häufiger von ihrer
Krankheit geheilt werden als früher. Das
Non-restraint-System hat noch eine weiter gehende Bedeutung.
Bis jetzt herrschte und herrscht auch noch hier und da eine gewisse
Scheu vor den Geisteskranken, welche sich auch dann noch
geltend macht, wenn dieselben aus der Anstalt entlassen worden sind. Welche Nachteile und welche oft
traurigen
Folgen dies für die Unglücklichen haben muß, liegt auf der
Hand.
[* 2] Eine derartige
Scheu ist zum Teil ein Überrest
aus jener Zeit, in welcher die Geisteskranken ein unwürdiges
Los traf, und in welcher man glaubte, sie fürchten zu müssen.
Nun, wo diese
Zeiten vorbei sind, wo durch Einführung des
Non-restraint aufs deutlichste gezeigt worden
ist, daß die Irren (mit gewissen Einschränkungen) gleich andern Kranken behandelt werden können, nun wird sich auch diese
unberechtigte
Scheu nach und nach ganz verlieren und einer gerechten Beurteilung Platz machen.
Was die Rechtsgrundsätze über Geisteskranke anbetrifft, so fehlt es in
Deutschland
[* 3] an einheitlichen
und umfassenden Irrengesetzgebungen, wie sie in
Belgien,
[* 4]
England,
Holland,
Norwegen
[* 5] und
Schweden, in einzelnen
SchweizerKantonen
und namentlich in
Frankreich
(Gesetz vom vorhanden sind. Diese
Gesetze gehören wesentlich dem öffentlichen
Recht
an, indem sie auf der einen Seite die öffentliche
Fürsorge und den rechtlichen
Schutz für Geisteskranke,
anderseits die öffentliche Sicherheit und
Ordnung mit Rücksicht auf die Gefährlichkeit geisteskranker
Personen anbetreffen.
Die
Aufnahme von Geisteskranken in die
Irrenanstalten, die Entlassung derselben, die Beaufsichtigung solcher Anstalten und
die
Fürsorge für Geisteskranke in und außerhalb der Anstalt durch die Behörden des
Staats sind in diesen
Gesetzen geordnet.
In
England z. B. ist eine besondere Behörde mit der staatlichen
Aufsicht des Irrenwesens betraut, welche
vorwiegend aus
Anwalten und
Ärzten (commissioners in lunacy) zusammengesetzt wird.
In den einzelnen deutschen
Staaten bestehen
zahlreiche
Verordnungen über die Behörden und über das
Verfahren, welches auf diesem Gebiet zu beobachten ist.
Die Verwaltungsbehörden haben hier die betreffenden
Funktionen auszuüben. Unternehmer von Privatirrenanstalten
bedürfen nach der deutschen
Gewerbeordnung (§ 29) einer
Konzession der höhern Verwaltungsbehörde. Auf dem Gebiet des
Privatrechts
gilt der Geisteskranke als handlungsunfähig und ebendarum gleich dem
Unmündigen der Bevormundung bedürftig. Doch ist die
Testierfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, letztwillige
Verordnungen mit rechtlicher Wirksamkeit zu treffen,
in lichten Zwischenräumen
(dilucida intervalla) während der Geisteskrankheit vielfach gesetzlich anerkannt, so z. B.
im preußischen allgemeinen
Landrecht, § 20,
Tit. 1,. Teil 1. Die Rechtsgrundsätze über die
Entmündigung (s. d.) geisteskranker
Personen sind in der deutschen
Zivilprozeßordnung (§ 593 ff.) festgestellt.
Nur durch Beschluß des Amtsgerichts kann eine
Person für geisteskrank (wahnsinnig, blödsinnig etc.)
erklärt werden. In strafrechtlicher Hinsicht ist namentlich die Bestimmung des deutschen
Strafgesetzbuchs (§ 51) hervorzuheben,
wonach eine
Handlung als strafbar nicht erscheint, wenn der Thäter sich in einem Zustand von
Bewußtlosigkeit oder krankhafter
Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. Ob dies
der
Fall, muß nötigen Falls durch ärztliches
Gutachten ermittelt werden; doch soll nach
Liman der
Arzt sein
Gutachten darauf
beschränken,
ob einePerson geisteskrank sei,
und dem
Gericht die
Entscheidung überlassen, ob durch die Geisteskrankheit die
freie Willensbestimmung in dem gegebenen
Fall für ausgeschlossen zu erachten ist oder nicht.
Die häufigen und oft sehr schwer zu entscheidenden
Fragen über vorgebliche Geisteskrankheit (Simulation)
sind nur auf
Grund wiederholter und längerer
Beobachtung zu beantworten (s.
Psychiatrie). Die deutsche Strafprozeßordnung
(§ 81) bestimmt, daß zur Vorbereitung eines
Gutachtens über den Geisteszustand des Angeschuldigten das
Gericht auf
Antrag
eines
Sachverständigen nach Anhörung des Verteidigers anordnen kann, daß der Angeschuldigte in eine
öffentliche
Irrenanstalt gebracht und dort beobachtet werde.
Vgl.
Esquirol, Die in Beziehung zur
Medizin etc. (deutsch, Berl. 1838);
(Imbecillitas,Dementia), Inbegriff der sämtlichen Abstufungen krankhaft verminderter
Intelligenz,
für welche gemeinhin die
NamenBlödsinn,
Stumpfsinn,
Schwachsinn,
Einfalt,
Idiotismus teils ohne Unterschied,
teils mit Unterscheidung der verschiedenen
Grade gebraucht werden.
Allen diesen Bezeichnungen gemeinschaftlich ist die krankhafte
Grundlage, so daß die
Dummheit (stupiditas), d. h. die mangelhafte Fähigkeit eines
Individuums, richtige
Vorstellungen und
richtige
Schlüsse zu bilden, oder die Langsamkeit der geistigen Hergänge (tardum ingenium) oder die
Unwissenheit, welcher die Kenntnisse von
Thatsachen zur
Bildung eines richtigen
Urteils fehlen, nicht unter die Geistesschwäche, also nicht
unter die
Kategorie der
Geisteskrankheiten fallen. In ihren leichtern
Graden ist die psychische
Schwäche oft sehr schwer zu
erkennen, denn nicht so selten kommt der Irrenarzt in dieLage, gerade bei ausgeprägten
Fällen von Geistesschwäche eine
gewisse durchtriebene Verschlagenheit und scheinbar verwickelte Gedankenkombination vorzufinden.
In der
Einteilung der überaus mannigfachen
Grade von geistiger
Schwäche weichen die
Autoren vielfach voneinander ab; man unterscheidet
den
Stumpfsinn (imbecillitas), Unfähigkeit aller Seelenvermögen zu normaler Thätigkeit, Stumpfheit der
Sinnesorgane, Dumpfheit
der
Empfindungen,
Schwäche der
Besonnenheit, der
Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, der
Phantasie, der
Urteilskraft,
wobei Aufregung von
Affekten möglich ist;
Blödsinn (amentia, fatuitas), höchste
Schwäche aller Seelenvermögen, der
Erkenntnis,
des Empfindens und Begehrens, womit fester
Wille und heftige
Affekte unvereinbar sind. In Bezug auf die
Ursachen der Geistesschwäche lassen
sich folgende
Formen aufstellen: Die angeborne Geistesschwäche
(Idiotie, s. d.) ist teils die
Folge mangelhafter
Entwickelung,
namentlich angeborner Kleinheit des
Gehirns oder einzelner
Abschnitte desselben, teils beruht sie auf angebornem Mangel ganzer
Hirnteile, z. B. des
Balkens, teils endlich entsteht sie infolge fehlerhafter Schädelbildung, indem die Schädelhöhle ungewöhnlich
klein bleibt und folglich die normale
Ausbildung des
Gehirns mechanisch unmöglich macht. Die meisten
Fälle
solcher fehlerhaften Schädelbildung beruhen auf frühzeitiger knöcherner Verschmelzung (sogen.
¶
mehr
Synostosis) der Schädelknochen untereinander; denn das Wachstum der Schädelknochen hört auf, sobald sie miteinander
verschmolzen sind. In den Bereich der angebornen Geistesschwäche gehört auch der endemische Blödsinn oder der Kretinismus. Die sekundäre
Geistesschwäche ist ein Folgezustand sehr verschiedenartiger Gehirnkrankheiten, welche meist dem mittlern Lebensalter angehören und sämtlich
mit mehr oder weniger ausgedehnter Zerstörung und Entartung der Hirnsubstanz verbunden sind.
Der Gehirnschwund (s. d.) nach Entzündungsprozessen des Hirns und seiner Häute, Kopfverletzungen, Gehirnerweichung, Vereiterung
und Verhärtung des Gehirns, die Epilepsie etc. sind Zustände, welche in ihrem Ausgang zu völliger Vernichtung aller höhern
Seelenthätigkeiten, d. h. zum »terminalen Blödsinn«, führen. Die senile Geistesschwäche (Greisenschwachsinn) kommt
im höhern Lebensalter vor und ist in ihren stärkern Graden wohl stets auf den im Greisenalter so gewöhnlichen Schwund des
Gehirns zurückzuführen. Jede der genannten Formen von Geistesschwäche kann alle Grade bis zum vollendetsten Blödsinn durchlaufen. - Die
Geistesschwäche ist sehr häufig mit Geistesverwirrung, mit Verrücktheit, verbunden, was am häufigsten bei der sekundären
Geistesschwäche als der Nachkrankheit des Wahnsinns, aber auch zuweilen bei der primitiven und dem Greisenblödsinn beobachtet wird.
Von den leiblichen Abnormitäten, welche die Geistesschwäche zu begleiten pflegen, sind die hervorstechendsten und konstantesten:
die Unempfindlichkeit des peripherischen Nervensystems, namentlich auch der Eingeweidenerven (daher Gefräßigkeit ohne Heißhunger),
Schwächung oder Aufhebung der Empfindung, Laßheit der Haltung, Unbehilflichkeit der Bewegungen bis zur
vollkommenen Lähmung (der Extremitäten, der Sprachwerkzeuge, der Schließmuskeln) etc. -
Die Prognose der Geistesschwäche ist bis auf seltenere Fälle vorübergehender Demenz (transitorischer Blödsinn) im allgemeinen höchst
ungünstig: die erworbene Geistesschwäche wird nie geheilt, denn sie ist das Symptom von pathologischen Gehirnzuständen,
welche unheilbar sind und sogar das Leben bedrohen können;
selbst die mit primärer, angeborner Geistesschwäche behafteten Individuen
erreichen in der Regel kein hohes Alter.
Bei den niedern Graden der Geistesschwäche der Kinder haben konsequente Erziehungs- und Bildungsversuche
zuweilen einen gewissen Erfolg, welcher jedoch nur selten den gehegten Erwartungen entsprechen wird.
In rechtlicher Hinsicht wird die Geistesschwäche ebensowohl in Beziehung auf Disposition- wie auf Zurechnungsfähigkeit Gegenstand der
Beurteilung. Die Frage ist in diesen Fällen entweder: ob das Individuum mit hinreichenden intellektuellen Kräften begabt ist
oder sein wird, um vor dem Gesetz gültige bürgerliche Handlungen zu vollziehen, oder: ob es mit hinreichenden
intellektuellen Kräften begabt war, um gewisse gesetzwidrige Handlungen vermeiden zu können. So häufig auch diese Frage verhandelt
werden muß, so fehlt es doch an bestimmten Regeln, welche bei ihrer Behandlung zur Richtschnur dienen könnten.