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Schullehrer, Betriebsinspektor und eine im Verhältnis zur Zahl der Verurteilten ausreichende Mannschaft von Wärtern, abgesehen von den für den äußern Sicherheitsdienst bestimmten Militärwachen. Ein tüchtiges Gefängnispersonal zu finden, ist ungemein schwer. Die Befähigung zum Gefängnisdienst läßt sich erst durch Erprobung feststellen, daher alle Merkzeichen äußerer Art, wie etwa Stand, Kirchlichkeit der Gesinnung, militärische Vorbildung, ziemlich wertlos sind.
Von Bedeutung ist, daß in neuester Zeit die Notwendigkeit planmäßiger Schulung der Gefängnisbeamten deutlicher erkannt wird als ehemals. In Schweden [* 2] und Italien [* 3] sind durch Almquist und Beltrani Fachschulen gegründet worden. Der Schweizer Guillaume trat dafür nachdrücklich ein. Demnach erscheint es als ein Krebsschade der amerikanischen Gefängnisse, daß das Aufsichtspersonal je nach dem Stande der Parteiherrschaft in kürzern Zeiträumen gewechselt wird.
Selbstverständlich muß die Geschäftsordnung des Strafanstaltsdienstes ihren Abschluß finden in der Verantwortlichkeit der Beamten und in ausreichenden Maßregeln der Aufsicht. Besonders hat sich die Bestellung verantwortlicher Generalinspektoren als eigne und einheitliche Zentralstelle für die Gefängnisverwaltung bewährt, weil ein unermeßliches Erfahrungsmaterial zu seiner Beherrschung eine besondere Kraft [* 4] fordert und ein ununterbrochener persönlicher Verkehr mit den Gefängnisdirektoren an Stelle des rein aktenmäßigen Geschäftsganges erforderlich ist. Schweden, Dänemark, [* 5] Italien, England, Holland etc. besitzen eine derartige Amtsstelle, die in Deutschland [* 6] zum Schaden des Gefängniswesens bis jetzt fehlt.
Die verschiedenen Haftsysteme.
Der wichtigste Streitpunkt in der Einrichtung des Gefängniswesens betrifft das Haftsystem, welches der Vollstreckung der Freiheitsstrafen zu Grunde gelegt werden soll. Bei der Untersuchung über die Zweckmäßigkeit der Haftsysteme fragt es sich erstlich, wie sich die äußern Anstalten zu den Prinzipien des Strafrechts (Abschreckung und Besserung) verhalten, und zweitens, welche Wirkungen die Freiheitsstrafen in der Person des Verurteilten nach dessen Entlassung aufweisen.
Schon vor Howard war die Wahrnehmung gemacht worden, daß eine mangelhafte Gestaltung des Gefängniswesens nicht nur mit Ungerechtigkeiten gegen den Verbrecher, sondern auch mit schweren Benachteiligungen der öffentlichen Ordnung im unmittelbaren ursachlichen Zusammenhang stehe. Man bemerkte, daß zur Herstellung eines guten Gefängniswesens dreierlei erfordert werde: eine klare Erkenntnis der Grundsätze, welche die Strafvollziehung beherrschen, eine darauf beruhende Thätigkeit persönlicher Kräfte der Strafanstaltsbeamten und eine bestimmte Methode der Behandlung, welche durch die äußern und technischen Formen der Gefängnisbauten zu unterstützen ist.
Das Strafurteil des Richters enthält immer nur eine allgemeine Bestimmung, während die Strafe selbst je nach der Art ihrer Ausführung eine sehr verschiedene sein kann. Somit gelangt man zur Frage: wie und in welcher Weise die Freiheitsstrafen vollstreckt werden sollen. Negativ steht dabei fest, daß die Entscheidung darüber weder dem Belieben des Strafrichters noch auch dem Gutdünken der Gefängnisdirektoren überlassen bleiben darf. Schwieriger als die Feststellung der Negative ist aber die Entscheidung der Fragen: welches System das beste sei; ob überhaupt ein einziges System allen Freiheitsstrafen zu Grunde gelegt werden könne, oder ob mehrere Systeme nebeneinander anzuwenden seien. Zu Howards Zeiten begnügte man sich damit, alle Verbrecher ohne Unterschied in gewissen Räumlichkeiten zusammenzusperren. Die Erkenntnis der damit verbundenen Übelstände war die Grundlage der seitdem begonnenen und noch gegenwärtig nicht zum Abschluß gekommenen Gefängnisreformbestrebungen. Der Reihe nach sind folgende Haftsysteme aufgestellt und angewendet worden:
1) Das Gemeinschafts- oder Associationssystem, welches die schreienden Übelstände der zu gegenseitiger Verschlechterung führenden Sträflingsgemeinschaft dadurch zu heben sucht, daß es auf Grund äußerlicher Merkmale gleichartige Gruppen der Gefangenen bildet, denen bestimmte Behandlungsweisen angepaßt werden sollen. Die hauptsächlichsten Merkmale der Klassifikation waren, abgesehen von Geschlecht und Alter: Zeitdauer der Verurteilung, Art des Verbrechens, Rückfälligkeit und Zahl der Vorbestrafungen, Bildung, körperliche Leistungsfähigkeit für die Zwecke der Strafanstaltsarbeit, Gesundheitszustand etc. War auch die Klassifikation als ein Fortschritt zu betrachten, so erkannte man doch bald, daß solche Unterscheidungen bis ins Endlose vervielfältigt werden können, und dann, daß es keine sichern Kennzeichen für den moralischen Zustand derer gibt, welche in eine Strafanstalt eingeliefert werden. Nicht wenige Anstalten in Europa [* 7] und Amerika [* 8] gehören noch diesem unhaltbaren System der klassifizierten Gemeinschaft an, bei welchem auch zur Nachtzeit die Gefangenen ungetrennt bleiben.
2) Das Isolier- oder Zellensystem, nach seinem ersten Entstehungsgebiet auch früher das pennsylvanische genannt. Seine Negative ist: völlige Aufhebung jeder Gemeinschaft unter Gefangenen, daher Trennung der Gefangenen bei Tag und bei Nacht, vermittelt durch einen Zellenbau. Kein Gefangener darf den andern sehen, daher der Gebrauch der sogen. Schildmützen oder Masken, [* 9] wenn sich die Gefangenen zum Gottesdienst, zur Schule oder zu Spaziergängen ins Freie begeben.
Durch bauliche Vorrichtungen eigner Art ist die Trennung auch in der Kirche, im Schulzimmer und in den sogen. Spazierhöfchen durchgeführt. Als moderne Baumuster (vielfach nach panoptischem Plan) sind in dieser Hinsicht zu nennen: Bruchsal, Moabit, Löwen, [* 10] Nürnberg. [* 11] Als sogen. modifizierte Einzelhaft erscheint dies System da, wo die Trennung lediglich durch die Zelle [* 12] vermittelt wird, dagegen Gemeinschaft während des Gottesdienstes, der Schule und des Spazierengehens, folglich auch ein Erkennen der Gefangenen unter sich zugelassen wird.
Die positive Seite der Einzelhaft ist: Einwirkung auf das Gemüt durch Einsamkeit, Umstimmung des Gefangenen im ungestörten Umgang mit dem Beamtenpersonal, zumal dem Geistlichen, Zugänglichkeit für bessernde Einwirkungen, ein größeres Maß von Freiheit in der Benutzung der Zeit, gesteigertes Bedürfnis der Beschäftigung, Lektüre u. a. Zuerst in der »Bußanstalt« (Penitentiary, daher »Pönitenziaranstalten, Pönitenziarwesen«) von Philadelphia [* 13] (1791) angewendet, verbreitete sich das Einzelhaftsystem insbesondere nach der Julirevolution über Europa. Seine eifrigsten Fürsprecher waren in Deutschland: Julius, Mittermaier, Füeßlin, Varrentrapp, Röder, Schück, Wichern. Es gibt gegenwärtig keinen Staat in Europa, in welchem nicht von einzelnen Zellen für Zwecke der Strafrechtspflege Gebrauch gemacht würde, ebensowenig aber einen Staat, der alle Gefangenen ohne Ausnahme der Zellenhaft unterwerfen könnte. Der Anwendbarkeit des Isoliersystems ist nämlich eine natürliche Schranke ¶
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gesetzt in den körperlichen, mit Isolierung unverträglichen Eigenschaften gewisser Personen (Jugendlicher, Kränklicher, Altersschwacher, Schwachsinniger, Nervös-Reizbarer). Weiterhin aber bleibt die Frage: ob Isolierung, wo sie an sich möglich, auch überall in zeitlicher Unbeschränktheit nützlich sei. In dieser Hinsicht gehen die Gesetzgebungen der europäischen Staaten weit auseinander. Vorzugsweise geeignet halten einige die Einzelhaft für schwere Verbrecher, andre für Untersuchungsgefangene und kurze Straffristen. Am weitesten ging Belgien, [* 15] welches ganz allgemein für alle Strafarten von der Einzelhaft (s. d.) Gebrauch macht und nur die eine Grenze zieht, daß sie nicht über zehn Jahre hinauszugehen braucht.
3) Das Schweigsystem oder (nach seinem Entstehungsort im Staat New York) das Auburnsche System, seit 1823: Trennung der Gefangenen zur Nachtzeit in besondern Schlafzellen, womit der geschlechtlichen Unzucht begegnet werden soll;
gemeinsame Arbeit bei Tag unter dem disziplinarischen Gesetz absoluten Schweigens;
also eine Vermittelung zwischen der alten Gemeinschaftshaft und der Isolierung.
Leitender Gedanke war: Isolierung mindestens bis zur Grenze der disziplinaren Notwendigkeit, Belebung des Wetteifers in der gemeinsamen Arbeit, Gewöhnung an strenge Disziplin inmitten der Verführung zu wechselseitigen Mitteilungen. Auch das Schweigsystem fand eifrige Verfechter in Europa. Einzelne Anstalten, wie St. Gallen, leisteten Gutes; im ganzen fand aber das Auburnsche System trotz seiner größern finanziellen Vorteile wenig Gunst, weil absolutes Schweigen, an sich unnatürlich in der Gemeinschaft, fortdauernd die Anwendung von Disziplinarstrafen herausfordert und dennoch nicht mit Erfolg erzwungen werden kann. In Deutschland repräsentiert das Zuchthaus von Halle [* 16] dies System in baulicher Hinsicht.
4) Das Markensystem des englischen Kapitäns Maconochie, welcher davon auf der Südseeinsel Norfolk Island [* 17] in der Weise Gebrauch machte, daß er an Stelle der richterlichen Strafdauer eine Anzahl von Arbeitspensen setzte, deren jedes der Durchschnittsleistung eines Tagewerks entsprach, die Ziffer dieser Arbeitspensen in Marken abverdienen ließ und damit ermöglichte, daß durch ein ungewöhnliches Maß von Fleiß und Anstrengung die Marken zahlreicher verdient werden konnten mit dem Erfolg einer demnach vom Sträfling selbst herbeigeführten Abkürzung der Strafdauer. Obwohl dies System sich nicht verallgemeinerte, hat es doch die große Bedeutung, daß die effektive Strafdauer mit bedingt ist durch das Verhalten des Sträflings während der Strafzeit und diesem ein aktives Motiv der Besserung entgegengebracht wird.
5) Das irische oder progressive System, welches seit 1853 von Crofton in Irland eingeführt worden ist und seitdem sich langsam über andre Staaten verbreitet hat. In ihm sind die vorzugsweise wirksamen Elemente der Einzelhaft mit den Grundgedanken des Markensystems zu einer innern Einheit verbunden worden. Neben dem Markensystem hatte sich in Australien [* 18] zuerst die Praxis herausgebildet, deportierte Sträflinge wegen guten Verhaltens vor Ablauf [* 19] der richterlich zuerkannten Strafdauer auf Widerruf zu entlassen (conditional discharge).
Die mit einem sogen. Urlaubsschein (ticket of leave) von der Behörde versehenen Sträflinge konnten, wenn sie die Urlaubsperiode hindurch ihr gutes Verhalten fortsetzten, endgültig begnadigt werden; im Fall schlechten Betragens stand ihnen formlose Wiederverhaftung und Verbüßung des Strafrestes in Aussicht. Auch diese späterhin auf die englischen Zuchthäuser (convict prisons) übertragene Einrichtung benutzte Crofton für seinen Plan. Außerdem ging er von der Ansicht aus, daß Sträflinge in allmählichen Übergängen der Freiheit wieder entgegenzuführen seien und zu diesem Zweck eine besondere »Zwischenanstalt« zwischen dem vollen Strafzwang und zwischen der Freiheit eingeschoben werden solle.
Das irische System zerfällt in seiner Anwendung auf lange dauernde Strafen (das gegenwärtig in England zulässige Minimum der penal servitude beträgt fünf Jahre) in vier Stadien: a) das Einzelhaftstadium von regelmäßig neun Monaten, welches indessen durch gutes Verhalten bis auf acht abgekürzt werden kann und vorzugsweise dazu dient, den Gefangenen seelisch zu erforschen und kennen zu lernen, zur Arbeit geneigt zu machen und durch Unterricht zur Einsicht und Umkehr zu bestimmen; b) das Gemeinschaftshaftstadium mit progressiver, durch Markenverteilung gekennzeichneter Klassifikation, wonach jeder Gefangene, in einer untern Klasse beginnend, nach einer gewissen, durch gutes Verhalten wiederum abzukürzenden Zeitfrist in höhere Klassen aufrückt, um dort größere Vorteile, entsprechend seinem Fortschreiten, zugebilligt zu erhalten, oder anderseits, um im Fall schlechten Verhaltens auf eine niedere Stufe zurückversetzt zu werden; c) das Stadium der Zwischenanstalt, welches dem Sträfling ein größeres Maß von Freiheit einräumt, die äußern Merkzeichen der Gefangenschaft (Sträflingskleidung) beseitigt und mit disziplinarischer Bestrafung unverträglich ist, dergestalt, daß jede Ordnungswidrigkeit Zurückversetzung in das zweite Stadium zur Folge haben würde; in der Zwischenanstalt wird dem Gefangenen auf Grund seines vorangegangenen Betragens Vertrauen geschenkt, damit er seinerseits Selbstvertrauen zu seinen Kräften gewinne, wenn er den Kampf mit den Versuchungen des Lebens zu bestehen hat; d) das Stadium der bedingungsweisen, widerruflichen Freilassung, während dessen sich der »Beurlaubte« unter einer wohlwollenden, ihm zum Lebenserwerb behilflichen Polizeiaufsicht befindet. - Das irische System ward trotz seiner günstigen Ergebnisse von verschiedenen Seiten her lebhaft angegriffen, zumeist von den Anhängern des strengen Einzelhaftsystems, welche eine Gemeinschaft unter Gefangenen unter keinen Bedingungen zulassen wollten und daher in Croftons Einrichtungen nur eine Wiederbelebung der alten verfehlten Klassifikationen erblickten, außerdem aber auch von solchen, welche nur an den Äußerlichkeiten der Durchführung Anstoß nahmen.
Die Haupteigentümlichkeiten des irischen Systems liegen aber darin: Es ist progressiv in der Entwickelung der Gefangenschaft von größerer Härte und Strenge zu größerer Milde in Gemäßheit des vom Sträfling beobachteten Verhaltens. Es ist aktiv in seinem Prinzip gegenüber der Passivität der übrigen Systeme, welche die Persönlichkeit zum leidenden Objekt einer Zwangsbehandlung ohne hinreichende Gelegenheit zur Selbstbethätigung herabsetzen. Es ist graduiert, d. h. abgestuft, zum Unterschied von allen frühern Systemen, welche in monotoner Aufeinanderfolge von Tagen, Wochen, Monaten und Jahren die Gefangenschaft ermüdend und entschlußlähmend wirken lassen. Als Zufälligkeiten kommen dabei die äußern Umstände der in Irland angenommenen Ausführungsweise in Betracht. Das progressive System kann in einer einzigen großen Strafanstalt vollstreckt werden, wenn diese zum Teil für Einzelhaft, zum ¶