Gifte sind sehr häufig in frischern oder ältern Leichenteilen, aber auch in Geräten aller Art nachzuweisen.
Immer ist die
gerichtliche Analyse eine qualitative, resp. quantitative
Analyse, welche nach denselben
Regeln wie jede andre
Analyse
(s. d.) ausgeführt wird.
Da aber von dem
Ausfall derselben das
Urteil des
Richters oft in erster
Linie bestimmt wird, da somit
in die
Hand
[* 3] des Chemikers
Entscheidung über
Ehre und Unehre, über
Leben und
Tod des Angeschuldigten gelegt ist, so erfordert
die gerichtliche Analyse ganz besondere Vorsichtsmaßregeln.
Die zu untersuchenden
Objekte sind vor jeder fremden Beeinflussung absolut zu schützen, das
Laboratorium
[* 4] darf während der Untersuchung von keinem Unbeteiligten betreten werden, es sind neue
Apparate anzuwenden, und die zu benutzenden
Chemikalien müssen sorgfältig auf ihre Reinheit geprüft werden; kurz, es muß alles geschehen, was irgend erforderlich
erscheint, um einenIrrtum auszuschließen. Dabei ist der nachgewiesene
Körper und, soweit möglich, die
gesamte aufgefundene
Quantität desselben in eine Glasröhre einzuschmelzen, um als Beweismaterial zu dienen.
Die Schwierigkeit der gerichtlichen
Analyse beruht zum Teil auf der
Beschaffenheit der zu untersuchenden
Substanz, zum Teil
auf der Fragstellung des
Richters. Wenn in ältern Leichenteilen, die sich in vorgeschrittener
Fäulnis
befinden,
Alkaloide nachgewiesen werden sollen, so gehört große Umsicht und Geschicklichkeit dazu, dieselben abzuscheiden
und ihre
Natur zweifellos festzustellen, und während es z. B. verhältnismäßig leicht ist,
die
Frage zu beantworten, ob
Arsenik vorhanden ist oder nicht, so ist es außerordentlich schwierig, die
Frage zu beantworten,
ob irgend welche schädliche
Stoffe vorhanden sind. Der Chemiker hat in solchem
Fall sorgfältig zu erwägen,
wie weit er eine präzise Antwort geben darf. Litteratur vgl.
Analyse, chemische.
Diese
Fragen beziehen sich einmal auf lebende
Personen, über deren geistige oder körperliche Zustände
ein
Gutachten gefordert wird. Deshalb muß der
Gerichtsarzt 1) das ganze Gebiet der
Geisteskrankheiten, die gerichtliche
Psychologie
beherrschen, da es oft äußerst schwierig ist, festzustellen, ob ein
Mensch völlig zurechnungsfähig ist oder nicht, und
noch schwerer, zu entscheiden, ob ein solcher bei einer vielleicht vor
Jahren begangenen
Handlung gesund
oder geisteskrank gewesen ist.
Körperliche Untersuchungen andrer Art beziehen sich auf krankhafte Körperzustände, vorhandene
Schwangerschaft, Zeugungsunfähigkeit
u. dgl. oder auf
Verletzungen und Erkrankungen, bei denen die
Schuld eines Dritten in
Frage kommt. Ein sehr umfängliches Gebiet
der gerichtlichen
Medizin ist 2) die Ermittelung der Todesursache an
Leichen. Diese Aufgabe erfordert eine
gründliche Schulung des
Gerichtsarztes auf dem Gebiet der pathologischen
Anatomie, da nur eine sehr große
Erfahrung darüber
entscheiden kann, wenn mehr als eine
Verletzung oder Erkrankung vorliegt, welche unter ihnen den
Tod bewirkt hat, und da selbst
bei einfachern
Fällen der
Gerichtsarzt den oft sehr speziell gestellten
Fragen des
Richters gegenüber sowie
im
Kreuzverhör des
Staatsanwalts und des Verteidigers sich stets gegenwärtig halten muß, was feststehend, was wahrscheinlich
und was nur möglich ist, eine Unterscheidung, die recht große Schwierigkeiten darbietet,
¶
mehr
wenn von den begleitenden Umständen wenig bekannt ist. Nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 87) wird die richterliche
Leichenschau unter Zuziehung eines Arztes, die Leichenöffnung im Beisein des Richters von zwei Ärzten vorgenommen, unter denen
sich ein Gerichtsarzt befinden muß. Die Leichenöffnung muß sich auf Öffnung der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle
erstrecken. Bei der Öffnung der Leiche eines neugebornen Kindes ist die Untersuchung darauf zu richten, ob dasselbe nach oder
während der Geburt gelebt habe, und ob es reif oder wenigstens fähig gewesen sei, das Leben außerhalb des Mutterleibes fortzusetzen
(deutsche Strafprozeßordnung, § 90). In Preußen
[* 7] besteht zudem noch ein besonderes Regulativ für gerichtliche
Leichenöffnungen vom Die gerichtliche Medizin hat 3) die Obliegenheit, Werkzeuge
[* 8] aller Art, die zu Verbrechen gedient haben, Räumlichkeiten,
Kleidungsstücke, die mit Blut oder Samen
[* 9] befleckt sind, zu untersuchen, Haare
[* 10] auf ihre Identität zu prüfen, kurz eine Reihe
von Fragen zu entscheiden, worin sie von der gerichtlichen Chemie unterstützt wird.
Bei Vergiftungen ist nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 91) die Untersuchung der in der Leiche oder sonst gefundenen
verdächtigen Stoffe durch einen Chemiker oder eine Fachbehörde vorzunehmen; doch kann der Richter anordnen, daß diese Untersuchung
unter Mitwirkung oder Leitung eines Arztes stattzufinden habe. In Deutschland
[* 11] und Österreich
[* 12] werden besondere
Gerichtsärzte oder Physiker angestellt, weil die eine gerichtliche Medizineine Wissenschaft für sich und nicht jeder praktische Arzt ohne weiteres
zum Gerichtsarzt befähigt ist. Das vorschriftsmäßige Physikatsexamen ist dazu bestimmt, die Qualifikation zum Gerichtsarzt
darzuthun. In der Regel sind aber mit der Stellung eines solchen auch medizinalpolizeiliche Funktionen verbunden.
Die Anfänge der gerichtlichen Medizin sind in der peinlichen HalsgerichtsordnungKarls V. (sogen. Carolina, 1532) zu suchen,
welche zuerst die Herbeiziehung von Ärzten bei Begutachtung gewisser Fälle vorschrieb. Paré gab bald darauf Anleitung zur
Abfassung ärztlicher Gutachten, und im Anfang des 17. Jahrh. schrieben italienische Ärzte die ersten
Lehrbücher der gerichtlichen Medizin. In Deutschland fand diese Disziplin zuerst gegen Ende des 17. Jahrh. größere Beachtung,
aber im 18. Jahrh. zeigte sich die Rechtspflege der Zuziehung von Ärzten wenig günstig, und erst im 19. Jahrh., seit dem
Auftreten Feuerbachs und infolge der eminenten Fortschritte der Naturwissenschaften, trat ein gründlicher
Wechsel derAnschauungen ein. Auch die moderne Strafrechts- und Strafprozeßgesetzgebung war auf diesem Gebiet von erheblichem
Einfluß. Henke, Mende, Casper, Liman in Deutschland, Marc, Orfila, Tardieu in Frankreich und Christison in England haben sich um die
gerichtliche Medizin besondere Verdienste erworben.
Vgl. Casper-Liman, Handbuch der gerichtlichen Medizin (7. Aufl., Berl. 1881);
Schürmayer, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin
(4. Aufl., Stuttg. 1874);