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Die
Universal- oder
Weltgeschichte verarbeitet die in den
Spezial- und Partikulargeschichten
gewonnenen Ergebnisse zu einem
nach räumlichen und zeitlichen Verhältnissen wohlgeordneten Ganzen. Sie soll uns die Zustände des gesamten menschlichen
Geschlechts, wie sie sich im
Lauf der
Zeiten gestaltet haben, nach ihren wichtigsten Beziehungen und bedeutungsvollsten
Erscheinungen
kennen lehren und so gleichsam die
Krone bilden, in welcher alle
Strahlen geschichtlicher
Darstellung zusammenfließen.
Die
Weltgeschichte ist hier
durch schon auf eine philosophische Betrachtungsweise hingewiesen, ja sie kann sich zu einer
Philosophie
der Geschichte
entwickeln, welche in der Geschichte eine aufsteigende Entwickelungslinie nach einem bestimmten
Ziel zu erkennen strebt. Diese teleologische Auffassung, als deren bedeutendste Vertreter
Herder,
Kant,
Fichte,
[* 2] W. v.
Humboldt,
Hegel u. a. zu nennen sind, wird freilich von denen bekämpft, welche, wie schon
Machiavelli, dann
Hellwald,
Schopenhauer,
Hartmann u. a., die Geschichte
nur als einen im ewigen
Kreislauf
[* 3] sich bewegenden Naturprozeß, als ein
Spiel blinder
Naturkräfte
betrachten, während die religiöse Geschichtsbetrachtung in der Geschichte
nur Veranstaltungen
Gottes sieht, um den Einzelnen zum
Heil oder die Menschheit unter
der Leitung der
Kirche zur Einigung
mit Gott zu führen. Eine
neuere
Richtung der Geschichtsphilosophie strebt danach, die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen
Erscheinungen aufzusuchen
und ihren
Mechanismus zu studieren. Die Vertreter dieser letztern sind in
Deutschland
[* 4]
Herbart und
Lazarus,
in
Frankreich
Quételet und
Comte, in
England
Stuart Mill und
Buckle. Diese wissenschaftlichen
Studien sind freilich noch in ihren
Anfängen (s. unten Litteratur).
Schon aus dem
Zweck der Universalgeschichte
ergibt sich, daß nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der uns erhaltenen Nachrichten
den
Stoff der
Weltgeschichte bilden kann; denn die
Weltgeschichte hat nur von denjenigen
Thatsachen
Notiz
zu nehmen, welche aus dem Kulturleben der Menschheit entweder direkt hervorgegangen sind, oder dasselbe unmittelbar betroffen,
oder wenigstens mittelbar in günstiger oder ungünstiger
Weise beeinflußt haben. Man pflegt diejenigen
Völker, welche das
Kulturleben der Menschheit vorzugsweise repräsentieren, im engern
Sinn des
Wortes geschichtliche
Völker
zu nennen.
Soll nun die
Weltgeschichte ein
Bild der Menschheit vor uns aufrollen, so wird sie nicht umhin können, bei der besondern
Entwickelung
der Hauptvölker, solange sie
Träger
[* 5] der menschlichen
Kultur sind, zu verweilen und die Mannigfaltigkeit der
Erscheinungen
in dem Kulturleben der
Völker zur
Darstellung zu bringen. Die Universalgeschichte
zerfällt aber in zwei
Hälften, in die alte und die neue. Der Grenzpunkt zwischen beiden, der natürlich nicht auf ein Jahr zurückgeführt werden
kann, ist da zu suchen, wo das
Christentum unter
den die damalige
Kultur repräsentierenden Völkern zur Herrschaft gelangt
und damit die
Entwickelung dieser
Völker nach allen Beziehungen eine wesentlich andre
Richtung erhält.
Die neue Geschichte teilt sich wieder in zwei Hälften, in die mittlere und in die neuere Geschichte im engern Sinn, deren Scheidepunkt das Ende des 15. und der Anfang des 16. Jahrh. mit den damals eintretenden, die bestehenden Verhältnisse erschütternden und zum Teil umgestaltenden großen Weltbegebenheiten bildet. Keine dieser Perioden der Geschichte bildet aber in dem Sinn ein für sich abgeschlossenes Ganze, daß die eine etwa ohne die Kenntnis der andern verstanden werden könnte; vielmehr ist die Geschichte des menschlichen Geschlechts ihrer Natur nach nur eine einheitliche, jede Epoche derselben wird durch die ihr vorangehenden ebenso bestimmt, wie sie selbst die ihr folgenden bedingt. Die Einteilung der in Perioden hat daher eben nur den Zweck, die erdrückende Fülle des Stoffes in leichter zu übersehende, weil einen kleinern Zeitraum umfassende Gruppen zu sondern.
Die Bedeutung der Geschichte für das praktische Leben leuchtet ein. Wie für den einzelnen Menschen, so ist nicht minder für jede Gesamtheit von solchen (für das Volk, den Staat, das Heer, die Kirche etc.) Selbsterkenntnis die erste Bedingung gedeihlicher Thätigkeit. Ein richtiges Bild ihrer selbst aber erlangt jede solche Gemeinschaft nur in dem Spiegel, [* 6] den ihr die Geschichte vorhält. Darum ist es das Studium der Geschichte, dessen vor allem der Staatsmann bedarf, den man mit Recht den praktischen Historiker genannt hat.
Nicht in dem äußerlichen
Sinn freilich darf der Staatsmann die Geschichte studieren, um daraus
Analogien zu ziehen, um unter
gewissen
gegebenen Verhältnissen etwa ebenso zu verfahren, wie man unter
äußerlich ähnlichen (ihrem
Wesen nach
aber vielleicht grundverschiedenen Verhältnissen) einst mit
Glück verfahren ist: das würde zu schädlichem Doktrinarismus
in der
Politik führen. Vielmehr ist für den
Politiker das Verständnis der Gegenwart die erste Vorbedingung ersprießlicher
Wirksamkeit, und ebendarum bedarf er der Geschichte, denn nur sie vermag ihm dies Verständnis
zu gewähren.
Methode der Geschichtsforschung.
Die Thätigkeit des Geschichtsforschers beginnt mit der Herbeischaffung des historischen Materials, welches uns ermöglicht, die Vergangenheit zu verstehen. Dieses Material läßt sich in zwei große Klassen teilen. Entweder es ist aus jener Vergangenheit, mit welcher der Forscher sich beschäftigt, unmittelbar erhalten, ohne daß es in der Absicht geschaffen wurde, von dieser Vergangenheit spätern Geschlechtern Kunde zu geben (Überreste), oder es verdankt seine Entstehung der ausgesprochenen Absicht, der Nachwelt eine Überlieferung von dem Geschehenen zu geben (Quellen).
Zwischen diesen beiden Klassen in der Mitte stehen die Denkmäler, welche Überreste und Quellen zugleich sind. Die Überreste können sehr mannigfaltiger Art sein. Zu ihnen gehören die Ruinen geschichtlich merkwürdiger Städte, wie die von Palmyra, Theben, Pompeji, [* 7] die erhaltenen Kunstwerke alter Zeiten, die in Gräbern und an andern Orten gefundenen Waffen [* 8] und Geräte, dann auch Gesetze, Volksrechte, Beschlüsse von Versammlungen und Behörden, ja alle aus der Vorzeit stammenden Sitten und Gebräuche eines Volkes als Produkte seines staatlichen und sozialen Lebens: ferner das, was uns von dem geistigen Leben eines Volkes, seiner Sprache, [* 9] seiner Religion und seiner Litteratur erhalten ist.
Und von welcher Bedeutung für die Erkenntnis des Kulturlebens einer Nation die Beschäftigung mit seiner Litteratur ist, das bedarf kaum einer weitern Ausführung. Daß zu den Überresten endlich auch die in den Archiven aufbewahrten Akten, Korrespondenzen, Gesandtschaftsberichte, Rechnungen etc. gehören, versteht sich von selbst. Allen diesen Überresten ist eins gemeinsam: sind sie überhaupt echt, so bedürfen sie nur des richtigen Verständnisses, um unmittelbar verwertbare, objektive Zeugnisse für die Vergangenheit zu sein, der sie entstammen.
Gerade dadurch unter
scheiden sie sich von den
Quellen, welche nicht die
Dinge selbst, sondern nur eine subjektive, durch das
Medium menschlicher Auffassung gehende und von ihm getrübte
Überlieferung von den
Dingen geben. Ob die
Quellen mündlich oder
schriftlich überliefert sind, ist kein prinzipieller Unter
schied.
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Stets, wenigstens zu Anfang, durch mündliche Tradition überliefert sind die Sagen des Volkes und seine Lieder. Sie sind unter
allen Quellen die subjektivsten, d. h. diejenigen, in denen die Auffassung der Menschen die Darstellung des Geschehenen am meisten
beeinflußt hat. Ebenfalls subjektiv, aber in der Weise, daß die Verfasser sich ihrer Subjektivität vollkommen
bewußt sind, daß sie die Absicht haben, ihren persönlichen Standpunkt bei der Darstellung von Ereignissen der Vergangenheit
hervortreten zu lassen und die letztere durch den erstern zu beeinflussen, sind die politischen, kirchlichen und sozialen
Reden, die Broschüren, Pamphlete, Streitschriften etc. und die seit dem 16. Jahrh.
immer massenhafter auftretenden Zeitungen: dies alles nicht zu entbehrende, aber nur mit äußerster Vorsicht
zu benutzende Geschichtsquellen. Ihrer Natur und Bestimmung nach weit objektiver sind die eigentlichen historischen Schriften,
von deren einzelnen Arten unten geredet werden wird; sie sind von allen Quellen geschichtlicher Erkenntnis die am reichhaltigsten
fließende.
Zwischen den früher besprochenen Überresten und den zuletzt erwähnten Quellen in der Mitte stehen, wie schon bemerkt ist, die Denkmäler oder Monumente; sie gehören den erstern an, insofern sie aus der Vergangenheit, von der sie Kunde geben, unmittelbar in die Gegenwart hineinragen, den letztern, insofern sie den Zweck haben, eine bestimmte Auffassung von den Geschehnissen ebendieser Vergangenheit der Nachwelt zu überliefern. Zu ihnen sind einmal alle Inschriften zu rechnen, welche für die Kenntnis des Altertums, zumal der orientalischen Völker, der Ägypter, Babylonier, Assyrer, Perser etc., äußerst wertvoll sind; ferner die Medaillen, die Münzen, [* 11] die Wappen, [* 12] die Siegel u. dgl. Für die Zeiten des Mittelalters gehören ebendahin die so sehr wichtigen Urkunden, d. h. schriftliche Aufzeichnungen über abgeschlossene Rechtsgeschäfte.
Das so außerordentlich reichhaltige und mannigfache historische Material zu sichten, sein Verhältnis zu den Vorgängen, von denen es absichtlich oder unabsichtlich Kunde gibt, und demgemäß seinen Wert für unsre Erkenntnis derselben zu bestimmen, ist die Aufgabe der Kritik. Sie hat zunächst aus der Gesamtmasse des vorhandenen Materials dasjenige auszuscheiden, was falsch und unecht, d. h. in Wirklichkeit nicht das ist, wofür es gehalten werden will. Solcher irre führenden Fälschungen hat es zu allen Zeiten gegeben; aus sehr verschiedenen Motiven hervorgegangen, erstrecken sie sich über alle Arten unsers historischen Materials.
Lediglich gewinnsüchtige Absichten waren es, welche schon im Altertum die vielen Münzfälschungen, im Mittelalter einen großen
Teil der Urkundenfälschungen hervorriefen. Andre Trugwerke verdanken politischen oder kirchlichen Bestrebungen der verschiedensten
Art ihren Ursprung; dahin gehört z. B. die in Frankreich in der ersten Hälfte des 9. Jahrh. zusammengestellte Sammlung von
zum Teil gefälschten päpstlichen Schreiben und Konzilienbeschlüssen, die unter
dem Namen der pseudoisidorischen
Dekretalien bekannt ist, dahin gehören aber auch die vielen erfundenen Depeschen, Gesandtschaftsberichte etc. Andre Fälschungen
alter und neuerer Zeit endlich sind aus dem Bestreben hervorgegangen, einem Geschlecht, einer Stadt, einem Volk eine möglichst
weit zurückreichende historische Erinnerung zu verschaffen. Oft ist übrigens nicht das ganze der Prüfung
unter
zogene Stück eine trügerische Erfindung, vielmehr kann auch ein echtes Dokument oft genug
durch Weglassungen oder Zusätze
(Interpolationen) entstellt sein. Gelingt es, die Zeit der Fälschung, ihre Motive, ihre Urheber nachzuweisen, so kann in diesem
Fall auch die Fälschung selbst ein wertvolles historisches Zeugnis für die Zeit werden, in der sie entstanden
ist.
Auf diese erste Unter
suchung, welche erweist, ob das historische Zeugnis das ist, wofür es gehalten werden will, folgt sodann
die Kritik des Richtigen, welche zu unter
suchen hat, ob das uns Überlieferte seinem Ursprung und seinen Bedingungen nach richtig
sein kann oder nicht; ihrer Natur nach kommt diese Kritik nur den Quellen und Denkmälern, aber nicht den Überresten gegenüber
zur Anwendung. Sie sucht den Parteistandpunkt des Überliefernden, seine Anschauungen und Tendenzen und den Grad seiner Bildung
im allgemeinen sowie der besondern Kenntnisse zu bestimmen, welche er von den Thatsachen haben konnte,
die er berichtete. Ihr fällt endlich auch die Aufgabe zu, bei den sogen. abgeleiteten Quellen, d. h. denjenigen, welche selbst
aus andern Quellen schöpfen und denselben mehr oder minder getreu folgen, den Prozeß der Auflösung in ihre Bestandteile vorzunehmen.
Des so kritisch gesichteten und nach möglichst mannigfachen Gesichtspunkten geordneten Materials bemächtigt sich sodann die Interpretation, deren Bestreben es ist, dasselbe zu verstehen. Sie sucht den Kausalnexus, das Verhältnis von Grund und Folge in den Dingen, zu erkennen;
sie ist bemüht, das unbekannte, fehlende Mittelglied durch Analogie und Hypothese zu ergänzen;
sie will das Geschehene aus der Einwirkung der räumlichen, zeitlichen und sachlichen Bedingungen, unter denen es geschah, erklären;
sie fragt bei den Thatsachen nach den psychologischen Motiven der handelnden Personen;
sie will endlich das, was in den Einzelerscheinungen unklar und unverständlich bleibt, aus den zu Grunde liegenden, den Einzelwillen beherrschenden und treibenden allgemeinen Ideen erfassen.
Die Interpretation ist vielleicht die schwerste Aufgabe des Historikers: die Kritik kann rein verstandesmäßig erlernt und geübt werden, sie ist mehr handwerksmäßige als künstlerische Arbeit;
erst in der Interpretation offenbart sich das Genie des Geschichtsforschers.
[Historische Hilfswissenschaften.]
Bei dieser Thätigkeit des Sammelns, Beurteilens und Interpretierens des historischen Materials bedarf der Geschichtsforscher einer Reihe von Kenntnissen und Fertigkeiten, die auch als besondere Disziplinen sich entwickelt haben, und die man, soweit sie im Dienste [* 13] der Geschichtsforschung stehen, als historische Hilfswissenschaften bezeichnet hat. Dahin gehört zunächst die Geographie, welche uns über die räumlichen Bedingungen aufklärt, unter denen die geschichtlichen Vorgänge sich abspielen. Weiter kommen unter demselben Gesichtspunkt die Ethnographie [* 14] oder Völkerkunde, besonders die Völkerpsychologie, und die Statistik in Betracht. Nicht minder wichtig ist die Wissenschaft von der Teilung und Messung der Zeit, die Chronologie.
Diesen mehr allgemeinen Disziplinen, deren der Geschichtsforscher fast bei jedem Schritt auf seinem Weg bedarf, reihen sich andre an, die ihm für das Verständnis gewisser Gattungen des historischen Materials unentbehrlich sind. Die Paläographie lehrt ihn die anscheinend rätselhaften, nicht zu entwirrenden Schriftzüge entziffern, in denen ein großer Teil dessen aufgezeichnet ist, was ihm zur wichtigen Erkenntnisquelle wird. Die Archäologie zeigt ihm, wie die aus der Vergangenheit übriggebliebenen ¶