zugetragen haben, nicht auch auf frühere, weder der Form noch der
Folge nach, angewendet werden können. Nur ausnahmsweise
hat ein Gesetz dann rückwirkende
Kraft,
[* 2] wenn es bloß eine
authentische Auslegung eines frühern Gesetzes enthält, obwohl dieses
eigentlich keine wahre Ausnahme ist, oder wenn rückwirkende
Kraft ausdrücklich oder sonst unzweifelhaft geboten
ist.
Letzteres ist der
Fall bei Gesetzen, welche das Dasein oder die
Natur einer gewissen Art von Rechtsverhältnissen normieren,
z. B. Aufhebung von
Zehnten,
Leibeigenschaft,
Lehen,
Familienfideikommissen.
Ohne
Rückwirkung würden solche Gesetze meistens gar nicht zur Anwendung gelangen können, die
Rückwirkung wird aber häufig
durch
Entschädigung
(Ablösung) gemildert. Es erstreckt sich dann, wenn das Gesetz selbst keine
Grenze bezeichnet,
die rückwirkende
Kraft auf alle durch
Zahlung,
Vergleich oder richterliche
Entscheidung noch nicht erledigten
Sachen. Die Wirksamkeit
und Gültigkeit eines Gesetzes dauert fort, bis es entweder selbst oder in seiner Anwendung wieder aufgehoben wird.
Die Aufhebung der Gesetze erfolgt entweder mit dem
Ablauf
[* 3] der Zeit, für welche, oder mit dem
Eintritt
der Resolutivbedingung, unter welcher das Gesetz gegeben worden war, oder durch ein neues Gesetz, welches das
bisherige entweder geradezu und ausdrücklich wieder aufhebt, oder eine demselben entgegenstehende Vorschrift erteilt, oder
durch
Gewohnheit. In seiner Anwendung fällt ein Gesetz dann weg, wenn sein Gegenstand nicht mehr
vorkommt. Doch ist mit dem Wegfallen des Gegenstandes eine analoge Anwendung des Gesetzes auf ähnliche
Fälle nicht ausgeschlossen,
sowenig als die Anwendbarkeit eines Gesetzes dann schon von selbst wegfällt, wenn der zur Erlassung desselben vorhanden
gewesene
Grund nicht mehr vorliegt.
(Landrecht,
Landesordnung, lat.
Codex, franz.
Code), systematische Zusammenstellung des
in einem Land oder einem
Distrikt gültigen
Rechts, welche entweder von der gesetzgebenden
Gewalt selbst bewirkt, oder wenigstens
von derselben gutgeheißen und anerkannt worden ist. Solche Gesetzbücher sind das
Corpus juris civilis und das
Corpus juris
canonici, das preußische
Landrecht, das österreichische und bayrische Gesetzbuch, der
Code Napoleon etc. Unter
Gesetzsammlung versteht man dagegen gewöhnlich eine solche Aufzeichnung und Zusammenstellung von
Gesetzen, welche entweder
ohne systematische
Ordnung nur nach und nach, wie es das
Bedürfnis an die
Hand
[* 4] gibt, erfolgt, oder gar nicht von der gesetzgebenden
Gewalt, sondern nur von
Privatpersonen ausgeht. Im
DeutschenReich erhalten nach § 2 der
Reichsverfassung
die
Reichsgesetze ihre verbindliche
Kraft durch ihre
Verkündigung von
Reichs wegen, welche vermittelst des
Reichsgesetzblattes
(1866-70, »Bundesgesetzblatt des Norddeutschen
Bundes«) erfolgt. Die einzelnen Gesetzbücher s. bei den betreffenden
Staaten.
(Interpretation des
Rechts im weitern
Sinn), die auf Erforschung des
Inhalts eines
Gesetzes gerichtete
Thätigkeit
und die
Ableitung von Rechtssätzen aus einer gegebenen Rechtsquelle. Die juristische
Interpretation setzt eine
vorhandene Rechtsquelle voraus. Möglicherweise können aber über die Echtheit des
Textes dieser Rechtsquelle
Zweifel obwalten,
und es muß dann zunächst eine wissenschaftliche Untersuchung stattfinden. Eine solche Feststellung
des echten
Textes einer Gesetzesurkunde bezweckende Untersuchung und
Prüfung heißt
Kritik; sie kann sich auf die Echtheit
der
Urkunde im ganzen (höhere
Kritik) oder nur auf einzelne Teile
(Sätze und
Worte) derselben (niedere
Kritik) beziehen.
Wer aber den wirklichen
Inhalt eines
Gesetzes kennen will, muß den
Willen des Gesetzgebers erforschen: dies
die juristische
Interpretation im engern
Sinn. Die hierzu regelmäßig zu
Gebote stehenden
Mittel sind zunächst grammatische.
Der Ausleger hat aus dem grammatischen Zusammenhang die Bedeutung der Gesetzesworte festzustellen (grammatische
Auslegung).
Von den hierbei zu beobachtenden
Grundsätzen undRegeln, deren Inbegriff die juristische
Hermeneutik bildet,
sind namentlich folgende hervorzuheben:
Hat ein
Wort zu verschiedenen
Zeiten verschiedene Bedeutungen gehabt, so muß
man es
in dem
Sinne nehmen, welcher zur Zeit der Erlassung dieses
Gesetzes der herrschende war. Da sich die
Gesetze gewöhnlich im
Maskulinum ausdrücken, so ist dies imZweifel auch auf das weibliche
Geschlecht zu beziehen.
Wenn ferner ein
Gesetz eine
Anordnung für gewisse bestimmte
Fälle gibt, so liegt darin nach der grammatischen
Auslegung, daß
sie eben auch
nur für diese
Fälle bestimmt ist, daß also in allen andern
Fällen das Gegenteil gelten soll (argumentum a
contrario). Oft drückt sich aber der Gesetzgeber dunkel, unklar und zweideutig aus oder gebraucht einen
Ausdruck, welcher mehr besagt, als
er an und für sich sagen wollte, oder der seinen
Gedanken nicht vollständig wiedergibt.
In solchen
Fällen muß man noch jedes weitere
Mittel, welches über den wirklichen
Willen des Gesetzgebers Aufschluß geben
kann, anwenden, und die Anwendung solcher
Mittel nennt man logische
Interpretation.
Dahin gehören die Berücksichtigung der historischen Verhältnisse, unter denen, und der Gelegenheit, bei welcher das
Recht
entstanden ist, der spezielle Veranlassungsgrund und in unsern konstitutionellen
Staaten die
Motive, mit welchen ein
Gesetzvorschlag
den
Ständen vorgelegt wird, sowie die
Verhandlungen der
Volksvertretung über ein proponiertes
Gesetz. Findet
man hierbei, daß die Absicht des Gesetzgebers weiter geht als der gewöhnliche Wortsinn, so ist die weitere Bedeutung (extensive
Interpretation) zu wählen; findet man aber, daß die
Worte zu weit gefaßt sind, dann ist die gewollte engere Bedeutung zu
nehmen (restriktive
Interpretation). ImZweifel ist die mildere und billigere Meinung vorzuziehen.
Korrektorische
Gesetze, singuläre
Rechte und Privilegien sind im
Zweifel so zu interpretieren, daß die geringste
Abweichung
von dem bestehenden
Recht angenommen wird. Strafgesetze sind in der
Regel in dem engern Wortsinn zu nehmen; eine ausdehnende
Interpretation ist aber auch hier zulässig, nur ist diese wohl zu unterscheiden von der
Analogie (s. d.).
Im
Gegensatz zu diesen beiden Interpretationsarten, der grammatischen und logischen, welche man unter der Bezeichnung Doktrinalinterpretation
zusammenzufassen pflegt, steht die Legalinterpretation, d. h. eine
Auslegung, welche nicht durch die
Wissenschaft, sondern
durch eine rechtserzeugende
Gewalt geschieht; diese kann die
Gesetzgebung¶
mehr
(authentische Interpretation) oder auch das Gewohnheitsrecht (Usualinterpretation) sein. Die authentische Interpretation hat
rückwirkende Kraft, sofern nicht eine Sache bereits durch rechtskräftiges Urteil, Vergleich etc. abgethan ist. Übrigens entsteht
durch jede Legalinterpretation ein neuer Rechtssatz, der nur zu einem frühern Gesetz in die Beziehung gestellt ist, daß
er so behandelt werden soll, als wäre er schon durch dieses Gesetz gegeben. Es kann daher auch in konstitutionellen
Staaten dem Regenten das Recht der einseitigen authentischen Interpretation der mit Zustimmung der Landstände erlassenen Gesetze
nicht zugestanden werden.
Auf der andern Seite aber ist zu berücksichtigen, daß die Worte nur dadurch Bedeutung haben, daß sie denWillen des Sprechenden enthalten. So bestimmt denn auch das deutsche Handelsgesetzbuch im Art. 278 ausdrücklich, daß der
Richter bei Beurteilung der Handelsgeschäfte den Willen der Kontrahenten zu erforschen hat und nicht an dem buchstäblichen
Sinn des Ausdrucks haften soll.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Pandektenrechts: Lang, Beiträge zur Hermeneutik
des römischen Rechts (Stuttg. 1857).