freundschaftlichen
Verkehr mit
Freiligrath verlebt, ging er 1844 nach
Berlin,
[* 2] wo er für
Mendelssohn-Bartholdy 1846 die
Oper »Loreley«
(2. Aufl., Hannov. 1861) dichtete, welche wegen des frühen
Todes des
Komponisten leider unvollendet blieb, und veröffentlichte
bald darauf die zweite Sammlung seiner Gedichte, die »Juniuslieder« (Stuttg.
1848, 20. Aufl. 1873), die an poetischem
Gehalt und künstlerischer Formvollendung die lyrischen und epischen
Darbietungen der ersten Sammlung weit überragten.
Blieb auch die Grundstimmung des Dichters weich und zuzeiten weichlich, so waren doch innige
Empfindung, ein edler
Ernst der
gesamten Lebensanschauung, Schwung der
Phantasie und Reinheit der Form Vorzüge, die den Erfolg der »Juniuslieder«
zu einem vollberechtigten erhoben. Jene
Kritiker, welche in Geibel nicht mehr erblicken wollten als den Lieblingslyriker junger
Damen, waren schon damals widerlegt und wurden es in der Zukunft noch mehr. 1851 ward Geibel durch König
Maximilian II. von
Bayern
[* 3] als
Honorarprofessor der
Ästhetik und
Poetik an die
UniversitätMünchen
[* 4] berufen.
Bald zum
Kapitular des neugegründeten
Maximiliansordens ernannt, in den persönlichen Adelstand erhoben, durch ein vertrautes
Verhältnis zu dem litteraturfreundlichen Herrscher ausgezeichnet, zum
Mittelpunkt und
Haupt jener poetischen
Schule oder vielmehr
der dichterischen
Genossenschaft erhoben, welche sich in den 50er
Jahren in
München sammelte, schien in seltener
Weise vomGlück
begünstigt. Aber bereits 1855 verlor der Dichter seine geliebte jugendliche
GattinAda, mit der er sich 1852 verheiratet hatte;
auch erwies sich das
Klima
[* 5] von
München seiner
Gesundheit verderblich.
Schon vor dem
Tode des
KönigsMax lebte Geibel wieder einen Teil des
Jahrs in
Lübeck;
[* 6] 1869 legte er alle seine
Stellungen nieder und nahm wieder in
Lübeck seinen bleibenden
Wohnsitz. Hier starb er, in den letzten
Jahren seines
Lebens vielfach
kränkelnd, Für die ihm entzogene
Pension aus der bayrischen Kabinettskasse hatte ihm König
Wilhelm vonPreußen
[* 7] einen entsprechenden Jahresgehalt verliehen. Geibels bedeutendster poetischer Aufschwung war während seines
Aufenthalts in
München erfolgt.
Mehr noch als seine
Tragödie
»Brunhild« (Stuttg. 1858, 4. Aufl. 1877) und das graziöse
Lustspiel
»MeisterAndrea« (das. 1855, 2. Aufl. 1874) erwiesen die
»Neuen Gedichte« (das. 1857, 12. Aufl. 1872) Geibels
Berechtigung
zu einer hervorragenden
Stellung in der deutschen
Poesie.
Sämtliche Gedichte dieser dritten Sammlung erschienen tiefer, ernster, gewichtiger, dabei so formschön
wie die besten der frühern
Bände. Neben der Innigkeit echter
Lyrik, die in den Gedichten des
Cyklus
»Ada« gipfelte, sprachen
lyrisch-epische Meisterstücke, wie: der
»Mythus vom
Dampf«,
[* 8]
»Babel«, »Der Bildhauer des
Hadrian«, »Der
Tod des
Tiberius«, die
tiefste Eigentümlichkeit des gereiften Dichters vollendet aus. Ein gleich ernster
Gehalt zeichnete auch
die »Gedichte und Gedenkblätter« (Stuttg.
1864, 6. Aufl. 1875),
die vierte Sammlung der Geibelschen Gedichte, aus, während die Sammlung seiner letzten Gedichte: »Spätherbstblätter«
(das. 1877),
nur noch einzelne vollendet schöne
Lieder und ergreifende
Bilder enthält. Während seines
Münchener Aufenthalts
hatte Geibel imVerein mit
PaulHeyse das
»Spanische
[* 9] Liederbuch« (2. Aufl., Berl. 1852),
mit F. A. v.
Schack den
»Romanzero der
Spanier und Portugiesen« (Stuttg. 1860),
herausgegeben. Seit seiner Rückkehr nach
Lübeck veröffentlichte er noch die preisgekrönte
Tragödie
»Sophonisbe« (Stuttg.
1869, 3. Aufl. 1877),
die größtenteils dem deutsch-französischen
Krieg entstammten schwungvollen Zeitgedichte »Heroldsrufe«
(das. 1871, 4. Aufl. 1872),
das »Klassische Liederbuch; Griechen und
Römer
[* 10] in deutscher
Nachbildung« (Berl. 1875, 4. Aufl.
1882) und die kleinereDichtung »Echtes
Gold
[* 11] wird klar im
Feuer«
(Schwer. 1882). Geibels Bedeutung als Dichter
liegt wesentlich darin, daß er in einer zerfahrenen, dem
Extremen zuneigenden Zeit künstlerisches Gleichmaß und geläuterte
Schönheit erstrebte und damit das
Gewicht seines von
Haus aus begrenzten
Talents außerordentlich steigerte. Seine »Gesammelten
Werke« erschienen in 8
Bänden (Stuttg. 1883); seine
»Briefe an
Karl Freih.
v. d.
Malsburg« gab
Duncker (Berl.
1885) heraus.
Familie aus der
Ordnung der
Raubvögel,
[* 13] große oder sehr
große
Vögel
[* 14] mit langem, starkem
Schnabel, welcher höher als breit, mehr als zur Hälfte mit einer
Wachshaut bekleidet, gerade,
an der
Spitze plötzlich hakig übergebogen und am Schneidenrand seicht ausgebuchtet ist. Der
Kopf ist mit
Daunen bedeckt oder
nackt, die
Flügel sind lang, breit und abgerundet, und die vierte
Schwinge ist in ihnen die längste;
der
Schwanz ist mittellang, zugerundet oder stark abgestuft.
Die
Füße sind mittelhoch, stark, von der
Ferse ab unbefiedert; die
Zehen sind zwar lang, aber schwach und nicht greiffähig
und mit kurzen, wenig gebogenen, stumpfen
Nägeln versehen. Die Weibchen sind größer als die Männchen.
Die Geier sind die plumpsten aller
Raubvögel und stehen an geistiger Begabung weit hinter
Adlern und Edelfalken zurück; sie
sind scheu, jähzornig, feig, nicht unternehmend, leben zwar gesellig, aber nicht friedfertig, sind träge, roh und gewinnen
selten wirkliche Anhänglichkeit an ein andres Geschöpf.
Sie gehen meist schrittweise, fliegen langsam, aber mit ungemein großer
Ausdauer und nähren sich fast
ausschließlich von
Aas, welches sie mit dem scharfen
Auge
[* 15] in weiter
Entfernung erspähen. Sie finden sich überall in den wärmern
Gegenden mit Ausnahme
Neuhollands, innerhalb ihres Verbreitungskreises aber in der
Ebene und auf den höchsten
Gebirgen, schweifen
weit umher und suchen ihre
Nahrung zum Teil in den
Städten, für welche sie in Südasien,
Afrika
[* 16] und
Südamerika
[* 17] geradezu charakteristisch sind.
Sie fressen ungemein gierig, so daß sie nach der Sättigung oft im
Fliegen
[* 18] behindert sind. Sie horsten gesellig auf
Felsen,
Bäumen oder auf der
Erde und legen 1-2 gräuliche oder gelbliche, dunkler gefleckte
Eier,
[* 19] welche wahrscheinlich
von beiden Eltern ausgebrütet werden. Das nach mehreren
Wochen auskriechende
Junge ist äußerst gefräßig und wird erst
nach mehreren
Monaten selbständig. Es wird von den Alten sorgsam behütet, gegen den
Menschen aber kaum ernstlich verteidigt.
In der Gefangenschaft sind Geier leicht zu erhalten und haben wiederholt Anstalten zur
Fortpflanzung gemacht.
Der Gänsegeier
(GypsfulvusGm., s. Tafel), 1 m lang, 2,6 m breit, mit gestrecktem, schlankem,
relativ schwachem
Schnabel, langem, gänseartigem, gleichmäßig starkem, spärlich mit weißen, flaumartigen
Borsten besetztem
Hals und niedrigen
Füßen. Die
Federn der
Halskrause und des
Nackens sind in der
Jugend lang und flatternd,
dunkel fahlbraun, im
Alter zerschlissen und haarartig,
¶
mehr
weiß oder gelblichweiß; das übrige Gefieder ist sehr gleichmäßig licht fahlbraun, auf der Unterseite dunkler als auf
der Oberseite, jede einzelne Feder lichter geschaftet. Die Flügeldeckfedern bilden eine lichte Binde auf der Oberseite, die
Schwingen erster Ordnung und die Steuerfedern sind schwarz, die Schwingen zweiter Ordnung graubraun, fahl gerandet; das
Auge ist lichtbraun, die Wachshaut dunkel blaugrau, der Schnabel rostfarben, der Fuß hell bräunlichgrau.
In der Gefangenschaft bleibt der Gänsegeier tückisch und bissig. In Ägypten
[* 30] dienen Schwung- und Steuerfedern zu Schmuck-
und Wirtschaftsgegenständen. In Kreta und Arabien soll der Balg als Pelzwerk
[* 31] benutzt werden. Die Gattung der Schopfgeier (VulturL.) ist charakterisiert durch den kräftigern Leib, den kürzern, stärkern Hals, größern Kopf mit kräftigerm
Schnabel und breitere Flügel. Der Kopf ist mit kurzem, krausem, wolligem Flaum bedeckt, welcher am Hinterkopf einen Schopf bildet.
Hinterhals und einige Stellen des Vorderhalses sind nackt; eine bis an den Hinterkopf reichende Halskrause besteht aus kurzen,
breiten, kaum zerschlissenen Federn. Der Kuttengeier (Mönchsgeier, grauer, brauner, gemeiner Geier, VulturcinereusTem., s. Tafel), der größte VogelEuropas, ist 1,16 m lang, 2,3 m breit, gleichmäßig dunkelbraun;
das Auge ist braun, Schnabel und Wachshaut blau, der Fuß fleischfarben, die nackte Stelle am Hals ist licht blaugrau, ein nackter
Ring ums Auge violett. Er findet sich in Südeuropa, Slawonien, Kroatien und in den Donautiefländern, in
Asien
[* 32] bis China
[* 33] und Indien und in den Atlasländern sowie an einem Teil der afrikanischen Westküste, verfliegt sich auch bis
Deutschland.
Seine Haltung ist edler, adlerartiger als die des vorigen; er frißt hauptsächlich Muskelfleisch, verschlingt Knochen
[* 34] und
ergreift auch lebende Säugetiere. Er horstet einzeln auf Bäumen und legt ein weißes Ei. Der Schmutzgeier
(Aas-, Maltesergeier, ägyptischer, heiliger Geier, Alimosch, Henne der Pharaonen, NeophronpercnopterusGray, s. Tafel), 70 cm lang,
1,6 m breit, mit kurzem, kräftigem Leib, etwa kopflangem, starkem, geradem, an der Spitze stark gekrümmtem Schnabel, langen,
ziemlich spitzen Flügeln, in denen die dritte Schwinge die längste ist, langem, abgestuftem Schwanz und
mittelhohem, starkem, an der Ferse unbefiedertem Fuß.
Das Gefieder ist am Hinterhals verlängert, Gesicht
[* 35] und Kopf sind nackt. Die Färbung ist schmutzig weiß, Hals und Oberbrustgegend
mehr oder weniger dunkelgelb, Handschwingen schwarz, Schulterfedern gräulich; das Auge ist rotbraun oder licht
erzgelb, der nackte Kopf, der Kropfflecken und der Schnabel orangegelb, letzterer an der Spitze hornblau, der Fuß hellgrau.
Er findet sich als Zugvogel in Südeuropa, auch in der Schweiz,
[* 36] selten in Deutschland, häufig und als Standvogel in fast ganz
Afrika, West- und Südasien. Er meidet den Wald, fliegt sehr schön, lebt gesellig, ist friedfertig, wenig
scheu, ruht
auf Felsen und Gebäuden, nicht auf Bäumen, nährt sich von Menschenkot, Abfällen der Schlächtereien und Aas und
wird dadurch für die afrikanischen und asiatischen Städte ein großer Wohlthäter. Er wird dort nicht verfolgt, kommt deshalb
auch sorglos in größte Nähe des Menschen und begleitet die Karawanen tagelang.
Bisweilen ergreift er auch kleine Säugetiere (Mäuse) und Vögel, Kriechtiere und frißt Eier. Er horstet in kleinen Gesellschaften
an steilen Felswänden, auch auf alten Gebäuden, Pagoden etc. und legt 1-2 gelblichweiße, lehmfarben oder braun gefleckte
Eier. In der Gefangenschaft wird er zahm wie ein Hund. Sein Bildnis findet sich auf altägyptischen Bauwerken
(s. unten). Der Kappengeier (Neophronpileatus Burch.), 68 cm lang, 1,7 m breit, mit etwas kürzerm Schnabel, gerade abgestutztem
Schwanz, am Scheitel, Wangen und Vorderhals nackt, gleichmäßig dunkel erdbraun, an Hinterkopf und Hals gräulichbraun, am Kopf
schmutzig weiß, Handschwingen und Steuerfedern braunschwarz, am nackten Kopf bläulichrot, mit braunem
Auge, hornblauem, an der Spitze dunklerm Schnabel, violetter Wachshaut und hell bleigrauen Füßen. Er bewohnt Mittel- und Südafrika,
[* 37] lebt gesellig, verkehrt wie ein halbes Haustier in den Ortschaften, nährt sich, wie der vorige, von Kot und allerlei Abfällen,
raubt niemals lebende Tiere, ruht nachts auf Bäumen fern von menschlichen Wohnungen, lebt sehr gesellig
und nistet in großen Ansiedelungen in Wäldern auf Bäumen. Das Weibchen legt nur ein grauweißes, lehmrot geflecktes Ei,
welches, wie es scheint, von beiden Geschlechtern ausgebrütet wird. Dieser Geier wird ebensowenig verfolgt wie der
vorige. Der Lämmer- oder Bartgeier (s. d.) gehört einer andern Familie an, und noch ferner steht den Geiern
der Kondor (s. d.).
Der Geier spielt in der Mythologie oft eine ähnliche Rolle wie der Adler.
[* 38] Der indische Geier Gatayu weiß alles Vergangene und alles
Zukünftige, weil er die ganze Erde durchmessen hat. Er kämpft mit den Ungeheuern und ist den Herden und
den Göttern freundlich gesinnt. Nach Herodot war der Geier dem Herkules befreundet, er kündigt dem Romulus, Cäsar und Augustus
die Alleinherrschaft an. Verbrannte Geierfedern vertreiben Schlangen,
[* 39] erleichtern die Geburtswehen. Die Gefräßigkeit des
Geiers wurde bei den Alten sprichwörtlich, er wittert Leichname, sogar schon vor dem Tod, und daher wurden
hungrige Erben Geier genannt. Bei den Germanen galt er für ein böses Prinzip (daher die Verwünschung). Bei den Ägyptern war
er Symbol der Sonne,
[* 40] und weil sie glaubten, daß es unter den Geiern nur Weibchen gebe, die vom Ostwind befruchtet würden,
war er das Symbol der Mutter und der GöttinNeith geheiligt, welche mit einem Geierkopf abgebildet wurde.