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österreichische Mitrailleuse hervorgegangen, mit der 1870 die ungarischen Honvedbatterien bewaffnet, die aber 1875 wieder aufgelöst wurden. Bei den bisher genannten Repetiergeschützen laufen sämtliche Seelenachsen parallel, weshalb der Streuungskreis auch nur dem Durchmesser des Rohrbündels entsprechen kann. Dies ist ein offenbarer Nachteil und erklärt, daß Tote 5, 7, ja 15 Mitrailleusenkugeln in der Brust hatten. Diesem Übelstand suchte Feldl, Ingenieur in Augsburg, [* 2] durch ein System abzuhelfen, bei dem vier Läufe des bayrischen Werder-Gewehrs parallel nebeneinander lagen, denen sich während des Schießens eine seitliche Streuung von im ganzen 56° geben ließ.
Das Laden und Abfeuern geschah durch Drehen eines seitlichen Handrades. 1870/71 hatte Bayern [* 3] zwei solcher Batterien aufgestellt, von denen die eine bei Coulmiers nach 1½stündigem Gefecht durch Störungen im Lademechanismus gefechtsunfähig war. Das Feldl-Geschütz wurde deshalb nicht eingeführt. Nach dem letzten deutsch-französischen Krieg sind von den meisten Staaten zum Teil früher abgebrochene Versuche mit Mitrailleusen von neuem durchgeführt. Die Ergebnisse waren in manchen Staaten für, in andern gegen, in noch andern für eine bedingte Einführung. Im allgemeinen scheint das Urteil jetzt darin seinen Abschluß erreicht zu haben, daß sie besser für die Defensive als die Offensive geeignet sind und im Festungskrieg eine hervorragendere Rolle spielen können als im Feldkrieg.
Das Kartätschgeschütz von Palmcrantz-Winborg, aus vier oder zehn nebeneinander liegenden Läufen bestehend, die durch Vor- und Zurückschieben eines Hebels geladen, abgefeuert und von den Hülsen entleert werden, ist in Rußland als Flankengeschütz für Festungen wie in der Marine zur Verwendung gegen Torpedoboote eingeführt. Dem Schloßmechanismus werden Einfachheit und große Haltbarkeit nachgerühmt. Das diesem ähnliche Maschinengeschütz von Gardner ist in verschiedenen Kalibern in England eingeführt. - Das der Gatling-Kanone nachgebildete Hotchkiß-Geschütz ist gleichfalls in mehreren Staaten (Österreich, [* 4] Frankreich, Deutschland, [* 5] Italien [* 6] etc.) mit günstigen Ergebnissen versucht worden.
Die fünf Läufe von 37 mm Kaliber verfeuern 410 g schwere Granaten [* 7] mit Perkussionszünder und Kartätschen mit 78 g Ladung. Das Geschütz ist mit wagerechten Schildzapfen und einem senkrechten Drehzapfen so in der Lafette gelagert, daß ihm jede beliebige Höhen- und Seitenrichtung gegeben werden kann. Die fünf Läufe, welche sich um die zentrale Welle drehen, haben nur eine gemeinschaftliche Lade- und Abfeuervorrichtung. Das Laden und Ausziehen der Hülsen wird durch zwei Zahnstangen bewirkt.
Zum Abfeuern dient ein Schlagstift mit Spiralfeder. Eine Kurbel [* 8] mit Schnecke setzt den Mechanismus in Thätigkeit. Eine wertvolle Eigentümlichkeit ist, daß die Läufe während des Abfeuerns selbstthätig stillstehen. Für den Wert der Kartätschgeschütze ist nicht nur die Feuergeschwindigkeit, sondern auch die Unempfindlichkeit des ganzen Mechanismus gegen störende Einflüsse beim kriegsmäßigen Gebrauch maßgebend. Die Feuergeschwindigkeit betreffend, ist die größte Schußzahl in einer Minute: für Gatling 1000, Palmcrantz-Winborg 850, österreichische Montigny 481, Feldl 400, Christoph und Montigny 296, Hotchkiß 150, französische Mitrailleuse 125 Schüsse.
Geschichtliches.
Über das Alter der Geschütze [* 9] sowie über das des Schießpulvers fehlen sichere Angaben. Diesem ähnliche Mischungen waren bereits im Altertum namentlich den Chinesen bekannt, deren schon in früher Zeit gebrauchte Brandpfeile mit Brandsatz gefüllt waren, um ihre Fluggeschwindigkeit durch die nach hinten ausströmenden Gase [* 10] zu vermehren. Hieraus entstanden 969 n. Chr. die Raketen, [* 11] die auch derart an Stangen befestigt, daß das Feuer nach vorn, auf den Feind, ausströmte, verwendet wurden.
Auch aus den Wurfmaschinen wurden jene pulverähnlichen Mischungen geworfen, was wohl zu der irrigen Tradition von dem Bestehen von Geschützen schon im 11. Jahrh. und früher Veranlassung gegeben hat. Bis jetzt hat sich aber nur nachweisen lassen, daß der Gebrauch dieser Mischungen zum Forttreiben von Geschossen aus Röhren [* 12] nicht über den Anfang des 14. Jahrh. hinausgeht. In der Chronik von Gent [* 13] heißt es vom Jahr 1313, daß in Deutschland der Gebrauch der Büchsen von einem Mönch erfunden sei; ebenso ist authentisch nachgewiesen, daß 1326 in Florenz [* 14] metallene Kanonen und schmiedeeiserne Kugeln gefertigt wurden.
Von nun ab mehren sich die Nachrichten über Feuerwaffen. Die ersten Geschützrohre kleinen Kalibers waren geschmiedete Läufe, die größern wurden aus schmiedeeisernen Stäben mit darübergetriebenen Reifen wie ein Faß [* 15] zusammengesetzt; in das eine Ende wurde das Bodenstück, durch welches das Zündloch ging, mit einem Zapfen [* 16] eingeschraubt. Später wurden die Rohre aus Bronze [* 17] gegossen. Der Hochmeister des Deutschen Ordens, Konrad von Jungingen, ließ 1401 durch den Stückgießer Fränzel zu Marienburg [* 18] (Westpreußen) [* 19] eine Geschützgießerei anlegen, deren zu Nürnberg [* 20] und Augsburg damals schon bestanden.
Die ersten gegossenen Geschütze scheinen vorzugsweise Hinterlader gewesen zu sein. Da das damals noch in Staubform angewendete Pulver sich von der Mündung schwer zu Boden bringen ließ, gab man dem Geschütz eine von oben in das Rohr mit der Pulverladung einzusetzende Kammer, welche durch Keile festgehalten wurde, daher Keil- oder Kammerstücke [* 1] (Fig. 8). Eiserne Rohre scheinen zuerst in der letzten Hälfte des 15. Jahrh. in Schlesien [* 21] gegossen worden zu sein, der Herzog von Sagan [* 22] hatte deren bereits 1470; Karl der Kühne verlor 1476 bei Murten eiserne Geschütze. Auch die Art, wie Armstrong seine Rohre fertigt, war bekannt. 1486 wurde zu Mons [* 23] ein schweres Rohr aus aufgewickelten Eisenstäben (»wie man ein Tau aufwickelt«) gefertigt und an Jakob II. von Schottland verkauft. Es steht jetzt in Edinburg. [* 24] Die »tolle Grete« von Gent, die 33,000 Pfd. wog und eine Kammer hatte, die 140 Pfd. Pulver faßte, war in gleicher Weise gefertigt; sie blieb 1452 bei der Belagerung von Oudenaarde stehen. Um die Mitte des 15. Jahrh.
[* 1] ^[Abb.: Fig. 8. Kammerstück.] ¶
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hatte sich das Geschützwesen schon bedeutend entwickelt und gelangte im 16. Jahrh. bereits zu einer gewissen künstlerischen Blüte. [* 26] Der Hang zum Ungeheuerlichen führte zu den bekannten Riesengeschützen (die »faule Grete« des Kurfürsten von Brandenburg [* 27] 1414, »Taube«, »Ungnade«, der »Hahn«, [* 28] die »böse Else«, »zwölf Apostel«),
zu denen in neuester Zeit die italienische 100 Tons-, die englische 80 Tons- und Krupps [* 29] 40 cm Kanone hinzutreten, jedoch mit dem Unterschied, daß diese Geschütze ihrer Größe Entsprechendes leisten, was bei den alten Riesengeschützen nicht der Fall war. Nach und nach kam etwas System in das Kaliber, namentlich unter Maximilian zu Anfang des 16. Jahrh., so daß sich gewisse Gruppen, wie Kartaunen und Feldschlangen (s. d.), unterscheiden lassen. Man legte einen großen Wert auf die Ausschmückung des Rohrs durch Ziselierungen, Reliefdarstellungen, besondere, oft sehr phantastische Gestaltung der Henkel und Traube. Nebenbei ist das Bestreben, Hinterladungsgeschütze zu konstruieren, niemals ganz eingeschlafen. Durch zahlreiche Versuche, namentlich seit Anfang des 18. Jahrh., wurden mit den Kalibern auch die Einzelheiten der Rohrkonstruktion, wie Länge der Seele, Metallstärke, Stellung des Zündlochs etc., festgestellt und an unsre Zeit überliefert.
Eine neue Zeit des Geschützwesens beginnt 1840 mit der vom schwedischen Baron v. Wahrendorff, Besitzer der Eisengießerei [* 30] zu Aker: der für die meisten europäischen Staaten eiserne Geschützrohre goß, ausgeführten Herstellung eines glatten Hinterladers. Zweck der Hinterladung war, die Bedienung des Geschützes in Kasematten zu erleichtern. Während die Hinterladung durch die Reihe der Jahrhunderte an den unvollkommenen technischen Mitteln, vorzugsweise zur Herstellung einer genügenden Liderung, scheiterte, gelang es Wahrendorff, diese Schwierigkeit durch den nach und nach verbesserten Kolbenverschluß, der bei dem 9 cm Feldgeschütz der deutschen Artillerie zur Einführung gelangte, zu beseitigen. 1846 wurde Wahrendorff durch den italienischen Artilleriekapitän Cavalli angeregt, sein Rohr mit Zügen zu versehen.
Letzterer setzte 1847 diese Versuche, bei denen er Geschosse [* 31] mit zwei Ailetten und zwei Flügeln verwendete, in Turin [* 32] fort. Die Züge hatten fast genau die Form der jetzigen Woolwich-Züge. Sie wurden 1856 in Frankreich durch die unter La Hittes Vorsitz zusammengetretene Kommission bei dem oben beschriebenen La Hitte-System eingeführt. In Rußland, Italien, Schweden, [* 33] Dänemark, [* 34] Belgien [* 35] wurde um 1860 dies System angenommen. 1852 wurde das Lancaster-Geschütz, dessen Querschnitt elliptisch und dessen Geschoß ein Ellipsoid [* 36] war, versucht, das dann im Krimkrieg seine Unbrauchbarkeit darthat.
Seine Seele war in der Art gewunden, daß die große Achse der Ellipse [* 37] am Rohrboden senkrecht stand, an der Mündung wagerecht lag. Darauf (1854) fiel die englische Artillerie in die Hände von Privatfabrikanten. 1860 wurde, nachdem die Fabrikanten die öffentliche Meinung für sich gewonnen hatten, das Armstrong-Geschütz eingeführt. Der Rückschlag trat nur zu schnell ein und wurde durch die gänzliche Unbrauchbarkeit der schweren Armstrong-Marinehinterlader nach kurzem Gebrauch herbeigeführt.
Man behauptete nun, es sei unmöglich, einen genügenden Hinterladungsverschluß herzustellen, und ging zum Vorderlader über, nach welchem System unter Anwendung des Fraser- und Woolwich-Rohraufbaues (s. oben) bisher alle schweren Marine- und Küstengeschütze gefertigt wurden. Die französischen La Hitte-Kanonen erwiesen sich im italienischen Feldzug 1859 den glatten Geschützen so überlegen, daß sie der Impuls und das Vorbild für die Einführung gezogener Kanonen in den meisten Staaten wurden.
In Preußen [* 38] wurden die Versuche mit gezogenen Kanonen im Frühjahr 1851 begonnen und dabei das Wahrendorffsche Rohr mit der Modifikation zu Grunde gelegt, daß die Seele flache Züge erhielt und ein Langgeschoß mit Bleimantel zur Kompressionsführung angewendet wurde. Auf den Grundzügen dieser Konstruktion ruht unsre heutige Artillerie. Die ersten Versuchsrohre waren aus Gußeisen, dann aus Bronze, 1856 aus Gußstahl. 1859 gelangte dies System zur Einführung.
Auch die Kruppsche sogen. Riesenkanone der Pariser Ausstellung von 1867, von 36 cm Kaliber, wie das gegenwärtig größte Kruppsche Geschütz, die 40 cm Kanone (s. Tabelle S. 220), fußen auf demselben. Es ist auch unter erheblichen Schwierigkeiten gelungen, in gleicher Weise gezogene Hinterladungsmörser herzustellen. Österreich mußte nach den Erfahrungen von 1859 gezogene Geschütze einführen, konnte sich indes nicht für das La Hittesche System mit seiner schlotternden Geschoßführung entscheiden, wollte aber auch nicht ein Nachahmer Preußens [* 39] sein und nahm deshalb 1863 das Lenksche Bogenzugsystem an. Über die um diese Zeit in Preußen nach dem Vorgang Frankreichs und Sachsens eingeführten Granatkanonen s. d.
Gleichzeitig mit Armstrong trat, als dessen bedeutendster Konkurrent, Whitworth mit einer eigenartigen Geschützkonstruktion auf. Die Seele seines aus Gußstahl gefertigten Rohrs zeigt im Querschnitt ein regelmäßiges Sechsseit mit abgerundeten Ecken und hat den ungewöhnlich starken Drall von zwei Umdrehungen auf die Rohrlänge. Das Geschoß ist drei Kaliber lang; die Pulverladung befindet sich in einer metallenen Hülse, [* 40] welche gleichzeitig zur Liderung dient.
Dieses Geschütz wurde in Nordamerika [* 41] eingeführt, aber 1862 durch die Parrot-Kanonen verdrängt. Dies sind Vorderladungsrohre aus Gußeisen, deren Bodenstück mit einem schmiedeeisernen Coil gepanzert ist. Die Geschosse, fast drei Kaliber lang, erhalten ihre Führung durch einen kupfernen oder bleiernen Expansionsring an der Kante des Geschoßbodens. Neben diesen sind noch glatte und gezogene Geschütze nach Konstruktionen von Rodman, Dahlgren und Ames eingeführt worden, die allesamt gleich schlecht sind. Während des Bürgerkriegs zersprangen 259 schwere Rohre, darunter 60 gezogene Parrot-100-Pfünder, 17 glatte 15zöllige Rodman-Kanonen, so daß sich Nordamerika in der Lage befindet, eine ganz neue Artillerie einführen zu müssen, was bei den herrschenden Parteiinteressen sehr schwer ist. - Das von Ames angewendete Fabrikationsverfahren, runde Scheiben aus drei konzentrischen schmiedeeisernen Ringen herzustellen und solche Scheiben nach Bedarf für die Rohrlänge aneinander zu schweißen, ist in England von Macomber durch ein eigentümliches Preß- und Walzverfahren verbessert worden.
Das um 1865 in Nordamerika konstruierte Accelerationsgeschütz, in neuester Zeit durch Lyman-Haskell ebenso erfolglos wieder versucht, ging aus der Idee hervor, dem Geschoß im Rohr eine steigende Geschwindigkeit zu geben. Zu diesem Zweck waren in gewissen Abständen Nebenkammern, die mit der Seele kommunizierten, angebracht, deren Ladung durch das Feuer der eigentlichen Geschützladung entzündet wurde, sobald das Geschoß darüber hinweg war. Die den Belagerungsgeschützen durch ihre Transportfähigkeit gesteckte Gewichtsgrenze beschränkt auch ¶