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treten in zwei verschiedenen Formen auf. Bei der einen, welche seltener vorkommt, bauen die Mitglieder selbst und erhalten von der Gesellschaft langsam amortisierbare Darlehen (so bei der Breslauer Baugenossenschaft). Bei der andern baut die Gesellschaft, um die Wohnungen an ihre Mitglieder zu vermieten oder gegen Ratenzahlungen zu verkaufen. Diese Genossenschaften haben mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß sie gleich von Anfang umfänglicherer Mittel als die übrigen Genossenschaften bedürfen, und daß diese Mittel durch den Hausbau festgelegt werden.
Hierfür sind aber die Geschäftsanteile unzureichend, denn dieselben können von austretenden Mitgliedern zurückgezogen werden, eignen sich also nicht zur Anlage in Grundbesitz. Allerdings kann hierfür der Reservefonds verwandt werden, doch wächst derselbe nur langsam zu einem nennenswerten Betrag an. Hiernach muß die Gesellschaft anderweit ein für längere Zeit unkündbares, allmählich abzutragendes Kapital zu erhalten suchen. Zu dem Zweck hat man »stille Gesellschafter« zugelassen mit Einlagen, welche für bestimmte Zeit unkündbar sind und, wie die Geschäftsanteile, an Gewinn und Verlust teilnehmen, oder man hat einen Vorschußverein eigens zur Unterstützung der Baugenossenschaft ins Leben gerufen oder endlich unkündbare, allmählich zu tilgende Hypotheken (Annuitäten) aufgenommen.
Kommt man auf diesen Wegen nicht vollständig zum Ziel, so müßten die Mitglieder, ähnlich wie bei den Konsumvereinen mit Grundbesitz, zur Ansammlung unkündbarer »Hausanteile« oder »Obligationen« angehalten werden. Viele Baugenossenschaften entstanden zur Zeit der Wohnungsnot bei hohen Bodenpreisen und Baukosten. Inzwischen sind bei lebhafter Bauthätigkeit einzelner Unternehmer die Mietpreise gesunken, vielfach ist sogar ein Wohnungsüberfluß entstanden. Infolgedessen fanden manche Genossenschaften zu gedeihlicher Thätigkeit keinen Boden mehr und mußten liquidieren. Es gab der Anwaltschaft bekannte Baugenossenschaften 1875: 52, 1881: 34 und 1884: 33. Über die Organisation und Verwaltung der Baugenossenschaften vgl. Schneider, Mitteilungen über deutsche Baugenossenschaften (Leipz. 1875); ferner Plener, Die englischen Baugenossenschaften (Wien [* 2] 1873).
Das Genossenschaftswesen im Ausland.
In Österreich hat sich das Genossenschaftswesen in der neuern Zeit außerordentlich entwickelt. Man zählte in Österreich:
Genossenschaften. | 1882 | 1883 | 1884 |
---|---|---|---|
Vorschuß- u. Kreditvereine: | |||
Registrierte | 1017 | 10691 | 1114 |
Nicht registrierte | 158 | 142 | ? |
Zusammen: | 1175 | 1211 | ? |
Konsumvereine: | |||
Registrierte | 133 | 139 | 149 |
Nicht registrierte | 100 | 83 | ? |
Zusammen: | 233 | 222 | ? |
Sonstige Genossenschaften: | |||
Registrierte | 99 | 1122 | 136 |
Nicht registrierte | 24 | 20 | ? |
Zusammen: | 123 | 132 | ? |
Genossenschaften überhaupt: | |||
Registrierte | 1249 | 1320 | 1399 |
Nicht registrierte | 282 | 245 | ? |
Zusammen: | 1531 | 1565 | ? |
1So beim Nachweis der registrierten Genossenschaften, beim Nachweis der »Vereine« 1368. - 2So beim Nachweis der registrierten Genossenschaften, beim Nachweis der »Vereine« 113.
1884 bestanden an registrierten Genossenschaften:
Art der Genossenschaften | mit beschränkter Haftung | mit unbeschränkter Haftung | Zusammen |
---|---|---|---|
Vorschuß- und Kreditvereine | 584 | 530 | 1114 |
Konsumvereine | 93 | 56 | 149 |
Sonstige Genossenschaften | 93 | 43 | 136 |
Zusammen: | 770 | 629 | 1399 |
Die frühere gesetzliche Grundlage der Genossenschaften vom wurde durch ein dem deutschen im wesentlichen nahekommendes Gesetz vom dahin abgeändert, daß neben der Solidarbürgschaft der Mitglieder auch eine Solidarbürgschaft der Geschäftsanteile, also eine beschränkte Haft (bis auf wenigstens den doppelten Betrag der Anteile), zugelassen wurde. Neue Vereine können nur nach dem Gesetz von 1873 gebildet werden, bei Statutenänderungen müssen sich die ältern den Bestimmungen dieses Gesetzes anpassen.
Für Österreich [* 3] existiert ein nach dem Muster des deutschen eingerichteter Genossenschaftsverband, welchem der um das österreichische Genossenschaftswesen verdiente H. Ziller als Anwalt vorsteht. Derselbe gibt als Organ der österreichischen Genossenschaften. »Die Genossenschaft« (Wien 1872 ff.) und von Zeit zu Zeit »Berichte über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Österreich und Ungarn« [* 4] heraus (der letzte 1886).
Die privatrechtlichen Verhältnisse der in Ungarn wurden durch das in Kraft [* 5] getretene Handelsgesetz geregelt. Alle neuen Genossenschaften sind im Sinn dieses Gesetzes einzurichten, früher bestandene Genossenschaften mußten bis ihre Statuten mit den Bestimmungen desselben in Einklang bringen. Auch in Ungarn sind, wie in Österreich, zwei verschiedene Haftformen, die unbeschränkte und die beschränkte zugelassen, und zwar haften die Mitglieder einer Genossenschaft mit beschränkter Haftung, insofern die Statuten der Gesellschaft nicht ein andres verfügen, nur bis zum Betrag ihres festgesetzten Geschäftsanteils.
Die unbeschränkte Haftung kommt nur ganz vereinzelt vor. Durch diese und einige andre Bestimmungen haben die ungarischen Genossenschaften mehr oder weniger den Charakter einer Kapitalvereinigung erlangt, wie denn auch die Fusion gesetzlich als eine Auflösungsart von Genossenschaften bezeichnet wird. 1881 zählte man in Ungarn 278, Siebenbürgen 54, Kroatien und Slawonien 25 Genossenschaften, zusammen 357 Genossenschaften, und zwar waren hiervon: Vorschuß- und Kreditvereine 308, Konsumvereine 16, Rohstoffgenossenschaften 2, Magazingenossenschaften 3, landwirtschaftliche Hilfsgenossenschaften 2, gewerbliche Produktivgenossenschaften 6, landwirtschaftliche Produktivgenossenschaften 7, Versicherungsgenossenschaften 8, verschiedene Genossenschaften 5.
In Frankreich ist das Genossenschaftswesen viel mit der Politik verquickt worden, doch sind viele von den Gesellschaften, welchen Staatshilfe zu teil wurde, nach kurzem Bestand wieder zu Grunde gegangen. 1852 wurden fast alle bestehenden Genossenschaften geschlossen, erst mit 1857 wurden mehrere Kreditvermittelungsinstitute für den kleinen Mann ins Leben gerufen, und 1863 entstand auf Anregung von Beluze der erste Vorschußverein mit 762 Mitgliedern und 20,129 Fr. Grundkapital. 1866 zählte man in Paris [* 6] 166 solcher Vereine, 5 Konsumvereine und 53 Produktivgenossenschaften. In neuerer Zeit ist insbesondere das Konsumvereinswesen wieder in lebhafter Zunahme.
England ist dagegen von jeher ein günstigerer Boden für Entwickelung der Genossenschaften, insbesondere der Konsumvereine, gewesen, und zwar sind die modernen Genossenschaften dort früher entstanden als in Deutschland. [* 7] ¶
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Bereits 1822 gab es mehrere Vereine zur Anschaffung und zum Vertrieb genossenschaftlicher Vorräte (cooperative stores). 1827 erschien in Brighton das erste englische Fachblatt für genossenschaftliche Propaganda (»Brighton cooperator«). Seine glänzendsten Triumphe feierte das Genossenschaftswesen in den Erfolgen, welche die Rochdale Society of Equitable Pioneers erzielte, und die in Deutschland durch die Mitteilungen von Huber u. a. allgemeiner bekannt geworden sind. 1843 vereinigten sich in Rochdale 28 arbeitslose Flanellweber, um auf genossenschaftlichem Weg ihre häusliche und soziale Lage zu verbessern.
Nachdem sie 28 Pfd. Sterl. zusammengebracht, konnte 1844 die Registrierung des Vereins erfolgen. Man begann mit einem kleinen Konsumvereinsladen, der sich allmählich erweiterte, und zu dem noch andre Läden in eignen Häusern hinzukamen. Bald wurden auch andre genossenschaftliche Anstalten ins Leben gerufen, so 1851 eine später mit Dampfkraft betriebene Kornmühle, 1855 eine Baumwollspinnerei, 1863 eine Baugenossenschaft mit 1 Mill. Mk. Kapital. Dazu kam ein eignes Gesellschaftshaus mit Bibliothek und Lesezimmer, Theater, [* 9] Badehaus etc. Die Mitgliederzahl war 1874 auf 7021 angewachsen.
Allerdings haben, was leicht bei sich ausdehnenden, blühenden Genossenschaften der Fall, viele Unternehmungen der »Pioniere von Rochdale« den rein kapitalistischen Charakter einer Aktiengesellschaft angenommen. 1884 zählte man in England 1053 Genossenschaften (worunter 36 Produktivgenossenschaften) mit 573,000 Mitgliedern, einem eignen Kapital von 7 Mill., einem Geschäftsumfang von 23 Mill. und einem Reingewinn von 1,8 Mill. Pfd. Sterl. In Schottland gab es 282 Vereine mit 87,700 Mitgliedern, in Irland nur 11 Vereine mit 1346 Mitgliedern.
Die Haftbarkeit der englischen Genossenschaften ist eine verschiedene, je nachdem sie sich unter dem Spezialgesetz oder unter dem allgemeinen registrieren lassen. Im letztern Fall können sie unbeschränkte Haftpflicht oder auch eine auf bestimmte Garantiebeträge beschränkte wählen. Nach dem Spezialgesetz vom können Gesellschaften von wenigstens sieben Personen sich für jeden erlaubten gewerblichen Zweck registrieren lassen. Der höchste statthafte Geschäftsanteil beträgt 200 Pfd. Sterl. Derselbe ist mit Genehmigung übertragbar. Deckungspflicht besteht nur bis zu dem genannten Betrag. Jedes Mitglied hat, wenn die Statuten es gestatten, freies Austrittsrecht und kann seine Geschäftsanteile zurückziehen; Bedingung hierfür ist jedoch, daß keine Bankgeschäfte getrieben werden.
Vgl. Genossenschaften Holyoake, History of the cooperation in England (3. Aufl., Lond. 1885, 2 Bde.).
In Belgien [* 10] haben, wie in Deutschland, vorwiegend die Kreditgenossenschaften größere Ausdehnung [* 11] angenommen. 1885 zählte man 15 Volksbanken mit 10,000 Mitgliedern und 2,01 Mill. Frank eignem Kapital. Auch besteht in Belgien ein ähnlicher Verband [* 12] wie in Deutschland und Österreich. Die belgischen Genossenschaften finden sich dargestellt in dem Bericht des jährlich stattfindenden Congrès des banques populaires de Belgique und in L. d'Andrimont, Des institutions et des associations ouvrières de la Belgique (Brüssel [* 13] 1871).
In Italien [* 14] beträgt die Zahl der Volksbanken 316. 195 derselben zeigten Ende 1883 etwa 140,000 Mitglieder auf mit 64½ Mill. Lire eignem Vermögen, 261½ Mill. fremder Kapitalien und 609½ Mill. jährlicher Kreditgewährung.
Vgl. noch außer den oben erwähnten Schriften: Schulze-Delitzsch: Associationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter (Leipz. 1853), Die arbeitenden Klassen und das Associationswesen in Deutschland (2. Aufl., das. 1863), Die Entwickelung des Genossenschaftswesens in Deutschland (Berl. 1870);
Véron, Les associations ouvrières etc. en Angleterre, en Allemagne et en France (Par. 1865);
Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht (Berl. 1868-81, 3 Bde.);
Probst, Die Grundlehren der deutschen Genossenschaften (Münch. 1875-84, 2 Bde.);
Parisius, Die Genossenschaftsgesetze im Deutschen Reich, mit Einleitung u. Erläuterung (Berl. 1876);
Kraus, Die Solidarhaft bei den Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Bonn [* 15] 1878);
Schulze-Delitzsch, Die Streitfragen im deutschen Genossenschaftsrecht (Leipz. 1880);
Derselbe, Material zur Revision des Genossenschaftsgesetzes (das. 1883);
»Jahresbericht über die auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Erwerbsgenossenschaften« (das., früher von Schulze-Delitzsch, jetzt von Schenck herausgegeben);
Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft (Freiburg [* 16] 1886).
Für eine Revision des Genossenschaftsrechts im Sinn der Zulassung von Genossenschaften mit beschränkter Solidarhaft tritt neuerlich auch Goldschmidt ein in dem Buch »Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften; Studien und Vorschläge« (Stuttg. 1882).
Über die zur Ausführung des Unfallversicherungsgesetzes vom im Deutschen Reiche gebildeten Genossenschaften s. Berufsgenossenschaften.