Ein spezifischer Übelstand endlich, die Notlage wandernder Gesellen, welche keine
Arbeit finden und keine Existenzmittel
haben, ist zu heben, mindestens zu mildern durch Errichtung von
Herbergen (s. d.), mit welchen
Arbeitsnachweisungsbüreaus
zu verbinden sind, seitens der
Innungen oder andrer gewerblicher
Korporationen oder durch entsprechende
Organisation von
Gesellenvereinen, event. durch gemeinnützige
Vereine zur Unterstützung wandernder Gesellen. - Im Bergbauwesen
heißen Gesellen die Teilhaber (Eigenlöhner) an einem gemeinschaftlichen sogen.
Bau, sofern deren nicht über acht sind;
der
Bau einer solchen
Gesellschaft heißt dann Gesellenbau, Gesellenzeche.
Unter dieser Bezeichnung ist seit 40
Jahren eine größere Zahl von
Vereinen gegründet
worden, welche, unter geistlicher Leitung stehend, auf katholisch-konfessioneller Grundlage ruhen. Um dieselben machte sich
besonders verdient Domvikar
AdolfKolping (geb. 1813, gest. 1865 in
Köln),
[* 3] welcher, ursprünglich selbst Schuhmachergeselle,
seine eignen
Erfahrungen bei seiner Wirksamkeit für dasVereinswesen verwerten konnte. Nachdem er sich
dem geistlichen
Stand gewidmet, gründete er als
Kaplan in
Elberfeld
[* 4] den ersten Gesellenverein. 1849 als Domvikar nach
Köln
versetzt, gelang es ihm bald, den Gesellenvereinen eine weitere Verbreitung zu verschaffen (vgl.
seine
Schrift »Der Gesellenverein«,
Köln 1849). Als
Ziel derselben wird bezeichnet: Anregung undPflege
eines kräftigen religiösen
Sinnes und
Lebens, Verbreitung nützlicher Kenntnisse und Fertigkeiten in
Verbindung mit geselliger
Unterhaltung.
Zureisenden und bedürftigen
Gesellen wird Unterstützung in Form freier
Herberge und von
Naturalien gewährt. Doch wird auf
solche kein
Recht zuerkannt, und der
Geselle soll durch Weckung des
Ehrgefühls daran gewöhnt werden, nur im
dringenden Notfall
Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mit andern, mehr als untergeordnet betrachteten Aufgaben (Kassenwesen, Arbeitsvermittelung
etc.) haben die Gesellenvereine keine besondern Erfolge erzielt.
Ordentliche Mitglieder können nur ledige katholische
Gesellen werden.
Jeder Lokalverein hat eine aus Ehrenmitgliedern bestehende Vorstandschaft, an deren
Spitze ein von ihr gewählter, vom
Bischof genehmigter und nur durch diesen absetzbarer Präses steht, der nur ein katholischer
Geistlicher sein
darf. Die
Vereine bilden mehrere größere
Verbände unter dem gemeinsamen Vorsitz eines Generalpräses, welcher der jeweilige
Vorsitzende des
Kölner
[* 5]
Vereins ist. Abreisende
Gesellen erhalten eigne Wanderbücher, auf
Grund deren sie in andern
VereinenAufnahme finden können.
Etwa 85 dieser
Vereine besitzen eigne Vereinshäuser. In
Deutschland
[* 6] bestehen zur Zeit über 100, in
Österreich
[* 7] gegen 100, in der
Schweiz
[* 8] etwa 20 Gesellenvereine. Die Gesamtzahl aller Gesellenvereine wird auf etwa 540 mit 70-80,000 Mitgliedern
angegeben.
Organe der deutschen Gesellenvereine sind die
»Rheinischen Volksblätter«
(Köln, seit 1853) und der »Arbeiterfreund«
(Münch.,
seit 1873). Ähnliche
Vereine wie die deutschen Gesellenvereine sind die französischen
Cercles catholiques d'ouvriers, deren Zahl auf 200 beziffert
wird, mit dem
Organ »L'association catholiques« (seit 1874) und die belgische Fédération
des sociétés ouvrières catholiques mit dem
Organ »L'Économie chrétienne«
(Lüttich).
[* 9]
(Societät, lat.
Societas), die Vereinigung mehrerer
Personen zur Erreichung eines gemeinsamen
Zweckes. Der
Zweck der Gesellschaft kann auf gemeinsamen Vermögenserwerb oder auf sonstige
Güter gerichtet sein. Die
Rechte und
Pflichten der Gesellschaftsmitglieder (Gesellschafter, Societäre, Socii) sowie die
Zwecke werden durch ein
Statut
(Gesellschaftsvertrag)
bestimmt. Das Gesellschaftsmitglied (socius) hat gewöhnlich einen Beitrag zu geben, die zugesagten
Dienste
[* 10] zu leisten, über
die
Geschäfte für die Gesellschaft Rechenschaft abzulegen.
Ein Rechtsverhältnis in der Gesellschaft entsteht überall nur dann, wenn zum
Zweck der Gesellschaft vermögensrechtliche
Verbindlichkeiten eingegangen werden. Die Gesellschaft kann entweder das ganze gegenwärtige und zukünftige
Vermögen ihrer Mitglieder
umfassen (societas omnium bonorum) oder auch nur einzelne bestimmte Teile desselben (societas particularis). Die
Anteile an den
Beiträgen sowohl als überhaupt am
Gewinn und Verlust der Gesellschaft können für die einzelnen Mitglieder auf
verschiedentliche
Weise festgestellt werden.
Wenn nicht besondere Vereinbarungen vorliegen, wird
Gleichheit als die Absicht angenommen. Eine
Löwengesellschaft
(societas leonina),
so genannt nach der bekannten
Fabel Äsops, bei welcher der ganze
Gewinn Einem Gesellschafter ausschließlich zufallen soll,
wird alsSchenkung angesehen. Zur Geltendmachung seiner
Rechte aus dem
Gesellschaftsvertrag steht jedem
Gesellschafter gegen den andern eine besondere
Klage (actio pro socio) zu. Die Gesellschaft wird nach römischem
Recht aufgelöst durch
den
Tod eines
Socius, durch dessen
Konkurs oder Vermögenskonfiskation, durch Erreichung eines vorher bestimmten Endtermins,
durch
Untergang der gemeinsamen
Sache, durch Erreichung des Societätszwecks, durch freiwillige Aufhebung
des
Vertrags seitens der Kontrahenten oder durch einseitigen Rücktritt eines solchen, welcher jedoch, wenn er unzeitig und
ohne die ausbedungene
Kündigung geschah, zum
Schadenersatz verpflichtet. Während das
römische Recht bei der Gesellschaft das persönliche
Element als das
Prinzipale ansah, hat das
deutsche Recht bei den Erwerbsgesellschaften die gemeinsame Kapitalmacht
als die Grundlage derselben aufgefaßt.
Daher hat im modernen
Rechte derGesellschaftsvertrag wesentliche Veränderungen erfahren,
namentlich in Ansehung der
Handelsgesellschaften (s. d.) und der als deutsch-rechtlich zu bezeichnenden
Genossenschaften (s. d.).
Das
Wort »Gesellschaft« bezeichnet nicht nur einen Rechtsbegriff, sondern
auch eine wegen ihrer wechselseitigen Lebensbeziehungen (wirtschaftlicher
Verkehr, Geselligkeit, geistiger
Zusammenhang, gegenseitige
Förderung etc.) als ein zusammengehöriges Ganze aufgefaßte
Gruppe von
Menschen. In diesem
Sinn
kann als Gesellschaft eine besondere
Klasse, deren Mitglieder unter sich ausschließlichen
Verkehr pflegen, zumal auf dem
Boden, auf welchem
sie einander begegnen (»in die Gesellschaft einführen«, »aus
der Gesellschaft ausstoßen«),
erscheinen. Dann kann als solche auch die
Gruppe aufgefaßt werden, welche auf
Grund
ihrer
¶
mehr
staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Stellung eine hervorragende, tonangebende, herrschende Rolle im öffentlichen Leben spielt.
In diesem Sinn spricht man von einer Gesellschaft des alten Regimes, von der industriellen oder bürgerlichen Gesellschaft, welch letztere auf
Grund der technisch-wirtschaftlichen Errungenschaften der neuern Zeit die erstere ablöste und an ihrer Stelle ihren Interessen
im Staatsleben an erster Stelle Geltung verschaffte, während von einer Gesellschaft der untern Klassen, der Arbeiter
etc. keine Rede ist.
Endlich spricht man auch von der menschlichen Gesellschaft schlechthin, indem man hierbei an die Menschheit mit
allen ihren geistigen und wirtschaftlichen Interessen und Verknüpfungen denkt. Der Mensch ist auf das Zusammenleben
und den Verkehr mit andern Menschen angewiesen. Erst durch die Vergesellschaftung mit ihrer arbeitsteiligen Gliederung und ihrer
Vererbung von angesammelten geistigen Schätzen und materiellen Hilfsmitteln des Lebens wird eine Kulturentwickelung, werden
die BegriffeBildung, Gesittung überhaupt erst ermöglicht. (»Unus homo nullus homo«,
d. h. Ein Mensch ist kein Mensch, dann nach Aristoteles: »ἄνθρωπος φύσει ζῶον πολιτικόν«,
»der Mensch ist von Natur ein gesellschaftliches Wesen«.) Dieses Zusammenleben äußert sich aber nicht allein in der Staatenbildung
und im Staatsleben mit seiner Rechtsentwickelung, sondern es macht sich auch in Erscheinungen bemerklich, welche über die
Landesgrenzen hinausgreifen oder, wenn sie auch nur einem Land angehören, doch gar nicht oder nur indirekt
vom Staat als solchem und seinen Lebensäußerungen beeinflußt werden und insofern selbständig auftreten (ein großer Teil
des wirtschaftlichen Verkehrs, Entwickelung von Sitte, Sprache,
[* 12] Rechtsgefühl etc.). Dieser Umstand hat dazu Veranlassung gegeben,
eine Gesellschaftswissenschaft oder Sociologie als besondere Wissenschaft neben den Staatswissenschaften und der Rechtswissenschaft
auszubauen.
Dieselbe will die gesellschaftlichen Lebenserscheinungen als solche in ihren wechselseitigen Zusammenhängen und in ihrer
zeitlichen Entwickelung erforschen und die Gesetze ermitteln, denen dieselben unterworfen sind. In diesem Sinn ist die Gesellschaftswissenschaft
sehr umfassend. Eine scharfe Grenze zwischen ihr und Psychologie auf der einen Seite läßt sich nicht ziehen, weil
individuelles und gesellschaftliches Leben sich gegenseitig beeinflussen; auf der andern Seite aber ist aus dem gleichen Grund
keine strenge Scheidung gegen Staats- und Rechtswissenschaften und gegen Staats- und Rechtsgeschichte möglich.
Sie wäre etwa gleichbedeutend mit einer Kulturgeschichte, welche sich nicht auf eine einfache Beschreibung äußerlicher Erscheinungen
beschränkt, sondern durch Zurückgehen auf das ganze wirtschaftliche Leben und seine Veränderungen,
auf Wandlungen in sittlichen Anschauungen und Begriffen, natürliche Bewegung der Bevölkerung
[* 13] etc. einen ursachlichen Zusammenhang
aufdecken und allgemeine Gesetzmäßigkeiten darlegen will. Die Methode der einfachen Spekulation und der aprioristischen Folgerung
aus Begriffen, wie sie ältere Schriftsteller, wie Herder, insbesondere aber Hegel, einschlugen, kann hier
ebensowenig zu brauchbaren Ergebnissen führen wie die Analogieschlüsse eines Schäffle, welcher das Gesellschaftsleben mit
organischen Körpern und deren Lebensthätigkeit vergleicht, ein Verfahren, das keinen weitern Anspruch erheben kann als den,
interessant zu sein.
Dagegen haben mit Recht A. Comte und nach ihm HerbertSpencer die Notwendigkeit hervorgehoben, die Thatsachen
zu beobachten, die Ergebnisse der
eignen und fremden Erfahrungen zusammenzustellen, um auf induktivem Weg zu wissenschaftlichen
Erkenntnissen zu gelangen. Ist hierbei auch oft deduktiv vorzugehen, so dürfen doch die Vordersätze, von welchen man ausgeht,
nur durch Induktion
[* 14] (eigne oder fremde) gewonnen sein, während die Schlußfolgerungen, welche man zieht, immer
erst noch mit der Wirklichkeit verglichen werden müssen, um als zutreffend betrachtet werden zu können. - In einem engern
SinnfaßtL. v. Stein den BegriffGesellschaftswissenschaft auf, indem sich dieselbe nach ihm nur mit den Zusammenhängen und
Beziehungen befassen soll, welche durch die Verteilung des Besitzes hervorgerufen werden.
Doch kann man auch bei dieser Beschränkung nicht umhin, fortwährend über die gesteckten Grenzen
[* 15] hinüberzugreifen,
weil diese Verteilung mit dem ganzen übrigen gesellschaftlichen Leben, mit Staats- und Rechtsentwickelung innig verknüpft
ist. S. auch Sociologie.
Vgl. L. v. Stein, Der Begriff der Gesellschaft (Leipz. 1850);