunkeln bald wieder ihre alte Färbung an. Bemerkt sei noch, daß auch elektrische Ströme in der Netzhaut nachgewiesen sind, und daß im Verhalten dieser eine Änderung eintritt, sobald das Auge durch Licht gereizt wird. Diese Retinaströme sind, wie Holmgreen ^[richtig: Holmgren = Frithjof Holmgren (1831-1897)] nachwies, nicht an die Gegenwart des Sehpurpurs geknüpft.
Ist nun auch Licht der adäquate Reiz für die Netzhaut, so wird doch der Sehnerv mit seinen Ausbreitungen auch durch allgemeine mechanische oder elektrische Reize in Erregung versetzt (vgl. Reiz). So z. B. erfüllt ein Stoß auf das Auge das Gesichtsfeld mit einem intensiven Lichtblitz. Ferner blitzt das Gesichtsfeld hell auf, sobald man einen schwachen elektrischen Strom, der Zweige durch das Auge sendet, schließt oder öffnet.
Durch Einwirkung des Lichtreizes auf die Netzhaut entstehen Lichtempfindungen. Da nun die Trägheit eine allgemeine Eigenschaft der Materie ist, so kann es nicht überraschen, daß eine gewisse Zeit verstreicht, bevor auf Einwirkung des Reizes die Netzhaut in
[* 1] ^[Abb.: Fig. 4. Mariottescher Versuch.] ¶
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einen merklichen Erregungszustand geraten ist, und daß anderseits die Erregung den Reiz kurze Zeit überdauert. Es erscheint eine glühende Kohle als Feuerkreis, sobald sie mit einer gewissen Geschwindigkeit im Kreis [* 9] gedreht wird. Nach jedem Gesichtseindruck bleibt also der gesehene Gegenstand noch kurze Zeit sichtbar, es bildet sich ein sogen. Nachbild. War der Lichteindruck stark, so kann die Erregbarkeit der Netzhaut durch Ermüdung derartig abnehmen, daß eine dunkle Stelle von der Gestalt des gesehenen Gegenstandes als Nachbild erscheint (negatives Nachbild). Zuweilen wechseln positive mit negativen Nachbildern im schnellen Wechsel ab, wie das z. B. der Fall ist, wenn man die Augen etwa eine halbe Minute hindurch scharf auf den kleinen weißen Fleck in der Mitte der [* 8] Fig. 5 richtet und nunmehr kurze Zeit hindurch ruhig auf eine weiße Fläche sieht. Farbige Nachbilder, s. unten.
Die wahrgenommenen Gegenstände besitzen alle eine gewisse Farbe, welche von dem Licht herrührt, welches sie durchlassen oder reflektieren. Das gewöhnliche Sonnenlicht läßt sich mit Hilfe eines Prismas in ein Farbenband zerlegen, welches als Hauptfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigblau und Violett zeigt, aus denen sich alle überhaupt vorkommenden Farben durch bloße Mischung herstellen lassen. Durch Mischung mehrerer Spektralfarben kommt man zu folgenden Ergebnissen:
1) Mehrere Farbenpaare liefern, in einem bestimmten Verhältnis gemischt, Weiß. Solche Paare nennt man komplementäre Farben. Es sind das:
Rot und Grünlichblau, | Gelb und Indigblau, | |
Orange und Cyanblau, | Grünlichgelb und Violett. |
2) Reines Grün besitzt keine Komplementärfarbe. Um aus Grün Weiß zu erhalten, muß es mit zwei Farben, mit Rot und Violett, gemischt werden. Rot, Grün und Violett, die einzigen drei reinen Farbenqualitäten, welche zusammen Weiß geben, bezeichnet man als Grundfarben, und es lassen sich alle übrigen Farbenqualitäten aus Mischungen dieser Grundfarben herstellen.
3) Durch Mischung der äußersten Farben des Spektrums, also des Rots und des Violetts, entsteht eine diesem selbst fehlende Farbe, der Purpur.
4) Alle Mischfarben des Spektrums lassen sich durch Vermischung zweier Farben desselben hervorrufen. Alle Farben lassen sich somit auf drei Grundfarben zurückführen, ein Umstand, der für die Beantwortung der Frage, wie es komme, daß die Netzhaut so verschiedenartiger Erregung fähig ist, von großer Bedeutung ist. Alle Erscheinungen der Farbenempfindung werden nämlich verständlich, sobald man annimmt, daß in jedem Punkte der Netzhaut so viel verschiedene farbenempfindende Nervenfasern enden, wie Grundfarben existieren, und daß jede dieser Nervenfasern nur durch eine ganz bestimmte Grundfarbe erregt werden kann.
Man lehrt deshalb, es gebe drei verschiedene farbenperzipierende Elemente, nämlich ein rot empfindendes, ein grün empfindendes und ein violett empfindendes, und jede Netzhautstelle enthalte ein Multiplum von Nervenendigungen, deren jede durch eine bestimmte Grundfarbe allein oder doch hauptsächlich erregt werde, daß es somit nur drei Grundempfindungen gebe (Young-Helmholtzsche Farbentheorie). Helmholtz hat die Wirkung der Spektralfarben auf die Netzhaut in untenstehender [* 8] Fig. 6 wiedergegeben. Die Horizontale bedeutet das Spektrum. Über derselben erheben sich drei Kurven, von denen jede eine Grundfarbe repräsentiert. Legt man von der Horizontalen senkrechte Linien durch die Kurven, so erkennt man an den Abschnitten, in welche diese Linien zerfallen, wie stark jedes der drei Nervenelemente bei Einwirkung einer bestimmten Spektralfarbe auf die Netzhaut erregt wird.
Hering hat eine auf den subjektiven Empfindungen fußende Farbenhypothese aufgestellt. Auf den Unbefangenen machen nach Hering vier Farben den Eindruck des Einfachen, nämlich: Rot, Grün, Gelb und Blau; ferner erzeugen sowohl Weiß als Schwarz Empfindungen von durchaus einfachem Charakter. Die zusammengesetzten Farben können aus den genannten Grundfarben hervorgehen; es lassen sich aus keiner zusammengesetzten Farbe mehr als zwei Grundfarben heraus empfinden.
Beim Sehen erfährt die Sehsubstanz eine chemische Umwandlung, dem entsprechend muß es sich um eine Zerstörung (Dissimilierung) und eine Erneuerung (Assimilierung) derselben handeln. Die sechs genannten Grundempfindungen ordnen sich zu den drei Paaren: Weiß und Schwarz, Grün und Rot, Gelb und Blau. Jedem der Paare entspricht eine besondere Sehsubstanz, die als schwarz-weiße, grün-rote und gelb-blaue Sehsubstanz bezeichnet werden kann. In der schwarz-weißen Substanz entspricht der Dissimilierung das Weiß, der Assimilierung das Schwarz. Verlaufen beide Prozesse gleichzeitig, so treten je nach der Intensität derselben die Übergänge zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz, d. h. die verschiedenen Stufen des Graus, hervor. Für die zwei andern Substanzen läßt Hering es noch unentschieden, welche Empfindung der Dissimilierung, welche der Assimilierung entspricht.
Bei längerer Betrachtung eines farbigen Objekts verliert die Farbe desselben allmählich ihre ursprüngliche Lebhaftigkeit. Richtet man dann das Auge auf eine weiße oder schwarze Fläche, so erscheint das Nachbild des Objekts in der zugehörigen Komplementärfarbe. So z. B. erscheint das Nachbild eines roten Gegenstandes grünlichblau. Das erklärt sich sehr leicht mit Hilfe der Young-Helmholtzschen Theorie; durch
[* 8] ^[Abb.: Fig. 5. Nachbild.]
[* 8] ^[Abb.: Fig. 6. Wirkung der Spektralfarben auf die Netzhaut.] ¶