wurde vom Reich als Regal verliehen und stand dem Kaiser innerhalb des ganzen Reichsgebiets, den Reichsständen innerhalb ihrer
Territorien zufolge kaiserlicher Belehnung zu. Der betreffende Landesherr (Geleitsherr) ließ das Geleit entweder durch besondere
Reiter (Geleitsmänner) oder durch seine Unterthanen, die zur Geleitsfolge (Dienstfolge, Dienstgefolge) verpflichtet waren,
leisten. Die das in Anspruch nehmenden Reisenden mußten eine bestimmte Abgabe (Geleitsgeld, guidagium)
entrichten, welche hier und da noch bis in die neuere Zeit forterhoben wurde.
Einem andern Kreis von Rechtsverhältnissen gehörte das sogen. sichere Geleit (salvus conductus) an, obgleich es ein Ausfluß
von jenem war. Man versteht darunter den einem Angeschuldigten von der Obrigkeit gewährten gesetzlichen
Schutz, unter welchem er ungefährdet vor Gericht erscheinen und wieder von dannen ziehen durfte. Kaiser Sigismund scheute sich
(1415) freilich nicht, sein dem Reformator Huß gegebenes Wort zu brechen, wogegen Kaiser Karl V. gegen Luther (1521) sich ehrenhafter
zeigte.
Nach und nach wurde aus dem sichern Geleit eine vertragsmäßige Befreiung von persönlicher Haft während
der Untersuchung, und in dieser Bedeutung hat sich das sichere Geleit bis auf die Gegenwart erhalten. Die deutsche
Strafprozeßordnung, § 337, bestimmt: Das Gericht kann einem abwesenden Beschuldigten sicheres Geleit erteilen, es kann diese
Erteilung an Bedingungen knüpfen. Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur
in Ansehung derjenigen strafbaren Handlung, für welche dasselbe erteilt ist. Es erlischt, wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes
Urteil ergeht, wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, oder wenn er die Bedingungen nicht erfüllt, unter welchen
ihm das sichere Geleit erteilt worden ist. - Beim Militär bilden noch heute Offiziere und kleine Truppenabteilungen
das Ehrengeleit hochgestellter Personen, namentlich gekrönter Häupter. Über Sicherheitsgeleit zu Lande und Geleitschiffe
zur See vgl. Eskorte und Konvoi. - Geleit heißt auch das Geleitsgeld, das ein Handelsschiff in Kriegszeiten für die schützende
Begleitung durch ein Kriegsschiff zu zahlen hat. Das Dokument, welches einem Schiffe von der Behörde erteilt
wird, um dadurch seinen Anspruch auf ein Konvoi und die dazu erhaltene obrigkeitliche Erlaubnis nachweisen zu können, heißt
Geleitsbrief.
Fabrikort in der sächs. Kreishauptmannschaft Zwickau, Amtshauptmannschaft Annaberg, mit Pfarrkirche, altem
Schloß, Baumwollspinnerei, Strumpfwirkerei, Spitzenklöppelei, Gerberei, Farbenfabrikation und (1885) 5636 meist evang. Einwohnern.
(Articulatio), Art der Knochenverbindung, bei welcher zwei oder mehrere mit einer Knorpellage oder mit Bandmasse
überzogene Knochenenden untereinander beweglich verbunden sind (Diarthrose). Die Vereinigung der Gelenkenden wird vorzugsweise
bewirkt durch die fibrösen Gelenk- oder Kapselbänder (s. Tafel »Bänder des
[* ] Menschen«),
welche mit der Knochenhaut beider
Knochenenden verschmelzen und so um letztere herum einen allseitig abgeschlossenen Hohlraum, die Gelenkhöhle,
bilden. Die Innenfläche des Kapselbandes ist von der sogen. Synovialhaut (membrana synovialis) überkleidet, welche die Absonderung
einer dicklichen, klebrigen Flüssigkeit (Gelenkschmiere, Gliedwasser, synovia) zur Verminderung der Reibung besorgt. Bei vielen
Gelenken sind noch zur Einschränkung der Beweglichkeit auf bestimmte Richtungen sogen. Hilfs- oder Hemmungsbänder
angebracht (s.
Bänder).
Die in den Gelenken aufgehängten Glieder werden vom Luftdruck getragen, indem letzterer das Auseinanderweichen der Knochenenden,
durch welches in der Gelenkhöhle ein leerer Raum entstehen müßte, verhindert. Nur durch grobe äußere Gewalt kann an gesunden
Gelenken ein Auseinanderweichen der Gelenkflächen (Verrenkung, Luxation) bewirkt werden. Je nach der Bewegbarkeit
der Knochen unterscheidet man mehrere Hauptarten Gelenke, z. B. das Kugelgelenk (arthrodia), das Nußgelenk (enarthrosis), das
Scharniergelenk (ginglymus), das Roll- oder Drehgelenk (rotatio) etc.
Als falsches Gelenk (Scheingelenk, Pseudarthrosis) bezeichnet man eine widernatürliche bewegliche Knochenverbindung,
welche zuweilen nach Knochenbrüchen zwischen den Bruchenden zurückbleibt, wenn der Heilungsvorgang gestört
wird. Es kommt dann nicht zur Vereinigung der Bruchenden durch feste Knochenmasse, sondern es bildet sich zwischen den Bruchenden
eine fibröse Gewebslage, welche denselben eine gewisse Beweglichkeit gestattet. Manchmal überziehen sich sogar die Bruchenden
mit einer Knorpellage, die den Bruch umgebenden Weichteile bilden sich zu einer Art Kapselband um, und
es bleibt eine mit Synovia erfüllte Lücke, eine Gelenkhöhle, zwischen den Bruchenden übrig.
Solche Pseudarthrosen sind immer, namentlich aber am Ober- und Unterschenkel, sehr störend, weil die betreffenden Knochen ihre
Starrheit einbüßen und dem Körper nicht mehr zur Stütze dienen können. Zur Heilung ist die Entfernung der sehnigen Verbindung
durch Abschneiden oder noch besser durch Absägen der beiden Knochenenden notwendig. Die Sägeflächen
werden dann entweder im einfachen Gipsverband oder nach Anlegung einer Naht mit Silberdraht oder Elfenbeinstiften zur Verwachsung
gebracht.
Ein neues Gelenk (Nearthrosis) bildet sich oft bei veralteten Verrenkungen, wenn der verrenkte Gelenkkopf nicht in die Pfanne zurückgebracht
wird, an der Stelle, welche er nunmehr zufällig einnimmt. Künstliches Gelenk endlich nennt man eine auf
künstlichem, operativem Weg hervorgerufene bewegliche Knochenverbindung, wobei die Knochenenden gewöhnlich durch fibröse
Massen vereinigt sind. Ein künstliches Gelenk wird angelegt, um eine widernatürliche knöcherne Verschmelzung
der normalen Gelenkenden zu beseitigen. Auch nach der Resektion (s. d.) der Gelenkenden sucht man in gewissen
Fällen ein künstliches Gelenk, d. h. eine bewegliche Verbindung zwischen den Sägeflächen der Knochen, herbeizuführen.
Bezeichnung für überaus zahlreiche, in ihrem anatomischen Sitz, ihrem Ablauf, ihren Krankheitserscheinungen
und ihren Ausgängen verschiedene Gelenkübel. Die Gelenkentzündung des Kniegelenks heißt Gonitis, die der Hüfte Coxitis; der allen
Gelenkentzündungen gemeinschaftliche Name Arthritis ist eigentlich für eine ganz bestimmte Form, die Gicht, vorbehalten, so
daß die wissenschaftliche Bezeichnung meist direkt an den vorliegenden Prozeß anknüpft und von einer Gelenkhautentzündung
(Synovitis) oder Gelenkzerstörung (Karies) handelt, wofern nicht besondere durch uralten Gebrauch sanktionierte Bezeichnungen,
wie Tumor albus, Malum senile etc., vorliegen, deren weiter unten Erwähnung
geschehen wird. - Die Ursachen, welche eine Gelenkentzündung bedingen können, wurden früher sehr einfach in die beiden Gruppen der traumatischen
(Verletzungen) und rheumatischen (Erkältungen) zusammengefaßt.
Die erste Gruppe besteht unangefochten auch heute zu Recht, wir wissen, daß ein leichter Stoß gegen das
mehr
Knie, ein Fall auf das Ellbogengelenk eine Entzündung hervorbringen kann, und daß zwischen diesen leichtesten Graden bis zur
Zerschmetterung der Gelenke durch Sprenggeschosse oder Granatsplitter eine ununterbrochene Kette von Übergängen beobachtet
wird. Die zweite Gruppe der Entstehungsursachen, die Erkältung, umfaßt zunächst eine ganz eigenartige Gelenkentzündung, den akuten Gelenkrheumatismus,
welcher sich mehr und mehr als eine miasmatische Krankheit ausweist, bei welcher das Gelenk nur die Ansiedelungsstelle
eines im Körper allgemein verbreiteten Giftstoffes pflanzlich-parasitischer Natur ist.
Derselbe gehört in die Gruppe der zu Kettenform aufgereihten Mikrokokken (ganz ähnlich der
[* ]
Fig. 1 auf Tafel »Bakterien«)
und ist, wie alle Bakterien, vermehrungsfähig. Da diese Kokken sich nicht selten an den Herzklappen ansiedeln
und daselbst schwere Zerstörungen bedingen, so ist der früher immer rätselhafte Zusammenhang von Gelenkentzündung und
Herzklappenfehler nunmehr verständlich. Ob durch Erkältung eines Gelenks auch für andre Bakterien, z. B. die gewöhnlichen
Eiterkokken und die Tuberkelbacillen, die Möglichkeit einer Ansiedelung gegeben wird, ist noch nicht
bestimmt ermittelt; jedenfalls ist die Erkältung, wo sie unzweifelhaft nachgewiesen ist, nur als prädisponierende Ursache
für die Entstehung einer Gelenkentzündung zu betrachten.
Als fernere Klasse von Fällen wären dann diejenigen anzureihen, welche ursprünglich als Entzündungs- oder Neubildungsvorgänge
neben dem Gelenk in den Weichteilen oder im Knochen (z. B. Syphilis) begonnen haben und erst später auf
die Gelenkteile fortgekrochen sind. Sodann bleibt noch eine umfassende Kategorie übrig, welche im weitesten Sinn als metastatische,
d. h. durch Versetzung eines Krankheitsstoffes entstandene, aufgeführt werden kann. Hierher gehört die Gicht (Arthritis vera),
bei der eine krankhafte Anhäufung harnsaurer Salze im Blut stattfindet und eine Entzündung durch Ablagerung
dieser Salze in die Gelenkauskleidungen hervorgerufen wird.
Ferner gehören hierhin die sogen. Trippergicht und alle Arten der Gelenkentzündung, welche im Verlauf schwerer Wundkrankheiten, des Wochenbettes
und ähnlicher fieberhafter Allgemeinleiden zur Beobachtung gelangen. Ihnen allen liegt (ähnlich dem Rheumatismus) die Aufnahme
mikroskopischer Keime ins Blut zu Grunde, bei allen sind es diese Pilze (Bakterien), welche als Ansiedler
und als örtliche Entzündungserreger in den Gelenkhäuten vorgefunden werden. Schließlich bilden eine zusammengehörige
Quelle für Gelenkentzündungen diejenigen Ernährungsstörungen, welche im höhern Alter auftreten, besonders den knorpeligen
Überzug betreffen und sich vor allen genannten durch einen besonders schleichenden Verlauf auszeichnen (Arthritis deformans).
Aus dieser Fülle ursachlicher Momente geht zur Genüge hervor, daß eine Einteilung aller Fälle weder auf
Grund der Ätiologie erfolgen kann, noch daß hierzu die bloße Dauer des Übels ausreichend ist, sondern daß wir am besten
das anatomisch Zusammengehörige gruppieren und so eine größere Zahl abgerundeter Krankheitsbilder vorführen werden:
1) Die Gelenkentzündung bei Eröffnung der Gelenkhöhle. Sobald durch eine Verletzung der bedeckenden Weichteile ein
bis dahin gesundes Gelenk eröffnet wird, fließt die Gelenkschmiere (synovia) aus, und Luft tritt in die Höhlung ein. Dieses
Ereignis wurde bis vor wenigen Jahren in der Chirurgie für ein äußerst gefährliches angesehen, da man der Anwesenheit
der Luft als solcher eine sehr reizende Wirkung zuschrieb und nun alle Gefahren einer schweren Gelenkentzündung für unvermeidlich hielt.
Es waren nur einzelne Fälle, bei denen kleine Schnittwunden sofort genäht wurden und zur Überraschung der Ärzte und Kranken
heilten, ohne daß je eine Gelenkentzündung dabei zur Entwickelung kam.
Diese Ausnahmen wurden immer zahlreicher, seit die fäulniserregenden Keime, welche die Luft mit sich führt,
als die eigentliche Schuld an den Entzündungen erkannt waren, und seit durch die Listersche Verbandmethode dem Eindringen
dieser Pilze der Weg gewaltsam gesperrt werden konnte. Jetzt fallen alle diese Verletzungen in das Gebiet der Wundbehandlung,
es werden bei Schuß- und Quetschwunden nur im äußersten Fall ganze Glieder abgesetzt, vielmehr die Gelenke
als einfache Höhlen behandelt, mit Karbolsäurelösungen ausgespült und ihre Heilung ohne Fieber erzielt, sofern irgend rechtzeitige
Hilfe zur Stelle ist. - 2) Die Gelenkentzündung leichtern Grades bei geschlossener Gelenkhöhle, wie sie bei Stoß und Fall, bei
einfachen Erkältungen und in sehr schwachen Anfällen des Gelenkrheumatismus vorkommt, hat ihren Sitz in der Auskleidungshaut
(Synovialmembran) und gibt sich in einer wässerigen Ausschwitzung derselben kund.
Das Gelenk ist dabei äußerlich geschwollen, gerötet, bei Bewegungen schmerzhaft; zuweilen besteht Fieber in mäßiger Höhe.
Meistens ist nur ein Gelenk leidend, beim Rheumatismus zuweilen deren mehrere (Polyarthritis rheumatica).
Diese Krankheit verläuft entweder gutartig, so daß bei absoluter Ruhigstellung des Gliedes im festen Verband die Wasseransammlung
in einigen Wochen aufgesogen wird, oder sie geht durch Steigerung der Entzündung in Eiterung über, oder sie nimmt einen chronischen
Charakter an. Im letzten Fall dehnt sich die Gelenkkapsel mehr und mehr aus, die Schmerzen lassen nach,
und es entwickelt sich eine chronische Gelenkwassersucht (Hydrops articuli chronicus oder Hydarthrosis). Am häufigsten ist
dies mehr lästige als gefährliche Übel im Knie, demnächst im Ellbogen-, Fuß- und Handgelenk lokalisiert. Am Knie nimmt die
Wasseransammlung zuweilen derart zu, daß der Wassersack über die halbe Höhe des Oberschenkels hinaufreicht,
daß die Gelenkflächen voneinander gedrängt werden und das Gehen absolut unmöglich wird.
Die Behandlung hat dann die Entfernung des Wassers zur Aufgabe; da dieses kaum je von selbst verschwindet, so muß es mittels
eines Trokars entleert werden und zwar meistens zu wiederholten Malen. Um seine erneute Ansammlung zu verhüten,
hat man reizende Flüssigkeiten, Jodlösungen oder gar Jodtinktur, in den entleerten Sack eingespritzt, um ihn zum Schrumpfen
zu bringen, oder man hat diese Reizmittel äußerlich auf die Haut gepinselt. Da das erste Verfahren nicht ohne Bedenken ist
und das bloße Pinseln sehr langsam zum Ziel führt, so wendet man neuerdings bei diesem Leiden die Knetkur
(s. d.) an, welche oft in überraschend kurzer Zeit die Wasserausschwitzung gründlich
zu beseitigen vermag.
3) Die eiterige hat ihren Sitz ebenfalls in der weichen, gefäßreichen Synovialhaut, stellt aber einen ungleich höhern Grad
der Entzündung dar. Sie beginnt akut infolge eines schweren Gelenkrheumatismus, heftiger äußerer Quetschungen
oder als metastatische Gelenkentzündung bei Tripper, Wund- oder Kindbettfiebern. Die Schwellung und Rötung nimmt bald hohe Grade an, die Schmerzhaftigkeit
ist so gesteigert, daß jede Bewegung aufs äußerste empfindlich, die Lage des Gliedes nur bei völliger Erschlaffung der Kapsel,
d. h. bei halber Beugung, noch möglich ist. Das Fieber ist um so lebhafter, je größer die Gelenkfläche,
von welcher die Aufnahme der Entzündungsprodukte ins
mehr
Blut stattfindet. Enthält das Gelenk nur wenig Eiter, wie bei der Mehrzahl der rheumatischen Fälle, so erweist sich die von
Stricker eingeführte Darreichung großer Gaben von Salicylsäure oft von überraschender Wirkung, welche örtlich nur durch
ruhige Lagerung unterstützt zu werden braucht. Ist das Gelenk prall mit Eiter gefüllt (pyarthros), so
muß hier wie überall, wo durch die Aufnahme zersetzter Stoffe ins Blut eine allgemeine Septichämie (Faulfieber) droht, durch
Einstich für Abfluß des Eiters gesorgt werden, und die weitere Behandlung entspricht dann dem Verfahren bei großen Höhlenwunden.
Liegt der Gelenkentzündung schon ein Wundfieber oder Kindbettfieber als Ursache zu Grunde, so ist die Aussicht auf Heilung
gering, der Tod tritt infolge der Gesamterkrankung beinahe unausbleiblich ein. Wird der Eiter mit oder ohne Eröffnung des Gelenks
aufgesogen, ohne daß die Schwellung der Synovialhaut zurückgeht, so kann sich eine chronische Gelenkentzündung ausbilden, welche nach
Monaten mit Verwachsung und Gelenksteifigkeit (s. d.) endigt. Bei diesen langwierigen
Fällen sind die warmen Bäder von Teplitz, Wildbad, Gastein, Wiesbaden und Öynhausen oft von vortrefflicher Wirkung.
4) Die chronisch beginnende fungöse Gelenkentzündung (weiße Gelenkgeschwulst, Gliedschwamm, Tumor albus). Auch diese Form nimmt ihren Ausgang
von der weichen Synovialhaut; diese erfährt eine langsame Verdickung durch Bildung eines schwammigen Granulationsgewebes ohne
reichlichere Eiterabsonderung, ohne Fieber und entzündliche Rötung, aber mit weißer, teigiger Schwellung
der ganzen Umgebung. Der Tumor albus ist eine Krankheit jüngerer skrofulöser Personen und wird jetzt allgemein als echt tuberkulöse
Gelenkentzündung betrachtet.
Anatomisch wird das Bild bald recht verwickelt, da sich nach einigem Bestehen der wulstigen Verdickung der Gelenkmembran der
knorpelige Überzug der Gelenkenden beteiligt; er geht zu Grunde, aus dem bloßgelegten Knochen schießen
neue Fleischwärzchen auf, welche mit den Ausfüllungsmassen der Gelenkhöhle verwachsen und Steifigkeit bedingen können
oder zur tiefer greifenden Knocheneiterung (Karies) mit Knochenauftreibung, Nekrose und Fistelbildung (Arthrocace) führen.
Der Kräftezustand leidet unter dem Übel beträchtlich, und nicht selten gehen die Kranken an Abzehrung,
Lungenschwindsucht, allgemeiner Tuberkulose oder Speckentartung der Unterleibsdrüsen zu Grunde. Demnach ist bei der Behandlung
das Augenmerk vorwiegend auf die Erhaltung und Besserung des Ernährungszustandes zu richten, Solbäder und Waldluft sind bei
Kindern besonders von Nutzen. Das Gelenk selbst ist frühzeitig durch Operation von den tuberkulös erkrankten
Weichteilen zu befreien, bei beginnendem Knochenfraß (Karies) ist die Resektion vorzunehmen. Gegen die tuberkulösen Fistelbildungen
ist auf dem Chirurgenkongreß 1881 eindringlich die Wundbehandlung mit Jodoform empfohlen worden.
5) Die deformierende Gelenkentzündung (Arthritis deformans oder nodosa) beginnt gleich von Anfang an in dem Knorpelüberzug und den knöchernen
Gelenkenden und ist dadurch von allen vorgenannten Arten der Gelenkentzündung unterschieden. Sie ist ein Leiden des Greisenalters
und heißt, da ihr gewöhnlichster Sitz im Hüftgelenk ist, auch wohl Malum senile coxae. Ohne Eiterung, ohne Gelenkschwellung
und Fieber verläuft die Krankheit schleichend Jahre hindurch und gibt sich nur durch Gehstörungen kund, welche durch Abschleifung
des Gelenkkopfes in seiner Pfanne bedingt werden.
Die Gestaltveränderungen der knöchernen Gelenkteile erreichen dabei oft hohe Grade, an Stelle der schwammigen Textur
tritt
ein Knochengewebe von elfenbeinerner Härte, aber die Synovialmembran wird nur sekundär in einen chronischen Entzündungsprozeß
einbezogen. Gerade hier ist es nicht so selten, daß sich verdickte Zotten der Membran oder gewucherte
knorpelige Gewebsstücke beim Bewegen ablösen und dann als freie Körper, sogen. Gelenkmäuse (s. d.), in der Höhle liegen
bleiben.
Sie bewirken oft durch ihr Hineingeraten zwischen die gleitenden Flächen plötzliche schmerzhafte Störungen beim Gehen und
müssen durch Einschnitt entfernt werden. Jede der früher erwähnten Formen kann später in das Krankheitsbild
dieser schleichenden Gelenkentzündung übergehen, so daß die aufgezählten Übel zuweilen nach überstandenen Gelenkleiden
auch vor dem Greisenalter zur Erscheinung kommen. Die Behandlung verspricht nur mäßige Erfolge. Das Gelenk muß täglich mäßig
gebraucht werden, warme Bäder und passende künstliche Bandagen (Taylors Maschine) erleichtern wesentlich die in ihren Ursachen
nicht angreifbaren Funktionsstörungen.
Vgl. außer den Handbüchern der Chirurgie von Bardeleben, Pitha und Billroth, König
u. a.: Hueter, Klinik der Gelenkkrankheiten (2. Aufl., Leipz. 1876-78);
v. Langenbeck, Schußfrakturen der Gelenke und ihre Behandlung
(Berl. 1868);