mehr
wenn von den begleitenden Umständen wenig bekannt ist. Nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 87) wird die richterliche Leichenschau unter Zuziehung eines Arztes, die Leichenöffnung im Beisein des Richters von zwei Ärzten vorgenommen, unter denen sich ein Gerichtsarzt befinden muß. Die Leichenöffnung muß sich auf Öffnung der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle erstrecken. Bei der Öffnung der Leiche eines neugebornen Kindes ist die Untersuchung darauf zu richten, ob dasselbe nach oder während der Geburt gelebt habe, und ob es reif oder wenigstens fähig gewesen sei, das Leben außerhalb des Mutterleibes fortzusetzen (deutsche Strafprozeßordnung, § 90). In Preußen [* 2] besteht zudem noch ein besonderes Regulativ für gerichtliche Leichenöffnungen vom Die gerichtliche Medizin hat 3) die Obliegenheit, Werkzeuge [* 3] aller Art, die zu Verbrechen gedient haben, Räumlichkeiten, Kleidungsstücke, die mit Blut oder Samen [* 4] befleckt sind, zu untersuchen, Haare [* 5] auf ihre Identität zu prüfen, kurz eine Reihe von Fragen zu entscheiden, worin sie von der gerichtlichen Chemie unterstützt wird.
Bei Vergiftungen ist nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 91) die Untersuchung der in der Leiche oder sonst gefundenen verdächtigen Stoffe durch einen Chemiker oder eine Fachbehörde vorzunehmen; doch kann der Richter anordnen, daß diese Untersuchung unter Mitwirkung oder Leitung eines Arztes stattzufinden habe. In Deutschland [* 6] und Österreich [* 7] werden besondere Gerichtsärzte oder Physiker angestellt, weil die eine gerichtliche Medizineine Wissenschaft für sich und nicht jeder praktische Arzt ohne weiteres zum Gerichtsarzt befähigt ist. Das vorschriftsmäßige Physikatsexamen ist dazu bestimmt, die Qualifikation zum Gerichtsarzt darzuthun. In der Regel sind aber mit der Stellung eines solchen auch medizinalpolizeiliche Funktionen verbunden.
Vgl. Deutsche [* 8] Strafprozeßordnung, § 73 ff.; Österreichische Strafprozeßordnung, § 19 ff.
Die Anfänge der gerichtlichen Medizin sind in der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. (sogen. Carolina, 1532) zu suchen, welche zuerst die Herbeiziehung von Ärzten bei Begutachtung gewisser Fälle vorschrieb. Paré gab bald darauf Anleitung zur Abfassung ärztlicher Gutachten, und im Anfang des 17. Jahrh. schrieben italienische Ärzte die ersten Lehrbücher der gerichtlichen Medizin. In Deutschland fand diese Disziplin zuerst gegen Ende des 17. Jahrh. größere Beachtung, aber im 18. Jahrh. zeigte sich die Rechtspflege der Zuziehung von Ärzten wenig günstig, und erst im 19. Jahrh., seit dem Auftreten Feuerbachs und infolge der eminenten Fortschritte der Naturwissenschaften, trat ein gründlicher Wechsel der Anschauungen ein. Auch die moderne Strafrechts- und Strafprozeßgesetzgebung war auf diesem Gebiet von erheblichem Einfluß. Henke, Mende, Casper, Liman in Deutschland, Marc, Orfila, Tardieu in Frankreich und Christison in England haben sich um die gerichtliche Medizin besondere Verdienste erworben.
Vgl. Casper-Liman, Handbuch der gerichtlichen Medizin (7. Aufl., Berl. 1881);
Schürmayer, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin (4. Aufl., Stuttg. 1874);
Friedreich, System der gerichtlichen Psychologie (3. Aufl., Regensb. 1852);
Hoffmann, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin (Wien [* 9] 1877);
v. Krafft-Ebing, Die zweifelhaften Geisteszustände vor dem Zivilrichter (Erlang. 1873);
Derselbe, Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie (2. Aufl., Stuttg. 1881);
Krahmer, Handbuch der Staatsarzneikunde, Bd. 3 (Halle [* 10] 1879);
Ziemssen, Handbuch der speziellen Pathologie, Bd. 15 (2. Aufl., Leipz. 1880);
Maschka, Handbuch der gerichtlichen Medizin (Tüb. 1881-83, 4 Bde.);
Schlockow, Der preußische Physikus (Berl. 1886);
Eulenbergs »Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin« (das., seit 1851).