mehr
Kunstdenkmäler als solche zu würdigen und zu geschichtl
ichen
Zwecken zu verwerten sind. Die
Heraldik überliefert die
Lehre
[* 2] von den
Wappen,
[* 3] die
Numismatik die von den
Münzen,
[* 4] die Epigraphik die von den
Inschriften. Die
Diplomatik endlich enthält die
Regeln über die
Kritik und
Interpretation der
Urkunden; nur ein
Zweig von ihr ist die
Sphragistik oder die
Lehre von den
Siegeln, welche neben andern eins der wesentlichsten
Mittel zur
Beglaubigung der
Urkunden waren. Durch die auch
auf dem
Felde der Geschichtsforschung immer mehr Platz greifende
Teilung der Arbeit mag sich die Zahl dieser Spezialdisziplinen
leicht noch erhöhen.
Arten und Entwickelung der Geschichtschreibung.
Dem Geschichtsforscher bleibt nun noch übrig, das gesicherte Ergebnis seiner Forschungen, das bis dahin
nur für ihn existiert,
auch andern zugänglich zu machen, und das geschieht durch die
Darstellung.
Hat der
Historiker zunächst nur die Absicht, die
Resultate seiner
Studien seinen Fachgenossen vorzulegen und zur Nachprüfung zu unterbreiten, so wird er
sich mit Vorteil der untersuchenden Form der
Darstellung bedienen können. Wendet sich aber der
Historiker an ein größeres
Publikum als das der Fachgenossen, spricht er zu den Gebildeten seines
Volkes und aller
Völker, so wird er sich besser der
erzählenden Form der
Darstellung bedienen, indem er das Erforschte seinem Sachverlauf nach zu einem genetischen
Bild »rekonstruiert«. In dieser Form ist eine große Verschiedenheit
denkbar, je nachdem der
Historiker nur erzählt, was er gesehen und erlebt oder als Geschehenes aus dem
Material ermittelt
hat, oder eine bestimmte
Entwickelung im Zusammenhang verfolgt oder gewisse historische
Ideen, die sich ihm aus der
Betrachtung des
Stoffes ergeben haben, nach ihrem
Werden und Erscheinen, ihrem allmählichen Wachstum, ihrer Ausbreitung, ihrer
Herrschaft und ihrem Hinsinken betrachtet und aus der
Fülle der
Thatsachen diejenigen, welche jene
Prozesse anschaulich machten,
zu einer geschichtl
ichen
Darstellung vereinigt, bis schließlich in der geschichtsphilosophischen
Darstellung (s.
oben) die
erzählende Form durch die demonstrative verdrängt wird. In der erzählenden Form der
Darstellung kommt
ferner die künstlerische Begabung des Historikers zur Geltung, die sich in der
Intuition, dem
Erkennen der wahren Gestalt
der Vorgänge und
Personen, in der nachahmenden Schilderung, dem Herausfinden des Notwendigen, dem Absondern des Zufälligen
äußert.
So entstanden verschiedene Arten von erzählenden Geschichtswerken, in deren Aufeinanderfolge sich auch eine fortschreitende Entwickelung der Geschichte kundgibt. Der Ausgangspunkt für alle historische Litteratur ist das Bedürfnis nach einer festen und gesicherten Zeitrechnung. Zu diesem Zweck legte man sich entweder Verzeichnisse der Vorsteher des Staats an (so im Orient, in Ägypten [* 5] wie in Ninive, Babylon und sonst, der Könige; in Rom [* 6] der Konsuln, der Stadtpräfekten etc.), oder man entwarf Kalender, welche über die Gerichtstage, die öffentlichen Spiele, die Feste u. dgl. Auskunft gaben.
Diesen Namen- und Tageslisten fügte man dann bald anfangs kurze, später ausführlichere Notizen über denkwürdige Ereignisse des Natur- und Menschenlebens hinzu, und so entstanden aus ihnen die Annalen (Jahrbücher) und Chroniken, denen das gemeinsam ist, daß die zeitliche Aufeinanderfolge der für sie vorzugsweise maßgebende Gesichtspunkt ist. Es ist eine durchaus seltene Ausnahme, wenn die Chronisten oder Annalisten sich über diesen äußerlichen Gesichtspunkt der zeitlichen Aufeinanderfolge erheben, wenn sie den Stoff zu beherrschen sich bemühen und nach gewissen von ihnen selbst ausgehenden Grundgedanken verarbeiten.
Als Annalen bezeichnet man gewöhnlich Aufzeichnungen, bei denen die Aufeinanderfolge der Kalenderjahre das Gerüst der chronologischen Anordnung bildet, während bei den Chroniken dasselbe zumeist durch die Regierungsperioden der Könige, Päpste, Bischöfe etc. gebildet wird. Von Geschichtswerken dieser Art aus dem Altertum, deren es bei den Römern besonders viele gab, sind uns nur Fragmente erhalten, wenn man nicht die der sinkenden Klassizität angehörigen annalenartigen Auszüge aus größern Geschichtswerken, wie Florus, Eutropius u. a., dazu rechnen will. Zahllos aber sind die Annalen und Chroniken des Mittelalters, die meist im Anschluß an eine Weltchronik nur die Geschichte eines bestimmten Zeitraums oder einer beschränkten Örtlichkeit selbständig behandeln.
Eine zweite
Gattung keimender
Historiographie, die aber erst bei fortgeschrittener
Kultur möglich wird, sind die
Denkwürdigkeiten
oder
Memoiren (s. d.), Aufzeichnungen einer mehr oder minder hervorragenden Persönlichkeit
über ihre Zeit und ihr
Leben, über das, was sie selbst gesehen und gehört hat. Namentlich hat
Frankreich
eine sehr reiche Memoirenlitteratur aufzuweisen. Nicht wesentlich von diesen
Memoiren verschieden sind diejenigen Aufzeichnungen,
welche die Alten
Historiae nannten, d. h. nach der
Definition des
Gellius
Erzählungen von geschichtl
ichen Vorgängen, denen
der Erzähler selbst beigewohnt, an denen er wohl gar mitgewirkt hat; sie streifen um so mehr den memoirenhaften
Charakter ab, je weniger der Verfasser seine eigne
Person zum
Mittelpunkt der
Darstellung macht, und je mehr er das persönliche
Moment hinter dem sachlichen zurücktreten läßt,
und sie sind um so wichtiger, eine je hervorragendere
Rolle ihr Verfasser
zu seiner Zeit gespielt hat.
Die Kommentarien
Cäsars bei den
Römern, die letzten ihre Zeit behandelnden
Bücher vieler mittelalterlicher
Chronisten, z. B.
Gregors von
Tours,
[* 7]
Thietmars von
Merseburg,
[* 8]
Froissarts und
Comines', die von
Karl V. begonnene
Arbeit über die
Geschichte seiner Zeit, die
»Histoire de mon temps«
Friedrichs d. Gr. mögen als hervorragendste
Beispiele dieser Art von Geschichtswerken
genannt werden.
Endlich gibt es auch geschichtliche
Werke, deren Verfassern die
Schönheit der Form und des
Stils die Hauptsache
war, während es ihnen auf die
Sachen selbst, die sie darstellten, weniger ankam. Solche
Erzählungen, die man treffend als
rhetorische Geschichtswerke bezeichnet hat, treten zuerst bei den Griechen, dann auch bei den
Römern
auf; manche mit Unrecht hochgeschätzte Werke, wie z. B. die des Italieners
Guicciardini,
Voltaires Geschichte
Karls XII. von
Schweden
[* 9] u. a., gehören in diese
Kategorie, deren
Entartung zuletzt der historische
Roman wird.
Als der
Vater der Geschichtschreibung im eigentlichen
Sinn wurde schon von den Alten Herodot bezeichnet, der den gewaltigen
Zusammenstoß des
Orients mit dem Hellenentum sich zum Gegenstand seiner
Darstellung wählte und in der
Kunst der Schilderung
sich als
Meister zeigte. Nach ihm schritt
Thukydides zur pragmatischen, d. h. sachgemäßen, Geschichtschreibung fort; die
mit sinnvoller
Kürze der
Darstellung historische
Kritik, politische
Reflexion
[* 10] und weltgeschichtliche
Auffassung verbindet. Dasselbe
Ziel verfolgte
Xenophon, wenn auch nicht mit gleichem Erfolg, und auch nach dem
Verfall
Griechenlands hat
seine Litteratur in
Polybios noch einen
Meister der Geschichtschreibung aufzuweisen. Bei den
Römern
¶
mehr
entwickelte sich die Geschichtschreibung erst im letzten Jahrhundert der Republik zu künstlerischer Vollendung, und Sallustius,
Livius und besonders Tacitus können trotz mancher Mängel ihren griechischen Vorbildern zur Seite gestellt werden. Auch in
den spätern Geschichtswerken des Suetonius, Vellejus, Josephus, Ammianus, Dio Cassius u. a. sind die Nachwirkungen der Blütezeit
sowohl der Form als der geschichtl
ichen Auffassung nach bemerkbar.
Im Mittelalter schien die historische Kunst erloschen. Nur einige Biographien, wie die Karls d. Gr. von Einhard, und Memoirenwerke (s. oben) sowie wenige universalhistorische Werke, so das des Otto von Freising, machen eine Ausnahme. Einen Aufschwung nahm die Geschichtschreibung erst wieder im humanistischen Zeitalter und zwar zunächst in Italien, [* 12] wo Machiavelli grundlegend wirkte. Es entstanden nicht nur Geschichtswerke, welche ihren Stoff nach bestimmten Gesichtspunkten und Ideen behandelten, nach Wahrheit strebten und der Darstellung eine künstlerische Form zu geben versuchten, sondern es wurde auch zuerst für die gelehrte Forschung gesorgt durch Errichtung von historischen Lehrstühlen und Edition von Sammelwerken.
Die verschiedenen Formen der geschichtl
ichen Darstellung, Annalen, Memoiren, Historien, pragmatische Geschichtswerke, endlich
Universalhistorien, wurden bei den Kulturnationen, Italienern, Spaniern, Franzosen, Niederländern, Engländern und Deutschen,
alle gepflegt (Genaueres bei der Litteraturgeschichte dieser Völker). Betrachtet man aber die Gesamtentwickelung der Geschichtschreibung
bei den drei Hauptvölkern der neuern Zeit, so findet man wohl, daß die Franzosen auch pragmatische Geschichtschreiber,
wie Montesquieu, Guizot u. a., aufzuweisen haben, aber vorzugsweise Memoiren, Biographien und rhetorische Geschichtswerke erzeugen.
Bei den Engländern wird die Biographie auch sehr gepflegt; bei ihnen ist die erste größere Weltgeschichte von Guthrie und Gray entstanden; vornehmlich aber hat die englische Litteratur Meisterwerke der pragmatischen Geschichtschreibung von Hume, Robertson, Gibbon, Macaulay u. a. hervorgebracht. Deutschland [* 13] dagegen hat das Höchste geleistet in der historischen Kritik, für die Niebuhr und Ranke die maßgebenden Grundsätze aufstellten, und in der Weltgeschichte, welche von Spittler, Joh. v. Müller, Herder, Heeren, Schlosser, Weber u. a. bis zum neuesten Werk von Ranke das gesamte Gebiet der Geschichte zu beherrschen und zu verarbeiten bemüht ist. Auch Werke, die einzelne Perioden der Geschichte behandelten, wie die verschiedenen Werke von Ranke, die Geschichte der Revolution von v. Sybel, die deutsche Geschichte von Häusser u. a., stellen sich auf einen universalhistorischen Standpunkt, und es ist nicht zufällig, daß, während von den deutschen Geschichtsforschern die Geschichte aller Zeiten und Völker durchwühlt und bearbeitet wird, es an einer würdigen Geschichte des deutschen Volkes bis jetzt fehlt.
Vgl. Bolingbroke, Letters on the study and use of history (Lond. 1751, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 1794);
Mably, De la manière d'écrire l'histoire (Par. 1783; deutsch, Straßb. 1784);
Rühs, Entwurf einer Propädeutik des historischen Studiums (Berl. 1811);
Wachsmuth, Entwurf einer Theorie der Geschichte (Halle [* 14] 1820);
W. v. Humboldt, Über die Aufgabe des Geschichtschreibers (Berl. 1822);
M. Duncker, De historia ejusque tractandae varia ratione (das. 1834);
Gervinus, Grundzüge der Historik (Leipz. 1837);
v. Sybel, Über die Gesetze des historischen Wissens (Bonn [* 15] 1864);
Trächsel, Über das Wesen und Gesetz der Geschichte (Bern [* 16] 1857);
J. G. ^[Johann Gustav] Droysen, Grundriß der Historik (3. Aufl., Leipz. 1882);
Freeman, The methods of historical study (Lond. 1886);
Lazarus, Über die Ideen in der Geschichte (Berl. 1865);
Derselbe, Geschichte als Erziehung des Menschengeschlechts (das. 1866);
Jodl, Die Kulturgeschichtschreibung, ihre Entwickelung und ihr Problem (Halle 1878);
Flint, The philosophy of history in France and Germany (Lond. 1874);
R. Mayr, Die philosophische Geschichtsauffassung der Neuzeit (Wien [* 17] 1877);
R. Rocholl, Die Philosophie der Geschichte (Götting. 1878);
Biedermann, Philosophie der Geschichte (Prag [* 18] 1884);
Wachler, Geschichte der historischen Forschung und Kunst seit der Wiederherstellung der litterarischen Kultur in Europa [* 19] (Götting. 1812-20, 2 Bde.);
Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie (Münch. 1885);
Scherrer, Übersicht der vaterländischen deutschen Geschichtschreibung (Heidelb. 1886). -
Von periodischen Werken und Zeitschriften für allgemeine Geschichte sind zu nennen: »Historisches Taschenbuch« (hrsg. von Raumer, Leipz. 1830 ff., seit 1870 von Riehl, seit 1880 von Maurenbrecher);
»Allgemeine Zeitschrift für Geschichte« (hrsg. von A. Schmidt, Berl. 1844-48);
»Historische Zeitschrift« (hrsg. von v. Sybel, Münch. 1859 ff., mit reichhaltigem Litteraturbericht);
»Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte« (hrsg. von v. Zwiedineck-Südenhorst, Stuttg. 1884 ff.);
»Forschungen zur deutschen Geschichte« (hrsg. von der Historischen Kommission der bayrischen Akademie der Wissenschaften, Götting. 1859 ff.);
»Historisches Jahrbuch« (hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Münster [* 20] 1880 ff.);
für Frankreich die »Revue historique« (seit 1876) und die »Revue des questions historiques« (seit 1867);
für Italien die »Rivista storica italiana« (seit 1884);
für Spanien [* 21] die »Revista histórica« und die »Revista de ciencias históricas«;
für Dänemark [* 22] die »Historisk Tidsskrift«.
Eine Übersicht über die gesamte Geschichtsforschung geben die »Jahresberichte der Geschichtswissenschaft« (hrsg. von der Historischen Gesellschaft in Berlin, [* 23] seit 1878); eine Bibliographie die »Bibliotheca historica« (Götting. 1862-82, halbjährlich).